sᴜɪᴄɪᴅᴇ

Taehyung Pov.

Ich wusste nicht einmal, was genau gerade passierte. Alles, was ich spürte, war Jungkooks Wärme. Er hatte seine Arme um mich gelegt und ich fühlte mich das erste Mal seit Langem getröstet. Ich versuchte gar nicht erst, die Tränen, die unaufhaltsam über mein Gesicht liefen, zu stoppen. Jungkook war der Erste, der es herausgefunden hatte und ich war mir so sicher gewesen, dass er mich hassen würde, wenn er davon erfuhr. Aber wenn er mich wirklich hassen würde, würde er mich doch nicht trösten, oder? Und er hatte gesagt, dass ich wunderschön sei. Das Erschreckende dabei war, dass es so ehrlich geklungen hatte.

Irgendwann hörte ich auf zu weinen und löste mich aus Jungkooks Umarmung. Ich wischte mir mit dem Ärmel übers Gesicht und atmete tief durch. Keiner hatte mich je zuvor so schwach gesehen. Ich schämte mich. "Tut mir leid", flüsterte ich mit hängendem Kopf. Ich konnte ihn nicht ansehen. Er musste mich für einen Schwächling, einen Loser und ein Opfer halten. Und genau das war ich ja auch. "Taehyung", kam es von dem Dunkelhaarigen. "Hm?" "Sieh mich bitte an", bat er und ich hob, auch wenn es mich große Überwindung kostete, den Blick und sah direkt in seine ernsten, dunklen Augen. "Taehyung, hör auf, dich zu entschuldigen. Mir tut es leid, dass ich es nicht gleich bemerkt habe. Aber du hast nichts falsch gemacht. Du- ", er brach ab und fuhr sich mit der Hand überfordert durch die Haare. "Ich will dir helfen, ja?" Ich nickte und schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Tief in meinem Inneren spürte ich, dass er es Ernst meinte. Und das verwunderte mich, doch zugleich schöpfte ich zum ersten Mal seit langem einen Funken Hoffnung.

Jungkook blieb noch eine Weile bei mir und ich begann mich zu beruhigen. Es war mir zwar immer noch unangenehm, dass er von meiner Essstörung wusste, doch die Art, wie er damit umging, spendete mir Zuversicht. Jedoch gab es da eine Frage, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte, und die lautete: Warum? Warum lag ihm etwas an mir? Warum wollte er mir helfen? Ich war es nicht wert. Vielleicht sollte ich, um ihn nicht zu belasten, einfach wieder ausziehen. Er sollte seine Zeit nicht mit jemandem wie mir vergeuden. Allerdings wurde mir immer mehr klar, dass ich ihn brauchte. Obwohl ich ihn erst so kurze Zeit kannte, war er für mich bereits zu einem Anker im Leben geworden. Allein schon, dass er es bemerkt hatte. Hoseok war es nie aufgefallen. Jungkook hatte bereits nach vier Tagen Verdacht geschöpft. Warum kümmerte er sich so um mich?

"Jungkook?", erhob ich meine Stimme nach einiger Zeit. Er schaute mich fragend an. "Danke", sagte ich leise und lächelte ihn an. So ehrlich hatte ich schon lange nicht mehr gelächelt. Und auch, wenn in diesem Lächeln Trauer mitschwang, er hatte es geschafft, mich zum Lächeln zu bringen und dafür würde ich ihm auf ewig dankbar sein.

Für eine Weile verharrten wir noch auf dem Fußboden in der Kabine, bis wir uns schließlich dazu aufraffen konnten, zu gehen. Von Jungkook hatte ich die Anweisung bekommen einfach aus dem Restaurant zu gehen. Er würde derweil zu seinem Vater gehen und unsere Sachen holen. Ganz wohl war mir bei dem Gedanken, jetzt einfach seinen Vater hier sitzen zu lassen nicht, denn immerhin entschied er darüber, ob wir in diesem Apartment wohnen durften.

