72. Letzter Augenblick

Ein ganz spezielles Kapitel, welches ihr nun lesen werdet. Auf diese Szene habe ich sehr lange hingearbeitet und habe mich deshalb auch entschieden, sie etwas anders zu schreiben, als die anderen Kapitel. Sie hat eine einmalige Sicht, mit einem einmaligen Schreibstil. Und ich hoffe, dass ich es geschafft habe, das gut zu machen.

Viel Vergnügen!

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Das nächtliche London sieht unheimlich aus, empfindet Regulus. Auch wenn hunderte Lichter strahlen, so können sie die dunkle Schwärze der Nacht nicht gänzlich vertreiben. Und schon gar nicht seine trüben Gedanken. Es sind nur wenige Menschen auf den Straßen, eigentlich hat er bisher nur drei gesehen, deswegen ist er wohl so gut wie alleine. Nicht, dass es ihn stören würde. Er war lieber alleine, bei dieser einen Sache. Aber wahrscheinlich würde es auch keinen Unterschied machen, wenn er mit jemanden unterwegs wäre. Er würde niemanden wieder sehen.

Seine rechte Hand schlingt sich krampfartig um seinen linken Unterarm, als er dort ein Brennen verspürt. Seine Haut scheint in Flammen zu stehen, doch mehr als sich das schmerzende Glied zu halten, tut er nicht. Nicht hier, nicht jetzt.

Etwas schwerer atmend biegt Regulus um eine Ecke und bleibt dann stehen. Dort vor ihm schlängelt sich eine Kopfsteinpflasterstraße entlang, mit Laternen an den Rändern und einigen parkenden Autos, die in der Dunkelheit wie Metallwesen aussehen. Seine linke Hand klammert sich für einen Moment um den Zauberstab in seiner Umhangstasche und er fragt sich zum wiederholten Mal, ob das die richtige Entscheidung ist, die er getroffen ist. Doch dann brennt seine Haut wieder und seine Gesichtszüge verziehen sich für einen Moment schmerzhaft.

Ein grimmiger Ausdruck erscheint in seinen Augen. Ja, es ist die richtige Entscheidung. Er kann nicht gut machen, was er getan hat, er kann auch nicht gut machen, was andere getan haben, weil er dabei war, aber er kann wenigstens etwas Buße tun. Regulus will kein Held sein. Er will nur für eine Sünden büßen, auch wenn er das wohl nicht kann. Zu klein wird sein Opfer sein und zu feige sein Abgang.

Das Haus, welches er ansteuert, sieht von außen sehr einfach aus. Es ist eines dieser Häuser, in der mehrere kleine Wohnungen unter gebracht sind, mit billigen Mietpreisen, aber gutem Lebensumstand. Wenn Regulus eine Wohnung brauchen würde, würde er wohl auch so eine mieten.

Aber er braucht keine Wohnung. Nicht mehr, zumindest.

Er schaut sich noch einmal um, bevor er seinen Zauberstab aus seiner Umhangstasche zieht und auf die Tür richtet, die erst frisch mit Farbe bestrichen wurde. "Alohomora", flüstert er und die Haustür schwingt leise knarrend nach Innen auf. Er atmet tief ein, bevor er das Haus betritt und die Tür hinter sich wieder zufallen lässt. Es ist dunkel und ziemlich kalt, in diesem Flur. Regulus findet keinen Lichtschalter und wahrscheinlich ist das auch besser so, denn so kann ihn niemand beobachten.

"Lumos." Die Spitze seines Zauberstabes entzündet sich und ein helles Licht brennt nun dort. Er kann die Umgebung nun erkennen, hält sich aber nicht damit auf, sich die abgenutzt wirkenden Wände zu betrachten, oder die Namensschilder neben den Türen zu studieren. Stattdessen geht er direkt auf die Treppe zu und nimmt immer zwei Stufen auf einmal. Nun, da er seinem Ziel immer näher kommt, fängt sein Herz unnatürlich laut an zu schlagen. Und schnell. Er fühlt sich, als würde sein kompletter Körper voll mit Adrenalin sein und jeder Schritt würde nur noch mehr in ihn hineinpumpen. Es ist, als hätte er eine dieser Bewusstseinserweiterungszauber auf sich, aber er denkt klar und kann alles klar erkennen.

