45. Verloren
James verließ das Potterhaus am frühen Morgen und apparierte direkt hinter dem Gartenzaun in das London der Muggel. Auch wenn heute ein freier Tag für ihn war, hatte er sich trotzdem eine ganze Menge Arbeit aufgehalst. Geschäftig aussehende Menschen kreuzten seinen Weg, als er durch die überfüllte Hauptstraße ging, auf der Suche nach dem Treffpunkt, den er mit Marlene und Remus ausgemacht hatte. Sein Herz schien immer schneller zu schlagen, je näher er diesem großen, öffentlichen Platz kam und mit jeder verstrichenen Sekunde wurden seine Hände schwitziger und seine Atmung flacher.
Es war das erste Mal, dass die drei einen direkten Auftrag von Dumbledore bekommen hatten. Einen direkten Auftrag vom Orden des Phönix. Würden Lily und Ellie ebenfalls frei haben, wären sie auch dabei, genau wie Peter. Nur von Sirius fehlte seit zwei Tagen jede Spur. Er war nach dem Streitgespräch mit Caradoc nicht wieder aufgetaucht.
Endlich konnte er den Werwolf neben einem Zeitungsverkäufer der Muggel ausmachen und verstärkte seinen Schritt. Remus entdeckte James ebenfalls, als er auf ihn zukam und winkte dann Marlene heran, die an einem kleinen Imbissstand war und sich etwas zu Essen besorgte. Mit einer Portion Fish&Chips in der Hand gesellte sie sich schnell neben ihn, noch bevor James bei ihnen eintraf.
„Morgen", sagte sie fröhlich und ziemlich aufgeregt. Ihre Wangen glänzten und sie hatte die langen Haare in einen festen Zopf genommen, der ihr über die linke Schulter hing. Remus sah müde und abgekämpft aus, aber er lächelte ebenfalls. „Hey", erwiderte James. „Habt ihr schon - "
Er wurde von Marlene unterbrochen, die einen Umschlag aus ihrer Jacke zog und ihn ihm überreichte. „Danke", sagte er schnell und faltete den darin enthaltenen Brief auseinander, um die Anweisung des Gründers vom Orden zu überfliegen.
„Das ist alles?", fragte James leise und drehte den Zettel in den Händen um. Marlene nickte. „Jap. Wir sollen nur - "
„Psssht!", zischte Remus schnell und brachte sie damit zum Schweigen. „Oh, 'tschuldigung", murmelte sie hastig. Sie entriss James die Nachricht und zog die beiden jungen Männer dann mit sich in eine kleinere Gasse, in der sie reden könnten. „Wir sollen nur diese beiden Personen ausfindig machen", endete sie ihren Satz, den sie angefangen hatte. „Dumbledore ist wohl der Meinung, dass sie dem Orden helfen würden."
James nickte und Remus fragte: „Wo fangen wir an?" Marlene tippte auf den ersten Namen. „Bei ihm. Dumbledore zu Folge ist er auch mal hier in der Stadt unterwegs, wir müssen ihn nur irgendwie aufspüren. Er ist ein meisterhafter Tarnkünstler, mit einem riesigen Verständnis für Zaubertränke."
„Jetzt könnten wir Lily gebrauchen", meinte James schwach und Marlene nickte. „Schon. Aber wir kriegen das auch ohne sie hin. Wenn wir ihn nicht überzeugt bekommen, dann nehmen wir uns sofort die andere Person vor. Ich denke, wir können jede Unterstützung gebrauchen."
„Richtig", erwiderte Remus leise und sah sich wachsam um. „Wo sollen wir am besten anfangen? Ich schlage vor, wir gehen zuerst in die Winkelgasse und statten den Läden für Zutaten, Kessel und Rezepte einen Besuch ab. Wenn er da ist, dann haben wir es einfacher, ihm erstmal zu folgen."
„Gute Idee", meinte Marlene und schlang ihren letzten Bissen herunter, ehe sie die Verpackung in einer der verbeulten Mülleimer warf. „Dann los."
Gemeinsam gingen sie die Straßen des Muggellondons weiter, darauf bedacht, einfach nur wie drei Freunde auszusehen, die am besten nicht auf einer geheimen Mission unterwegs waren. Remus blickte sich dabei immer andächtig um, um etwaige Verfolger oder auffällige Personen ausfindig zu machen, während Marlene und James bedächtig vorangingen, nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam. Von irgendwoher kam Musik und die vielen lauten Stimmen und Geräusche ließen James' Ohren klingeln.