Draußen gab mir der Jüngere meine Jacke. "Ich werde uns ein Taxi rufen." Somit zog er sein Handy aus der Hosentasche. Ich ließ derweil meinen Blick über die Straße fliegen. Da war wieder diese flackernde Laterne, der Junge von vorhin war jedoch weg. Dieses Bild hatte sich so in meinen Kopf gebrannt, dass ich mir schwor es zu Hause zu skizzieren. Es sah so friedlich aus. Aber gleichzeitig brachte dieses zitternde Licht Unruhe. Ich wendete meinen Blick ab und sah zu Jungkook, welcher nach dem Telefonat meinem Blick gefolgt war.

Bevor er jedoch etwas sagen konnte, meldete ich mich zu Wort.

"Was ist das eigentlich zwischen deinem Vater und dir? Was hat er dir getan, dass du ihn so gar nicht an dich heranlässt? Ich möchte dir nicht zu nahe treten Jungkook, aber ich wäre froh, wenn mein Vater mich sehen wollen würde."

Der Braunhaarige sieht mich an. "Er ist ein Arschloch. Meine gesamte Kindheit ging es nur darum das vorzeige Kind zu sein. Ich habe Taekwondo gemacht, hatte trotz guter Noten Nachhilfe, jeden Nachmittag Klavier Unterricht....Rate mal, wie oft ich mich mit Freunden treffen durfte? Ach ne, warte. Rate mal, wie viel Freunde ich überhaupt hatte?

Wenn es nach ihm geht, ist jeder andere Mensch ein schlechter Umgang für mich. Und wenn ich mal jemanden kennenlerne, vergrauelt er alle. Heute war es genauso. Wer sich von seinem Geld ernährt, ist ihm sowas von egal. Es geht ihm immer nur um mich. Klar, ist es keine schöne Methode, seinem Vater klar zu machen, dass er sich aus meinem Leben raushalten soll. Aber anders versteht er es nicht. Ich werde mir auch bald einen Job suchen. Ich will unabhängig werden. Und wenn ich in einem Kiosk arbeite, ist mir das sowas von egal. Hauptsache er merkt, dass ich mein eigenes Leben führen will."

Stumm nehme ich seine Antwort mit einem Nicken zur Kenntnis. 

Wenige Minuten später kommt auch schon das Taxi und wir steigen ein. Die gesamte Fahrt herrscht Stille. Jeder ist in seinen eigenen Gedanken. Verträumt lege ich meinen Kopf zurück und sehe nach draußen. Die Häuser und Menschen ziehen an uns vorbei. Durch die ganze Beleuchtung in der Stadt, sieht man am Himmel keinen einzigen Stern. Immer wieder lasse ich den Abend Revue passieren und kann mich nicht entscheiden, ob er gut oder schlecht war.

Wir befahren die Hangang-Brücke. Nicht selten kommt es vor, dass sich hier Leute ihr Leben nehmen. Auch ich, stand schon mal an diesem Geländer, habe mich aber denn doch dazu entschlossen, daraus einen Abendspaziergang zu machen. Das war, nachdem ich bei meinen Eltern rausgeflogen bin. Wenn ich Hoseok nicht gehabt hätte....

Plötzlich bremst der Taxifahrer. Uns versperrte ein Polizeiwagen den Weg. Das blaue Licht blendete mich und nur mit viel Anstrengung konnte ich erkennen, dass am Geländer eine Person saß. Mit einer Hand wurde sie am Geländer durch eine Handschelle festgehalten. Wahrscheinlich wollte sich diese Person auch gerade von seinem Leiden erlösen.

Sein Kopf hing leblos nach unten und mit der Kapuze auf seinem Kopf erinnerte er mich an den Jungen, welcher vorher an der Laterne stand. Auch dieses Bild beschloss ich aufzuzeichnen.

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