12. Familienbande


Applaus ertönte und die Gäste auf Petunias und Vernons Hochzeit setzten sich alle auf die hübsch aneinander gereihten, weißen Stühle, die mit violetten Bändern geschmückt waren. Lily ließ sich weniger elegant wie ihre Schwester fallen und stöhnte dann auf. „Diese Schuhe bringen mich um", raunte sie Ellie zu, die sie verstohlen angrinste. „Warum habe ich mich überreden lassen, diese Monster anzuziehen?" Lily griff mit ihrer rechten Hand nach unten und massierte ihren Knöchel.

„Nur noch sechs Stunden, das hältst du schon aus. James kann dich ja dann ins Haus tragen", murmelte Ellie leise und nahm einen Schluck aus dem Weinglas. Lily verzog das Gesicht. „Das hoffe ich doch Jedoch bezweifle ich das, bei den Mengen Alkohol die hier stehen. Er ist schon in Hogwarts nicht gerade zimperlich damit umgegangen." Ellie kicherte leise. „Ah, da hast du wohl Recht, aber seit du ihn im Griff hast, hat er doch kaum einen Tropfen angerührt. Vielleicht hat er Angst, du verlässt ihn wieder."

Lilys Blick huschte zur anderen Seite des kreisrunden Tisches, an dem James neben ihrem Vater saß, und ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Nein, so schnell wird das nicht passieren", murmelte sie und nahm die Servierte zur Hand, die irgendjemand, Lily vermutete die Kellner, in eine Schwanenform gefaltet hatte. „Aber genug von mir - ", fing sie an und wandte sich wieder ihrer besten Freundin zu. „ – ich kann es kaum noch erwarten, dass der Sommer endet!" Ein breites Grinsen gesellte sich auf Ellies Gesicht. „Das kannst du laut sagen! Ich kann es gar nicht fassen, dass wir tatsächlich beide angenommen wurden. Das ist wie in einem Traum oder in einem schönen Buch. Als würde endlich einmal alles gut gehen."

Lily lächelte und hob ebenfalls ihr Weinglas an. „Darauf stoßen wir an!" Mit einem leisen Klirren berührten sich ihre Gläser und die beiden Frauen genehmigten sich einen Schluck daraus. „Ich bin so froh, dass du hier sein kannst", sagte Lily. „Es ist schon irgendwie zu nett von Petunia, dass sie es zugelassen hat. Aber naja - " Sie verzog das Gesicht. „ – dafür habe ich auch die ganzen Sommerferien vor unserem siebten Jahr den kompletten Haushalt alleine gemacht, während sie sich mit ihren Freundinnen die Nägel machen konnte und hässliche Kleider shoppen waren. Das war es wert, denke ich." Ellie lächelte. „Das denke ich auch. Immerhin war mein Brautgeschenk wirklich teuer."

„Oh richtig, die Geschenke. Das erinnert mich an diese dämlichen Tüten, die ich machen musste." Ellie hob eine Augenbraue. „Welche Tüten?"

„Ah, solche komischen Geschenkbeutel, die jeder am Ende der Party bekommt, mit irgendwelcher teuren Schokolade drin und außerdem einer Karte zur Erinnerung, dass die beiden geheiratet haben. Nicht, dass man es irgendwie vergessen könnte", murmelte sie und warf einen Blick zum größten und prunkvollsten Tisch, an dem nur Petunia und Vernon saßen. „Wann gibt es denn endlich was zu essen, ich verhungere noch." Ellie lachte. „Das hätte ich eher von James erwartet, aber nicht von dir, Lily. Hat er etwa einen schlechten Einfluss auf dich?"

„Natürlich hat er das, was hast du denn gedacht?" James Augen huschten einen Moment zu den beiden und sie verstummten. Seine Augenbrauen hoben sich argwöhnisch, doch als Lily ihn einfach nur anlächelte, wandte er sich wieder seinem Gespräch mit Mr. Evans zu.

Just in diesem Moment erhoben sich Vernon und Petunia, während er ein klobiges Mikrophon in seiner dicken Hand hielt. „Chrm, Chrm – danke, dass ihr alle erschienen seid", fing er an, wobei das Mikrophon einen lauten Quietschton von sich gab. „Es freut uns beide wirklich, dass so viele Menschen sich für unser Glück freuen können und mit uns feiern wollen. Deswegen wollen wir euch nur noch einmal Danke sagen und dass das Buffet nun eröffnet ist!"