Als sie endlich den Tropfenden Kessel erkennen konnte, zog Remus sie vom Eingang weg und zischte leise: „Weitergehen." Marlene nickte einfach nur und tat so, als würde sie sich für ein Schaufenster auf der anderen Seite interessierten. James nutzte die Chance, in der er die Straßenseiten nach Autos absuchte, um einen Blick hinter sich zu werfen.
Eine Gruppe bestehend aus fünf Leuten in dunklen Umhängen – es waren keine Jacken, dass erkannte er an der Schnittart – waren dicht hinter ihnen. Er schluckte und blickte dann wieder nach vorne, um mit den beiden anderen über die Straße zu huschen. Sie nutzten einen der zweistöckigen, roten Busse um in dem vorübergehenden Sichtschutz in einem Laden zu verschwinden.
Der Geruch von Blumen und Kräutern wehte ihnen sofort in die Nase und einige Kunden, die gerade vor den Auslagen standen, warf einen flüchtigen Blick auf die Neuankömmlinge. Remus ging bis nach hinten durch und beugte sich vor einen Hortentienstrauß, um so zu tun, als würde er daran riechen, während er in Wahrheit flüsterte: „Wir müssen irgendwie aufgefallen sein. Lasst uns ein bisschen Zeit hier vertrödeln, und dann abhauen." Marlene nickte und sagte dann etwas lauter: „Ja, ich denke, die würden Ellie gefallen."
Sie zwinkerte James zu, der schwach grinste und sich dann wieder verstohlen umblickte. Caradoc hatte es zwar bereits erwähnt gehabt, doch dass es dann doch so schnell gehen würde, hatte ihn überrascht. Es war allgemeinhin bekannt, dass Voldemort gerade überall seine Anfänger hinschickte, damit sie für ihn spionierten oder rekrutierten. Dass sie aber mitten in der Londoner Innenstadt zu gegen sein würden und sie sofort verfolgen würde, wunderte ihn stark. Was hatten die Todesser dort überhaupt verloren?
„Guten Tag, kann ich ihnen helfen?", fragte eine ältere Dame und kam lächelnd auf sie zu. Sie trug eine geblümte Schürze mit dem Logo des Ladens darauf und roch nach Blumenerde und einem süßlichen Parfüm.
„Ja, mein Freund hier sucht einen Blumenstrauß für seine Freundin", sagte Marlene und James fügte hinzu: „Er will ein Abendessen für sie organisieren." Remus warf den beiden einen teils verzweifelten, teils belustigten Blick zu.
„Oh, wie nett", erwiderte die alte Dame freundlich. „Hat ihre Freundin denn eine bestimmte Vorliebe war Blumen betrifft? Wir haben heute Morgen erst eine frische Lieferung mit gelben und violetten Rosen bekommen, vielleicht ein paar davon?"
Während Remus versuchte der Frau zu erklären, dass Ellies Geschmack sich nicht eher auf Blumen richtete, schlichen James und Marlene sich zu den Behältern mit Veilchen und anderen Wildblumen, die herrlich dufteten. „Was machen wir jetzt? Sollen wir weitersuchen oder für heute lieber abbrechen?", fragte sie und nahm die goldgelben Blüten von ein paar gezüchteten Osterglocken genauer unter die Lupe. Wieder fügte sie lauter hinzu: „Die riechen aber herrlich!"
James konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, aber in seiner Stimme war die pure Ernsthaftigkeit zu vernehmen, als er antwortete. „Lass uns das mit Remus noch abklären, aber ich glaube, wir sollten für jetzt Schluss machen. Es wäre wohl besser, uns später noch mal zu treffen, oder?"
„Bin ich auch der Meinung", erwiderte Marlene und lächelte gequält. Remus konnte sich zehn Minuten später von der älteren Verkäuferin loslösen und hatte dann auch noch einen Strauß mit gelben, roten und violetten Rosen, unter die auch noch ein paar farbliche Akzente, sowie Gräser und Halme gemischt wurden. „Jetzt kann man uns zwar kaum noch für zwielichtige Gestalten halten", sagte Remus mit einem schiefen Grinsen und klemmte sich den Strauß unter den Arm, um seine Jacke zuzumachen. „Aber es wäre wohl trotzdem das Beste, wenn wir uns vorerst trennen sollten."
