48. Der Überfall

Lily wischte sich müde über die Augen. Sie atmete erschöpft aus, betrachtete aber zufrieden ihr Werk. Das Wohnzimmer erstrahlte in einem rotgoldenen Glanz, während sich die Lichterketten, die sie aus der Garage ihrer Eltern mitgenommen hatte, um einen reich geschmückten Weihnachtsbaum hingen. Die kleinen Kugeln reflektierten den Glanz des Lichtes und in einem kurzen Anflug von Nostalgie musste sie daran denken, wie sie damals immer mit ihrem Vater zusammen den Baum geschmückt hatte, ehe dieser sie auf die Schultern genommen hatte, damit Lily den von Petunia in der Schule gebastelten Engel auf die Spitze setzen konnte.

Die Haustür öffnete sich und in Begleitung eines Schneegestöbers betrat James den Flur, Schneeflocken hatten sich in seinen schwarzen Haaren verfangen und seine Brille war feucht und beschlagen. Er hatte sich einen Tagespropheten unter die Achsel geklemmt und trat sich gerade den Schmutz von den Schuhen, den er nicht mit in das geschmückte Wohnzimmer bringen wollte.

„Das Wetter wird aber auch mit jedem Tag schlimmer", murrte er grimmig und hing seine nasse Jacke an den Haken. Lily lächelte schwach und wandte sich dann wieder ihrer Arbeit zu, während James in die Küche ging und nebenbei die Zeitung auf den Wohnzimmertisch warf. „Sirius hat mich mit seinem Motorrad geflogen, ansonsten wäre ich wohl bis auf die Knochen durchgefroren."

„Oh, du armer, armer Mann", meinte Lily lächelnd. „Gäbe es doch nur eine Möglichkeit, mit der du dich aufwärmen könntest." Mit einem Schwung ihres Zauberstabes entfachte ein knisterndes Feuer im Kamin und vertiefte den Glanz des Lichtes noch mehr. „Was bist du doch für ein Schatz, Lily", sagte James und drehte ihr den Kopf zu. „Wenn ich dich nicht bereits geheiratet hätte, dann würde ich dir jetzt einen Antrag machen."

„Schleimer", murmelte sie. James kam wieder ins Wohnzimmer und stellte einen Teller mit Gebäck auf den Tisch. „Von Marlene", sagte er auf Lilys fragenden Blick. „Sie war heute bei der Arbeit und hat Caradoc besucht. Sirius hat sich recht erwachsen benommen."

„Wie das? Hat er die beiden nicht ignoriert oder ihnen eiskalte Blicke zugeworfen?" James grinste schief. „Er ist freiwillig trainieren gegangen." Lily schüttelte den Kopf, bediente sich dann aber bei den Keksen.

„Und? Wie geht es dir?", fragte er, seine Stimme klang auf einmal viel tiefer und etwas besorgter. „Mir geht es gut, James", erwiderte die rothaarige Hexe kopfschüttelnd. „Nur weil ich jetzt schwanger bin, heißt das nicht, dass ich gleich zerbreche. Solange ich keine Beschwerden habe, bin ich auch noch ganz normal, okay?"

„Ja, ich weiß. Aber ich bin so - "

„ – überfürsorglich, ich weiß", beendete sie seinen Satz und drückte kurz seine Hand. „Aber es geht mir gut, versprochen. Sobald irgendwas ist, komme ich sofort zu dir gerannt, damit du mich beschützen kannst, du großer, starker Held." James grinste sie an. „Das wollte ich hören, Lily."

„Natürlich wolltest du das." James schnappte sich die Zeitung und schlug sie auf. „Steht was - ", fing sie an, doch er unterbrach sie. „Nichts über ihn." Lily wandte den Blick zu Boden. „Langsam wird es merkwürdig. Er hat sich so lange schon nicht mehr gezeigt und - " Bevor Lily ihren Satz beenden konnte, erklang ein hektisches Klopfen an ihrer Haustür und sie wandten beide überrascht den Kopf in diese Richtung.

James erhob sich und ging in den Flur, Lily folgte ihm wie eine neugierige Katze. Caradoc erschien im Türrahmen, seine dunklen Haare waren feucht und glänzten vom Schnee, doch sein Gesicht sprach ganz andere Bände. „Du musst sofort mitkommen!", rief er und ignorierte die Begrüßung. „Der Hauptsitz des Tagesproheten wurde überfallen und die Todesser haben es besetzt!"

„W-Was?", rief Lily verdattert und Caradocs Blick huschte zu ihr. „Der dunkle Lord hat den Propheten angegriffen! Wir müssen die dort als Geiseln gehaltenen Mitarbeiter befreien! Mad-Eye hat mich losgeschickt, damit ich Verstärkung hole."