Erneut ertönte Applaus und Stühle wurden schnell gerückt, als alle wie die hungrigen Geier auf das Essen stürmten. Lily sah Großmutter Marigold und Vernons Schwester Marge ganz vorne in der Reihe stehen und musste sich das Grinsen verkneifen, als sie sah, wie diese beiden Frauen sich doch ähnlicher waren, als es den Anschein hatte. „Lass uns noch kurz warten", sagte Ellie. „Ich will da vorne nicht zerquetscht werden wie deine arme Cousine."

Tatsächlich konnte Lily nun auch Lin entdecken, die zwischen Vernons Bruder Harold und einer alten Dame eingeklemmt war und wohl schon nach Luft ringen musste. Lily grinste, als ihr hilfloser Blick sie streifte.

Wie zu erwarten war, war das Buffet bereits nach kurzer Zeit beinahe leer. Und auch der Nachschub, den Vernon bereits bestellt hatte, war nach wenigen Minuten leer gefuttert. Doch auch dies konnte Lily nur positiv sehen, denn das hieß, dass sie einen Teil der Party schon überstanden hatten.

„Es ist schade, dass Remus nicht mitkommen konnte", sagte Lily, als sie ihre Schwester und ihren neuen Ehemann dabei beobachtete, wie sie den ersten Tanz des Abends aufführten. „Du hast gar keinen Tanzpartner." Ellie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Seit wann tanze ich denn so gerne? Außerdem leihe ich mir James aus, du hast doch sicherlich nichts dagegen, oder?" Lily grinste gequält. „Nein, mit diesen Schuhen bekommt mich niemand auf die Tanzfläche." Sie deutete auf die hohen Absätze, die Petunia ihr angedreht hatte. Ellie beugte sich an sie heran. „Aber du hast – ein Paar Ersatzschuhe dabei, nicht wahr?", flüsterte sie leise und deutete kaum merklich auf ihren Zauberstab, den sie an der Innenseite ihres Kleides befestigt hatte. „Nein, ich – oh! Du bist ein Genie, Ellie!"

„Das höre ich viel zu selten", sagte sie und stand auf. „Und wenn du mich nun entschuldigen würdest. Dein Freund hat mir einen Tanz versprochen." Lily grinste, als sie beobachtete, wie Ellie James auf die Tanzfläche zerrte. „Lily, wo gehst du hin?", fragte Mrs. Evans, die gerade mit Mr. Evans aufgestanden war. „Nur kurz auf die Toilette. Keine Sorge, ich hau nicht einfach ab", sagte sie lachend, als Mrs. Evans die Augenbrauen besorgt nach oben zog. „Ach, weißt du, Schatz, ich könnte es dir nicht einmal verübeln. Dieser Tag war wirklich anstrengend."

„Allerdings", murmelte Lily und drängte sich an Großmutter Marigold vorbei, die mit Marge an einem Tisch saß und wohl gerade über irgendjemanden lästerte. Einen langen Flur später, stand Lily in einem hellen, mit Goldornamenten an den Wänden, Badezimmer. Eine weitere Tür führte zu einer Klokabine und ein hübsches Waschbecken war an der Wand unter einem großen Spiegel mit goldenen Rändern angebracht. „Wie ich es mir gedacht hatte, nur das Beste", murmelte sie und prüfte, ob sie alleine war. Dann holte Lily ihren Zauberstab aus dem Kleid und zielte damit auf ihre Monsterschuhe. Mit einem kleinen Schwung verwandelten sich die hohen Absätze zu flachen Schuhen und erleichtert atmete sie auf, als sie endlich ihren großen Zeh wieder spüren konnte. „Schon besser."

Als sie zehn Minuten später – Lily hatte es sich nicht nehmen lassen, ein bisschen Zeit zu vertrödeln – wieder in den schwach beleuchteten Saal trat, wurde sie beinahe von Lin umgerannt. „Wow, vorsichtig!", rief sie aus und packte ihre Cousine an der Schulter. „Oh, 'tschuldige, Lily." Linnea strich sich durch die schwarzen Haare, die Mrs. Evans in eine komplizierte Hochsteckfrisur gesteckt hatte, und seufzte dann. „Wer hätte gedacht, dass eine Muggelhochzeit so anstrengend sein könnte." Lily nickte verstehend. „Ja, Petunia kann einem schon den ganzen Spaß an so einer Party verderben, in dem sie einfach nur anwesend ist."

„Nein, das meinte ich gar nicht", sagte Lin. „Ich meinte wirklich, dass eine Muggelhochzeit hundertmal anstrengender ist, als eine von Zauberern."

