Die Seglerin

Wenn einem Land die Meeresküste fehlt, braucht es malerische Seen, welche die atemberaubenden Stimmungen und Bilder des Fernwehs liefern. Derartige Seen hat es in der Schweiz viele und einer davon liefert der Frau, die ich heute treffen will, eine zweite Heimat, nebst der Karibik. Auf diesem See werden wir heute wie zwei Piratinnen mit dem Segelboot rausfahren und ich bin sehr froh darüber, eine Wasserratte und eine gute Schwimmerin zu sein.

Der Neuenburgersee kuschelt sich langestreckt an die erste Hügelkette des Juras, von Yverdon-les-Bains im Südwesten bis Neuchâtel im Nordosten. Seine Küste bietet gemütliche Badestrände, Naturreservate oder Flaniermeilen bei den Uferstädten. Beliebt ist er bei den Seglern vor allem deswegen, weil es praktisch nie windstill ist - eine wichtige Voraussetzung für unser heutiges Vorhaben. Das Wetter ist perfekt, warm, ohne jedes Gewitterrisiko - ein herrlicher Sommertag.

Das Schloss Chenaux mit seinen drei runden Türmen thront über der Altstadt von Estavayer-le-Lac. Ich schlendere vom Bahnhof zum Hafen, genieße die Morgenstimmung und lausche dem Sprachengewirr aus Deutsch und Französisch. Im Kopf klingt der Song Estavayeah von Jeans for Jesus, doch mein Ziel ist nicht der Campingplatz, sondern der Segelclub. Vor dem Clubhaus, das schlicht mit Holz eingekleidet ist, erwartet mich eine strahlende jinnis, eine Frau etwa in meinem Alter. Für mich ist das sehr spannend, heute mit jemandem zu sprechen, die nicht meine Tochter sein könnte. Wir begrüßen uns herzlich, dann lädt sie mich zu einem Kaffee im Clubhaus ein.

"Weißt du, unser Segelboot ist ein Regattaboot, das heißt, es bietet wenig Comfort. Kaffee und letzter Toilettengang machen wir besser hier", erklärt sie mir. Ich erkenne sofort, dass die sympathische Frau gerne draußen ist und viel Sport macht. Sie strotzt vor Energie, wir werden uns bestimmt gut verstehen. Nach dem gemütlichen Kaffee ist es Zeit, mit dem Boot rauszufahren. Staunend stehe ich davor; das Boot ist rund acht Meter lang und wirkt auf mich nicht so klein. Hier könnten gar vier Personen übernachten. Jinnis übernimmt die routinierten Handgriffe, ich assistiere, wo sie mich darum bittet. Kurze Zeit später startet sie den kleinen Außenbordmotor und wir tuckern aus dem Hafen.

Sobald wir durch die Hafeneinfahrt raus sind, werden die Segel gesetzt, es weht ein warmer, eher schwacher Westwind, gerade richtig für eine kleine Ausfahrt. Jinnis stellt das Großsegel ein und klappt den Motor hoch. Jetzt beginnt der Spaß! Das Schiff legt sich bereits leicht schräg, noch ausgeprägter, sobald wir die Genua ausrollen, das große Vorsegel. Nun sitzen wir beide oben auf der Kante und rauschen mit 6 Knoten (das sind etwa 11 km/h, Anmerkung) durch das Wasser.

"Das macht Spaß!", juble ich, als etwas Spritzwasser auf mein Gesicht zischt.

Jinnis lacht. "Bist du zum ersten Mal auf einem Segelboot?"

"Nein. Ich war schon Segeln in der Ägäis, dann auf der Alinghi in Neuseeland und mit einem großen Dreimaster rund um Schottland. Auf einem See in der Schweiz allerdings noch nie."

"Cool, macht nämlich keinen Spaß mit einer Landratte rauszufahren", scherzt sie augenzwinkernd.

"Sag mal, wie kommst du eigentlich auf den Namen Jinnis?"

"Jinn geht auf einen alten Spitznamen zurück, den ich beim Tauchen bekam. Irgendwann ist er dann kleben geblieben und zu meinem Autorennamen geworden. Das "is" habe ich auf Wattpad angehängt, weil Namen dort mindestens sechs Buchstaben haben müssen. Der volle Autorenname Jinn Tiole kam dann erst später, als ich die erste meiner Geschichten in einer Anthologie veröffentlichen durfte."

"Ja, ich habe drei Bücher gefunden, in welchen es Geschichten von dir drin hat. Schreibst du schon lange?"

"Ich habe schon früh Geschichten erfunden, meist für meine kleine Schwester, die immer nach neuen Abenteuern fragte. Irgendwann in der Schulzeit habe ich dann auch meine ersten Geschichten aufgeschrieben. Und später mal einen Wettbewerb für Kurzgeschichten bei unserer lokalen Radiostation gewonnen. Aber richtig, so ein ganzes Buch, habe ich erst angefangen, als ich auf Wattpad stieß."

