79. Wogenglättung
Mit dem Herbstanfang wurde es wieder kälter und als Lily einmal das Fenster in der Küche offen ließ, kam gleich ein ganzer Schwall an bunten Blättern ins Haus geflogen, die aus dem Baum im Garten gerissen worden. Harry fand diese sogar noch interessanter als den kleinen Hirsch, den James auf seiner Hand stehen hatte (den gleichen, den Lily ihm geschenkt hatte, denn er hatte Recht behalten, dass Harry ihn lieben würde) und wollte sie unbedingt aus der Luft fangen. Als Lily dies sah, machte sie sich einen Spaß daraus, die Blätter mit ihrem Zauberstab zu dirigieren, damit sie wie durch einen unsichtbaren Strudel aus Luft durch das Zimmer tanzten. James bekam das natürlich mit, nahm Harry auf seinen Arm und stellte sich in die Mitte des Raumes, sodass die Blätter ihn und seinen Sohn wie in einen Kokon einwickelten. Lediglich das vergnügte Babylachen hallte an diesem Tag durch das Haus.
Da das heiße Wetter wieder durch ein etwas milderes gewechselt wurde, beschwerte Sirius sich auch nicht mehr so oft, dass ihm so unerträglich heiß sei, wenn er zu Besuch war. Marlene hatte es noch nicht über sich gebracht, den anderen von ihrer Verlobung mit Caradoc zu erzählen und auch wenn Lily ihr gut zugesprochen hatte, dass sie es alle sicherlich positiv auffassen würden, so schob sie es immer wieder nach hinten.
Lily hatte ungefähr zum Anfang Oktober hin einen Brief von Lin bekommen, die ihr geschrieben hatte, dass sie zurzeit in New York wäre und das MACUSA besucht hätte, welches "unglaublich abgefahren ist, ich will da unbedingt noch mal hin, Lily, das musst du auch mal sehen". Allgemein schien Lin ihre Amerika-Tour mehr als genug Spaß zu machen, sodass Lily es nicht mehr ganz so kritisch sah, dass sie ihre Cousine so lange nicht mehr gesehen hatte. Sie vermisste sie zwar, aber solange sie glücklich war, wollte sie ihr die Laune nicht vermiesen.
Ihre Laune wurde allerdings vermiest, als die Halloweenkarte, die sie Petunia geschickt hatte (James hatte unbedingt darauf bestanden, dass er Harry in ein Kürbiskostüm steckte, während Lily strikt dagegen war) unbeantwortet zurückkam. Ihre Schwester hatte keinen ihrer Briefe oder Anrufe beantwortet oder entgegengenommen und mit jedem gescheiterten Versuch, die Bande zu ihr wieder zu reparieren, wurde Lily etwas trüber.
"Ach, mach dir nichts daraus, Lily", sagte Cassandra, als Lily ihr davon erzählte. Sie und Lily besuchten sich ziemlich oft gegenseitig, jetzt, da beide Babys auf der Welt waren und Harry und Evelynn verstanden sich auch prächtig. Das etwas ältere Mädchen fungierte wie eine Art Vorbild für ihn und er wollte immer alles nachmachen, was sie gerade tat. "Meine Eltern haben sich noch nicht einmal bei mir gemeldet, als ich ihnen geschrieben hab, das ich ein Kind bekommen hab und sie gesund ist. Sie wollten ihre eigene Enkelin nicht mal kennen lernen." Sie zuckte mit den Schultern und fuhr sich durch die hellen Haare, die sie sich wieder gefärbt hatte. Braun hatte ihr einfach nicht gestanden, fand Lily.
"Aber sie ist meine Schwester", beharrte Lily. "Sie ist die einzige Familie, die ich noch habe."
"Was ist mit deiner Cousine? Und deiner Großmutter? Versteif dich nicht nur auf eine Person, Lily. Wenn deine Schwester nichts mit dir zu tun haben will, dann ist das so. Ich hab das am Anfang der Schulzeit auch gemerkt. Meine Eltern waren ganz stolz, dass ich in Slytherin war, aber sie waren nicht so begeistert davon, dass ich nicht nur mit Reinblütern befreundet gewesen war. Und jetzt sieh mich an! Es macht mir nichts aus. Ich bin ihnen sogar dankbar, dass sie mich rausgeworfen haben. Andererseits wäre ich doch nie so eng mit euch geworden." Sie lächelte und hob Evelynn hoch, die an ihrem Bein gezupft hatte. "Außerdem haben so unsere beiden Kinder jemanden zum Spielen. Besser kann es doch gar nicht sein, oder?"
Lily seufzte und drückte dann Cassys Schulter. "Was würde ich nur ohne euch tun?", fragte sie lachend. "Da fällt mir ein, hast du Alice und Frank eigentlich schon kennengelernt? Sie haben auch einen Sohn, in Harrys Alter. Er ist nur einen Tag vorher geboren worden, Alice hat mir ein paar Bilder geschickt."