„Verstanden", sagte James knapp und warf sich seine Jacke über. Lily fackelte nicht lange und griff nach ihrem Mantel, doch ihr Mann wandte sich zu ihr um. „Du kannst nicht mitkommen, Lily!", rief er erschrocken aus. „Das ist viel zu gefährlich! Du könntest - "

„Du meinst, ich weiß nicht, dass das gefährlich ist?", fragte Lily mit ernster Miene. „Das weiß ich nämlich sehr wohl. Aber nur weil ich keine Ausbildung als Aurorin mache, heißt das nicht, dass ich nicht weiß, wie man kämpft. Ich bin nicht umsonst ein Mitglied des Orden des Phönix!"

James wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch Caradoc kam ihm zuvor. „Sie hat Recht. Diese Mission ist nicht nur für Auroren. Wir müssen jeden Mann und auch jede Frau - ", er zwinkerte Lily kurz zu. „ – mitnehmen. Keine Sorge, James, ich pass schon auf, dass ihr nichts passiert. Halt dich einfach an mich, Lily."

Mit grimmigem Gesichtsausruck nickte sie und umklammerte dann James' Hand. Er nickte kurz, dann packte Caradoc ihn an der Schulter und apparierte, nachdem Lily schnell die Haustür zugeworfen hatte. Die Dunkelheit umschlang die drei Zauberer und im nächsten Moment kamen ihre Füße auf einer verschneiten, matschigen Seitengasse. Sofort richteten sich mindestens ein Dutzend Zauberstäbe auf sie und eine grimmige Stimme sagte: „Da bist du ja endlich!"

Der vernarbte Mad-Eye Moody stapfte auf sie zu, sein magisches Auge bewegte sich surrend in seiner Höhle und behielt die Umgebung im Blick. „Ihr seid eingeweiht?", fragte er kurzangebunden an Lily und James und die beiden nickten stumm. „Gut. Wir haben das Gebäude weitestgehend umstellt und haben ein paar Informationen sammeln können."

Mad-Eye lugte kurz um die Häuserecke und Lily folgte seinem Blick. Das Hauptgebäude des Tagespropheten ist ein fünfstöckiges Bauwerk, dutzende Fenster strahlen ihnen entgegen und die helle Fassade verschmilzt beinahe mit dem Schneefall. Doch natürlich bemerkte Lily auch, dass unnatürlich viele Leute auf dem Platz vor dem Haus stehen. Dass zu viele Menschen nach oben sahen und auch einige zu weinen schienen und dass einige von ihnen so aussahen, als hätten sie bereits einen Kampf hinter sich. Und dann sah Lily das Dunkle Mal, welches über dem Gebäude schwebte und wie ein grausiger, verzerrter smaragdgrüner Mond wirkte. Ihr blieb der Atem im Halse stecken und sie wandte schnell den Blick ab.

„Es sind mindestens drei Dutzend von ihnen im Haus", konnte Lily Mad-Eye hören, der zu den anderen Anwesenden sprach. „Wir sind zahlenmäßig unterlegen. Aber das heißt nicht, dass wir sie nicht schlagen können. Wir werden diese unschuldigen Leute dort befreien und den Todessern eine Lektion erteilen! Niemals wieder sollen sie sich so weit in unsere Gefilde vorwagen!" Angespornt durch Moodys Rede jubelten die Zauberer leise und der alte Auror drehte sich mit seinen hellen Haaren um. „Los geht's!"

Lily schluckte schwer, umklammerte ihren Zauberstab und folgte Moody mit den anderen. Während der Mann mit seinem magischen Auge die Umgebung überprüfte, schlichen sie sich an dem Gebäude entlang. Als sie an der rechten Seite angekommen waren, blieb Moody stehen. „Ihr geht in die Richtung und wir bleiben hier. Wir werden durch die Sicherheitseingänge hineingehen und die Todesser einkreisen. Sobald ich das Signal gebe, stürmen wir das Gebäude und versuchen jeden Gegner niederzumähen, der uns entgegenkommt!"

Keiner redete, stattdessen befolgten sie Moodys Anweisungen und teilten sich auf. Lily hielt sich an James. Ihre Atmung wurde immer flacher, je näher sie der schmalen Feuerleiter kamen und obwohl es bitterkalt war, bildete sich Schweiß auf ihrer Stirn. Ihre Brust zog sich schmerzhaft zusammen und Lily musste sich zusammenreißen, um nicht vor Angst zu wimmern.

Sie hatte das Gefühl, als wären alle anderen Empfindungen in den hintersten Winkel ihres Körpers verschwunden und sie spürte nur noch Angst und auch etwas Adrenalin. Der Schweiß auf ihrer Stirn war kalt und obwohl sie zitterte und trotz ihrer Worte am liebsten wieder nach Hause gegangen wäre, fühlte sie sich energiegeladen. Als hätte sie nur für diesen einen Tag bisher gelebt.