"Das mit deiner kleinen Schwester finde ich süß. Kannst du überall schreiben?"

"Überall, wo ich dazu Zeit finde. Daheim im Garten oder vor dem Feuer. Unterwegs im Zug oder auch mal am Flughafen. Ich schreibe auf einem iPad, das hat den Vorteil, dass ich es überallhin mitnehmen und auch kurz etwas festhalten kann, wenn mir eine gute Idee kommt. - Es wird Zeit, eine Wende zu fahren. Ich erkläre Dir, wie Du die Genua lösen und auf dem neuen Bug wieder dicht nehmen musst."

Ich folge ihren Anweisungen, leicht nervös.

"Na also, klappt ja schon richtig gut!"

Das Boot fährt nun in die andere Richtung. Ich bin stolz, dass ich helfen konnte. Der See sieht ganz anders aus, wenn man vom Hügelzug wegfährt und dafür das eher flache südliche Ufer anvisiert.

Jinnis sieht mich fragend an. "Möchtest du auch mal steuern?"

Wir tauschen die Plätze und nun liegt es an mir, gut auf die roten und grünen Fäden zu achten, die im Vorsegel befestigt sind.

"Je nachdem, welcher Faden flattert, musst du etwas anluven oder abfallen. Das heißt, die Pinne (ja, das ist das Ruder) etwas zu dir ziehen oder von dir wegstoßen. Jetzt flattert der rote, siehst Du? Also etwas ziehen. Et voilà! geht doch schon ganz ordentlich!"

Ich fahre! Das ist ein herrliches Gefühl, nicht zu vergleichen mit dem mächtigen Ruder-Rad, das man bei den großen Schiffen findet. Jinn lacht und trinkt etwas Wasser. Dass sie dabei so entspannt wirkt, gibt mir das Gefühl, alles richtig zu machen. "Ich bin der weibliche Jack Sparrow!", rufe ich.

Jinnis lacht und hebt die Faust in die Höhe.

Ich will mehr über diese Gegend erfahren. "Warum ist deine zweite Heimat die Karibik?"

"Weil ich seit mehr als zehn Jahren jeweils einen Monat da drüben verbringe. Zweimal bisher bin ich mit dem Schiff rüber gesegelt. Inzwischen habe ich viele Freunde da und freue mich jedes Jahr, sie zu sehen."

"Bist du denn zweisprachig aufgewachsen? Du schreibst in zwei Sprachen."

"Nein, das nicht, oder nicht so, wie man sich das vorstellt. Ich komme aus der Schweiz, was bedeutet, dass ich mit meiner Mundartsprache in der Schule erstmal Deutsch lernen musste. Das betrachte ich als meine erste Fremdsprache. Bald kam dann Französisch dazu, meine zweite Fremdsprache. Allerdings habe ich es da überhaupt nicht mit der Grammatik. Ich kann gerne stundenlang französisch diskutieren, und zwar über Gott und die Welt. Solange ich das nicht auch aufschreiben muss." Sie lacht dazwischen. "Und dann habe ich mal auch noch Englisch gelernt, einfach weil mich die Sprache fasziniert. Weil es effektiv meine vierte Sprache ist, habe ich mir aber nie zugetraut, es auch zu schreiben, bis ich auf Wattpad stieß. Da lernte ich auch gleich einige englischsprachige Autoren kennen, die wissen wollten, was ich denn so schreibe. Also habe ich angefangen, ein paar meiner Geschichten zu übersetzen. Inzwischen schreibe ich oft zuerst eine englische Version, quasi als draft, und mache daraus dann eine längere deutsche Version."

Ich übergebe das Ruder wieder der routinierten Seglerin und danke für die Erfahrung. "Heute Morgen war ich ziemlich nervös. Immerhin spreche ich heute schon wieder mit einer Ambassadorin. Was bedeutet dir die Arbeit bei Wattpad?"

Jinn lacht. "Du hast doch schon mit Fleur geredet, also kein Grund nervös zu sein. Ich sehe in dieser Arbeit eine Möglichkeit, anderen weiterzugeben, was Wattpad mir gegeben hat. Ohne die Bekanntschaften, die ich auf der Plattform gemacht habe, hätte ich das Schreiben vielleicht längst aufgegeben. Und die Kommentare meiner Leserinnen und Leser sind unglaublich wichtig als Motivation, eine Geschichte zu Ende zu bringen. Wir versuchen, als Abassadoren ein Umfeld zu gestalten, in dem sich neue und motivierte Autorinnen und Autoren wohlfühlen und entfalten können."

"Das gelingt euch wunderbar. Wie zeigst du deinen Followern, dass sie dir wichtig sind?"

