Die Variantenreiche
Unbekanntes Italien mit 1aivlissedol2
(Achtung: Meine heutige Partnerin hat einen neuen Nutzernamen. Ihr findet sie nun unter Sia_Ley. Das Interview stammt noch aus der Zeit mit ihrem alten Namen; Anmerkung)
Die meisten Menschen kennen an der Adriaküste Italiens Rimini, dann vielleicht noch Ancona und Bari. Dass es dazwischen viele kleine, hübsche Orte, zahlreiche Panoramastraßen mit atemberaubender Aussicht, Nationalparks und Seen gibt, ist hingegen wenig bekannt. Die Region 'Marken' bietet für alle Besucher etwas: Gebirgsrouten, Wanderwege, interessante Städte, historische Orte und Sandstrände. Unmittelbar der Küste folgend, reise ich mit der Eisenbahn von Ancona in Richtung Süden. Das wollte ich immer schon einmal machen, weil die Geleise teilweise direkt am Wasser verlaufen.
Das Adriatische Meer glitzert und funkelt dunkelblau im Sonnenlicht, der Zug ruckelt gemächlich dahin und hält in jeder Ortschaft an. Es sind viele Ortschaften; das habe ich schon mit dem Auto erlebt - die Adriaküste ist dicht besiedelt. In Grottammare verlasse ich den Zug, schreite durch das niedliche Bahnhofsgebäude auf den Vorplatz. Ein Minikreisverkehr mit einer riesigen Palme drauf ziert die Mitte, die umliegenden Häuser sind alle gelb oder orange, sechs Stockwerke hoch, irgendwie nicht freundlich. Die hübsche Strandpromenade befindet sich auf der anderen Seite der Geleise - das ist die Kehrseite der Bahnstrecke - die Dörfer werden zweigeteilt.
So stehe ich vor dem Bahnhof und warte; ein kleiner Fiat zischt um die Palme und stoppt unmittelbar vor mir. Zwei blaue Augen strahlen mich an, umrahmt von dunkelblonden Locken und einem herzerwärmenden Lachen. Die Fahrerin steigt aus, kommt auf mich zu. Der Fiat bleibt auf der Straße stehen, zwei Ladies umarmen sich als wären sie Schwestern, 1aivlissedol2 und ich. "Hi Sia! Endlich treffen wir uns."
"Einen Moment, bitte - ich parke nur schnell dort drüben." - und weg ist Sia. Wenige Minuten später bummeln wir durch die quirlige Fußgängerzone, die deutlich freundlicher wirkt als der Bahnhofplatz. Es ist Mitte Nachmittag, die Geschäfte haben gerade wieder geöffnet. Der Lungomare ist auf einem langen Stück autofrei.
Über uns thront die malerische, mittelalterliche Altstadt, doch da hinaufzusteigen ersparen wir uns bei der Hitze. Lieber lassen wir uns in einem Café nieder, mit Blick aufs Meer. Ja, wenn wir das Meer sehen würden! Sonnenschirme und Liegen, zu 90 Prozent unbenutzt, versperren leider den Blick.
„Es gibt hier zwar einige freie Strände, die auch wir nutzen, wenn wir ans Meer gehen, aber im Grunde ist die Adria zum größten Teil unsichtbar geworden. Das ist etwas, das ich nicht verstehen kann. Dass man diese Sonnenschrirmwüsten monatelang dastehen hat, für einen Monat, den August, in dem sie angeblich ausgebucht sind", beschwert sich Sia.
Nach Cappuccino und Brioche – die Italiener haben es nicht mit Kuchen, überall bekommt man nur diese pappigen Hörnchen, die ihr Mann liebt und sie hasst – schlendern wir zum Auto zurück und ich liefere mich ihren Fahrkünsten aus.
Die Gemeindeverbindungsstraße zeigt noch immer Spuren der Verschlammungen, als es ganze Felder auf die Fahrbahn gespült hatte. Sia erklärt mir, sie hätten immer Glück gehabt, waren jeweils vor einem Gewitter oder einem Starkregen zu Hause gewesen. Der Frühling war in dieser Region deutlich zu nass.
Dann zweigt die mit Schlaglöchern übersäte Straße ab und schlängelt sich um einige Hügel. Nach jeder Kurve bietet sich uns ein unvergleichlicher Blick. Ich hänge am Haltegriff.
