2. Fast wie eine Schwester

„Ahhhh, ist das heiß!", stöhnte die rothaarige Lily Evans und strich sich über die Stirn. Schweiß perlte von ihrer Haut und sie wischte ihre Finger an ihrem weiten Shirt ab. Die Sonne brannte unbarmherzig auf sie herab und hatte die Küche des Hauses brutal erhitzt. „Hast du was gesagt?", fragte eine angenervt klingende Stimme und Mrs. Evans steckte den Kopf in die Küche. „Nein, Mum, es ist alles bestens", erwiderte Lily mit zusammengebissenen Zähnen. Sie seufzte, als ihre Mutter wieder im Wohnzimmer verschwunden war. Seit die Vorbereitungen für die Hochzeit ihrer Schwester richtig angefangen hatten, war Mrs. Evans wirklich reizbar geworden, deswegen hatte Lily gelernt, lieber nichts zu sagen, was sie auch nur in der kleinsten Weise falsch verstehen konnte. Sie hatte bereits beschlossen, ihre eigene Hochzeit auf keinen Fall von ihrer Mutter planen zu lassen.

Gedankenverloren strich sie dabei über den Ring, den sie immer an ihrem Finger trug. Irgendwie brachte sie es nicht über sich, ihn abzulegen, und sei es auch nur für die wenigen Tage, bis sie und James es ihren Eltern sagen würden. Sie freute sich schon darauf, wenn er endlich ankommen würde, dann wäre sie nicht mehr der einzige 'Freak' im Haus, wie Petunia immer wieder gerne betonte, wenn sie mit Lily in einem Zimmer war.

Mit flinken und mittlerweile geübten Bewegungen bereitete Lily die kleinen Präsentbeutel vor, die es auf Petunias Hochzeit geben würde. Nur drei Schokoherzen durften in die Tütchen, keiner mehr oder weniger, dazu eine kleine Karte, die perfekt in der Mitte gefaltet werden musste und zu guter Letzt nur ein einziges Bild des Paares, wie sie glücklich lächelnd in die Kamera sahen, auch wenn Petunia etwas gezwungen aussah. Seufzend stellte sie die fertige Tüte beiseite und nahm eine Neue zur Hand. „Hast du genauso viel Spaß wie ich?", fragte eine amüsierte Stimme und Lily wandte sich überrascht um.

„Natürlich, wie könnte ich denn auch keinen Spaß haben, genau drei von diesen dämlichen Schokoherzen in diese hässlichen Tüten zu stopfen", sagte sie sarkastisch und blickte ihre Cousine an, die einen weiteren Stapel der Präsentbeutel in ihre Hände beförderte. Linnea schenkte ihr ein schiefes Grinsen. „Bin ich froh, wenn der ganze Zirkus hier vorbei ist", sagte sie prustend und stemmte die Beutel hoch. „Das Haus ist schon komplett überfüllt mir blöden Tüten. Kann Tunia nicht einfach wie normale Brautpaare einfach ein extra großes Büffet errichten?"

Lily lachte. „Das ist ja das merkwürdige an Petunia. Sie versucht so stark normal zu sein, ihr sind aber die normalen Bräuche alle zuwider. Versteh sie einer", sagte sie kopfschüttelnd. Linnea pustete sich eine Strähne aus der Stirn. „Juhu, lobpreise die Normalität deiner Schwester." Sie verschwand mit Unmengen an Beuteln bepackt und wenig später hörte Lily ihre Schritte auf dem Kies im Garten.

„Lily, wenn du mit den Beuteln fertig bist, dann decke doch bitte schon einmal den Tisch, ja?", rief Mrs. Evans aus dem Wohnzimmer und Lily verdrehte die Augen. „Natürlich, das mach ich auch", murmelte sie. „Was?"

„Ja, mach ich, Mum!"

Vernon erzählte irgendwas über die Firma, in der er arbeitete, deswegen hörte Lily auf, zuzuhören. Sie beschäftigte sich viel lieber mit dem spannenden Tafelsilber, das ihre Mutter herausgeholt hatte. Die kleinen Verzierungen waren wirklich hübsch, aber mit der Zeit konnten auch diese sich nicht gegen die dröhnende Stimme des Walrosses durchsetzen.

„Lily?"

„Hm, was? Ja, ich stimme dir zu, Mum", sagte Lily, die aus ihren abdriftenden Gedanken geschreckt wurde. Ihre Mutter zog eine Augenbraue nach oben und Linnea, die neben ihr saß, lachte in ihre Faust. „Das ist toll, Schatz, aber ich habe eigentlich gefragt, was das für ein Ring ist. Du hast ihn seit du hier bist nicht einmal abgenommen." Lily stieg die Röte ins Gesicht und sie spielte nervös an ihrem linken Ringfinger, an dem ihr Verlobungsring glitzerte.