"Ich habe wohl eine interessante Zusammensetzung von Followern. Manche sind englischsprachig, andere deutschsprachig. Manche sind Kollegen aus dem Ambassador- oder Stars-Programm oder verschiedenen Autorengruppen, denen ich angehöre. Was ich versuche, ist, meine Geschichten zügig zu Ende zu bringen, wenn ich damit begonnen habe und auch regelmäßig ein neues Kapitel zu publizieren. Das klappt nicht immer, und wenn ich sehe, dass es eine längere Verzögerung gibt, versuche ich das auch zu kommunizieren. Ich weiß wie frustrierend es ist, auf ein Update zu warten, das nie kommt."

Der Wind frischt etwas auf und wir fahren schneller. Immer wieder spritzt die Gischt hoch - wir haben mächtig Spaß da draußen.

"Auf den Büchern mit den Kurzgeschichten kann man lesen, du seist eine "Award winning" Autorin. Auch auf Wattpad hast du schon einige Auszeichnungen abgeräumt, immer mal wieder. Wirst du das Schreiben zu deinem Beruf machen?"

"Immer wieder ist vielleicht gerade etwas viel gesagt. Ich bin auch schon eine Weile dabei und habe so einiges geschrieben. Die Preise sagen mir, dass ich hoffentlich etwas richtig mache, dass es Menschen gibt, die meine Geschichten gerne lesen und für gut befinden. Diese Anerkennung freut mich natürlich sehr und gibt mir Motivation, weiterzumachen. Aber das Schreiben ist definitiv ein Hobby und wird es in nächster Zeit auch bleiben. Ich arbeite zu 100 % und kann das Schreiben nicht weiter ausbauen. Wenn ich mal mehr Zeit habe, irgendwann in der Zukunft, wer weiß! - Sag, wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, diese Interviews mit Schreibenden zu machen?"

"Als Ghostleserin lerne ich nicht viele Menschen auf Wattpad kennen. Ich lese jedoch viele Geschichten und schreibe, wenn mir eine davon gefallen hat, eine ausführliche Rezension dazu. In diesem Zusammenhang habe ich mich schon oft gefragt, wer die Menschen hinter diesen Geschichten sind. Und nun reise ich um die Welt und besuche die interessantesten Menschen an den unterschiedlichsten Orten. Das ist spannend. Zudem mag ich den persönlichen Kontakt sehr."

Der Wind und die sportliche Aktivität geben Hunger; die mitgebrachte Zwischenverpflegung haben wir längst weggeputzt. So steuern wir langsam wieder Richtung Heimathafen. Das Wetter ist immer noch traumhaft.

"Ich mag das Bild des Sees. Fast so schön, wie deine Covers. Machst du die eigentlich selbst?"

"Ja, das mache ich. Nicht weil ich es besonders gut kann, sondern weil es mir Spaß macht. Zudem weiß ich so genau, dass ich kein Copyright verletze und dass alle Rechte bei mir selbst liegen."

"Da hast du bestimmt recht. Geht mir auch so."

Langsam rollen wir die Segel wieder ein, der Motor übernimmt die letzten Meter. Wir treiben Richtung Hafen. Jinnis stellt das Boot routiniert an seinen reservierten Liegeplatz, wir machen es gemeinsam fest; Jinnis kontrolliert meine Knoten aufmerksam. Als wir den Steg betreten ist das Gefühl festen Bodens komisch. Auf dem Wasser fühlte ich mich sicherer, doch das gibt sich nach wenige Schritten.

"Jinn, vielen Dank für dieses Abenteuer. Das war mega schön. Ich lade dich zum Essen ein. Mir ist nach Fisch."

"Uhh, da gibt es gleich am Ufer eine gute Adresse. Und ja, es hat auch mir Spaß gemacht, das Segeln wie auch unser Gespräch. Danke also auch dir. Bevor wir essen gehen, möchte ich mich im Clubhaus noch gerne etwas umziehen."

Später sitzen wir an einem gemütlichen Tisch gleich am Wasser und geniessen unseren Fisch, zusammen mit einem Glas Weisswein von den gegenüber liegenden Hügeln. Das Leben ist unglaublich schön.

***

Das war's. Niemandem schlecht geworden? Keine Fütterung der Fische? Toll - ihr seid gute Piratinnen! Jinnis hat mir dann noch verraten, dass auch sie ihre ländlichen Vorlieben hat: sie liebt Velofahren, Wandern oder arbeitet gerne im (wuchernden) Garten, den sie liebevoll "Dschungel" nennt. Dass sie auch gerne liest, muss nicht zwingend erwähnt werden, aber dass sie das in ihrer Hängematte tut, finde ich ein schönes Detail.

Sie würde gerne mehr von RainerSalt oder von Sturmtaenzerin erfahren - dann lese ich mich dort mal ein.

Ich hoffe, unser Segelturn hat euch gefallen.

Vielen Dank, dass ihr dabei wart.

Auf bald - eure wieder trockene Leserin


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