Die Sarkastische
Venedig! Endlich, bin ich geneigt zu sagen. Zuhause!
Touristen lamentieren, die seitlichen Gassen röchen nach Kloake. Das stimmt nicht. Salzwasser, das einige Tage bei großer Hitze liegenbleibt, riecht nun mal nicht mehr nach Kölnisch 4711. Aber es ist Heimat - und die riecht bekannt, vertraut, beruhigend - wie der berühmte korsische Käse auf die Korsen wirkt. Die Touristen begreifen das nicht. Sie sind für einige Stunden hier und erwarten, dass alles genau so glänzt, wie es ihnen im Prospekt gezeigt wurde. Willkommen im Leben, meine Lieben.
Ohne Stadtplan schleiche ich mich durch unzählige kleine, unbekannte Gassen, damit ich dem Menschen-Stau auf den Hauptachsen ausweichen kann. Venedig im Sommer - das willst du nicht! Die Touristen stehen wie die Pinguine in der Antarktis - keiner könnte umfallen. Es stinkt nach Schweiss, Sonnencrème und verschüttetem Kinder-Eis. Es klingt nach schimpfender Mutter, stöhnendem Vater und quengelndem Kleinkind. Die einzigen ruhigen Menschen um diese Zeit sind die Teenager, denn sie suchen nach einem öffentlichen WLAN. Nein, das willst du nicht.
Auf meinen Schleichwegen gelange ich an vielen dunklen Gassen vorbei. Das Wasser schwappt hoch und nagt gleichzeitig an den Sandsteinmauern, die es irgendwann niederreißen wird. Venedig - ich liebe es.
Kopflastig wollte mich am Markt bei der Rialtobrücke treffen. Mitten im Hot-Spot. Nun denn, nichts wie hin. Da ist sie ja! Ich erkenne sie von weit her. Die schwarzen Haare, die helle Haut, aber vor allem ihre bunte Leoparden-Kleidung, die im lauen Wind weht. Ich mag sie jetzt schon. - Wir begrüßen uns.
Die Sonne steht hoch am Himmel und taucht die historischen Gebäude um uns herum in ein warmes, goldenes Licht. Wir befinden uns am Ufer des Canal Grande, dort wo sich das Leben der Stadt auf dem Wasser abspielt.
"Sollen wir uns setzen? Ich kenne da ein nettes Plätzchen", schlage ich ihr vor.
Sie bejaht und folgt mir an einen unbekannten Ort, auf einen kleinen Balkon eines unscheinbaren Restaurants. Wir schweben über dem Wasser. Ringsum sehen wir die prachtvollen Palazzi, die das Ufer des Canal Grande säumen. Die Gebäude sind reich verziert, mit kunstvollen Fassaden und gotischen Bögen. Ihre Spiegelbilder tanzen auf der glatten Oberfläche des Kanals. Es ist einfach atemberaubend, sich an der Schönheit dieser Stadt sattzusehen.
"Na? Passt das für dich?", frage ich, die Antwort insgeheim wissend.
"Genial!", schwärmt sie und bestellt sich einen Krug Limonade. Ich bevorzuge den Cappuccino, vor allem, da es noch nicht elf Uhr ist. Danach wechlse ich dann gerne zum Weißwein, aber das erwähne ich jetzt noch nicht.
"Wenn der Balkon nicht hält, haben wir dafür die Gläser schon gespült." Das sagt sie so trocken, auf das Wasser blickend, dass man im Vergleich Apulien eine Regenzone nennen würde.
Ich schmunzle. "Darum nennst du dich selbst sarkastisch - ich verstehe."
Nun lacht sie und prostet mir zu. " Ich bin ein Mensch, der eine besondere Schwäche für Sarkasmus pflegt. Es ist also kaum möglich, sich mit mir zu unterhalten, ohne dass es an irgendeinem Punkt zwangsläufig dazu kommt, dass ich versuche, mein Gegenüber zum Schmunzeln zu bringen - was mir bei dir bereits gelungen ist. Generell würde ich behaupten, dass ich das Leben nicht allzu ernst nehme, was selbstverständlich nicht bedeuten soll, dass ich mein Gegenüber nicht ernst nehmen würde. Ich bin einfach fest davon überzeugt, dass das Leben gerne auch mal leichtgenommen werden will."
"Darauf stoße ich an - mit Cappuccino!"