"Nein, die Ehre hatte ich noch gar nicht", erwiderte Cassandra und betrachtete die Bilder, die Lily aus einer Zeitschrift vom Schreibtisch gezogen hatte. Ein kleines Kind war darauf zu sehen, glücklich schlafend im Arm seiner Mutter. Neville, so hieß der Kleine, hatte definitiv Alice' Gesicht geerbt. Sie hatten beide die rundlichen, aber liebevollen Gesichtszüge und auch die selbe Augenform. Auf einem anderen Foto lag Neville in seinem Bett, das Gesicht in die Kamera gerichtet und Frank zog Grimassen, um ihn zu bespaßen.
Lily durchfuhr ein kleiner Stich im Herz, als sie daran dachte, dass Alice und Frank bereits untergetaucht waren. Die junge Mutter hatte ihr einen Brief geschrieben, in dem sie ihr erklärt hatte, dass für die beiden die Sicherheit ihres Babys nun vorgehen würde, sodass sie sich eine Weile wohl nicht mehr sehen würden. Sie und James hatten dieses Thema auch schon gehabt: Sie würden ebenfalls untertauchen müssen, aber sie hatten sich die Zeit bis nach Weihnachten aufgespart. Lily wollte Lin noch einmal sehen, bevor sie sich abkapseln würden. Seit Harrys Geburt verließ Lily das Haus eigentlich nur noch, wenn sie Cassandra besuchen ging, obwohl sie die meiste Zeit auch nur durch den Kamin reiste, wenn Harry schlief. James und Sirius hatten gemeinsam ein paar weitere Schutzschilde über das Haus und besonders den Garten gelegt, damit Lily wenigstens mit Harry mal an die frische Luft kam, wenn er nicht da war und auch wenn es nur eine Übergangslösung war, Lily war froh, dass Sirius ihnen so unter die Arme griff.
Sie wüsste gar nicht, wie sie ohne ihn zurecht kommen sollte. Der junge Black nahm seine Pflichten als Paten wirklich ernst und man konnte ihn des Öfteren dabei beobachten, wie er mit beiden Babys auf dem Arm durch den Garten ging. Es war ein wahrlich ein Bild für die Ewigkeit.
Lily wünschte sich lediglich, dass Remus sich auch endlich mal blicken lassen würde. Ihre Sorge um den jungen Werwolf hatte sich schnell in Angst verwandelt. Ob um ihn oder vor ihm, wusste sie in diesem Moment noch nicht so genau.
Da Remus aber gar nicht da war, war Peter umso häufiger anwesend. Er nutzte jede freie Zeit, um vorbeizukommen und Lily war wirklich gerührt davon, wie gut er mit Harry umgehen konnte. Der Kleine weinte so gut wie nie, wenn er auf Peters Arm war und es war für Lily eine ungemeine Belustigung, wenn er in seiner Animagusform mit Harry spielte. Ihr Sohn war nämlich ganz besonders angetan von der kleinen Ratte.
Aber auch Sirius und James nutzten ihre Tiergestalt, um Harry zu belustigen. Vorsichtig kletterte er dann auf James' Rücken oder krallte seine kleinen Hände in Sirius' Fell und Lily wusste gar nicht, was sie nun besser fand. Den freudig wedelnden Hundeschwanz von Sirius, wenn Harry ihn streichelte oder James' sanfte Augen, wenn er vorsichtig mit seiner Nase Harrys Stirn anstupste. Sie wusste lediglich, dass ihr Baby nicht nur zwei Eltern hatte.
An einem schönen Novembermorgen kamen Marlene und Caradoc zu Besuch, der sich an diesem Tag endlich frei nehmen konnte. Er hatte Harry tatsächlich als einziger noch nicht gesehen und war daher auch ganz aufgeregt, als er von Lily an der Tür begrüßt wurde. Ihr Blick war sofort wissend an seine Hand gewandert, an der ebenfalls ein Ring geglitzert hatte.
"Dann kann ich dich ja jetzt endlich auch beglückwünschen, oder?", fragte sie grinsend und umarmte ihn. "Aber das du mir meine Marlene ja gut behandelst."
Erst sah er etwas verwirrt drein, kratzte sich am Kinn, dann schien ein Licht aufzugehen und er grinste breit. "Selbstverständlich! Ich werde sie wie eine Königin behandeln."
Marlene schüttelte den Kopf und schlug ihm gegen den Arm. "Also bitte, ehe ich eine Königin bin, lasse ich mich von Trollen in Sachen Parfüm beraten. Ich hab gar nicht die Disziplin um eine Königin zu sein."
"Oder den Anstand", fügte Lily kichernd hinzu und führte ihre beiden Gäste dann ins Wohnzimmer. James, der auf dem Boden saß, blickte auf und Sirius erhob sich halb vom Sofa, ließ sich aber wieder fallen, als er erkannte, wer da gekommen war. Marlene blieb sofort stehen und warf Lily einen empörten Blick zu. Es schien, als wolle sie "Ernsthaft jetzt?", fragen.
