73. Kleine Schritte

So wie der April endete, fing der Mai an: nass und kalt. Seit diesem Tag in Dumbledores Büro war James Lily kaum noch von der Seite gewichen. Lediglich auf der Arbeit begleitete er sie nicht, aber dort würde sie es wirklich bevorzugen. Ellie war noch immer nicht wiedergekehrt und als Lily vorsichtig Evangeline gefragt hatte, was ihre Freundin denn als Grund für diesen langen Urlaub angegeben hatte, hatte die Heilerin sie verdutzt angesehen.

"Urlaub? Nun, so können sie es sicher auch bezeichnen. Aber es wundert mich... hat ihre Freundin ihnen denn nichts gesagt? Miss Winters hat die Ausbildung zur Heilerin abgebrochen." Danach hatte sie Lily ein schweres Lehrbuch in die Hand gedrückt, ihr einen Aufgabenzettel gegeben und sie alleine gelassen. Perplex hatte Lily das Buch auf den Boden fallen lassen. Und sich unwillkürlich gefragt, ob sie und James der Grund waren, wieso ihre beste Freundin die Ausbildung zu ihrem Traumjob aufgegeben hatte. Sie hatte sich so gefreut, als sie den Brief mit der Zusage bekommen hatte. Ellie hatte sich so sehr darauf gefreut, endlich Menschen helfen zu können und nun... das.

Lily fühlte sich schrecklich. Erst diese ganze, komplizierte Sache mit Ellie und diesen verkrampften Gefühlen, jetzt noch diese vermaledeite Prophezeiung, die vielleicht ihr Leben ruinieren könnte und dann hatte Ellie auch noch die Ausbildung abgebrochen. In ihrem Kopf fühlte es sich an, als würde Lin mit ihren Kolleginnen der Schicksalsschwestern sehr laut und sehr dröhnend spielen und die Lautsprecher würden genau an ihrer Schläfe sitzen. Seit Tagen plagten sie diese Kopfschmerzen.

"Lily?"

"Hm? Oh, tut mir Leid. Ich hab nur gerade an - "

" - Ellie gedacht", vervollständigte Marlene ihren Satz. "Ich verstehe ja, dass du sie vermisst und dir Sorgen machst - was ich auch tue, ehrlich - aber Ellie... Ellie ist erwachsen. Und sie hat sicherlich einen guten Grund, wieso sie abgehauen ist. Ich meine, ihr habt euch ja nicht verstritten oder sonst was."

Lily schluckte und setzte dann schnell ein Lächeln auf. "Genau. Sie wird schon ihre Gründe haben."

"Eben", sagte Marlene und hielt das Thema wohl für beendet. "Also, was soll ich jetzt anziehen? Das schwarze Top mit der weißen Bluse oder die rote Lederjacke und dazu ein tolles Shirt? Lily, hilf mir!"

"Aber, du gehst doch nur auf einen Kaffee mit Dorcas? Warum machst du so einen Trara daraus?" Marlene blickte drein, als hätte Lily eben eine sehr idiotische Frage gestellt, deren Antwort so offensichtlich war, dass es eine Beleidigung wäre, würde Marlene sie Lily nur aufzählen.

"Und ich dachte, du würdest mich verstehen!", rief sie empört aus. "Das ist sehr wichtig für mich!"

"Aber... aber...", fing Lily an, doch Marlenes enttäuschter Blick reichte aus, damit sie verstummte und ihren Soll als Freundin erfüllte. "Schön. Hier, zieh das an - und dazu am besten das. Das ist süß und casual, aber nicht zu sehr, so dass sie denken würde, dass es dich nicht interessiert, aber auch nicht zu schick, damit sie es falsch verstehen würde."

"Du steigerst dich ja da so rein... das finde ich gut! Jetzt bist du endlich die Hilfe, die ich mir erhofft habe." Während Marlene sich umzog, streckte Lily ihre Arme über den Kopf.

"Ich bin so erschöpft", gähnte sie. "Diese Schwangerschaft macht mich fertig."

"Du kannst es James ja später heimzahlen. Lass einfach ihn immer nachts aufstehen, wenn das Baby schreit." Marlene steckte ihren Kopf durch die Öffnung ihres Tops und grinste Lily dann an. "Außerdem hat er dir das angetan, die nächsten neun Monate kannst du ihn ja ein bisschen leiden lassen." Sie zwinkerte und wandte sich dann ab, um nach passenden Schuhen in ihrem Schrank zu suchen und Lily wandte betreten den Blick zu Boden, während sie auf ihrer Lippe kaute. Sie hatte Marlene nichts von der Prophezeiung erzählt und wünschte sich mehr als alles andere, dass sie es niemals musste. Dass sie nicht das prophezeite Kind in sich trug.

