76. Zukunftsglaube

"Wir haben immer noch die Chance, dass es nicht uns trifft, James", sagte Lily leise und drückte seine zitternde Hand. Sein kreidebleiches Gesicht wandte sich ihr zu. "Ja, nur weil wir ihm ebenfalls drei Mal entkommen sind, heißt es nicht, dass... dass wir gleich die Eltern des prophezeiten Kindes sind. Es kann alles ganz anders kommen, wart's nur ab."

"Wir kannst du dir da so sicher sein?", fragte James und seine Stimme brach ein bisschen mehr. "Wie kannst du nur so ruhig bleiben, wenn unser Kind bereits jetzt schon ein Leben voller Schmerz erwarten könnte."

"Ich glaube daran, dass es nicht so ist", log Lily. Sie versuchte ihre Stimme ruhig zu halten, versuchte ihrem Mann Halt zu geben, während sie selber schon jeden verloren hatte. "Wenn unser Kind geboren wird, dann wird es eine liebende, große Familie haben."

"Aber die Prophezeiung - "

" - kann uns nicht die Zeit nehmen, die wir mit unserem Kind haben werden, James. Selbst wenn es auf uns zutrifft... wir haben einander."

"Aber was ist mit Dumbledore... was er gesagt hat?", fragte James zittrig und seine Augäpfel hüpften aufgeregt auf und ab. "Du hast seine Worte gehört. Sie hallen immer noch in meinem Kopf wider."

"Ich weiß, ich weiß. Aber... Dumbledore ist auch nicht allwissend. Er macht auch Fehler. Vielleicht müssen wir hier einfach auf uns vertrauen." Lily drückte James' Hand nur noch fester, damit sie ihn selber spüren konnte. Sein warmer Körper an ihrem spendete ihr zwar Trost und Stärke, aber sie befürchtete, dass sie sofort den Halt verlieren würde, wenn er sich bewegen würde. Sie hoffte, dass sie einfach nur für ewig zusammen hier sitzen konnten. "Du kannst nicht wirklich glauben, was er gesagt hat...", fügte sie flüsternd hinzu.

"Was?", fragte er beinahe hysterisch. "Das unter unseren Freunden ein Verräter ist? Das uns jemand verrät?" Er lachte zittrig und seine Hand begann wieder zu beben, als würde er große Kraft aufbringen, sie überhaupt an dieser Stelle zu halten und nicht einfach wild auf etwas einzuschlagen. "Er wirft unseren Freunden den Verrat vor", flüsterte James und in seinen Augen lag so viel Schmerz, dass Lily sich auf die Innenseite ihrer Wange beißen musste, um nicht in Tränen auszubrechen. "Unseren Freunden", wiederholte er leise.

"Ich weiß", erwiderte sie noch leiser und rückte sogar noch ein Stück näher. Sie platzierte ihre und James' Hand auf ihren gewölbten Bauch und sofort beruhigte er sich etwas, als er ihre warme Haut an seiner spürte. "Und ich kann das auch nicht glauben. Keiner... keiner würde uns etwas tun wollen." Lily schluckte schwer, denn genau wie James wusste sie, dass das nicht stimmte. Und das auch in ihrem engsten Kreis jemand war, der Informationen weitergeben musste. Nicht nur einmal hatte sie vermummte Gestalten bemerkt, die zwischen Häuserwänden hervorlugten, sie beobachteten oder sie sogar in der Stadt verfolgten. Jemand hatte sie bereits verraten.

"Was ist mit... Remus", sagte James und seine Stimme hörte sich so bleiern, so schwer, so verletzt an, dass Lily kurzzeitig die Augen schloss, um ihre Atmung zu regulieren. "Er ist untergetaucht, wir haben seit Tagen, seit Wochen nichts von ihm gehört! Seit Ellie wieder da ist hab ich ihn einmal gesehen, danach war er weg. Verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt." Es brach James selber das Herz, das zu sagen, das wusste Lily. Es war für ihn die schlimmste aller Unterstellungen und er hatte sie selber ausgesprochen.

"Ich weiß es nicht", flüsterte Lily. "Ich weiß nicht, wo er ist oder was er macht. Keiner hat ihn gesehen." Draußen vor dem Fenster schien die Sonne so hell, dass die Strahlen sich im Glas so brachen, dass sie regenbogenfarbene Lichtflecke auf dem Boden verteilten. Eine sanfte Brise kam durch die angeklappten Fenster in der Küche und Lily spürte einen leichten Schweißfilm auf ihrem Rücken. Es war Mitte Juni und unglaublich heiß. Sie hatte versucht sich und James mit Getränken mit Eiswürfeln abzukühlen, aber die Gläser standen unberührt auf dem Tisch, hatten einen Wasserfilm angesetzt und kleine Pfützen unter sich gebildet. "Aber wir sollten ihm vertrauen."

