74. Wolkenbruch

"Okay, okay, fall ruhig mit der Tür ins Haus!", rief James, als Marlene freudestrahlend an ihm vorbei preschte, kaum dass er die Tür geöffnet hatte. "Aber ja, mir geht es sehr gut, wie war dein Tag?" Die junge Hexe ignorierte ihn jedoch, warf ihre Schuhe ab und stürmte ins Wohnzimmer, in welchem Lily saß und in ihrem Zentner von einem Buch las. Nebenher ließ sie zwei Stricknadeln vor sich her tanzen.

"Marlene!", rief sie freudig aus. "Du bist ja doch noch gekommen! Wie war dein Date?"

Marlene setzte sich neben ihre Freundin und James folgte langsam, als wäre dies nicht sein Haus. "Erstens, es war kein Date, sondern nur ein Treffen mit einer alten Bekannten und zweitens, es war himmlisch! Sie war himmlisch!" Aufgeregt schlug sie ihre Beine übereinander und ringte so mit ihren Händen, das James schon vom Zusehen schwindlig wurde.

"Ich nehme dann einfach mal an, ihr habt euch gut verstanden", sagte er trocken und Marlene lachte.

"Selbstverständlich! Blendend! Es war, als hätten wir uns nur eine Stunde nicht gesehen! Es war fantastisch, atemberaubend, majestätisch - "

"Okay, okay, schwärmen kannst du später noch", unterbrach Lily sie lachend. "Aber erzähl doch mal genau, was ihr gemacht habt. Mit so wenig Adjektiven wie möglich, bitte."

"Klar, also, wir waren Kaffee trinken, wie ich gesagt habe und dann hat sie mich noch zu einem Stück Kuchen eingeladen und wir haben die ganze Zeit geredet, über alles mögliche, wie die Schule war, wen wir da kannten und wer was macht und sowas."

"Was macht sie denn jetzt überhaupt?", fragte James. Marlene sah kurz zu ihm.

"Oh, sie ist freie Journalistin und Autorin", schwärmte sie. "Sie hat mir von ihren Manuskripten erzählt und den Artikeln, die sie schreibt und manchmal an den Tagespropheten verkauft und sie will mir beim nächsten Mal was mitbringen, damit ich mir das angucken kann und oh, Lily, du musst unbedingt mitkommen! Sie hat hoch von dir gesprochen, weil sie einen Aufsatz von dir in dieser Zaubertrankzeitschrift gelesen hat."

"Und dabei hab ich Slughorn gesagt, er soll meinen Namen nicht erwähnen", murmelte Lily halblaut, doch Marlene beachtete sie gar nicht.

"Außerdem kennt sie ein paar Quidditchspieler privat, weil sie die mal interviewt hat und ich hab ihr erzählt, das du sicher sterben würdest, wenn ich dir erzähle, dass sie Roderick Plumpton kennt, den - "

"Roderick Plumpton?", unterbrach dieses Mal James Marlene. "Den Roderick Plumpton? Der zweiundzwanzig Mal in der englischen Nationalmannschaft spielte und den Rekord für den schnellsten Schnatzfang in der Historie des Quidditchs hält?" James hatte sich beinahe von der Couch erhoben und Lily murmelte etwas, dass sich verdächtig nach "Männer", anhörte.

"Exakt der", sagte Marlene grinsend. "Ich wusste, du würdest so reagieren. Ich kann euch beim nächsten Mal mitnehmen und dann kann sie dir den Quaffel zeigen, den er ihr signiert hat."

"Ich würde für immer glücklich sein", sagte James und ließ sich wieder ins Sofa sinken. "Aber so, wie du das erzählst, scheint Dorcas ja viel rumzukommen, viele Leute zu kennen. Sie muss unglaublich glücklich sein."

"So scheint sie auch", erwiderte Marlene. "Es war wunderbar, wieder mit ihr reden und ich könnte mir immer noch selber in den Arsch beißen, dass ich ihr nicht früher geschrieben hab. Sie hat sich wirklich gefreut, mich wieder zu sehen."

"Das freut mich, also war es die richtige Entscheidung", sagte Lily lächelnd. "Und so wie du wieder über sie schwärmst..." Sie ließ ihren Satz wohl wissend unbeendet und Marlene, knallrot im Gesicht, überhörte den letzten Part.