"Okay, wie seh ich aus?" Lily schreckte hoch und konnte das Outfit, welches Marlene ihr präsentierte, kaum wahrnehmen.

"Wunderschön. Dorcas wird hin und weg sein", meinte sie kurz und stand dann auf. "Gehst du jetzt los?"

"Jap", sagte Marlene und hob ihre Handtasche vom Bett auf. "Und du? Hast du noch was vor?"

"Ich wünschte", schnaubte Lily. "Aber mit dieser Kugel vor mir komm ich nicht weit. Nein, ich geh einfach nach Hause und les das Buch, was mir Evangeline gegeben hat. "

"Wow, hab mal nicht zu viel Spaß", meinte sie trocken und lächelte dann. "Ich glaub, ich komm nachher noch mal vorbei und erzähl dir, wie es war."

"Oh, ja, erzähl mir all dir schmutzigen Details deines Dates", neckte Lily ihre Freundin, als sie sich den Mantel anzog.

"Es ist kein Date!", rief Marlene aufgebracht, ihre wütenden Miene verging aber, als sie Lily grinsen sah. "Du bist doch blöd, Lily Maria Potter!"

"Ich heiße nicht Maria!"

"Aber du brauchst auch einen Zweitnamen! Jeder hat hier doch einen, sonst kann ich nicht so streng mit dir reden."

"Potter reicht da schon", sagte sie lachend. "Schande genug, meinst du nicht?"

"Der arme James. Er wird am Boden zerstört sein, wenn er das hört", kicherte Marlene, als sie zur Tür hinausgingen.

"Du wirst ihm aber nichts verraten, nicht wahr?"

"Du hast mein Ehrenwort."

Lily und Marlene verabschiedeten sich und als die junge Potter einen sicheren Platz zum Disapparieren gefunden hatte, wand sie sich so schnell um die eigene Achse, dass ihr etwas schwindlig wurde, als sie in Godric's Hollow auftauchte. James hatte seinen Punkt, wenn er meinte, Lily sollte als Schwangere nicht zu oft Apparieren. Sie fühlte sich nach jedem Mal ein bisschen schwach und schwindlig und ihr Magen rumorte dann immer etwas.

Sie beeilte sich, ihr Haus zu betreten und setzte sich dann auf die Couch, nachdem sie Schuhe und Mantel abgelegt hatte. Eine Tasse Tee flog vor ihre Nase.

"James?", fragte sie lachend, als sie die dampfende Tasse in die Hand nahm.

"Stets zu Diensten, meine Liebste", antwortete er und kam aus der Küche, ein Küchentuch über die Schulter geworfen.

"Was hast du denn da gemacht?"

"Hm? Abgewaschen, wieso?", sagte er und setzte sich zu ihr.

"Was bitte hast du?", fragte Lily lachend. "Wie viele Teller muss ich neu kaufen gehen?"

"Keine", meinte er stolz. "Remus hat es mir vorhin gezeigt, wie ich es richtig mache, ohne irgendwas dabei kaputt zu machen. Ist eigentlich ziemlich einfach."

"Aber warum hast du nicht einfach einen Reinigungszauber gewirkt?" Lily lehnte sich zurück und nahm einen Schluck Tee.

"Weil du gesagt hast, dass ich mich nicht immer auf meine Zauberei verlassen kann. Sonst verhungere ich irgendwann noch." Er grinste charmant und Lily schüttelte den Kopf. "Außerdem wollte ich dir ein bisschen Arbeit abnehmen können, wenn es mal wieder zu speziellen Umständen kommen könnte."

"Du meinst, wenn du wieder idiotisch handelst und dir dein Zauberstab abgenommen wird? Ja, da wäre ich dann sehr verbindlich." Lily stieß ihn leicht an und er lächelte, ehe er sich erhob. "Willst du was essen?", fragte er und zog dabei beide Augenbrauen nach oben.

"Etwas, das du gekocht hast?", erwiderte sie zaghaft.

"Keine Sorge, da hab ich Magie benutzt."

"Dann sehr gerne", lachte sie und stand auf.

"Hast du... hast du mit Remus geredet? Also... über..?" Sie musste den Satz nicht beenden, denn es gab nur ein Thema, über das James mit seinem Freund hätte reden können.

"Ja", meinte er kurz angebunden. Er sprach erst wieder, als sie sich an den Küchentisch gesetzt hatten und James Lily eine Schüssel mit Salat gereicht hatte. "Es geht ihm einigermaßen gut. Er hat es kommen sehen, meinte er. Aber ich hab gesehen, dass es ihn schon mitgenommen hat. Selbst wenn er nicht gerne über sowas redet, ich weiß, wenn er verletzt ist und Remus war deutlich mitgenommen. Ellie hat ihm ziemlich das Herz gebrochen, fürchte ich."

