71. Die belauschte Seherin

"Bist du soweit?", fragte James und drückte Lily noch ein Stück näher an sich. Da er es nicht riskieren wollte, dass Lily ganz spontan ihre kognitive Fähigkeit zu Sprechen verlernen würde, wenn sie das Flohnetzwerk verwenden wollte, nur um dann in einem ewigen Kreis aus grünem Feuer und verkohltem Holz gefangen zu sein, hatte er beschlossen, dass sie gemeinsam den Kamin nutzen würden. Zwar machte es Lily nicht viel aus, aber manchmal war seine Überfürsorglichkeit doch sehr anstrengend. Wenn er ihr nicht gerade die Einkaufe förmlich aus den Händen riss, sobald sie auch nur die Haustür schief ansah, dann fragte er sicherlich alle zehn Minuten nach, ob denn ihr Kissen weich genug war, oder ob sie noch einen Tee wollte. Er meinte es nur gut, dass wusste sie auch, aber es war auch wirklich, wirklich nervenaufreibend.

"Ja, ich bin soweit", seufzte Lily, die versuchte, ihre Gedanken ruhig zu halten. Sie hatte die Hoffnung, dass was auch immer Dumbledore mit ihnen besprechen wollte, nichts allzu... lebensbedrohliches war. Also blieb sie vorerst ruhig - bis es einen wirklichen Grund zur Panik geben würde. (Vielleicht hatte Lin das damit gemeint, wenn sie immer gesagt hat, Lily wäre eine viel zu rational denkende Person.)

"Büro des stellvertretenden Schulleiters, Hogwarts", rief James und warf im selben Atemzug das Flohpulver in den Kamin. Als die hellgrünen Flammen aus dem Rost hervorstoben, schloss Lily die Augen und sie spürte James' Hand an ihrer Schulter. Der Wirbel aus Feuer brachte sie zwar in wenigen Momenten an ihren Zielort, trotzdem war Lily wieder etwas schwummrig, als sie mit James' Hilfe aus dem Kamin stieg. "Ich hasse Flohpulver", murmelte sie leise.

"Das sehe ich ebenso, deswegen verstreuen Sie bitte nicht allzu viel davon auf meinen Teppich." Beim Klang dieser strengen aber vertrauten Stimme, blickte Lily überrascht auf. Minerva McGonagall stand mit verschränkten Armen vor ihrem Schreibtisch und musterte die beiden durch ihre quadratische Brille. Sie trug - wie eigentlich immer - einen smaragdgrünen Umhang mit passendem Hut.

"Oh, Professor, ich wusste nicht, dass sie - ", fing James an, doch Professor McGonagall unterbrach ihn wirsch.

"Dies ist mein Büro, sollte ich mich nicht in der Tür geirrt haben, Mr. Potter, deswegen ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass Sie nicht mit mir gerechnet haben." Trotz ihrer harschen Worte waren ihre Lippen ein wenig gekräuselt, als müsste sie ein Lächeln unterdrücken. "Aber ich nehmen einfach mal, dass Sie mich standesgemäß gegrüßt haben und kann diese freundlichen Grüße nur zurückgeben. Der Schulleiter erwartet Sie beide bereits." Sie deutete mit ihrem Kopf auf die offen stehenden Tür ihres Büros.

"Natürlich. Vielen Dank, Professor", sagte James schnell und Lily schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln, bevor ihr Ehemann sie aus dem Raum in den Gang zog.

"Kommt es nur mir so vor, oder war sie irgendwie sanft?", fragte Lily leise, als sie dem steinernen Gang schon einige Schritte gefolgt waren. James runzelte die Stirn. "Ich bin mir sicher, ich weiß, was du meinst. Sie wirkte etwas zu freundlich, dafür, dass wir in ihr Büro geplatzt und Ruß auf ihrem Teppich hinterlassen haben. Ob es was mit..."