"Das versuche ich wirklich", antwortete James. Sein ganzer Körper schien zu beben. "Wirklich, ich versuche es. Und ich habe vorher nie darüber nachgedacht. Aber... ich kann es nicht. Etwas in mir will in ihm den Verräter sehen. Etwas in mir will aber auch in Dumbledore einen Verräter sehen und ich hasse mich selber dafür. Er hat so viel für uns getan, er tut so viel für die Zaubererwelt..."

"Ich versteh das", sagte Lily und strich mit ihrer Hand über seine bärtige Wange. "Aber wir - wir müssen uns eingestehen, dass wir nicht sicher sind. Irgendjemand spielt hier mit gezinkten Karten."

James sah Lily verwirrt an. "Jemand macht was?", fragte er und er vergaß sogar, dass er Angst hatte.

"Das ist so ein Sprichwort", erwiderte sie. "Eine Muggelredensart. Das sagt man, wenn jemand nicht die Wahrheit sagt und betrügt..." Die aufkommende Normalität verschwand sogleich wieder, kaum waren sie beide sich wieder dessen bewusst geworden, was sie die ganze Zeit gefürchtet hatten. "Jemand verrät uns."

Ihre Stimme verlor an jeglicher Wärme und sie sah James einfach nur noch an. "Wir müssen vorsichtiger sein. Bei jedem."

"Sirius würde mich nie verraten", sagte James und er klang trotzig und ängstlich zugleich. "Er ist mein bester Freund, er wurde praktisch von meinen Eltern adoptiert. Wir sind wie Brüder."

"Ich glaube auch nicht, dass Sirius je zu so etwas in der Lage wäre", flüsterte sie. "Aber wir können uns nicht sicher sein. Caradoc hat genau so was gesagt, als wir ihn das erste Mal trafen, weißt du noch? Im Krieg zeigen Leute ihr wahres Gesicht."

"Zum Teufel mit Caradoc!", rief James aus und sprang auf. Seine Angst hatte sich in Wut gewandelt. "Ehe ich meinem besten Freund unterstelle, dass er mich und meine Frau und mein ungeborenes Kind verrät, sterbe ich lieber!" Er atmete schwer und Lily konnte sehen, wie es ihn jede Kraft kostete, nicht auf der Stelle zu Boden zu sinken. Sie griff vorsichtig wieder nach seiner Hand und zog ihn neben sich. "Ich weiß", murmelte sie in seine Halsbeuge. "Ich weiß."

Es war, als hätten sie sich ein stummes Versprechen gegeben. Sie sprachen dieses Thema die nächsten Tage nicht mehr an, auch wenn es James an die Materie ging und Lily von innen her zerfraß. Sie wollte wieder normal leben können, mir ihren Freunden Spaß haben, aber stattdessen saß sie in ihrem eigenen Haus fest. Auf Anweisung von Dumbledore.

"Ich halte das nicht mehr aus", sagte James eines Tages, als die Sonne besonders kraftvoll schien und der Tag so heiß war, dass keiner von ihnen besonders viel an hatte. "Ich kann nicht hier herum sitzen und nichts tun!" Er nahm seinen Zauberstab, zog sich ein T-Shirt über den Kopf und war schon drauf und dran das Haus zu verlassen, als Lily ihn zurückhielt.

"Warte, wir können nicht - "

"Wir können und wir werden!", unterbrach er sie wütend. "Wer sagt, das Dumbledore Recht hat? Wer sagt, dass wir nicht einfach rausgehen können, wie normale Menschen und unsere Freunde besuchen? Es ist Sonntag, was soll schon groß passieren? Komm schon, Lily. Lass uns endlich wieder raus hier. Wir sitzen seit einer Woche nur hier rum und machen nichts. Du kannst nicht arbeiten gehen, weil du im achten Monat schwanger bist und ich kann nicht arbeiten gehen, weil niemand da ist! Alle Auroren sind momentan unterwegs, außerdem habe ich Urlaub und bald hab ich auch noch mal welchen, wenn das Baby da ist! Ich versauere hier drin noch!"

Lily biss sich auf die Lippe, nickte dann aber. "Na schön. Aber wir bleiben nicht zu lange weg. Bevor es wirklich dunkel wird, will ich, das wir zurückgehen. Wir können Dumbledore vielleicht nicht hundertprozentig vertrauen, aber er hat Recht. Es ist gefährlich draußen."

James schnaubte einmal wütend. "Ja, ich vertraute ihm seit Ewigkeiten nicht mehr hundertprozentig. Als er unsere Gedächtnisse durchsucht hat, nach dem Überfall auf die Quidditchweltmeisterschaft, das war sofort ein Indiz für mich... ein wirklich vertrauenswürdiger Mensch hätte das nicht getan", schloss er. "Wir können ihm nicht blind vertrauen."

"Nein, das können wir nicht", stimmte Lily ihrem Mann zu. "Aber wir können niemandem blind vertrauen. Ja, außer Sirius", fügte sie hinzu, als James bereits den Mund öffnete. "Ich weiß, das er nichts tun würde, das uns schaden würde. Er würde lieber sterben, als uns zu verraten und ich weiß das, James."