Lily verzog das Gesicht, nahm einen Bissen und blickte ihren Ehemann dann nachdenklich an. "Meinst du, wir hätten sie aufhalten sollen? Damals, als sie gegangen ist? Vielleicht hätten wir ihr das ausreden können."

"Nein", erwiderte James ernst. "Es war für beide das Beste. Du würdest nicht wollen, dass Ellie sich weiter damit quält. Du... du hast sie gehört." Er schluckte kurz und seine Hand verkrampfte sich für einen Moment. "Diese Gefühle quälen sie schon so lange. Lass ihr die Zeit, die sie braucht. Ellie wird wieder kommen."

"Du hast ja Recht", seufzte sie. "Aber ich vermisse sie. Und es sieht ihr nicht ähnlich, dass sie für so lange einfach nichts von sich hören lässt. Wenn sie wenigstens mal von sich hören lassen würde, damit ich weiß, dass es ihr gut geht. Dann müsste ich mir nicht so viele Sorgen machen."

"Schon okay", murmelte James. "Sie kommt wieder und dann wird alles wieder gut, hm?" Er lächelte sie schmal an. "Und dann können wir irgendwann darüber lachen, während wir mit dem kleinen James hier sitzen und das Fotoalbum durchgucken."

"Kleiner James?" Lily prustete. "Ich nenne mein Kind nicht Kleiner James, James."

"Aber er wird bestimmt genauso fantastisch wie ich werden, welcher andere Name sollte da sonst passen?", fragte er empört und Lily lachte.

"Jeder andere? Und woher willst du überhaupt wissen, dass es ein Junge wird?"

"Das hab ich irgendwie im Gefühl", meinte er achselzuckend und stopfte sich ein Stück Baguette in den Mund.

"Hm. Aber wir sollten langsam mal über Namen nachdenken, oder? Ich mag ja Evan", meinte sie träumerisch und James verschluckte sich.

"Kein Schottenname! Lily, das wäre Verrat!"

"Warum wäre das bitte Verrat?", fragte sie lachend. James plusterte sich auf. "Meine verrückte Großtante Sydney hat mal Urlaub in Schottland gemacht und seit dem war sie nie wieder die selbe."

"Vielleicht... weil sie verrückt war?" James verdrehte die Augen.

"Sie war erst danach verrückt. Und auch meine andere und letzte Tante ist verrückt. Und wahrscheinlich schon längst tot, wenn ich so darüber nachdenke. Hab lange nichts von ihr gehört."

"Wie lange?"

"Drei Jahre, ungefähr."

"James Potter, du bist schrecklich", schimpfte Lily und seufzte. "Aber weiter im Text. Wenn nicht Evan, was hältst du von Mia? Für ein Mädchen?"

"Es wird kein Mädchen, Lily!", sagte James mit todernster Miene. "Das weiß ich einfach. Ich hab es bei Cassy auch gewusst."

"Schön, aber nur für den Fall der Fälle, dass der große James Potter sich überraschenderweise irren sollte?" James grinste kurz.

"Nicht Mia. Erinnerst du dich nicht mehr an die kleine Hufflepuff, die sich immer an mich rangeschmissen hat?"

"Oh, ja, sie war auch deinem Charme verfallen, Mr. Potter", neckte Lily ihn, die die anhängliche Mia mittlerweile sehr amüsant fand, zum Leid von James. "Also nicht Mia. Lavender? Um meine dämliche Familientradition weiter zu führen?"

"Niemals!", rief James lachend aus. "Ehe ich mein Kind nach einer Blume benennen, lasse ich Sirius den Namen aussuchen."

"Oh, Merlin bewahre", rief nun auch Lily. "Dann würde er es noch Sugar nennen. Du kennst doch seinen verrückten Namensgeschmack. Er hat sein Motorrad Shade genannt."

"Sirius ist eben.... speziell."

"Das trifft es gut. Also, auch keine Pflanzennamen. Hm... was wäre mit - "

"Harry", unterbrach James sie. "Harry finde ich gut."

"Harry?", fragte Lily und ließ sich den Klang auf der Zunge zergehen. "Ja, der klingt schön. Aber wo hast du - "

"Dein Buch", erklärte er. "Was du von der Arbeit mitgebracht hast. Der Autor heißt Harry." Er lächelte. "Ich hab mal reingeschaut."

"Verstehe. Also... Harry, ja?"

"Mir gefällt er. Und dir wohl auch."

Lily stützte die Ellbogen auf den Tisch, sah James tief in die Augen und lächelte dann.

"Harry James Potter. Ja. Ja, es gefällt mir sogar sehr gut."

James' Grinsen erhellte den ganzen Raum.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top