67. Kleine Geheimnisse

Ordnung hatte in Sirius' Wohnung noch nie geherrscht. Doch mit einer Gästeanzahl von stolzen zehn erwachsenen Zauberern und Hexen plus einem kleinen neugeborenen Baby war Unordnung vorprogrammiert. Obwohl der ein oder andere Rotweinfleck auf dem Sofa wohl auch keinen allzu großen Unterschied mehr machen würde.

James lehnte an der Wand, direkt neben der Eingangstür und seine Augen hatten Sirius und Lin fixiert, die miteinander plauderten. Er wusste, es war nicht an ihm, diesen einen Tag wieder hervorzubringen, ganz sicher wollte er nämlich nicht, dass Marlene davon erfuhr, aber etwas in ihm kam einfach nicht ganz damit klar. Wenn Lin doch ganz klar auf der anderen Seite des Ufers schwamm, wieso hatte sie überhaupt mit Sirius diese intime Nacht geteilt? Er wollte mit ihr reden, doch er hatte Lilys Blicke bemerkt. Sie war nicht begeistert davon, dass er etwas wusste, was sie nicht tat. Besonders, da es ganz offensichtlich etwas mit ihrer Cousine zu tun hatte. Und wenn Lily eines nicht ausstehen konnte, dann, außen vor gelassen zu werden.

Seufzend nahm er einen Schluck des Muggelweins, der widerlich süß seine Kehle hinab rann. Den zwei Personen in diesem Raum, die nicht davon wissen sollten, waren natürlich die beiden, die am neugierigsten waren. Es hatte Marlene noch nie gut getan, dass sie immer alles wissen wollte. Im fünften Jahr hatte sie sich dafür beinahe ein ganzes Jahr Nachsitzen eingefangen, weil sie unbedingt wissen wollte, wo James und die drei anderen Rumtreiber denn an dieser düsteren Vollmondnacht hinwollten. Sie war ihnen auf die Ländereien gefolgt und es war nur Peter zu verdanken, dass sie nicht noch weiter gelaufen, denn dann hätte sie - genau wie Snape - gesehen, was Moony wirklich war. Geistesgegenwärtig hatte der kleinste der drei Animagi Marlene aber erschreckt, indem er um ihre Beine gehuscht war. Kreischend hatte Marlene allerdings Professor McGonagall und Madam Pomfrey auf den Plan gerufen, die gerade Remus in die Heulende Hütte eskortiert hatten.

Marlene wurde mit einer Verwarnung wieder ins Bett geschickt, weil Lily sie eingeholt hatte, die bemerkt hatte, dass ihre Freundin nicht in ihrem Bett war. Professor McGonagall war natürlich drauf und dran gewesen, ihr Nachsitzen zu verpassen, aber sie hatte davon abgesehen, als Lily ihr eine saubere Lüge, von wegen Marlene wäre schlafgewandelt, aufgetischt hatte. Auch wenn die Professorin die beiden kritisch gemustert hatte, hatte sie dennoch darauf verzichtet, Marlene zu bestrafen, denn den verwirrten Blick, den diese aufgesetzt hatte, konnte selbst die Verwandlungslehrerin täuschen.

Und wo er gerade noch an sie gedachte hatte...

"Sag mal, James, meinst du, mir würden bunte Haare auch stehen?", fragte Marlene, die sich neben ihn an die Wand lehnte und zwischen ihren Fingern eine Strähne ihres hellbraunen Haares zwirbelte. Ihr Blick lag dabei ganz klar auf Linnea, die gerade lautstark über etwas lachte, was Sirius gesagt hatte und ihre Hand auf seine Schulter gelegt hatte, um sich zu stützen. Von außen betrachtet schienen die beiden einfach nur gute Freunde zu sein, aber wenn man das wusste, was James wusste, dann wusste man, dass dort mehr zwischen den beiden war. Oder gewesen war.

"Eine Antwort muss nicht sein, würde mich aber glücklich machen", trällerte Marlene und James schnaubte leise.

"Wirklich, Marls? Bunte Haare? Bist du dafür nicht ein bisschen zu wenig Rebellin?" Er grinste und hob nun ebenfalls etwas ihrer Haare mit seinen Fingern an. "Außerdem kennen wir dich nur so. Was würde nur der arme Caradoc sagen?"

"Als ob ich bei so einer Entscheidung auf einen Mann hören würde, der in einer romantischen Beziehung mit mir involviert ist!", rief sie aus. "Das würde den chauvinistischen Stolz doch nur noch mehr steigern und dafür hat Lily mich viel zu sehr zur Feministin gemacht, als das ich das zulassen würde. Außerdem ändere ich ja nicht gleich meine ganze Persönlichkeit."

