5 - Marlon

Bis zu diesem Urlaub sind es noch einige Wochen und Ben verhält sich von Tag zu Tag seltsamer. Er arbeitet schon seit Tagen wieder mehr mit, als zuvor, aber Marlon hat das Gefühl, dass er ihm aus dem Weg geht. Und wenn er ihm mal nicht aus dem Weg geht, scheint er etwas nervös zu sein.

Marlon beschließt dem auf den Grund zu gehen, Ben war schon immer sein bester Freund und neben Finn, Mark und Luis einer der wenigen, mit denen Marlon wirklich gern Zeit verbringt.
Gerade beenden sie die Sitzung, als Ben schon wieder versucht, den Raum als Erster zu verlassen.

„Auf ein Wort, Ben", sagt Marlon emotionslos, kurz bevor dieser aus dem Raum stürmen kann. Ben hält in der Bewegung inne und dreht sich zu seinem Freund um. Er ist sichtlich bemüht um eine neutrale Miene, aber Marlon lässt sich nicht täuschen. „Setz dich doch noch kurz zu mir", bittet er ihn, nachdem der Rest der Versammlung dem Raum verlassen hat.

Ben braucht keine Befehle, Marlon weiß, dass er sich immer blind auf seinen Beta verlassen kann. Die beiden verstehen sich ohne Worte, sie brauchen nicht mal den Mindlink, um die Gedanken des Anderen zu erahnen. Aber in letzter Zeit ist Ben ein Rätsel für Marlon und auch, wenn er vermutet, dass es an dessen Gefährtin liegt und deshalb nicht zu ändern ist, möchte er es von seinem Freund selbst hören.

Bens Miene ist zerknirscht, als er sich neben Marlon setzt, er wartet darauf dass Marlon das Wort ergreift.
„Gehts dir gut, mein Freund?"

Damit hat Ben nun wirklich nicht gerechnet, er dachte eher dass Marlon ahnt, dass er etwas im Schilde führt, oder dass er vielleicht schon selbst die Sache mit dem Urlaub überprüft hat und es herausgefunden hat. Er schaut seinem Alpha in die Augen und antwortet ihm ruhig:
„Mir geht's sehr gut, warum fragst du?"
„Du verhältst dich seltsam. Gehst mir aus dem Weg, wann waren zuletzt gemeinsam laufen? Du wirkst nervös, wenn wir uns sehen, als hättest du ein schlechtes Gewissen. Ich würde dir nie vorwerfen, dass du mit deiner Mate glücklich bist, das ist dir doch klar, oder?"

Ben ist verdutzt. Er hat mit allem gerechnet aber nicht damit. Schnell bringt er seinen Gesichtsausdruck unter Kontrolle. „Weißt du, Marlon, seit ich Maja habe, ist mir erst bewusst, was du durchmachst. Ich kann sie jeden Tag sehen, während du so weit laufen musst, um Jules dann nur beobachten zu können. Ich fühle mich schlecht, ja. Ich würde dir einfach gern helfen."
Damit hat er noch nicht einmal gelogen, auch wenn er den wahren Grund für seine Nervosität verschweigt. Das wird Streit geben, wenn Marlon es herausfindet.

„Ich weiß dein Mitgefühl zu schätzen, aber du siehst doch, dass ich zurecht komme. Mein Wolf und ich sind uns einig über die Vorgehensweise, er weiß wann er sich zurücknehmen muss und weil es immer nur so kurz ist, schafft er das auch gut. Findest du ich werde meinem Amt nicht mehr gerecht, oder warum beschäftigt es dich so sehr?"

Ben schluckt, das mit Marlons Wolf kann noch lustig werden. Ob er sich dann immer noch so gut unter Kontrolle hat? Ben bezweifelt es. Das ist der wahre Grund, warum er Finn und Maike mit in den Urlaub schicken wird. Sie werden wohl gut zu tun haben mit einem Marlon, wie sie ihn noch nie erlebt haben.

„Du bist ein großartiger Alpha und das weißt du. Ich spreche hier nicht als dein Beta, sondern als dein Freund. Ich wünsche dir, dass du glücklich bist, dass du vollkommen sein wirst. Man weiß nicht was einem fehlt, bis man es dann plötzlich hat. Du hast sie vor der Nase, aber haben kannst du sie nicht. Ich hab riesen Respekt vor deiner Stärke, aber das kann doch nicht gesund sein. Es kann dir doch damit nicht gut gehen."