Als sie die Feuerleiter erreicht hatten, gab Moody einem kräftigen Mann ein Zeichen und dieser kletterte voran. Er hatte den Zauberstab zwischen den Zähnen und einen verbissenen Ausdruck aufgesetzt, als er im ersten Stock in eines der kleinen Fenster spähte. „Sauber!", rief er und Moody nickte. Diese Prozedur wiederholte sich bis zum fünften Stock, dort jedoch sagte er: „Hier sind sie!"

„Also gut. Klettert alle hoch, ich benachrichtige die anderen." Er zog seinen knorrigen Zauberstab und schickte dann ein silbernes Licht in den Himmel, welches ich sofort in Nebel auflöste. „Ein kleiner Trick von Dumbledore", meinte Moody mit knurrender Stimme. „Kann nur hoffen, dass er auch noch kommt. Der Zaubereiminster hat ihn zu sich gebeten und man kann nicht wissen, ob die Nachricht ihn bereits erreicht hat."

Lily kletterte vor James die Leiter hinaus und ihre Finger wurden auf dem eiskalten Stahl der Sprossen sofort zu eisigen Zapfen. Beinahe hoffte sie, dass die Mitarbeiter des Tagespropheten im Inneren vor dem Überfall die Heizung angeschaltet hatten.

„Alles okay?", fragte James leise, als er neben ihr auf der viel zu kleinen Plattform emporkletterte. Zusammengeengt standen sie dort und versuchten einen Blick durch das Fenster zu erhaschen. Moody folgte ihnen murrend und Lily antwortete mit zitternden Zähnen: „Mir geht's gut." Doch um ihrer Worte Lügen zu strafen, griff sie sofort nach seiner warmen Hand.

„Bei drei sprengt ihr das Fenster und feuert einen Nebenfluch in das Zimmer", sagte Mad-Eye zu den Auroren. „Wir nutzen den Überraschungseffekt und feuern Schock – und Fesselzauber in den Raum. Wenn wir Glück haben, sind die Todesser so sehr von dieser Aktion verwirrt, dass wir sie sofort besiegen können. Wenn nicht – das sehen wir dann."

Moody hob seine vernarbte Hand und hob einen Finger. Lily umklammerte ihren Zauberstab noch fester und spürte, wie ihre Knöchel gegen die eiskalte Haut drückten. Moody hob einen zweiten Finger. James' Druck an ihrer Hand verstärkte sich für einen Moment, ehe er den Griff löste und sein Gesicht sich zu einer grimmigen Maske verzerrte. „Los!"

Gemeinsam feuerten sie Flüche. Glas zersprang und als die warme Luft aus dem dahinterliegenden Raum in die kühle Nacht strömten, verdichtete sie sich zu einem weißen Schleier und raubte Lily für eine Sekunde die Sicht. Im nächsten Moment wurden die Nebelzauber gesprochen und der Raum füllte sich mit einer dichten, schwarzen Masse.

Bevor jedoch auch nur einer einen weiteren Fluch feuern konnte, verschwand ihr ganzer Plan in Nichts.

Der Nebel, den sie beschworen hatten, wurde wie mit einem Staubsauger aufgesogen und ein kühles Lachen ertönte. Sofort lief Lily ein eiskalter Schauer über den Rücken.

„Das", fing eine Stimme an zu reden und sofort strömten unangenehme Erinnerungen an eine Nacht voller Flüche und Explosionen in Lilys Gedächtnis. „ist keine gute Idee, meine ich."

Lord Voldemort trat hervor und sein Gesicht war so bleich, dass es in der schwachen Beleuchtung des weitläufigen Büroraumes wie eine Totenmaske wirkte. „Ich möchte mich nur mit diesen... Journalisten hier etwas unterhalten. Diese Unterbrechung allerdings empfinde ich als unerhört."

Lily fror ein, als Voldemorts Blick sie streifte und für einen Moment verengten sich seine schlangenartigen Pupillen zu Schlitzen, als er sie und James erblickte. Dann jedoch wandte er sich an Moody und ein verzerrtes, falsches Lächeln bildete sich auf seinen schmalen Lippen. „Alastor Moody, welch eine Ehre. Selbst ich kenne euren Namen. Ihr habt meinen Gefolgsleuten einiges an Problemen bereitet. Ich werde es genießen euch und eure kleinen Ratten zu töten!"

Voldemort zog seinen Zauberstab und eine kalte Wand schien sich zwischen ihm und den Auroren zu bilden. Lily konnte nur noch sehen, wie Moody einen Schild zauberte, ehe der Fluch des dunklen Lords ihn traf und er nach hinten geschleudert wurde. Dann begann das Duell.


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