Seine Atmung ist auf dem Höhepunkt angelangt, als er vor der Tür im zweiten Stock stehen bleibt und seine Brust hebt und senkt sich rapide. Das Namensschild muss er nicht betrachten, er weiß, dass er richtig ist. Die Matte davor sieht ziemlich durchgetreten aus, als würde reger Besuch diese Wohnung heimsuchen. Regulus konnte sich gut vorstellen, wer denn hier ein und aus ging. Dieser Potter, oder Lupin. Wahrscheinlich auch das Evans-Mädchen. So viele Menschen, die er nicht im Umgang mit ihr wollte und doch nichts dagegen getan hat. Er ist selber Schuld. Aber wahrscheinlich ist es auch am Besten so. So war sie nie alleine.

Als Regulus mit seinem Zauberstab wieder auf die Tür zielt, zittert seine Hand und seine Lippen beben. Etwas Schweiß hat sich auf seiner Stirn angesammelt und irgendwie verspürt er Angst. Er darf nicht gesehen werden und wenn er es wird, dann wird das nicht gut enden. Das kann er nicht riskieren.

"Alohomora", flüstert er so leise er kann und die Tür öffnet sich. Noch bevor er in die Wohnung tritt, legt er einen Zauber um sich, der seine Schritte dämpft und seine Körper schwerer wahrzunehmen lässt. Er hofft, dass er das durchziehen kann, ohne mit jemanden reden zu müssen.

Als er die Tür hinter sich wieder langsam zuschließt, ist sein Atem noch ein kleines Stück schneller geworden und sein Blick huscht durch die Wohnung. Er nimmt kaum wahr, was dort alles steht, aber seine Augen bleiben einen Moment zu lang an einem Hochstuhl hängen, der unbenutzt in der Ecke steht. Regulus schluckt und macht einen Schritt vorwärts.

Alles an dieser Wohnung wirkt so vertraut auf ihn. Er ist zwar das erste Mal in ihrem Inneren, aber das Haus hat er schon oft gesehen. Er musste sich sicher sein, dass sie hier war, bevor er das tun würde, was er vorhatte.

Drei Türen gehen von dem Wohnzimmer ab, in welchem er sich befindet. Eine davon ist offen und führt offensichtlich in das Badezimmer, das ist einfach an den Handtüchern und schmutzigen Kleidungsstücken auf dem Boden zu erkennen, doch die anderen beiden sind verschlossen, aus Holz und wirken schon beinahe edel. Sie sehen aus, als hätte jemand einen Polierzauber auf ihnen angewandt und Regulus erwischt sich dabei, wie er darüber nachdenkt, wer das wohl gewesen war.

Bevor er jedoch noch mehr Zeit damit verbringt, nur diese Wohnung anzuschauen, geht er durch das Wohnzimmer und legt seine zitternde Hand auf die rechte der verschlossenen Türen. Er schließt für einen Moment die Augen, atmet tief ein und aus und drückt dann langsam die Klinke herunter.

Sofort will er das Zimmer wieder verlassen. Es war die falsche Tür und dort liegt nicht Cassandra im Bett, sondern sein Bruder. Sirius sieht erschöpft aus und erwachsener, als er ihn das letzte Mal gesehen hat. Seine schwarzen Haare sind länger, als seine, und doch steht es auch ihm sehr gut. Sein Bruder schläft auf dem Bauch und hat die Decke nur über seine Beine geschlagen, sodass Regulus den nackten Rücken sehen kann, auf dem ein paar Narben prangen. Er muss schlucken, als er sich daran erinnert, wie Sirius an diese gekommen ist.

Orion Black hatte es nicht gut aufgefasst, dass sein ältester Sohn nicht nach Slytherin gekommen war und hatte dies auch deutlich gemacht. Regulus hatte damals durch die Tür gesehen, als sein Vater seinen Bruder bestraft hatte und es war das wahrscheinlich schrecklichste, was er je gesehen hatte. Nicht einmal Bellatrix' Foltermethoden konnten damit konkurrieren.

Mit einem letzten Blick auf seinen Bruder, den er wohl nie wieder sehen würde, schließt er die Tür wieder hinter sich und richtet seine Augen auf die andere. Er durchquert den Raum, wirft  einen kurzen Blick aus dem Fenster - es war immer noch dunkel und leer draußen - und öffnet dann die andere Tür. Sie knarzt ein bisschen und er muss innehalten, bevor er sich traut, den Raum zu betreten. Dort steht ein Bett unter einem Fenster, welches mit Vorhängen versehen ist und eine Wiege steht auch in dem Raum. Direkt neben dem Bett, in welchem eine junge Frau liegt, welche immer noch so schön ist, wie er sie in Erinnerung hat.