„Ist gut für die Bandscheiben! Da hüpft alles wieder dahin, wo es hingehört!" sagt Sia lachend.
Wir fahren zwischen Sonnenblumenfeldern, Weinbergen, Weizenfeldern, die gerade abgeerntet werden, hindurch.
Schließlich haben wir das Ferienhaus erreicht. Es thront auf einem der vielen Hügel mit einem 360 Grad Panoramablick.
Es ist noch heiß, wir bleiben im Garten unter der majestätischen Thuje. Vor uns das beeindruckende Panorama des Gran Sasso und der sibillinischen Berge. Um uns herum die Hügel der Marken, auf beinahe jedem thront ein mittelalterliches Städtchen.
„In diesen Blick haben wir uns letztes Jahr verliebt, da haben wir den Plan gefasst, längere Zeit hier zu verbringen!", erklärt Sia, und ich verstehe das absolut. Hierher muss man einfach zurückkommen.
Sia holt Wasser und Knabbersachen, wir fangen an, meine Fragen zu besprechen.
"Als erstes möchte ich natürlich wissen, wie du zu deinem schrägen Nutzernamen gekommen bist. Ich staune immer wieder über Namen, die man kaum tippen kann, aber deiner schlägt sie alle."
Sie lacht, denn mit dieser Frage hat sie bestimmt gerechnet. "Ah! Dieser Name! Ich würde ihn gerne loswerden und nur noch als Sia Ley präsent sein, aber ich weiß nicht, ob das so einfach geht. Als ich mich bei Wattpad registriert habe, war ich vollkommen uninformiert, habe tausend Fehler gemacht, habe auch mein Geburtsdatum falsch angegeben, habe die ersten Geschichten in einem einzigen Kapitel hochgeladen und einiges mehr.
Mein Nutzername stammt von einem gemeinsamen Account mit einer Bekannten bei 'dawanda', ich habe ihn einfach übernommen, ohne viel nachzudenken."
"Das war 2022. Seitdem sind vierzehn Werke dazugekommen. Wie machst du das?" Ich schnappe mir eine Scheibe leckeren Schinken.
"Das klingt auch immer wieder bei Kommentaren durch. Natürlich habe ich nicht in der kurzen Zeit all das geschrieben. Die Geschichten haben auf meinem Computer geschlummert, sind im Lauf von zirka fünf Jahren entstanden. Vielleicht liest das hier jemand, der mir mangelnde Tiefe in meinen Geschichten angekreidet hat, weil ich so viele gepostet habe."
Ich schmunzle. "Passiert mir auch. Die Interviewtexte seien sich zu ähnlich, höre ich dann und wann. - Wenn du deine Texte schon länger hattest, wann hast du dann mit Schreiben angefangen?"
"Ich gehöre nicht zu denen, die mit neun angefangen haben zu schreiben. Der einzige Text aus meiner Kindheit ist ein Gedicht in epischer Länge: „Das Pferd, das lief verkehrt, darum ist es nichts wert, das Pferd."
Aber ich habe während des Studiums als freie Mitarbeiterin einer Tageszeitung gejobbt. Das war dann schon toll, als ich meine Artikel eins zu eins gedruckt gesehen habe – ich glaube, ich war nicht schlecht. Das Spektrum war ziemlich breit, also von politischen Sachen über Konzerte, Kunstaustellungen bis zu einem Auftritt von Strippern war alles dabei. Das hat mir sehr viel Selbstvertrauen gebracht, das ich damals bitter nötig hatte. Diese Artikel habe ich alle noch, in einer dicken Mappe auf dem Dachboden."
"Und den Bericht über die Stripper musstest du natürlich vor Ort recherchieren ..." - Wir lachen beide.
"Warum ist es bei dir Wattpad geworden", frage ich schließlich weiter.
Auf Wattpad bin ich durch die After-Reihe von Anna Todd gestoßen. Ich oute mich jetzt als totaler Fan von ihr, weil sie die Zerrissenheit und die Entwicklung Hardins und Tessas wirklich gut rübergebracht hat. Im Netz habe ich dann gelesen, dass sie bei Wattpad angefangen hat. Ich habe mich informiert, fand das sehr gut, habe mich gleich angemeldet, fünf Geschichten in jeweils einem einzigen Kapitel hochgeladen und auch gleich für die Wattys angemeldet." Sie schüttelt lachend den Kopf. "Natürlich habe ich gleich fünf Hauptpreise gewonnen!