"Feministin, ja?", fragte James und zog eine Augenbraue nach oben. "Dafür bist du gewissen Jungs aber ziemlich nachgelaufen." Sie lächelte auf eine charmante Art und Weise, mit der Lily ihn auch schon mal angesehen hatte, bevor sie ihn verhext hatte.

"Weißt du, James, ich kann Frauenaktivistin sein und trotzdem eine Beziehung wollen. Das macht deine liebe Frau ja auch nicht anders." Ihre Augen leuchteten zwar schalkhaft, trotzdem wusste James, dass die junge Frau neben ihm einen harten Tritt draufhatte, deshalb räusperte er sich einmal kurz.

"Also, ich glaube, dir würden bunte Haare sicherlich auch stehen, aber das wärst dann nicht mehr du. Du siehst am besten aus, wenn du ganz natürlich bist." Marlene lachte laut und stieß ihn kurz an.

"Du bist so ein alter Charmeur, James Potter. Kein Wunder das Lily dir irgendwann doch noch verfallen musste, wenn du immer so süße Sachen sagst." Sie gab ihm einen kurzen Kuss auf die bärtige Wange und zwinkerte ihm dann zu. "Aber wer weiß, vielleicht seht ihr alle bald ein ganz neues Ich."

James schüttelte den Kopf und blickte ihr nach, als sie zu Caradoc hinüberging und ihm sein Glas aus den Händen nahm, nur um daraus zu trinken. Das war die Marlene, die er kannte. Stolz darauf, sie selbst zu sein, wollte sie dennoch keine Chance verpassen, etwas Neues zu probieren. Und ja, wer weiß? Vielleicht tauchte Marlene bald mit strahlend orangenen Haaren auf und würde auch diesen Stil bis zur Perfektion beherrschen.

"James." Lily war neben ihn getreten und er sah es sofort in ihrem Blick, dass sie mit ihm reden wollte. "Ich - "

"Lily, können wir das später klären?", fragte er flüsternd und sah sie an, sein Blick flehend. Er wollte nicht jetzt mit ihr darüber reden, auch wenn er es ihr schuldig war. Doch Lily blieb stur.

"Nein. Wir reden jetzt." Die Art, wie sie das sagte, sagte ihm, dass er keine Chance auf Ausflüchte hatte, es sei denn, ein Trupp von schwer bewaffneten Todessern würde nun den Raum stürmen und Flüche auf sie feuern. Doch auch dann müsste er sich irgendwann dem stellen, was sie wissen wollte. Und vielleicht wusste James in diesem Moment nicht, wie er unbeschadet aus dieser Situation herauskommen sollte. Er hatte zu plötzlich, zu offensichtlich gehandelt und nun erntete er das Echo seiner Handlung: Eine neugierige und dickköpfige Lily, die genau wissen wollte, was dort vor sich ging. "Erzähl mir, was das vorhin war." Ihre Stimme war so eiskalt, so kalt wie Stahl, der sich auf seiner Haut ablegte.

"Es ist nicht, was du denkst, ehrlich", fing er an, doch sie veränderte ihre kühle Miene kein bisschen. "Ich schwöre dir, Lily, ich habe dich nicht mit deiner Cousine betrogen." James wusste, dass dies genau die Gedanken waren, die seine Frau in diesem Moment gehabt hatte, denn wahrscheinlich hätte dies jeder gedacht. Selbst wenn hundertprozentiges Vertrauen zwischen zwei Menschen herrschte, so gab es doch immer Momente, in denen Zweifel oder Eifersucht das Hirn vernebelten und die Sinne trübten. Es war so menschlich, wie die Liebe selbst.

"Und wie soll ich dir das glauben, wenn du Lin förmlich mit deinen Augen durchbohrt hast, als wäre dort mal etwas gewesen? Wieso sonst hättest du so stark den Kontakt suchen wollen, wenn nicht, weil ihr ein Geheimnis habt?" Hier zeigte sich ganz deutlich, dass Lily fantastisch war. Ihre Kombinationsgabe war erschreckend genau und James ertappte sich dabei, dass er sie wieder einmal bewunderte, obwohl dies wohl ein denkbar schlechter Zeitpunkt dafür war. Aber James konnte nicht anders. "Beantworte die Frage, James."

"Muss das hier sein?", fragte er leise, denn er bemerkte, dass Ellies Blick langsam zu ihnen gewandert war. "Ja, James, das muss hier sein." Lily wurde langsam wütend und er wollte es eigentlich vermeiden, dass sie die Stimme erhob.

