Pain: Stay away from my soul
Es war der jungen Frau anzusehen, dass sie am liebsten woanders wäre. Sie drängte sich gegen die Hausmauer und starrte einfach geradeaus, ohne das Gegenüberliegende wirklich zu betrachten. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie dazu noch nicht bereit war. Sie hatte wirklich gedacht, sie wäre soweit und könnte sich ihm endlich gegenüberstellen, aber die Angst vor einer Abweisung war noch immer zu groß. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie war bis hierhergekommen und sie würde Chris sehen, ob es ihr gerade jetzt gefiel oder nicht. Sie schämte sich für ihre Angst, aber zu kontrollieren wusste sie diese nicht. Offenbar musste sie einfach das Risiko eingehen, verletzt zu werden, denn etwas Anderes kam weder in Frage, noch stand es ihr zu.
„Casey?" Eine Stimme riss sie aus ihrer Gedankenwelt. Die Genannte blickte überrascht und betroffen zugleich zu dem Mann neben ihr, der vor dem Tor stand und ihre Aufmerksamkeit eingefangen hatte. Er wirkte verwirrt, überrumpelt und ja, sie konnte sogar einen Hauch von Fassungslosigkeit erkennen. Casey sah direkt in seine Augen, einer Mischung aus Blau und Grün, die für sie schon immer eine ganz besondere Bedeutung gehabt hatten und fühlte ein Zucken in ihrer Brust. Es war nicht, was sie damit befand, weshalb sie so reagierte, sondern der Blick, den sie darin aufgefangen hatte: Sehnsucht. Die junge Frau spürte, dass sie in diesem Augenblick viel zu viel wahrnahm, als sie zu verkraften hatte. Irgendwie hatte ein Teil in ihrem Innersten darauf Anspruch genommen, dass er sie abweisend behandeln und fortschicken würde und besagter Teil bohrte sich nun in den Vordergrund und verlangte um sein Recht. Aber alles, was Casey tat war einfach nur an Ort und Stelle zu bleiben, ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.
„Chris, ich..." Die Stimme der jungen Frau gab nach und sie schluckte, versuchte sich zum Reden zu zwingen, aber in ihrem Kopf tobte ein innerer Kampf, ein elendes Chaos. So vieles wollte sie loswerden, genau jetzt und zu keiner anderen Zeit, aber nichts ging ihr über die Lippen.
„Willst du nicht erstmal reinkommen?" Seine Stimme unterbrach sie, forderte sie dazu auf sich nicht länger mit sich selbst zu beschäftigen, sondern ganz und gar auf das zu konzentrieren, was gerade hier vor ihrer Nase geschah. „Komm, draußen wird es auch nicht gemütlicher." Damit hatte der Herr auch recht. Der Herbst zog durchs Land und je mehr die Tage zur Neige gingen, desto kälter wurden die Nächte. Bereits jetzt gingen schon leichte Winde durch die kleine Seitenstraße. Vermutlich würden sie sich noch verkühlen, würden sie die ganze Zeit über draußen stehen und versuchen miteinander zu reden.
Chris öffnete das Tor und gewährte ihr als Erste Einlass, folgte ihr darauf hin und holte die Schlüssel aus seiner Hosentasche, um die Haustür aufzuschließen.
„Sorry für das Chaos, aber na ja... du kennst mich ja.", schien sich der Herr zu entschuldigen und kratzte sich ein wenig am Hinterkopf. Casey sah, dass er seine Nervosität versuchte zu überspielen, aber wie er eben selbst es schon gesagt hatte: Sie kannte ihn. Sie brauchte es nicht erst zu ergründen um zu sehen, dass ihn die Situation ein wenig überforderte und ihre Gegenwart ihm offenbar Nerven kostete. Was sie allerdings nicht herausfiltern konnte, ob es zu ihrem Vor- oder Nachteil war, denn in seinen Kopf schauen, dies konnte die junge Frau nun wirklich nicht.
Als Casey durch den kleinen Eingangsflur ins Innere trat, was Wohnzimmer und das Herz des Tonstudios zugleich war und demnach auch als Aufenthaltsort funktionierte, erkannte sie, dass sich rein gar nichts verändert hatte. Jedes Möbelstück war noch immer an jener Stelle, wie sie es zuletzt noch in Erinnerung hatte und sein angemerktes Chaos war im Grunde nichts anderes, als der normale Umstand. Aber dies war gerade Nebensache, auch wenn es natürlich über Chris und die letzten Jahre verriet. Wer einen Neuanfang beginnen wollte, oder zumindest versuchte sein Leben zu sortieren, schaffte Ordnung in seinem Lebensumfeld, keimte die Erinnerungen an alte Zeiten aus, indem das Mobiliar ausgetauscht, oder einfach nur eine neue Anordnung von allem geschaffen wurde. Automatisch musste sich die junge Frau die Frage stellen, was er in den Jahren ohne sie gemacht hatte, wie er sein Privatleben strukturiert hatte und natürlich auch, wie er den Verlust ihrer Anwesenheit vertrug.