Dann habe ich erst einmal angefangen zu lesen, die Spielregeln zu verstehen. In mühsamen Stunden habe ich die Geschichten in Kapitel unterteilt, die aber teilweise viel zu lang waren.
Dann habe ich die Thema-Storys gepostet. Da war ich schon etwas geschickter, schließlich kam noch 'Wahrheit oder Traum' und 'Das Licht hinter den Gewitterwolken', das zur Zeit meine Herzensgeschichte ist. Damit sollte dann erst einmal Schluss sein. Doch eine Leserin hat in Windgeschwindigkeit alle zwölf Geschichten inhaliert und mich gebeten, weitere zu veröffentlichen. Das geht natürlich runter wie Öl, und ich habe zwei Sachen fertig geschrieben, die noch kein Ende hatte: 'Paulas Plan' und 'Liebe? Nein! Oder?"
"Wurdest du auch gefragt, in einem Verlag zu veröffentlichen?", frage ich dawzischen.
Sie nimmt einen Schluck Wasser. "Ah, jetzt habe ich mich etwas verplaudert. In einem Verlag veröffentlichen? Ich glaube nicht, dass dafür meine Sachen gut genug sind. Obwohl ich mir ja eine Zeitlang viele Storys von amerikanischen Bestsellerautorinnen auf dem E-Reader reingezogen habe, die mir schon manchmal Bauchschmerzen verursacht haben. Die 'Gewitterwolken' vielleicht?
Aber im Augenblick bin ich sehr glücklich, Wattpad entdeckt zu haben. Menschen in ganz Deutschland verbringen viele Stunden damit, etwas zu lesen, das in meinem Kopf entstanden ist. Das ist ein Wahnsinnsgefühl, für das ich immer wieder aufs Neue dankbar bin. Die Rückmeldungen, der Gedankenaustausch auch mit Autor*innen gefällt mir richtig gut. Ich kann Fragen stellen, mir werden Fragen gestellt. Das ist schon toll.
Aber ich muss gestehen, dass ich auch schon Kontakt zu einem Verlag aufgenommen habe. Da kam dann eine sehr positive Rückmeldung über mein Werk und das Angebot, es für ein paar tausend Euro zu veröffentlichen, zum Selbstkostenpreis natürlich. In meiner Euphorie hätte ich den Vertrag wahrscheinlich unterschrieben, doch zum Glück hat mein Mann im Netz recherchiert und herausgefunden, dass solche 'Verlage' Texte meistens nicht einmal lesen, nur einfach ihre Pakete verkaufen wollen. Da war ich dann zurück auf dem Boden der Tatsachen und habe eine Menge Geld gespart."
"Jap. Finger weg von Druckkostenzuschuss! Unbedingt! Da hört der Spaß auf - und Schreiben soll Spaß machen. Ich nehme an, das ist auch dein Antrieb, oder?"
"Spaß! Ja, in erster Linie Spaß! Ich höre einen Song, sehe eine Meldung im Fernsehen, lese einen Bericht in der Zeitung oder im Netz, dann bildet sich eine Geschichte, die ich in Tagträumen weiterspinne, und es fühlt sich schön an, sie aufzuschreiben. Ich genieße das sehr. Mir ist im Winter abends oft langweilig, fernsehen mag ich nicht so gern, dann schalte ich den Laptop ein, der auf dem Esszimmertisch steht, lese, schreibe, höre ein wenig den politischen Talkshows zu, die mein Mann guckt. Mich lenkt das nicht ab, es macht irgendwie den Kopf frei, wenn er sich festgefahren hat, wenn mir ein bestimmtes Wort partout nicht einfallen will. Nur, wenn ein Action-Film läuft, stecke ich die Kopfhörer in die Ohren und lausche lieber den schnulzigen Balladen, die auf meinem iPod gespeichert sind."
"Und woher holst du deine Ideen? Ich meine, was inspiriert dich?"