"Ja, natürlich war es die richtige Entscheidung." Abrupt stand sie auf. "Aber es wird spät, ich sollte wohl nach Hause gehen."

"Aber es ist erst - ", fing James grinsend an, doch Marlene ließ ihn gar nicht erst ausreden. "Ich muss noch meinen Knuddelmuff füttern."

"Du hast gar keinen Knuddelmuff", lachte Lily.

"Ich meinte den Kniesel, den ich pflege", stotterte die junge Hexe.

"Wo war der denn vorhin, als ich bei dir war?", fragte Lily und zog eine Augenbraue nach oben.

"Äh... im Bad. Ich muss wirklich los, wir hören uns." So schnell, wie Marlene ins Haus geplatzt, verschwand sie auch wieder. James hörte lediglich, wie die Haustür hinter ihr wieder zugeworfen wurde und wie der Kater empört fauchend den Treppenabsatz verließ, auf dem er geschlafen hatte.

"Sie ist wirklich reizend", lachte Lily und lehnte sich an James' Schulter. "Wann wir wohl die Hochzeit der beiden feiern können?"

"Keine Ahnung", grinste James und legte einen Arm um sie. "Aber wahrscheinlich wird Caradoc das ganze sehr... interessant finden." Seine Augenbrauen zogen sich nach oben.

"Er wird damit schon klar kommen. Solange Marls ihn nicht einfach sitzen lässt."

"Wird sie schon nicht. Immerhin ist sie seit mehreren Monaten mit ihm zusammen und ich denke, so sehr sie von Dorcas auch begeistert ist, sie wird ihren Freund sicher nicht einfach für sie sitzen lassen. So schlimm ist unsere Marlene nun auch wieder nicht." Lily lachte und lehnte sich etwas mehr an ihn. "Was meinst du, wollen wir nicht auch schlafen. Es ist ja schon so spät geworden."

"James, du Idiot", lachte sie und schloss die Augen. "Wir sind übrigens morgen mit Alice und Frank zum Essen verabredet."

"Wieso das?", fragte er.

"Weil Alice und ich beide schwanger sind und wir beide... naja,du  weißt schon. Außerdem hab ich mich bei den Treffen mit ihr so gut verstanden, das wollten wir sowieso schon lange mal machen."

"Okay, wenn du das sagst. Du bist der Boss."

"Schön, dass du das auch endlich erkannt hast, Liebling", lachte Lily.

Der nächste Tag brach an, wie in einem Märchenbuch beschrieben. Klar, ohne Wolken, wunderbar warm und sonnig. Fast schon perfekt. Die Vögel in den Bäumen sangen ihre Lieder und ein Nachbarshund bellte freudig, als sein Herrchen ihn bei diesem schönen Wetter ausführte. James konnte aus dem Schlafzimmerfenster bis auf den Friedhof blicken und seine Gesichtszüge wurden sanft, als das Sonnenlicht die Gräber so beschien, als wollte es die Toten auf ihrem langen Abenteuer warm halten. Mit müden Muskeln wandte er sich vom Fenster ab und streckte seine Rücken durch. Er konnte das Wasser in der Dusche hören und wie Lily leise mit sang. Er mochte es, wenn sie das tat.

"Bereit?", fragte er eine halbe Stunden später, als sie sich erneut gemeinsam in den Kamin stellten. "Immer doch", antwortete seine Frau und umschlang seine Taille ihrem Arm. "Tropfender Kessel!"

Das grüne Feuer hüllte sie beide ein und James schloss seine Augen, als die Asche aufwirbelte und er und Lily verschwanden in den Strudeln des Flohnetzwerkes. Es dauerte nicht lange, da fielen sie regelrecht aus dem Kamin im Tropfenden Kessel und wirbelten die Asche aus der erkalteten Feuerstelle auf, die sich wie ein Strudel aus schwarzem Staub in die Luft begab und im Sonnenlicht tanzte, welches nur schwach durch die verschmutzten Erkerfenster in den Raum drang.

"Lily, James, wie schön, dass ihr es einrichten konntet", begrüßte sie die Stimme von Alice Longbottom, deren Bauch dem von Lily sehr ähnelte.

"Guten Morgen, wartet ihr schon lange?", fragte Lily und umarmte Alice zur Begrüßung.