„Setz dich. Ich muss nur eben was erledigen. Willst du was trinken oder so?", hörte sie ihn hinter sich und wahrlich, es war nicht einfach für sie seine so deutlich spürbare Nähe zu ertragen. Einerseits schmerzte es sie, weil sie sich ihm gegenüber schuldig fühlte, doch natürlich zerrte es auch an ihr, denn die Sehnsucht zu ihm drückte ihr die Kehle zu.
„Nein, alles gut. Danke..." Casey nahm auf der Couch Platz und sah dem Herrn hinterher, wie er aus der Haustür trat und damit verschwand. Seufzend beugte sich die junge Frau, stützte ihre Arme auf ihren Knien ab und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Vieles ging ihr gerade durch den Kopf, überforderte sie und machte sie fertig. Sie fühlte sich mit den Nerven am Ende, obwohl sie noch nicht einmal zum Reden gekommen war. Seine viel zu freundliche und aufmerksame Art war der Grund, denn sie fühlte dies nicht verdient zu haben. Es wäre doch so viel leichter, hätte er sie einfach verscheucht, dann wüsste sie zumindest, wo der Stand der Dinge war. Aber jetzt konnte die junge Frau sich einfach nur durch ein Raterätsel quälen und darin untergehen.
Natürlich stellte sich Casey die Frage, wohin er war. Er hatte nichts Konkretes genannt und auch das Haus verlassen. Und weil sie noch immer hier war, würde er bestimmt nicht lange fortbleiben. Da fiel der jungen Frau ein und es war wie ein Geistesblitz, dass er ja das Gebäude verlassen hatte, bevor er auf sie aufmerksam geworden war. Also hatte er auch wirklich etwas vorgehabt, nur konnte sie nicht ergründen, was dies hätte sein können.
Langsam hob Casey ihren Kopf an, ließ ihren Blick durch den Raum gleiten und als sie den Schreibtisch überflog, fing etwas Glänzendes ihre Aufmerksamkeit ein. Sie runzelte leicht die Stirn, stand langsam auf und ging um den kleinen Beistelltisch vor der Couch herum, trat ganz langsam, beinahe vorsichtig an den Schreibtisch heran. Auf der Ablage lag, was sie aufgefangen hatte und als sie es erkannte, erfror sie in ihrer Haltung und ging wie ein Geistesblitz durch sie hindurch.
Erst als sie sich aus dieser Starre lösen konnte, streckte sie ihre Finger aus, die leicht zitterten, wie sie selbst am ganzen Körper. Sie erfühlte das wunderschöne glänzende Etwas in Form einer silbernen Kette, an dessen Anhänger sich eine feinst ausgearbeitete Rose befand. Tränen schossen ihr in die Augen und die Pein in ihrer Brust ließ sie leicht schmerzhaft aufstöhnen. Sie könnte ihre verwundete Seele spüren, wie es sich an der Erinnerung festhielt, die sie mit diesem Schmuckstück verband, als sie mit ihrem Daumen über die silberne Rose strich, ihre Konturen entlangwanderte.
Ihre Sicht verschleierte, weshalb Casey ihre Augen schloss und leise durchatmete. Da war es wieder, dieses Gespür, wenn er sich in ihrer Nähe aufhielt. Der ganze Raum nahm seine Wahrnehmung auf, dafür brauchte sie ihn nicht anzusehen. Sie konnte seinen Blick auf ihr ruhend in jeder Pore spüren.
„Du hast sie behalten, in all den Jahren?", fragte die junge Frau und ließ von der Kette ab, steckte ihre Hand wieder weg.
„Ich konnte sie nicht wegschmeißen." Es war aus seiner Stimme herauszuhören, wie schwer es ihm fiel diese Worte auszusprechen. Diese Kette bedeutete ihm genauso viel, wie sie noch immer empfand, wenn nicht gar nicht mehr. Es tröstete sie beinahe, dass er eine Erinnerung wie diese von ihr behalten hatte, obwohl er dies hätte sie tun müssen.
„Obwohl sie dich an mich erinnert?" Ja, Casey wollte wissen, wie er dazu stand. Jetzt, wo sie die Kette, einst von ihm als Geschenk gefunden hatte, auf seinen Arbeitstisch liegend, wo er Tag für Tag mehrere Stunden dran saß wollte sie verdammt noch einmal wissen, wie es um sie stand.
Als sie ihre Augen wieder öffnete, stand Chris bereits nahe neben ihr und richtete seinen Blick noch immer auf sie, darauf wartend, dass sie seinen erwidern würde.
„Ich habe dich nie vergessen können, Casey."
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Diese reinst fiktive Vorstellung aus Reaktionen habe ich mir erlaubt, selbst als Entscheidung einzubinden. Das die Realität natürlich nicht immer so verläuft ist mir bewusst, soll aber keine Anteilnahme an dieser Story haben.
Zudem dient der kleine Cliffhanger am Ende dazu, abzuwarten und sich zu verinnerlichen, wie man selbst wohl in solch einer Situation reagieren würde - unabhängig davon, welche Position man dabei einnimmt.
Ich würde mich über ein paar Reviews freuen!
Habt Dank, Jezebel
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