Damit trifft Ben einen wunden Punkt. Marlon geht es nicht gut, auch wenn er sich bemüht, das zu verstecken. Er will auch vor seinem besten Freund keine Schwäche zeigen, weshalb er nur überheblich grinst. „Wahrscheinlich würde es mir besser gehen, wäre sie bei mir. Aber das wird sie nie sein, sie ist glücklich, also bin ich es auch. Behaupte jetzt nicht wieder dass es anders wäre, ich beobachte sie doch seit Monaten."

Darauf möchte Ben nichts mehr antworten. Er weiß, dass er damit bei Marlon gegen Wände rennt. Solange er sie immer nur glücklich sieht, wird er nichts anderes glauben. Nur wird es nie vorkommen, dass er sie so gebrochen sieht, wie Ben.

Selbst ohne ihn je gesehen zu haben, scheint schon Marlons Anwesenheit in der Umgebung einen starken Einfluss auf das Wohlergehen von Jules zu haben.

Der Urlaub ist Bens einzige Hoffnung, zur Zeit. Auch wenn er keine Ahnung hat, was passieren wird, hofft er einfach, dass es einen Moment geben wird, der Marlon Jules zeigt, wie Ben sie sieht. Er muss es abwarten, auch wenn es ihre Freundschaft zur Zeit sehr auf die Probe stellt.

„Ich weiß, Marlon. Ich mache mir einfach Sorgen um dich."
„Das ist nicht nötig, heute werd ich wieder nach ihr sehen, danach geht es mir jedes Mal noch ein bisschen besser."
Dass das gelogen ist wissen sie beide, aber Ben lässt es so stehen, und verlässt den Raum.

- - -

Als Marlon sich auf den Weg macht, nach Jules zu sehen, ist es noch nicht so dunkel wie sonst. Das Gespräch mit Ben hat ihn aufgewühlt. Er möchte sie heute etwas länger beobachten, will sich vergewissern, dass sie wirklich glücklich ist.
Er braucht diese Gewissheit, um für weitere Gespräche gewappnet zu sein.

Seine Mutter scheint die Einzige zu sein, die seine Meinung teilt. Das restliche Rudel wünscht sich eine Luna und sie wissen, dass Annabell das nicht mehr ewig machen wird. Marlon hofft, dass sein Bruder Marius seine Mate bald findet, sie wird die Rolle der Luna vorübergehend einnehmen, sollte ihre Mutter nicht mehr in der Lage dazu sein.

Er ist zuversichtlich, dass es dem Rudel gut gehen wird. Und damit ist er zufrieden. Juliana ist glücklich und das Rudel ist es auch. Mehr möchte er doch gar nicht.

Er kommt am Waldrand an und sucht den Garten nach seiner Schönen ab, er findet sie auf dem Boden sitzend. Zwischen ihren beiden Kindern. Ihr Sohn flechtet ihr Haar während Juliana sich an den Haaren den Mädchens zu schaffen macht. Er hört ihr Lachen, während sie ihre Tochter ermahnt, still zu halten. Gekonnt steckt sie Blumen in die Frisur ihrer Tochter, und streicht ihr danach sanft über die Schultern. „Fertig, mein Engel", sagt sie zu ihr, worauf das Mädchen sie anstrahlt.

Marlon spürt das Kribbeln, dass sie jedes Mal in ihm auslöst. Ihr Lachen ist Balsam für seine einsame Seele. Sie ist sein Gegenstück. Er liebt sie, obwohl er sie noch nie gesprochen hat. Sie strahlt eine Ruhe aus, die jeden um sie herum verstummen lassen könnte.

Der Junge umarmt seine Mutter von hinten und drückt ihr einen Kuss auf die Wange. „Jetzt bist du sogar noch hübscher als sonst, Mama", sagt er an sie gewandt und schaut dann zu seiner Schwester.

„Lass uns spielen, Melli. Mamas Kaffee wird schon wieder kalt", er nimmt sie an der Hand und läuft auf das kleine Spielhäuschen zu. Juliana schaut ihnen hinterher und seufzt dann wohlig auf. Sie lässt die ersten Sonnenstrahlen auf ihr Gesicht fallen und nimmt dann einen kleinen Schluck aus ihrer Tasse.

Ihr Sohn hat Recht, sie ist heute noch schöner als sonst. Lange hat er sie schon nicht mehr bei Sonnenlicht gesehen. Nach dem nächsten Schluck, den sie natürlich erst nimmt, nachdem sie kurz den Duft eingesogen hat, lächelt sie verträumt.
„Hey Mama, woran denkst du denn?", ruft ihr der Junge zu. „Daran, dass ich wirklich dankbar sein kann, euch zu haben", antwortet sie ihm und schaut ihn so liebevoll an, wie es nur eine Mutter kann. Oder eine Luna. Der Junge grinst frech, und wendet sich dann wieder seiner Schwester zu.