Cassandra hat sich kaum verändert, seit er sie das letzte Mal gesehen hat. Lediglich ihre Haare sind etwas länger und vielleicht hat sie an Gewicht verloren, aber sonst sieht sie genauso schön au wie immer. Ihre Haut ist so rein, ihre Haare so seidig und ihr ganzes Aussehen wirkt so perfekt. Regulus' Herz setzt einen Schlag aus, als er sich an die Wiege wendet und dort das kleine Baby erblickt, welches seelenruhig schlummert und den Mund leicht geöffnet hat.

Obwohl er sich darauf vorbereitet hat und genau wusste, was er sehen würde, fangen seine Augenwinkel an zu brennen und er muss sich zusammenreißen, um nicht laut zu lachen. Dort liegt seine Tochter, die so unschuldig ist und so wunderbar und er hat es eigentlich gar nicht verdient, sie überhaupt zu sehen.

"Evelynn", liest er vor, denn am Kopfende der Wiege hat jemand einen Namen eingeritzt. Regulus vermutet Sirius, doch es kann auch Cassandra gewesen sein. Seine Tochter liegt so nah bei ihm, doch er kann sie nicht halten, oder berühren und er wird es nie können und vielleicht ist das der Grund, weshalb Tränen aus seinen Augenwinkeln fließen und er sich ein bisschen schämt, dass er hier steht und weint, wenn es doch gar keinen Grund dafür gibt.

"Es tut mir Leid", flüstert er leise und geht einen halben Schritt näher. "So Leid, dass ich nicht für dich da sein kann. Dass ich nie ein Vater für dich sein werde, denn ich habe so viele Fehler gemacht und ich kann das nicht gut machen. Du hast auch einen besseren Vater verdient, als mich. Ich wäre es gerne gewesen, aber ich habe es vermasselt. Kleine Evelynn, du bist in guten Händen und du wirst sehr geliebt und doch wirst du nie einen echten Vater haben, denn jeder andere Mann wird das nicht sein können."

Regulus schluckt schwer und seine Füße scharren noch etwas näher an das Kinderbett heran. "Wie gerne würde ich einfach zurückkehren. Zu dir und Cassy und auch Sirius. Er wird bestimmt sauer sein und mich verfluchen, dass ich sie alleine gelassen habe, aber... nein, es gibt keine Entschuldigung dafür. Ich habe all die falschen Entscheidungen getroffen und das ist mir klar geworden... aber es zu spät. Wenn ich jetzt zurückkehren würde, würde ich jeden in Gefahr bringen, mit dem ich Kontakt aufbauen würde. Und das will ich nicht. Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, dass ich Schuld daran sein würde, wenn dir etwas passieren würde. Oder Cassy. Oder... oder Sirius. Dafür liebe ich euch zu sehr."

Sein Zauberstab gleitet ihm fast aus den Fingern, als seine Hände unkontrolliert anfangen zu zittern und er tritt einen Schritt zurück. Seine Tochter schläft noch immer seelenruhig und auch wenn er noch länger hier bleiben will, so wendet er sich ab und verlässt das Zimmer. Er blickt nicht noch einmal zu Cassandra oder zu Sirius, denn wenn er sie noch einmal sehen würde, dann würde er schwach werden und vielleicht umkehren oder sie ansprechen. Doch bevor er die Wohnung wieder verlässt, dreht er sich trotzdem noch einmal um.

Er will seiner Tochter etwas da lassen. Etwas von ihm. Sie soll etwas von ihrem echten Vater haben, auch wenn sie ihn nie kennen lernen wird. Deswegen bückt er sich, zieht den Schnürsenkel aus einem seiner Schuhe und legt ihn auf den Boden. Seine zitternde Hand richtet er mit dem Zauberstab darauf und nach einer kleinen Beschwörung liegt dort kein Schnürsenkel mehr, sondern ein dunkles Armband, in Form einer Schlange. Es ist vielleicht ein Klischee, aber Regulus mag Schlangen und er hält sie für faszinierende Tiere und deswegen wollte er immer eine Schlange als Haustier haben. Doch seine Eltern hatten ihm nie eine erlaubt.

Das Armband in Form einer Schlange, welche sich selbst verspeiste, hob er auf und legte es dann auf den Wohnzimmertisch. Er zauberte eine Notiz daneben. Für Evelynn. Er muss sich sicher sein, dass es auch niemand anderes versehentlich für sich nutzen würde.

Regulus verlässt die Wohnung von Sirius, Cassandra und Evelynn. Der Tod erwartet ihn.

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