Sia isst noch rasch ein Brötchen fertig. "Alles! Ein Song, ein Bericht im Fernsehen, eine Meldung in Presse oder Netz. Ich beobachte wahnsinnig gerne Menschen, denke mir dabei Geschichten aus. Mein Mann lacht dann immer: Rattern die Buchstaben schon wieder in deinem Kopf?
Und wie gesagt, auch meine eigene Lebensgeschichte, die immer wieder durchdringt. Nicht die ganz schlimmen Sachen, die ich mir weitgehend ausgedacht habe, aber schön war das alles nicht. Deshalb ähneln sich ja auch viele Sachen, aber es war nie gedacht, dass jemand mehrere Geschichten liest. Bevor man also die Augen verdreht und denkt: Nein, nicht schon wieder ein böser, erster Ehemann, sollte man sich eine andere Geschichte aussuchen. Es gibt auch Ex-Ehemann-freie."
"Ah, deine Reihe. Wie kamst du auf die Idee der 'Thema mit Variationen'-Reihe?"
Sia zögert. "Hm! Also, ein Teil dieser Geschichten ist ein Bisschen autobiographisch. Eine sehr jung eingegangene Beziehung, die nach Jahren sehr unschön endete. Das taucht auch außerhalb der Thema-Storys immer wieder auf.
Es gab eine Zeitungsnotiz, dass ein Wettbewerb für junge Autoren mit erotischen Kurzgeschichten ausgelobt wurde. Aus Jux habe ich angefangen zu schreiben, so entstand 'Lukas und Anja' in Kurzfassung. Ich habe nicht mal schlecht abgeschnitten damals. Aber ich habe gemerkt, dass das Schreiben ein Ventil sein könnte für mich. Dann habe ich 'Jonas und Julia' geschrieben, mein Leben eins zu eins, und es hat mir gutgetan, hat mich irgendwie befreit. Doch diese Geschichte werde ich nicht veröffentlichen, sie gehört nur mir.
Irgendwann hatte ich circa 250.000 Worte erreicht und das Gefühl, dass es gut war.
Also habe ich 'Lukas und Anja' weitergeschrieben, just vor Fun. Und plötzlich tauchte der Gedanke auf, ich müsste auch die anderen Möglichkeiten noch durchspielen, was nach diesem Ball hätte geschehen können. So entstanden 'Hannes und Mia' und 'Niklas und Marie'."
"Diese Reihe sollte aus drei Büchern bestehen – nun sind es fünf. Warum hast du das erweitert?"
"Eine der Personen aus den ersten drei Stories - ich verrate nicht, welche - sollte nicht einfach so aus meinem Leben verschwinden, also musste noch 'Simon und Mona' her. Dann war alles ausgereizt - und ich war traurig. Doch da war doch noch Mr. X, der in einigen Teilen auftaucht! Also mussten noch 'Anna und Johannes' aus mir raus. Es hat übrigens einen Grund, warum bei dem letzten Teil der Frauenname vorne steht.
Die Geschichten sind eigentlich alle unabhängig voneinander zu lesen, bis auf eine. Aber das steht im Klappentext."
"Woraus ich schließe, dass der Klappentext für dich wichtiger ist als das Cover. Machst du deine Cover selbst?"
"Cover! Ja! Das ist ein bisschen ein Reizthema für mich.
Erstens kann man meiner Meinung nach bei den kleinen Bildchen auch auf dem Laptop kaum etwas erkennen, geschweige denn auf dem Handy.
Zweitens habe ich persönlich noch nie ein Buch nach dem Titelbild oder der Schriftgröße darauf ausgewählt, weder bei Wattpad noch im Buchhandel. Bei letzterem sieht man eh bei den meisten nur die Buchrücken. Ich richte mich nach dem Klappentext, der muss sitzen, der muss mich interessieren.
Also Cover – ja ich gestalte sie noch selbst, mit Canva. Anfangs habe ich einfach ein Foto runtergeladen, den Titel und meinen Namen draufgeknallt, weil es mir nicht wichtig war. Mittlerweile versuche ich mich der Meinung der Mehrheit, wie es scheint, anzupassen. Ganz gut gelungen ist mir das bei 'Das Licht hinter den Gewitterwolken', finde ich.
Bei 'Fünf' ist das Cover meiner Meinung nach auch gut auf die Geschichte abgestimmt. Ein Mann in tiefer Dunkelheit - einer der Väter, der ein Kind verloren hat - steht vor einem Fenster, durch welches das Licht der Hoffnung fällt.