„Das ist ein Geburtstagsgeschenk von James", sagte sie und nannte dabei immerhin die halbe Wahrheit. „Oh wirklich? Nun, er hat einen sehr guten Geschmack, das muss ich sagen", sagte Mrs. Evans und nickte bedächtig. „Aber Liebling, an dieser Hand trägt man normalerweise den Verlobungsring, wusstest du das nicht?" Lilys Gesicht wurde, wenn möglich, noch röter. „Doch – aber ich – ich meine – er hat an meine rechte Hand nicht gepasst", stammelte sie unsicher und starrte in ihren Schoß. Petunia lachte verächtlich. „Ist deine Hand wirklich so dick, dass nicht einmal ein Ring daran passt?"

„Petunia", ermahnte sie Mr. Evans und wischte sich über die Stirn. „Sei netter zu deiner Schwester." Petunia machte ein Geräusch wie eine wütende Katze, dann verschränkte sie die Arme und schenkte ihrer Schwester einen giftigen Blick. „Wann nochmal wollte er kommen?", fragte Mrs. Evans und wechselte galant das Thema. „Morgen sollte er herflohen", sagte Lily etwas zu schnell und schloss dann die Augen. „Ich meine - "

„Flohen? Was soll das denn sein? Wieder so ein Freakzeug, das normale Menschen nicht verstehen?", fragte Petunia und schnaubte erneut. Lily warf ihr einen wütenden Blick zu. „Ja, ganz genau", fauchte sie zurück. „Das heißt, er wird durch den Kamin reisen. Das geht schneller und ist angenehmer."

Petunia zog ihre dünnen, blonden Augenbrauen nach oben, sagte aber nichts. Mrs. Evans seufzte leise und Linnea verdrehte die Augen, als sie Lilys Blick traf. Nach dem Abendessen verzog sich Lily kurzzeitig nach draußen. Noch war die Sonne nicht untergegangen und sie entschloss sich, einen kleinen Spaziergang zu unternehmen, um ein paar ruhige Minuten zu genießen. „Wohin des Weges?", fragte jemand hinter ihr und Lily drehte sich um. „Musst du dich eigentlich immer anschleichen?", fragte sie belustigt, als sie ihre Cousine erkannte, die in der Tür stand. „Und ich wollte spazieren gehen. Möchtest du mitkommen?"

„Ja und ja." Die beiden verließen den Garten der Familie Evans, an dessen Gartenzaun einige herzförmige, hellrosa Ballons angebracht waren, und traten auf die ruhige Hauptstraße. Einige wenige Einwohner der Stadt waren noch unterwegs, aber ansonsten waren sie alleine.

„Und jetzt noch mal ehrlich: Was ist das für ein Ring?", fragte Linnea, als sie an einer hell beleuchteten Bar vorbeigingen. „W-Was?", stammelte Lily nervös und mied den Blick ihrer Cousine.

„Also wirklich, hast du geglaubt, ich kauf dir das ab, dass deine rechte Hand zu dick ist? Bitte, sehe ich so doof aus?" Linnea grinste sie schelmisch an und Lilys Augen wurden groß. „Es – es ist nicht, wie du denkst, Lin, wirklich!", versuchte sie sich rauszureden. „Achso, na dann hast du bestimmt nichts dagegen, wenn du mir mal demonstrierst, dass der Ring wirklich nicht an deine rechte Hand passt." Das gewinnende Grinsen auf dem Gesicht von Lilys Cousine wich einem triumphierenden, als sie verzweifelt den Kopf hängen ließ. „Na, schön, du hast gewonnen", murmelte der Rotschopf.

„Aber du darfst es niemandem sagen, okay?" Linnea hielt sich eine Hand an die Brust. „Ehrenwort. Bei meiner Hexenehre!" Lily schüttelte den Kopf, dann wandte sie sich kurz nach hinten um, um eventuelle Zuhörer zu entdecken. „Okay. Es stimmt, den Ring habe ich von James bekommen, zum Geburtstag, aber, naja, aus einem anderen Grund, als meinen Geburtstag."

„Lily, ich habe nicht ewig Zeit", sagte Linnea. „Ja, ist ja gut. Ich – ich bin verlobt." Lilys Erwartung, dass ihre Cousine bei dieser Neuigkeit ausflippen oder wenigstens lauthals schreien würde, wurde enttäuscht. Stattdessen zog sie nur die Lippen zu einem Lächeln. „Ach, ist das so? Na dann, herzlichen Glückwünsch." Lily blickte sie kritisch von der Seite an. „Was ist?", fragte sie. „Das war irgendwie nicht das, was ich erwartet hatte, weißt du? Du solltest dich freuen, oder mich ausschimpfen, oder was weiß ich... mach was!"