"Okay, okay, ich sag's dir, aber bitte, raste nicht aus. Das ist immer noch Cassys Willkommen-Zurück-Party." Lilys Augenbrauen zuckten kurz, dann nickte sie kurz angebunden und warf mit einer kurzen Kopfbewegung ihre widerspenstigen Strähnen aus ihrer Stirn, die James so liebend gerne für sie weggestrichen hätte.

"Es war, als Sirius und ich auf der Konzerttour waren", fing er an und beugte sich an ihr Ohr, damit er nicht zu laut sprechen musste. "Er hat sich ziemlich betrunken und hat dann Lin auf der Bühne erkannt. Nachdem Konzert sind wir ins Gespräch gekommen und haben noch ein bisschen getrunken und ich weiß auch nicht, wann oder wie es passiert ist, aber als ich morgens wieder aufgewacht bin, da lag Sirius nicht alleine in seinem Bett."

Lily atmete tief ein und James konnte hören, wie es in ihrem Kopf anfing zu rauchen. "So wie es aber scheint, hat Sirius das alles vergessen, denn ich hab Lin rausgeworfen, bevor er aufgewacht ist. Deswegen war ich so überrascht, als sie das gesagt hat, Lily. Sie hat mit meinem besten Freund geschlafen, ist aber schon die ganze Zeit über lesbisch? Das hätte dich auch überrascht."

"Es überrascht mich", sagte Lily. "dass du nicht genug Vertrauen zu mir zeigst, um mir das früher zu sagen." Ihre grünen Augen leuchteten, als sich ihr Blick in seinen bohrte. "Ich dachte, wir haben keine Geheimnisse voreinander, James?"

"Das weiß ich und es tut mir Leid, aber ich dachte, du würdest mir die Lebenslichter ausknipsen, wenn du davon erfahren würdest. Immerhin - naja, Lin ist deine Cousine, Sirius mein bester Freund und die Trennung von Marlene war nicht mal einen Monat her." Lily seufzte und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

"Oh komm schon, James. Ich bring dich doch nicht dafür um. Sie sind doch alle erwachsen und treffen ihre eigenen Entscheidungen. Natürlich finde ich es auch nicht unbedingt toll, aber wenn es nun mal passiert ist, dann kann man nichts daran ändern."

"Aber - "

"James", unterbrach Lily ihn. "Es ist okay. Sie waren betrunken, Sirius war immer noch verletzlich und Lin nimmt auf sowas nun mal keine Rücksicht. Was passiert ist, ist passiert. Aber das nächste Mal erzählst du mir sowas, verstanden." Sie erhob mahnend einen Finger und er grinste sie schief an.

"Selbstverständlich. All die kleinen, schmutzigen Geheimnisse teile ich mit dir."

"Aber keine Details, bitte", lachte Lily und küsste, wie zuvor Marlene, seine Wange. "Nun, da das aus der Welt geschafft ist - hat Mr. Potter nicht Lust, seiner wertgeschätzten Frau etwas zu trinken zu bringen? All die Gedanken darum, ob du mich mit meiner geliebten Cousine tragisch betrogen hast, haben mich sehr durstig gemacht", sagte sie theatralisch und James grinste noch ein Stück breiter.

"Was würdest du nur ohne dieses bisschen Tragik und Drama in deinem Leben anstellen?", fragte er, während er ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte.

"Wahrscheinlich ein wesentlich längeres Leben führen, denn ihr bringt mich alle noch in ein frühzeitiges Grab", erwiderte sie und schubste ihn. "Jetzt mach, ich hab Durst."

"Feminismus", murmelte James mit einem leisen Atemzug und Lily lachte laut auf. "Du Idiot!", rief sie ihm nach, als er in die Küche stolperte.

Erst als sie sich alle gemeinsam verabschiedet hatten - Evelynn war aus ihrem Schlaf erwacht und die neue Umgebung, eine volle Windel sowie ein leerer Magen hatte sie schnell in eine panisch schreienden Zustand versetzt - und James und Lily wieder zurück in ihrem eigenen Heim waren, verstand James, wieso Lily so sehr auf diese Aktion fixiert war.

Sie hatten jung geheiratet, sie war mit mittlerweile zwanzig schwanger und auch wenn sie sich beide innig liebten, so gab es doch für eine junge Frau immer die Zweifel, ob das alles die richtige Entscheidung war. Jugendlicher Leichtsinn hatte schon oft das Leben einer Frau komplett auf den Kopf gestellt und Cassandra war hierbei bestimmt nicht das einzige Beispiel.

Aber James würde eher in einen Avada Kedavra springen, als je wieder Hand an eine andere Frau anzulegen. Zu stark war das Band zu seiner Ehefrau und seinem ungeborenen Kind. Er würde das sicher nicht zerstören.

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