"Nein, gar nicht. Vielleicht ein paar Minuten. Wir sind auch erst vor kurzem angekommen." James und Frank tauschten ein stummes Nicken aus, während Lily und Alice weiterhin fröhlich Smalltalk betrieben. "Wollen wir gleich gehen? Der Tisch ist für zehn bestellt."

"Gerne, wir haben extra nicht gefrühstückt", sagte Lily.

"Falsch, wir hatten keine Zeit zum Frühstück, weil wir zu spät aufgestanden sind", korrigierte James sie und Lily stieß ihm in die Seite. 

Während Lily und Alice auf dem Weg durch das London der Muggel miteinander redeten, wie alte Schulfreundinnen, schwiegen James und Frank sich an. Einerseits wusste James nicht, was er mit dem älteren Mann bereden könnte, andererseits hatte er ein seltsames Gefühl in der Magengegend, welches sicherlich nicht vom Hunger kam. Die Stadt wirkte zwar friedlich - so friedlich, wie es in einer Großstadt eben sein konnte - und keineswegs unruhig, aber dennoch hielt er die Hand um seinen Zauberstab und ging etwas näher an Lily und Alice. Man könnte schon beinahe sagen, dass die betrügerische Stille ihn an die Ruhe vor dem Sturm erinnerte. Und James hatte sich bisher sehr selten getäuscht, wenn er ein ungutes Gefühl hatte.

Das Lokal, welches Alice und Frank ausgesucht hatten, lag in einer kleinen Seitenstraße und es erinnerte James ein bisschen an Madam Puddifoot, in Hogsmeade, nur dass es weniger rosa und kitschig war. Es wirkte sehr herzlich, warm und einladend, mit den weinroten Wänden, den großen, runden Fenstern und der maritimen Deko. Doch als hätte er es geahnt, als hätte sein Bauchgefühl ihn gewarnt, kamen sie nicht dazu, sich zu setzen.

Ein Aufruhr schien die Menschen in Panik versetzt zu haben und eine schwache Rauchfahne bildete sich am Himmel. Trotz des warmen Wetters lief es James eiskalt den Rücken hinunter, als er sich kurz orientierte und dann die Richtung ausmachen konnte, aus der der Tumult zu kommen schien: Vom St. Mungos Hospital für magische Krankheiten und Verletzungen.

Sein Blick glitt zu Lily, Alice und Frank, die allesamt zwar geschockt waren, aber dennoch nicht vergessen hatten, dass sie Mitglieder des Orden des Phönix waren. Im Schatten einer großen Werbetafel versteckten sie sich.

"Wir müssen nachsehen, was dort vor sich geht. Vielleicht braucht man unsere Hilfe", sagte Frank sofort und James nickte.

"Genau. Frank und ich gehen da hin und ihr holt am besten Hilfe, für alle Fälle." Lily stemmte sofort die Hände in die Hüfte.

"Ganz sicher nicht", meckerte sie. "Meinst du, nur weil wir schwanger sind, können wir nicht mit euch kommen?"

"Es ist zu gefährlich", sagte James mit Nachdruck und Lily schnaubte.

"Ich gebe James Recht", meinte Frank.

"Ich aber nicht", sagten Alice und Lily unisono. "Wir sind ebenfalls vollwertige Mitglieder des Ordens, also werden wir auch helfen."

"Aber, wenn was passiert - "

"Wir sind vorsichtig", flüsterte Lily. "Wir rennen nicht gleich in den eventuellen Kampf wie kopflose Hühner. Wir werden erst einmal die Umgebung absichern, einen Schutzschild errichten, wenn von Nöten. Aber zuerst sollten wir überhaupt nachsehen, was überhaupt passiert ist. Es muss nicht einmal etwas Magisches sein. Es kann auch ein Autounfall gewesen sein." Alice nickte schnell und James und Frank tauschten seinen zweifelnden Blick.

"Schön, wir sehen nach. Aber wenn es zu gefährlich ist, dann holt ihr beiden Unterstützung. Ich will nicht, dass euch etwas passiert", sagte Frank und nahm die Hand seiner Frau in seine. "Weder dir und dem Baby noch Lily und ihrem."

"Versprochen", murmelte Alice und küsste ihren Gatten auf die Wange. "Also los, lasst uns keine Zeit verlieren. Wenn wir Glück haben, können wir immer noch den Tisch bekommen."



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