"Gut", murmelte er. "Genau wie Ellie." Er lächelte schwach. "Du hast sie gehört. Sie liebt uns beide. Sie könnte uns nichts antun." Lily nickte und küsste ihn kurz.

"Richtig. Das könnte sie nicht. Aber wir sollten sie trotzdem nicht einweisen", sagte sie nachdrücklich. "Nicht, ehe wir nicht wirklich und einhundertprozentig sicher sein können." Lily lächelte traurig. "Lass uns gehen."

James und Lily verbrachten den restlichen Tag damit, dass sie durch Godric's  Hollow spazierten, dass sie sich einen kühlen Eisbecher genehmigten und ihre Gedanken einmal verschwinden lassen konnten. Für ein paar Stunden mussten sie nicht darüber nachdenken, dass einer ihrer engsten Freunde Informationen an Voldemort weiter geben könnte und für ein paar Stunden waren sie einfach nur ein ganz normales Paar mit ganz normalen Sorgen. Auch wenn Lilys Rücken schmerzte und ihre Knöchel unangenehm zwickten, so fühlte sie sich wenigstens kurzzeitig sicher, mit James an ihrer Seite.

Natürlich konnten sie nicht umhin, als wieder nach Hause zurückzukehren, als die Sonne sich langsam dem Horizont zuneigte und den Himmel in einem sanften rot erstrahlen ließ, den sie an anderen Tagen sicherlich wunderschön gefunden hätte. Als sie wieder die Haustür hinter sich geschlossen hatten und in ihr mittlerweile abgekühltes Haus gekommen waren, fand Lily zwei Überraschungen in der Küche vor: Einen schlafenden Kater auf dem Küchentisch und eine Eule, die aufgeregt über die Arbeitsplatte hüpfte, während sie einen zerknitterten Brief in ihrem Schnabel hielt. Anscheinend hatte sie sich durch das angeklappte Fenster ins Haus gezwängt.

Während James den Kater vom Tisch verscheuchte, fing Lily die Eule ein und entnahm ihr vorsichtig den Brief, ehe sie sie wieder durch das offene Fenster frei ließ. Ohne auf den Absender zu achten, riss sie den Umschlag auf und entfaltete das darin enthaltene Stück Papier.

Liebe Lily,

bitte verfluche mich nicht, aber ich werde nicht mehr da sein, wenn du diesen Brief liest. Also, zumindest nicht mehr in deiner Nähe. Ich reise nämlich schon morgen früh nach Amerika und werde die Geburt verpassen! Es tut mir so, so unendlich Leid, Lily, das kannst du dir gar nicht vorstellen!

Ich wollte euch eigentlich noch persönlich Auf Wiedersehen sagen, aber Marlene hat mir geschrieben, dass ihr euch zurückgezogen habt, nachdem ihr mit Professor Dumbledore gesprochen hattet. Ich wusste nicht Recht, was ich tun sollte, also hab ich mich entschieden, euch lieber nicht aufzusuchen. Fühlt euch trotzdem von mir gedrückt!

Lily, sei bitte nicht zu enttäuscht von mir! Ich verspreche dir, ich versuche zu Weihnachten nach Hause zu kommen und euch zu besuchen! Ich kann mir ja nicht entgehen lassen, meine Pflicht als Tante zu erfüllen. Oder bin ich Großtante? Ach, ist ja auch egal. Jedenfalls werde ich euch besuchen kommen und dann hab ich eine Unmenge an Dingen, die ich euch erzählen kann.

Umarm James für mich!

Bis dahin, mit ganz vielen Grüßen,

Linnea.

"Ach, Lin", seufzte Lily. Sie war etwas enttäuscht, natürlich, und auch traurig, dass sie ihre Cousine nun für eine noch längere Zeit nicht sehen konnte, aber sie wusste, es war das Beste. Sie musste auch an ihr eigenes Leben denken und dies spielte sich nun einmal für die nächsten Monate auf einem anderen Kontinent ab.

Sie faltete den Brief sorgfältig zusammen und legte ihn dann auf den Tisch, ehe sie James zu sich zog um ihn zu umarmen. "Lin fährt morgen nach Amerika", flüsterte sie leise. "Aber sie kommt ja wieder." Wahrscheinlich sagte sie es eher zu sich, als zu James. Sie musste die Worte laut hören, damit sie sie wahrnehmen konnte.

"Und wer weiß, was sie dort anstellen wird", sagte er an ihrem Ohr und Lily lachte.

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Für alle, die es nicht mitbekommen haben: Auf dem Profil gibt es nun ein Buch, mit dem Titel "Arresto Momentum", welches eine Art OneShot-Buch ist, aber nur für diese Reihe. Dort werden Szenen oder AUs vorkommen, die es vielleicht nicht in diese Reihe geschafft haben, die nur erwähnt wurden oder auf die ich Lust habe! Schaut gerne darin vorbei!

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