Mit den Thema-Geschichten hadere ich noch. Anfangs war auf jedem Cover einfach ein Liebespaar, dann habe ich Noten – Thema mit Variationen ist ja ein Begriff aus der Musik – heruntergeladen. Was bescheuert war, weil ja jeder denkt, dass Musik eine Rolle spielt. Also kam das Buch. Die Farben sind grenzwertig, ich weiß. Da werde ich wohl mal in einem Covershop vorbeischauen, wenn ich wieder ein Laptop habe. Auch bei 'Wahrheit oder Traum' muss was passieren."
"Die Cover sind wichtiger als wir es wahrhaben wollen. - Bei deinen Geschichten ist das Verhältnis zwischen Reads und Likes jeweils auffallend hoch. Wie wichtig ist das für dich?"
"Sehr, sehr wichtig. Ich versuche immer, um Sternchen zu werben, weil es ja der einzige Lohn ist, den wir hier bekommen. Manchmal kommt eine Leserin offensichtlich aus Versehen auf den Stern-Button. Da frage ich dann nach, warum es nur einen Stern für 80 Kapitel gab.
Einmal hat eine alles nachgevotet, einmal hat sich eine auf den Schlips getreten gefühlt, meistens kommt aber keine Reaktion. Ich versuche immer zu erklären, dass viele Reads und wenig Likes ja im Grunde bedeuten, dass die Story nicht gut war, es nicht wert war, dafür zu voten. Aber warum liest man sie dann? Aber das Problem haben wir alle hier. Ich selbst vote für jedes Kapitel, das ich gelesen habe."
"Hmm, ich weiß, dass ich mich nun unbeliebt mache - aber ich vote eher selten. Voten bedeutet für mich: Es war ausgesprochen gut. Für mich bedeutet "Lesen", dass der Text gut ist, denn sonst würde ich nicht weiterlesen. Aber ich bin auch eine Ghostleserin. - Sind dir denn auch die Follower wichtig?"
"Gut, ich habe jetzt nicht sehr viele davon, aber es kommt mir nicht auf die Menge an, vielmehr auf die Qualität. Ich bin aus Überzeugung auf keiner Social-Media Plattform, bin deshalb mit dieser Follower- Sache nicht so vertraut.
Ich selbst folge von mir aus Autoren, deren Geschichten mich überzeugt haben, deren Stil mir gefällt, damit ich sie nicht aus den Augen verliere. Wenn sie mir zurückfolgen ist es okay, es muss aber nicht sein, wenn sie mit meinem Profil nichts anfangen können.
Genau so ist es mit dem Zurücklesen. Keiner soll sich verpflichtet fühlen, sich etwas anzutun, was ihm/ihr nicht gefällt. Ich merke das relativ schnell bei Kommentaren, wenn der Funke einfach nicht überspringt. Geht mir auch so, dass ich Geschichten anfange und irgendwann sage: Oh nein! Oft gebe ich aber dann per PN Bescheid, was mich gestört hat.
Mehr als Follows liebe ich Kommentare. Das müssen bei Gott nicht dreißig, vierzig pro Kapitel sein, aber mal ein Satz oder ein Emoji tut schon gut. Am liebsten mag ich die Kommis, die mich auf einen Logikfehler, einen Denkfehler hinweisen oder natürlich, die, welche mir zeigen, dass eine Figur sie berührt, dass der Humor ankommt.
Gar nicht leiden kann ich, wenn die Handlungsweise der Protagonisten auf mich persönlich übertragen wird. So wie: 'Also Sia, das geht gar nicht, dass A... so oder so denkt oder handelt, das ist ganz falsch, gefährlich' oder so ähnlich.
Ich lese ja auch kein Mafiabuch und wettere dann die ganze Zeit, wie verwerflich es ist, dass ein Killer Menschen umbringt. Wenn in einer meiner Geschichten ein Mann seine Frau betrügt, heißt das ja nicht, dass ich Ehebruch rechtfertige und gutheiße. Die ausgedachte Person handelt eben so."
Wie wenn er es gespürt hätte, kommt Sias Mann, er war mit dem Fahrrad unterwegs, begrüßt mich freundlich und sie liebevoll.