Dutzende Gondeln gleiten lautlos durch das türkisfarbene Wasser, während ihre Gondoliere mit Lebensfreude in der Stimme venezianische Lieder singen. Die Brücken, die den Kanal überspannen, sind mit wunderschönen Blumenkästen geschmückt und laden zum Flanieren ein.
Von unserem Platz aus haben wir eine perfekte Aussicht auf den Markt, wo sich die Einheimischen und Besucher gleichermaßen tummeln, um frische Lebensmittel und kunsthandwerkliche Schätze zu erstehen. Die Klänge von italienischer Sprache und Gelächter füllen die Luft.
"Warum nennst du dich 'Kopflastig'? Ich erlebe dich als spontan und lebensfreudig."
"Die Namenswahl ist ironischerweise aus dem Bauch heraus entstanden", schmunzelt sie, "Ich habe überlegt, wie ich mich nennen könnte, und da fiel mir spontan 'Kopflastig' ein, was ich, wie man sehen kann, dann auch einfach genommen habe. Ich habe ein paar Mal darüber nachgedacht, ihn nachträglich noch zu ändern, aber irgendwie gefällt er mir. Immerhin beginnt jede Idee ganz still und heimlich in unseren Köpfen. Natürlich ist das Schreiben an sich 'Fingerlastig', aber 'Kopflastig' ist es allemal auch."
"Auf deinem Profil gibst du dich ziemlich mysteriös, sagst sehr wenig von dir. Und dennoch sitzen wir hier, an diesem herrlichen Ort und plaudern über dich. Wie kommt das?"
"Natürlich habe ich mein Profil mysteriös gehalten, um den Leser*innen das Vergnügen zu bereiten, ein Rätsel zu lösen! Spaß. Im Grunde gibt es dafür keinen wirklich speziellen Grund. Vermutlich wollte ich mich damals nicht so sehr 'in den Fokus drängen' und lieber meine Geschichten für mich sprechen lassen. Wer weiß, vielleicht nutze ich dieses Interview als Anstoß, um meine Beschreibung etwas aufzuwerten."
"So war das nicht gemeint - aber ich mag deine Erklärung." Ich lächle sie an.
"Weißt du, das Schreiben ist für mich wie eine wundervolle Reise durch Gedanken und Fantasien. Es ist mein magisches Portal, um Welten zu erschaffen und die Realität von Menschen zu berühren, ohne diese jemals wirklich getroffen zu haben. Ich mag die Poetik daran, aber auch das Einfache. Das Schreiben gibt mir also die Freiheit, meine Fantasie und Gedanken in Worte zu verwandeln und mich auf eine Art auszudrücken, wie es kein anderes Medium könnte."
"Außer die Musik", ergänze ich, "zumindest für mich. - Wann hast du mit Schreiben angefangen?"
"Das 'wann' kann ich gar nicht genau benennen, denn gefühlt schreibe ich schon immer. Richtig angefangen habe ich aber so zirka mit vierzehn Jahren, als mich eine Schulfreundin gezwungen hat, mit ihr ein RPG (= Role Play Gaming = Form des gemeinsamen Schreibens an einer Geschichte, Anmerkung) zu schreiben. Erst fand ich es super seltsam, habe es aber schnell lieben gelernt. Daraus entstanden dann die ersten eigenen kleinen Texte, und das führte zu immer längeren Werken. Und nein, meinen ersten Text habe ich nicht mehr, brauchst also nicht zu fragen, aber ich kann mich noch lebhaft an dessen Inhalt erinnern und denke manchmal ganz gerne mit einem Schmunzeln daran zurück."
Ich kehre meine Handflächen unschuldig nach oben. "Ich habe nicht gefragt." Dann bestelle ich mir noch einen Cappuccino. "Wo schreibst du, wenn ich fragen darf?"
"Wo ich schreibe? Überall! Tatsächlich habe ich keinen festen Platz oder einen bestimmten Ort, an dem ich diesem Hobby nachgehe. Ob in der Mittagspause auf der Rückbank meines Autos, in einem Café oder auf dem heimischen Sofa, ich bin nicht wählerisch. Wobei ich allerdings wählerisch bin, ist die Wahl des Mediums. Ich schreibe ausschließlich auf einer Tastatur. Handys, Tablets und Co. schrecken mich in dem Fall einfach ab."
"Ich hänge sogar ein USB- oder Bluetooth-Keyboard an meinen Laptop, weil ich die Tastatur dort für eine ergonomische Katastrophe halte." Wir lachen beide, mein Kaffee wird serviert.