„Wann warst du denn auf einer Zaubererhochzeit?", fragte Lily neugierig und setzte sich auf einen nahen Stuhl. „Ach, der Bruder einer meiner Freundinnen hat letztes Jahr geheiratet und er war mit uns auch in der Schule, also war ich eingeladen und – naja, es war alles viel einfacher, viel netter und viel – viel – eben nichts so anstrengend!"

„Wirklich?", fragte Lily belustigt. „Was war eine Muggelhochzeit noch mal, ich habe da etwas nicht mitbekommen." Linnea schenkte ihr ein freudloses Lachen. „Wie lange müssen wir das noch aushalten?", fragte sie hoffnungsvoll.

„Ähm - " Lily blickte auf eine Uhr, die an der großen Wand hin. „ – noch ungefähr drei Stunden, dann ist es nicht unhöflich, zu gehen." Lin seufzte und ließ sich neben Lily fallen. „Das halte ich nicht aus. Meinst du es fällt auf, wenn ich nach Hause appariere und dort für die nächsten drei Stunden bleibe?" Lily lachte. „Ja, ich fürchte schon. Petunia würde ihre Trauzeugin sicherlich vermissen", fügte sie leise hinzu.

„Du solltest froh sein, dass du es nicht warst", sagte Lin und legte ihr eine Hand auf den Arm. „Deine Schwester hat mich beinahe in den Wahnsinn getrieben. Sie musste alle dreißig Sekunden fragen, ob ich noch die Ringe hätte und hat mir beinahe die Haare ausgerissen, weil mir eine Strähne in den Nacken gefallen war."

„Ich weiß ja", murmelte Lily, auch wenn es im lauten Klang der Musik unterging. „Aber sie ist nun mal meine Schwester."

„Quatsch", sagte Linnea laut. „Du brauchst sie nicht. Du hast doch mich und James und deine Freundinnen. Du brauchst jemanden wie Petunia nicht. Sie hat doch gar nicht verdient, glaub mir." Lily lächelte schwach. „Danke. Ich geh mal nach James sehen. Vielleicht hat Ellie ihn ja ganz gelassen."

„Okay. Wir sehen uns später noch." Linnea erhob sich ebenfalls und sie gingen wieder getrennte Wege. Lily entdeckte Ellie und James an ihrem Tisch. „Darf ich jetzt?", fragte sie an Ellie gewandt, die sie schief angrinste. „Klar, nimm nur." James wollte schon protestieren, doch da hatte Lily ihn schon auf die Tanzfläche gezerrt und seine Hand an ihre Hüfte gelegt. „Nur ein Tanz, bitte", flüsterte sie ihm ins Ohr und sie spürte, wie seine verkrampfte Hand sich entspannte. „Schon. Bei dir weiß ich wenigstens, dass du besser tanzen kannst."

„So schlimm?", fragte sie amüsiert. James verzog das Gesicht, als er sie anblickte. „Ich kann meine Zehen nicht mehr spüren." Lily lachte leise und legte ihren Kopf dann an seinen Oberkörper. „Ich muss Ellie das wohl noch beibringen", murmelte sie mit geschlossenen Augen, während sie sich langsam von ihm führen ließ. Sie spürte seinen Brustkorb vibrieren, als er ebenfalls lachte.

„Findest du es nicht irgendwie komisch?", fragte er nach einiger Zeit. „Was denn?"

„Naja, deine Schwester zieht morgen Abend weg und ihr habt euch immer noch nicht ausgesprochen. Vielleicht siehst du sie kaum noch, wenn sie erstmal weg ist." Lily öffnete die Augen und schwieg. Daran hatte sie bereits gedacht. Wenn Petunia ausgezogen war, dann würde sie ihre Schwester kaum noch zu Gesicht bekommen. Vielleicht an Feiertagen oder an besonders Anlässen, aber ab diesem Tag war ihre Schwester keine Evans mehr. Irgendwie fühlte es sich an, als hätte sie einen Teil ihrer Familie verloren.

„Das wird schon", murmelte sie und atmete seinen Duft ein. „Vielleicht kann ich sie ja besuchen gehen, wenn du und Sirius unterwegs seid." James nickte langsam. „Ja, vielleicht."

Als Lily sich am Abend in ihr Bett legte und dem leisen Atmen von James lauschte, der neben ihr bereits schlief, schlich sich ihr ein Gedanke in den Kopf, den sie immer wieder verdrängt hatte. Jetzt, da ihre Schwester verheiratet war, hatte sie sie vielleicht für immer verloren.

Denn keine knarrende Tür wurde an diesem Abend gegenüber zugeschlagen. Petunia war nicht im Evans-Haus. Und ihre Gedanken galten sicherlich nicht ihrer Schwester, die sich gerade die aufkommenden Tränen wegwischen musste.

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