Wir ziehen um auf den großen Balkon. Die Sonne beginnt unterzugehen, ein Farbenspektakel beginnt. Der ganze Westen glüht in den unterschiedlichsten Rot- und Goldtönen. In der Ferne brummen ein paar landwirtschaftliche Fahrzeuge, eine Fledermaus jagt um uns herum, Geckos kleben an der Wand, ein dicker schwarzer Käfer knallt zum dritten Mal gegen die Lampe, landet auf dem Rücken, wird gerettet. Er wird das noch mindestens zehn Mal wiederholen. Ein Satellit zieht seine Bahn, eine Sternschnuppe gewährt uns einen Wunsch. Der Halbmond geht riesengroß auf. Die Städtchen auf den Hügeln sind erleuchtet, hin und wieder trägt der Wind leise Musik zu uns. Irgendwo ist wieder ein Fest.
Sias Mann bringt uns Rotwein und eine kalte Platte, zieht sich zurück, um etwas zu arbeiten.
"Du kannst eine Nacht im Gästezimmer bleiben, wenn du möchtest", bietet Sia mir an.
"Danke, das werde ich sehr gerne annehmen." Der Rotwein schmeckt herrlich.
Sia gibt kurz ihrem Mann Bescheid, er solle das Zimmer noch etwas herrichten. Dann setzt sie sich wieder. "Sag, Christine, wie bist du eigentlich auf mich gekommen?"
"Durch einen Tipp - und danach durch deine Erzählungen zu diesem Ort hier. Das hat mich interessiert, da wollte ich mehr hören. Ich musste wissen, wer du bist."
Sia schmunzelt. "Ich bin Widder, ich glaube, das sagt einiges. Ich kann bockstur sein, neige schon auch ein wenig zu Jähzorn - neben den Haaren ein Erbe meines Vaters. Ich bin eine ausgesprochene Gerechtigkeitsfanatikerin. Meine Eltern wussten immer, dass sie im Unrecht waren, wenn ich weinte, wenn sie mich schimpften.
Die ungleiche Verteilung von Gütern innerhalb der Gesellschaft bringt mich auf die Palme.
Zwei Themen liegen mir besonders am Herzen. Drogensucht, oder Betäubungsmittelabhängigkeit, wie es wohl politisch korrekt heißt, zum einen. Das ist auch immer wieder Thema in meinen Geschichten. Mit 15 bin ich mit der Problematik zum ersten Mal in Kontakt gekommen, eine Freundin und ich haben bei Süchtigen geputzt, haben für sie gekocht, auf sie eingeredet, mit ihnen diskutiert. Das war fürchterlich leichtsinnig gewesen, aber wenn wir nur einen Einzigen haben überzeugen können, wäre es das Risiko wert gewesen.
Das zweite Thema ist die Integration von Flüchtlingsfamilien, das ist auch ein Teil meiner beruflichen Tätigkeit.
Ich bin eine Nachteule und demzufolge ein Morgenmuffel. Ich glaube, dass ich ziemlich humorvoll bin, lache auch gerne über gute Witze, mag aber keine Menschen, die bei jedem Satz, den sie sagen, einen Lacher hinterher schicken.
Last but not least: Ich hasse die Gendersprache und -schreibweise. Zum einen, weil die deutsche Sprache schon schwer genug zu erlernen ist. Zum anderen vertrete ich die Meinung: Wenn so viel Kraft und Energie dafür aufgebracht würde wie für die Durchsetzung der Genderausdrücke, um zu erreichen, dass Frauen im Berufsleben den Männern gleichgestellt werden, auch von der Bezahlung her, dass vor allem Alleinerziehende jede Unterstützung bekommen, die möglich ist, wäre mehr Gutes getan als mit Sternchen und ein paar *innen."
Ich muss lachen, proste Sia mit meinem Glas zu.
"Warum lachst du?"
"Als Studentin hatte ich einen Geschichtslehrer, der als Autor gesellschaftskritische Texte veröffentlichte. Sein Text mit dem vielsagenden Titel 'Die Inninnen' endete mit dem Satz: "Ich finde das nicht herrlich - aber dämlich." Das ist mittlerweile fast vierzig Jahre her. Daran muss ich jeweils denken, wenn sich jemand über die fehlende Gender-Neutralität ärgert. Ich bin da ziemlich nah bei dir, teile deine Meinung. - Eine letzte Frage hätte ich noch: Planst du deine Geschichten? Mit anderen Worten, plottest du?"