"Warum hast du dich bei Wattpad angemeldet?"
"Ich mag die Vielfalt auf Wattpad. Im Grunde gibt es fast nichts, über das man hier nicht lesen könnte. Nehmen wir als Beispiel einmal dein Projekt hier. Ich finde es herrlich und unglaublich kreativ umgesetzt. Es ist auf seine Art etwas ganz Eigenes, genauso wie viele andere Geschichten und Projekte hier auf Wattpad, und genau das macht die Seite für mich so interessant. Frei nach dem Motto "Du hast eine Idee? Na dann setz sie doch einfach um, und wer weiß, vielleicht findest du jemanden, der schon immer genau das lesen wollte." Außerdem liebe ich den direkten Austausch, den diese Seite einem bietet. Der kostenlose Aspekt spielt dabei natürlich auch eine große Rolle. Nicht jeder ist in der Lage, sich unbegrenzt Literatur zu leisten, dabei ist Lesen etwas so Essenzielles und Wunderbares. Deshalb finde ich es sehr schön, dass so viele Autoren auf dieser Seite gewillt sind, ihre Werke mit anderen zu teilen. Irgendwie ist das doch ein wirklich schöner Gedanke."
"Wenn ich das so höre, will es gar nicht zu dem passen, was du auf deinem Profil sagst: 'Worte zu einer netten Geschichte reihen' klingt für mich absolut nicht enthusiastisch, sondern vielmehr nach Anstrengung."
"'Enthusiasmus' muss meiner Meinung nach nicht zwangsläufig laut und schillernd sein. In dem Satz 'Worte zu einer netten Geschichte reihen' steckt meine subtile Leidenschaft für das Schreiben, ja eine ruhige Freude darin, sorgfältig ausgewählte Worte zu nutzen und sie zu einer netten Erzählung zu verweben. Natürlich hätte ich mich auch monumentaler ausdrücken können, aber mal ehrlich, in einer Welt, in der Nettigkeit oft auf der Strecke bleibt, ist eine 'nette Geschichte' in meinen Augen durchaus erstrebenswert. Es geht mir darum, Leserinnen und Lesern ein warmes und bereicherndes Leseerlebnis zu bieten."
"Damit kann ich schon mehr anfangen." Wir beobachten zwischendurch schmunzelnd einen kleinen Knoten von Gondeln, die einen lauten Wortschwall ihrer Gondolieri und viele erstaunte Gesichter der Touristen verursachen.
"Momentan schreibst du für den Ideenzauber von Kapitelwaise. Warum?"
"Ich fand den Ideenzauber wegen seines Konzeptes interessant. Man könnte sagen, dass ich allgemein eine Schwäche für Herausforderungen habe. Man verlässt so selten seine Komfortzone, daher bieten diese Art von Wettbewerben immer eine wunderbare Gelegenheit, genau das zu tun. Also, ja, es macht Spaß." Sie lacht herzhaft.
"Dann wollen wir mal hoffen, dass es bald einen Roman von dir gibt - den man dann eventuell sogar im Buchladen um die Ecke findet."
"Ich würde nicht sagen, dass das Schreiben eines Romans eines meiner primären Ziele im Leben ist. Natürlich habe auch ich schon mal darüber fantasiert, wie es denn wäre, ein Buch mit meinem eigenen Namen auf dem Cover in einem Buchladen zu kaufen." Sie nimmt theatralisch einen Schluck Eistee. "ABER in erster Linie möchte ich einfach schreiben, weil es mir Spaß macht, unabhängig von der Länge der eigentlichen Geschichte. Tatsächlich arbeite ich aktuell an einem größeren Projekt, dessen Ursprungsidee bereits lange Zeit in meinem Kopf herumspukt."
"Das klingt doch schon mal interessant. Deine Follower werden sich freuen."
(Achtung Leute: schwach besaitete sollten die nächste Antwort nicht lesen und direkt zur nächsten Frage hüpfen! - Anmerkung)
"Ehrlich gesagt, sind mir 'Follower' per se ziemlich egal. Bevor man mich an dieser Stelle lyncht - NEIN, ich meine damit natürlich nicht, dass mir die Leute egal sind, die meine Texte lesen. Ich mag das Wort nur nicht sonderlich gerne, denn es vermittelt in meinen Augen eine oberflächliche Vorstellung von Verbindung, während ich viel mehr Wert auf einen authentischen Austausch mit anderen lege. Ich versuche auf Wünsche und Kritik einzugehen, außerdem bemühe ich mich, jedem, der sich die Mühe macht, mir zu schreiben, eine angemessene Antwort zu geben."