„Haben wir auch schon festgestellt", erwiderte Marlene. „Wie wäre es, wenn wir uns in zwei bis drei Stunden einfach bei James treffen und dann gemeinsam in den Tropfenden Kessel flohen? Das wäre unauffälliger, meine ich."
„Da hast du Recht", sagte Remus. „Dann machen wir das so." James nickte einfach nur. Zusammen verließen sie die geschäftige Straße, ließen den Eingang zum magischen Teil Londons hinter sich und gingen in die weniger besuchten Straßen der Stadt. In einem winzigen Burgerladen bestellten sie sich ein schnelles Mittagessen und apparierten dann in den Toilettenräumen nach Hause.
Als James sich von dem kurzen Schwindel befreit hatte, ging er die Zugangsstraße von Godric's Hollow weiter entlang. Seine Hände hatte er dabei in den Hosentaschen.
„Hallo, James", sagte eine brüchige Stimme plötzlich neben ihm und erschrocken erkannte er ihre Nachbarin, Bathilda. „Oh, Sie sind es", erwiderte er erleichtert. „Wie geht es Ihnen?"
„Es geht", meinte die alte Dame. „Meine Hüfte beginnt wieder ein bisschen zu schmerzen, aber das liegt am Wetter, das habe ich schon seit vielen Jahren." Wenn er es sich recht überlegte, dann wusste er gar nicht, wie alt Bathilda Bagshot eigentlich war. Schon als er noch ein kleiner Junge gewesen war, war sie alt gewesen.
„Das tut mir leid zu hören", sagte er, auch wenn er wusste, dass es wohl kaum ihre Schmerzen lindern würde. „Das macht nichts", erwiderte sie resolut und schlenkerte ein bisschen mit dem Beutel in ihrem Arm.
„Wie geht es denn deiner reizenden Frau?"
„Oh, Lily geht's gut!", sagte James und lächelte. „Sie wird wohl noch auf der Arbeit sein."
„Ihr scheint die Arbeit als Heilerin wirklich Spaß zu machen", meinte die alte Dame schmunzelnd und sie bogen in die Straße ein, in der James' und Lilys Haus lag. „Das tut es auch", erwiderte er. „Sie redet viel davon, wenn sie zu Hause ist."
Bathilda lächelte und ihre runzligen Lippen kräuselten sich dabei. „Bestell ihr einen schönen Gruß, wenn sie wieder da ist. Ihr seid am Wochenende auch herzlich eingeladen, für etwas Kaffee und Kuchen vorbei zu kommen. Ich habe ein neues Rezept von einer alten Freundin bekommen."
„Ich werde es ihr ausrichten, danke, Bathilda", sagte James und blieb an ihrem Gartenzaun stehen. „Bis demnächst."
Die alte Dame winkte ihm noch, als er um die Ecke ging und seufzend öffnete er seine eigene Haustür nur wenige Momente später. Er hatte erwartet, vollkommen alleine zu Hause zu sein, deswegen war er umso überraschter, eine Person mit feuerrotem Haar auf der Couch wiederzufinden.
„Lily?", fragte er erstaunt. „Was machst du denn schon hier?" Seine Frau blickte auf und er wusste sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Ihre Augen waren gerötet und die Wangen tränenverschmiert. Die Tür zur Küche ging leise auf und Ellie trat mit zwei Tassen Tee ein. Auch sie sah verweint aus.
„Was ist denn passiert?", fragte er atemlos und eilte schnell an Lilys Seite, die sofort haltsuchend ihre Arme um seinen Hals schlang und ihr Gesicht in seine Brust drückte. Sie schluchzte und weinte geräuschvoll, auch wenn es durch den Stoff seines dicken Pullovers etwas gedämpft wurde.
„Es gab einen Unfall", sagte Ellie mit schwacher und kratziger Stimme. Lily klammerte sich noch stärker an James und sein Herz zog sich kurz krampfhaft zusammen. „Schon in der Nacht von Halloween."
„W-Was ist passiert", verlangte er noch einmal zu erfahren und Ellie blickte betreten auf die Teetasse in ihren Händen. Sie schwieg kurz – der Tee zitterte in seinem Gefäß umher – dann holte sie tief Luft, während Lilys Körper kurzzeitig aufhörte zu beben.
„Lilys Eltern sind tot."
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