Nun ist es an ihr zu lachen.
"Wie verrückt! Doch irgendwann mittendrin machen die Figuren oft nicht mehr, was sie sollen. Bei 'Fünf' allerdings mussten die Herren und Damen mir gehorchen, weil sonst alles durcheinander gekommen wäre. Da gab es wirklich einen ausgedruckten Zeit-, Handlungs- und Personen-Plan, an den ich mich akribisch gehalten habe. Allerdings sind die ersten Kapitel mörderisch lang, ich möchte aber nicht mehr PoV-Wechsel (Wechsel im Point of View, Anmerkung) einbauen, werde wahrscheinlich Unterkapitel bilden. Für Handyleser ist es auch von Vorteil, wenn nicht alle zehn Minuten Werbung kommt."
Wir lassen den noch immer warmen Abend ausklingen, irgendwann gesellt sich Sias Mann zu uns und das Gespräch nimmt eine neue, interessante Wendung.
***
Ich habe übrigens herrlich geschlafen. So sind sie, die Zeiten der Gespräche. Ich genieße sie alle!
Ich hoffe, ihr auch!
Weil ich weiß, dass Sia ein langes Schlusswort hat, halte ich nun die Klappe. - Sia, go for it.
"Wie viele Stunden haben wir noch Zeit?
Wo soll ich anfangen?
Beim nicht enden wollenden Krieg in der Ukraine?
Bei den Umweltkatastrophen?
Bei sozialer Ungerechtigkeit?
Bei dem verheerenden Erdbeben in der Türkei?
Bei der Flüchtlingsproblematik?
Bei der Bildungspolitik?
Beim Zulauf zur AfD?
Bei der Freigabe von Cannabis?
Beim Missbrauch von Kindern?
Diese Aufzählung ist willkürlich und keine Wertung.
Es gibt so viele Themen, die mich hilflos und fassungslos machen in dieser Zeit.
So viele Themen, bei denen ich die Politiker schütteln möchte, damit sie endlich aufwachen und handeln, und zwar richtig handeln.
Altersarmut in einem der reichsten Länder der Welt?
Obdachlosigkeit?
Geldmangel bei den Tafeln?
Hunger in diesem unserem Land?
Fehlende Pflegeplätze für die, die dieses Land aufgebaut haben?
Manchmal bleibt eigentlich nur noch Verzweiflung.
Doch ein Schmetterling der Hoffnung taucht immer wieder auf. Wir müssen es schaffen!
Wir haben alle nur ein Leben und nur eine Erde.
Und auch der Obdachlose unter seiner Plane, der Süchtige, der seit Jahren an der Spritze hängt, der junge Flüchtling, der es als einziger seiner Familie geschafft hat - sie alle haben nur ein Leben.
Sind unsere eigenen Probleme so groß? - Oder haben wir Kraft, Zeit und Geld, um denen zu helfen, die wirkliche Probleme haben?
Ein T-Shirt pro Monat weniger – und zwanzig Euro der Tafel gespendet? Es wäre so leicht!
Das alles bewegt mich mehr, als ob eine Nachrichtensprecherin, ein Nachrichtensprecher Bürgerinnen und Bürger sagt oder Bürger*innen, oder Bürger.
Ich weiß jetzt nicht, ob das ein angemessenes Schlusswort gewesen ist. Wenn nicht, dann danke ich allen Leser*innen.
Aber auf alle Fälle danke ich dir, dass du mich hier interviewt hast. Ich habe alle Kapitel des Buches gelesen und liebe sie alle. Ich würde mir wünschen, dass du weitermachst! Wir wollen keinen Nachfolger / keine Nachfolgerin! Wir wollen dich!"
Dieser letzte Punkt ist lieb gemeint und es ehrt mich, es wird jedoch (wahrscheinlich) nicht möglich sein.
Sia hat mir dann noch verraten, dass sie gerne von LilyRolf mehr erfahren möchte, weil ihr die Geschichte "Stille Wasser" supergut gefallen habe. Ich setze Lily gerne auf die Liste.
Macht's gut - Eure Lesende
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