Ich finde das eine schöne Antwort. Wenn ich das zudem mit der Selbstdarstellung verbinde, welche Kopflastig mir gegeben hat, ich zitiere: "Ich neige gelegentlich dazu, ein Hobby-Zyniker zu sein, was mich gerne mal in unschöne Situationen bringt, weil ich spreche, ohne zuvor nachzudenken." - Dann passt das für mich sehr gut ins Konzept. Meine Reaktion lautet demzufolge: "Ich mag die Erklärung, die du zur Aussage abgibst. Das macht in meinen Augen Sinn."
"Danke. Sag mal, wenn du die Möglichkeit hättest, in die Rolle einer fiktiven Romanfigur zu schlüpfen, welche Figur würdest du wählen und warum?"
"Vielleicht Aomame aus '1Q84', oder Toyo aus 'Das Sternenschwert', oder Najmah aus 'Zwischen Sand und Sternen', oder Aurelia aus dem gleichnamigen Roman - es müsste auf jeden Fall eine starke Frau sein; sie ist sich ihrer Stärke vielleicht nicht von Beginn weg bewusst, aber sie wächst hinein. Und mit ihrer Stärke tut sie Gutes."
"Hehe - gute Wahl." Wir blicken wieder einige Minuten auf den Canal Grande.
"Hast du eigentlich auch noch andere Hobbies als das Schreiben?", frage ich schließlich.
"Ja, Schreiben ist definitiv nicht mein einziges Hobby. Generell mag ich kreative Dinge wie Zeichnen und Basteln. Ein großes Hobby ist für mich Cosplay, wobei ich viel Zeit ins Erstellen der Kostüme investiere. Aber auch das Lesen für sich allein würde ich ganz klar zu meinen Hobbies zählen."
"Cosplay? Dann bist du in Venedig genau richtig!"
"Stimmt!" Wir lachen beide.
"Du hast auch Zeichnen erwähnt. Gestaltest du deine Cover selbst?"
"Ja, ich gestalte meine Cover selbst. Es macht mir großen Spaß, einer Geschichte 'das passende Gesicht' zu geben. Dabei nutze ich hauptsächlich Canva, diverse Bildbearbeitungsprogramme und Ki Bild Generator."
"Das Cover zu 'Scarlet Laces' gefällt mir."
"Danke, freut mich, dass es dir optisch zusagt. - Wollen wir etwas essen gehen? Ich hätte Lust auf Spinat oder Kartoffelpüree - oder beides."
Ich ziehe die Augenbrauen hoch, dann lächle ich. "Wenn du dazu einen feinen Fisch aus dem Ofen magst, kenne ich den perfekten Ort dazu. Wir müssen aber einige Gassen weiter gehen."
Wir verlassen unseren gemütlichen Balkon und schleichen wieder abseits der Touristenströme zum wohl besten Restaurant in Venedig, das glücklicherweise selten in Stadtführern erwähnt wird. Luigi führt uns zu einem gemütlichen Tisch, eine Kerze brennt und beleuchtet den hohen Steinbogen warm.
***
Das wärs auch heute wieder. Venedig ist einfach traumhaft, wenn man die Touristen wegdenkt. Einer der Vorteile während Corona. Da war die Stadt so, wie sie immer sein sollte. Sauber und sehr Italienisch.
Bevor ihr fragt: Nein, ich gebe keine Adresse bekannt, führe euch aber eventuell persönlich dort hin, wenn sich die Gelegenheit ergeben sollte.
Beim Essen hat Kopflastig mir dann noch gesagt, dass sie gerne einiges von mehrilyrical erfahren möchte. Ich schaue, was ich machen kann.
Ich hoffe, es hat euch gefallen, in der Stadt der Brücken. Das letzte Wort gilt nun wieder Kopflastig.
"Ich möchte mich von ganzem Herzen für diese wunderbare Gelegenheit bedanken, an diesem Projekt teilnehmen zu dürfen. Es war eine erfrischende Erfahrung, sich selbst zu hinterfragen und zu reflektieren. Ich kann nur jedem ans Herz legen, sich ab und zu die Zeit zu nehmen, um sich selbst besser kennenzulernen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Vielen Dank für diese inspirierende Erfahrung!"
Da sage ich doch einfach: Gerne!
Macht's gut - Eure Lesende
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