Er ließ seinen Satz unbeendet, denn Lily wusste sehr wohl, was er meinte. Natürlich musste es etwas mit der Sache zu tun haben, die Dumbledore mit ihnen besprechen wollte. Es ging gar nicht anders. McGonagall würde sie sonst nie einfach so losschicken.

Es schien, als wäre es Ewigkeiten her, seitdem sie das letzte Mal den Weg zu Dumbledores Büro gegangen waren. Lily erinnerte sich noch an den ersten Tag ihres letzten Schultages, als sie und James gemeinsam die Aufgaben als Schülersprecher übernommen hatten. Soviel war seit jenem Tag im September geschehen.

Als sie schließlich den Wasserspeier erreichten, der die Tür versperrte, blieben sie beiden stehen. "Dumbeldore hat uns das Passwort nicht verraten", fiel Lily ein und sie blickte James etwas irritiert an. "Vielleicht hat er - "

"Nicht nötig", knurrte der Gargoyle mürrisch. "Dumbledore hat uns gesagt, dass ihr kommt. Immer rein."

Die Wendeltreppe hinauf zum Büro erschien in der Wand und mit einem mulmigen Gefühl, welches sich mit jedem Schritt hinauf nur noch verstärkte, machten sich die beiden auf den Weg. Der Greifentürknauf begrüßte sie mit einem schwachen Nicken, bevor James an die Tür klopfte. Anstatt jedoch ein "Herein" erklang, öffnete sich die Tür sogleich und offenbarte den beiden Potters das Büro.

"Wir haben nur auf Sie gewartet", ertönte Dumbeldores Stimme und James und Lily betraten den kreisrunden Raum. Jedoch war der Schulleiter nicht allein. Zwei weitere Menschen waren noch dort und drehten die Köpfe zu ihnen und Lily erkannte in ihnen Frank und Alice Longbottom. Sie hatte die beiden in einem Treffen des Ordens kennengelernt und wie es aussah, war Alice auch schwanger.

"Mr. Potter, Mrs. Potter, setzten Sie sich bitte", sagte Dumbledore und mit einem Wink seines Zauberstabes erschienen zwei weitere Stühle vor seinem Schreibtisch. Alice klammerte sich an der Hand von Frank fest, während sie den alten Zauberer mit beinahe panischem Blick betrachtete.

"Nun, ich vermute, Sie fragen sich, warum ich Sie her gebeten habe", sprach Dumbledore mit einer für ihn sehr unüblichen leisen Stimme. "Ich habe Sie hergerufen, weil ich gestern eine erschreckende... Begegnung hatte, kann man so sagen. Wie ich in meinem Brief schon erwähnte, hatte ich ein Bewerbungsgespräch mit einer potentiellen neuen Lehrerin für den Posten für Wahrsagen."

Alice schluckte laut und Frank rutschte auf seinem Stuhl hin und her, während Lily versuchte ruhig zu bleiben. Dumbledore bemerkte dies sehr wohl. "Aber es wäre besser, wenn ich es Ihnen zeigen würde."

Er zog seinen Zauberstab erneut hervor und auf einen Wink hin schwebte eine dünne, metallene Schale auf sie zu, bevor sie eine handbreit über dem Schreibtisch stoppte und dort verweilte. "Dies ist mein Denkarium", sagte Dumbledore leise. "Es hilft mir dabei einen klaren Kopf zu bewahren, wenn meine Gedanken einmal wieder wild durcheinander kreisen. Und es kann die Erinnerungen erneut anzeigen, sollte man sie erneut erleben wollen..."

Er nahm ein kleines Fläschchen aus seinem Umhang und gab den leuchtend silbernen Inhalt, welcher nicht flüssig aber auch nicht gasförmig zu sein schien, in die flache Schale. James' Hand fand ihren Weg automatisch zu ihrer, als das silberne Zeug sich wirbelnd in der Flüssigkeit im Denkarium auflöste. Lily ertappte sich dabei, wie sie sich weiter vorbeugte, um einen besseren Blick zu erhaschen.