Natürlich war Sirius nicht zufällig da, denn Lily hatte ihn zum Mittagessen eingeladen. Cassandra besuchte eine ihrer Schulfreundinnen und Ellie würde erst später zu ihnen stoßen, sodass Marlene und Caradoc genug Zeit haben würde, die frohe Botschaft schon einmal schonend an Sirius zu geben, der sie hoffentlich gut auffassen würde, sonst würde Lily nämlich ein ernstes Wörtchen mit ihm reden müssen.
Etwas steif setzten sich die beiden neben den jungen Black und Lily verschwand kurz nach oben, um Harry aus seinem Mittagsschlaf zu wecken. Die wilden schwarzen Haare standen bei ihm auch schon in alle Richtungen ab und er schien James jeden Tag ähnlicher zu sehen. Harry war bereits wach, als Lily ins Schlafzimmer trat und blickte sie aus großen Augen an.
Stimmen wehten zu ihr, als sie auf dem Treppenabsatz mit Harry im Arm war und kurz den Kater streichelte, der schnurrend seinen Kopf gegen ihre Hand streckte, ehe sie wieder ins Wohnzimmer ging. James und Caradoc hatten ein Gespräch über Quidditch begonnen und Marlene saß recht unbeteiligt neben Sirius, der steif in eine Richtung starrte.
Als James Lily bemerkte, unterbrach er das Gespräch und stand auf. Ohne, dass sie irgendwas sagen musste, ging er in die Küche um eine Flasche für Harry vorzubereiten. Lily wollte ihn früh vom Stillen abbringen.
"Da ist er", sagte sie und lächelte, als Caradoc sich erhob und auf sie zu kam. Vielleicht waren es sein kantiges Gesicht oder die immer ernst funkelnden Augen, aber Harry schien ihn nicht zu mögen und drückte sein Gesicht Lilys Brust. "Er ist etwas schüchtern", meinte sie, doch Caradoc lachte.
"Nein, ich glaube nicht. Babys konnten mich noch nie leiden. Meine Tante Cecille hat Zwillinge bekommen, vor zwei Jahren und keines des beiden hat sich bisher von mir auf den Arm nehmen lassen. Entweder sie weinen sofort oder treten wild um sich. Aber das ist okay. Er ist wirklich ein ganz bezauberndes Kerlchen." Caradoc streckte vorsichtig seine Hand aus und als Harry zu ihm sah, lächelte er ihn freundlich an. Harry allerdings fand das nicht so toll und fing an zu schreien.
Lily nutzte die Chance, als sie sich ihr erbot. "Ach, was ist denn das für ein Ring an deiner Hand? Marlene hat den selben, oder?" Sie grinste ihn an, als sein Gesicht sich aufheizte.
"Lily,", zischte Marlene erbost, doch zu spät. Sirius hatte sie gehört und seine Augen waren auf die Ringe gerichtet, die die beiden trugen. Marlene seufzte und drehte sich etwas auf ihrem Platz, damit sie Sirius in die Augen blicken konnte.
"Sirius, Caradoc und ich sind verlobt", sagte sie geradeheraus und Lily konnte sehen, wie die Farbe aus Sirius' Gesicht wich und er den Kiefer aufeinander presste. Caradoc sah erst zu Lily, dann zu Marlene und dann zu Sirius, ehe er sich wieder setzte. James stand mit der Flasche in der Hand im Türrahmen und betrachtete das Schauspiel.
"Ach, wirklich?", fragte Sirius etwas knirschend. "Freut mich."
"Sirius", ermahnte Lily ihn sogleich und er seufzte.
"Nein, ehrlich. Ich freu mich für dich. Für euch", verbesserte er sich. Er schaffte es sogar, ein Lächeln zustanden zu bringen. "Ihr passt gut zusammen." Marlene stieß die Luft aus, die sie angehalten hatten und warf die Arme um den jungen Black.
"Du bist ein blöder Idiot, Sirius Black, weißt du das?" Etwas perplex tätschelte er ihr den Rücken. "Man hat es mir schon mal gesagt", murmelte er.
"Gut. Denn es stimmt. Aber... danke." Marlene löste sich von ihm.
"Wofür?"
"Dafür, dass du es gut findest." Sirius biss sich auf die Lippe und sein Blick huschte kurz zu Caradoc.
"Solange du glücklich bist, Marls, bin ich auch glücklich." Er lächelte sie schief an. "Und solange du sie glücklich machst, hab ich keinen Grund, dich zu hassen." Caradoc lachte leise, als Sirius ihn ansah.
"Versprochen. Marlene ist gut bei mir aufgehoben."
Die beiden Männer schlugen ein und Lily seufzte. "Na endlich", murmelte sie leise und gesellte sich dann zu James, der ihr die Flasche gab. "Ich dachte schon, die beiden streiten ewig."
"Ich hätte es Sirius zugetraut", sagte James lächelnd.
"Ja, ich leider auch", erwiderte Lily lachend und widmete sich dann ihrem Baby, welches lautstark nach seiner Flasche verlangte.
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