„Ach, nimm's nicht so schwer, Lils. Es ist nur so – ich hab's irgendwie erwartet. Aber etwas Bestätigung schadet nie. Keine Sorge, sobald du es allen offiziell verkündest, werde ich auch komplett ausflippen und an die Decke springen, wie eine gute Freunde es tun sollte." Lily blinzelte dreimal, dann ließ sie ruckartig den Kopf sinken. „Manchmal werde ich echt nicht schlau aus dir", murmelte sie. „Ich nehme das einfach mal als Kompliment."

Linnea und Lily beobachteten, wie die Sonne sich langsam dem Horizont entgegen neigte und der Himmel eine sanfte Rotfärbung annahm. „An Abenden wie diesen ist es schwer zu glauben, dass nicht weit von hier irgendwelche Irren durch die Gegend rennen und Muggelgeborene umbringen", flüsterte Lily und blickte auf die zartrosa Wolken. „Ja, schon verrückt, nicht wahr. Alles sieht so friedlich aus, wenn man die Augen in den Himmel richtet." Lily fröstelte obwohl es ein warmer Abend war. In den letzten Tagen kam es zu immer mehr Überfällen und Anschlägen auf Muggelsiedlungen und Muggelgeborene. Die Todesser, die Anhänger des dunklen Lord Voldemorts, wurden immer aktiver und die Gefahr, die von ihnen ausging, immer realer und greifbarer. Es verging kaum ein Tag, an dem der Tagesprophet nicht von weiteren Toten, Verschwundenen oder Verletzten berichtete und Lily hatte immer mehr Angst, dass es irgendwann auch ihre Familie treffen würde. Dass sie eines Tages nach Hause kommen würde und das dunkle Mal würde über ihrem Haus schweben. Diesen Anblick wollte sie auf keinen Fall erleben.

„Lass uns zurück gehen", sagte sie mit leicht zitternder Stimme und wandte sich auf dem Absatz um. „Ja..."

Flackernd ging eine Straßenlaterne an und erhellte den mittlerweile dunklen Bürgersteig, während die beiden jungen Frauen schweigend nebeneinander gingen. Eine sanfte Abendbrise umwehte sie und zerzauste ihnen die Haare. „Lily?", fragte Linnea leise und starrte weiterhin gerade aus. „Ja?", erwiderte sie, ebenso leise wie ihre Cousine. „Liebst du James?"

„Was? Ja, natürlich! Warum fragst du das?" Linnea lächelte sachte. „Ich weiß auch nicht. Irgendwie wollte ich mich nur vergewissern. Immerhin willst du ihn heiraten und so, da wollte ich wahrscheinlich einfach nur sicher gehen..."

„Mach dir keine Gedanken darum, Lin. Ich liebe James wirklich über alles. Ich hätte es mir nie denken können, dass er ausgerechnet er derjenige ist, über den ich das mal sage. Aber er ist wie das Licht in meinem Leben, weißt du. Auch wenn es total kitschig und wie aus einem Liebesroman klingt, ich liebe ihn wirklich mehr als mein Leben. Er ist alles, was ich brauche."

„Okay...das ist schön zu hören, Lils. Wirst du...wirst du mich zu deiner Hochzeit einladen?", fragte sie dann etwas schüchtern und warf Lily einen zaghaften Blick zu. „Aber sicher! Was sollte ich denn sonst ohne meine Trauzeugin machen!" Linnea öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie schloss ihn wieder. Erst beim zweiten Anlauf schaffte sie es. „Ich – ich soll – was?"

„Ja, was denkst du denn? Dass ich Petunia zu meiner Trauzeugin mache, nachdem sie mich so behandelt hat? Nein, ich bin endgültig fertig mit ihr. Sie ist zwar immer noch meine Schwester, aber ich habe es wirklich nicht nötig, ihr hinterher zu kriechen und ihre Sticheleien zu überhören. Das habe ich lange genug getan." Lily lächelte, als sie das Gesicht ihrer Cousine sah. „Mach dir keine Sorgen. Ich liebe Tunia, wirklich, aber sie ist einfach nur ein schrecklicher Mensch. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob ich sie bei meiner Hochzeit dabei haben will, geschweige denn, ob sie überhaupt kommen würde. Immerhin bin ich doch ein Freak." Sie grinste schief und auch auf Linneas Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab. „Ja, da hast du wohl recht."


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