Alice entfuhr ein kleiner, spitzer Schrei und auch Lily musste sich eine Hand vor den Mund schlagen, als eine perlweiße Gestalt aus dem Denkarium stieg. Zuerst hielt sie sie für einen Geist, doch dann fiel ihr auf, dass die dunstige, für einen Geist typische, Gestalt fehlte und die Person auch nicht danach aussah, als könnte sie sie sehen.

"Sybill Trelawney ist eine Seherin, zumindest behauptet sie das von sich", erklärte Dumbledore und deutete auf die junge Frau, die dort nun zwischen ihnen schwebte. Lily fiel lediglich auf, dass diese Frau eine überaus große Brille trug, deren dicke Brillengläser ihre Augen stark vergrößerte, da fing Sybill Trelawney auch schon an zu reden. Und ihre Stimme klang so, als würde sie aus einem dumpfen Radio stammen und doch konnte Lily jedes Wort davon so klar verstehen, als würde sie genau neben ihr stehen. Nur war sie sehr tief und rauchig, und nicht so, wie man es bei einer so zierlichen Frau erwarten würde.

"Der Eine mit der Macht, den Dunklen Lord zu besiegen, naht heran", waren die ersten Worte und sofort umklammerte Lily James' Hand etwas fester. Ihr Herz fing an zu rasen und ihre Lippen wurden mit einem Mal staubtrocken. "Jenen geboren, die ihm drei Mal die Stirn geboten haben, geboren, wenn der siebte Monat stirbt." Ein Gepolter im Hintergrund ertönte und etwas oder jemand schien ziemlich wüst gegen eine Tür zu hämmern, doch Sybill sprach weiter. "Und der Dunkle Lord Ihn als sich Ebenbürtigen kennzeichnen, aber Er wird eine Macht besitzen, die der Dunkle Lord nicht kennt. Und der Eine muss von der Hand des Anderes sterben, denn keiner kann leben, während der Andere überlebt..."

Die perlweiße Gestalt versank wieder im Denkarium und Dumbledore seufzte leise. "Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich Sie hergerufen habe, aber trotzdem will ich es Ihnen erklären." Er erhob sich und trug die Schale wieder fort, sprach aber weiter. "Was Sie eben gehört haben, war eine Prophezeiung und eine äußerst wichtige noch dazu. Sybill Trelawney stammt von der großen Seherin Cassandra Trelawney ab, die weithin bekannt war, doch bislang konnte diese Frau nicht einmal das Wetter vorhersagen. Doch so wenig ich Wahrsagen überhaupt weiter unterrichtet haben wollte, so neugieriger war ich doch auf die gute Sybill. Man trifft nicht jeden Tag eine Nachfahrin einer berühmten Seherin."

Dumbledore drehte sich zu ihnen um und die Augen aller Anwesenden - der Porträts im Raum eingeschlossen - waren auf ihn gerichtet. "Das, was sie als störendes Gepolter im Hintergrund vernommen haben, war ein Eindringling, der der gesprochenen Worte von Sybill gelauscht hatte. Und ich bin mir leider sehr sicher, dass der Dunkle Lord den gröbsten Teil bereits kennt."

James atmete scharf ein. "Heißt das, ein Todesser hat sie belauscht?", fragte er schockiert und ängstlich zugleich.

"Das ist wahr, Mr. Potter. Ich bin mir sicher, der Dunkle Lord weiß nichts vom letzten Teil, nicht, dass es einen großen Unterschied in seinem Handeln machen würde, denke ich."

"Aber... was genau soll das heißen? Warum sind ausgerechnet wir hier?", fragte Frank mit brüchiger Stimme und umklammerte die Hand seiner Frau etwas fester.

"Dies kann ich Ihnen erklären, Mr. Longbottom. Diese Prophezeiung bezieht sich auf ein Kind, welches Ende Juli geboren werden wird, von Eltern, die Lord Voldemort bereits drei Mal die Stirn geboten haben, ihm also schon drei Mal entronnen sind." Seine klaren, blauen Augen funkelten hinter den Halbmondbrillengläsern auf.

"Und ich gehe richtig in der Annahme, dass sie beide - ", er deutete auf Alice und Lily. " - schwanger sind und dass der Termin für eine Geburt das Ende des siebten Monats betreffen sollte. Und sie sind ihm alle vier schon zwei Mal entkommen."

James erhob sich. "Wollen Sie damit etwa sagen, das unser Kind vielleicht derjenige sein könnte, der gegen Voldemort kämpfen kann? Der ihn besiegen kann?", rief er lautstark. "Soll es das etwa heißen?"

Dumbledore blickte James ruhig an, der schwer atmete und dessen Brust sich hob und senkte. "Mr. Potter, ich denke, Sie haben es nicht korrekt verstanden. Jenen geboren, die ihm drei Mal die Stirn geboten haben, lauteten Sybills Worte. Sie sind ihm bisher zwei Mal knapp entkommen." Er seufzte leise. "Aber ja. Ich glaube, dass sowohl ihr Kind als auch das von Mr. und Mrs. Longbottom dasjenige ist, von welchem die Prophezeiung ausgeht."

Nun ergriff Alice das Wort. "Aber... wenn Sie sagen, wir müssen ihm drei Mal dafür entkommen sein, dann besteht die Hoffnung, das es nicht unser Kind treffen wird, oder?" Dumbledore nickte. "Also müssen wir einfach nur in Sicherheit bleiben, dann sollte die Prophezeiung nicht eintreffen, richtig?"

"Das haben Sie korrekt erkannt, Mrs. Longottom. Solange Sie alle dem Dunklen Lord nicht noch ein weiteres Mal vor der Nase davon laufen können, so wird die Prophezeiung sich auch nicht für sie erfüllen. Allerdings musste ich Ihnen das sagen. Sie beide sind zurzeit die einzigen Frauen, die die Kriterien der Prophezeiung erfüllen."

"Das verstehe ich", sagte Lily leise. Sie traute sich nicht, lauter zu sprechen. "Ich danken Ihnen, Sir."

"Danken Sie mir nicht, Mrs. Potter. Es tut mir nämlich Leid, dass ich Ihnen diese Nachrichten mitteilen musste." Die Ehrlichkeit erkannte Lily nicht nur in seiner Stimme, sondern auch in seinen Augen. Es tat ihm wirklich Leid. "Schon gut, Sir. Es ist ja nicht ihre Schuld", sagte James und setzte sich wieder. Dumbledore nickte kurz.

"Ich gehe in der Annahme, dass Sie das eben Gehörte verarbeiten wollen. Deswegen steht es Ihnen frei zu gehen. Aber bitte, erzählen Sie vorerst niemandem davon. Es ist wirklich wichtig, dass diese Information nicht in die falschen Hände gerät."

Als Dumbledore sich erhob um die Tür zu öffnen, blieb er noch einmal stehen und blickte Lily für einen kurzen Moment in die Augen. "Und geben Sie auf sich Acht. Es steht nicht in meiner Absicht, dass ich Sie in den Untergrund schicken muss, damit Sie vor Lord Voldemort und seinen Schergen in Sicherheit sind."

"Ja. Vielen Dank, Sir."

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Sowohl Kapiteltitel als auch der Inhalt der Prophezeiung entstammen dem Werk 'Harry Potter und der Orden des Phönix', bzw. 'Harry Potter und der Halbbutprinz'. Ich besitze keine Rechte an ihnen und verwende sie lediglich als Stützmittel. Sollte jemand ein Problem damit haben, werde ich umgehend Änderungen einleiten.

Guten Tag :D

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