Eine Weile beobachtet Marlon seine Gefährtin wie sie im Garten sitzt. Seinen Blick abzuwenden, fällt ihm schwer, aber er muss es ja auch noch gar nicht.

Der Wunsch sie anzusprechen, bei ihr zu sein, sie zu küssen und in den Arm zu nehmen wird übermächtig. Er gibt sich dem Gedanken hin, bei ihr zu sitzen, ihre Hand zu halten und ihr tief in die Augen zu sehen.
Er würde so gern auch eine dieser Blumen pflücken und ihr in ihre Haare stecken. Seine Hand würde er nicht zurückziehen, er würde ihr Gesicht umfassen und sie küssen.
Zart würde er seine Lippen auf ihre legen, und sie dann auf seinen Schoß ziehen. Nur ganz sanft würde er sie weiter küssen, sie dabei aber festhalten, ihr sein Verlangen mit einem sanften Zungenspiel ausdrücken und ein unausgesprochenes Versprechen geben, was sie am Abend erwarten würde.

Alles in ihm regt sich, seine Haut kribbelt und er muss sich zwingen, das Gedankenspiel aufzuhören. In diesem Moment erhebt sie sich von der Wiese und ruft ihren Kindern zu, dass sie das Abendessen vorbereiten möchte. Hat er sie wirklich so lange beobachtet?

Während sie im Haus hin und her huscht sucht er mir immer wieder neue Postionen um sie zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Er spürt eine innere Unruhe, fühlt sich beobachtet. Deshalb zieht er sich noch etwas weiter in den Wald zurück. Gerade genug um sie trotzdem noch beobachten zu können.

Er lässt sie den ganzen weiteren Abend nicht aus den Augen, bis sie sich endlich aufs Sofa setzt. Sie sieht erschöpft aus, streicht sie über das Gesicht und lässt sich dann nach hinten in die Polster fallen. Er kann seinen Blick einfach nicht abwenden. Obwohl sie ihm nicht nahe ist, spürt er ihre Präsenz, vernimmt ihren zarten Duft. Während er sich in diesem Gefühl suhlt, beobachtet er wie sie ihren wunderschönen Körper, inzwischen nur noch in einem Nachthemd bekleidet auf dem Sofa ausstreckt.

Ihr Mann ist immer noch nicht Zuhause obwohl es schon längst dunkel ist. Wenn Marlon schätzen müsste würde er auf 21 Uhr tippen. Aber wer weiß das schon, in der Gegenwart dieser zauberhaften Frau verliert er gern mal den Sinn für Raum und Zeit.

Sie sieht aus als ob sie vorhätte auf ihren Mann zu warten. Als sie auf die Uhr sieht runzelt sie kurz die Stirn, um dann aufzustehen und ans Fenster zu treten.

Sie schaut in Marlons Richtung, und wäre er sich nicht sicher, dass sie ihn nicht sehen kann, würde er meinen, sie schaut ihn direkt an. Da ist wieder dieses leichte Lächeln, das ihn in ihren Bann zieht. Kriege beenden. Ja, diese Frau kann Kriege beenden, nur mit ihrem Lächeln.

Lange bleibt sie regungslos stehen und er genauso, prägt sich jeden Zentimeter ihres Gesichts ein. Plötzlich wendet sie den Blick ab und schaut Richtung Haustür. Marlon hat schon längst gehört, dass ihr Mann nun nach Hause kommt, aber ihr Anblick hat ihn so in den Bann gezogen, dass er es gar nicht mitbekommen hat.

Sie bleibt stehen, läuft ihm nicht entgegen. Aber in ihrem Gesicht spiegelt sich die pure Freude darüber, ihn zu sehen. Während er sich in aller Ruhe die Jacke und die Schuhe auszieht und dann gemächlich auf sie zuläuft, blickt sie ihm entgegen, als hätte sie nie einen schöneren Mann gesehen.
Es sticht in Marlons Brust. Er wird nie so von ihr angesehen werden. Er kann gerade so ein Winseln unterdrücken.

Der Blick ihres Mannes huscht über ihren Körper, dann nimmt er sie in den Arm und sagt etwas zu ihr. Marlon hofft für ihn, dass er ihr versichert wie bezaubernd schön sie ist und wie dankbar er ist, dass sie so lange auf ihn gewartet hat, nachdem sie einen anstrengenden Tag, alleine mit den Kindern hatte.

Sie nickt ihm leicht zu und wendet sich dann ab, um in die Küche zu gehen, er lockert seine Krawatte und setzt sich auf das Sofa, auf dem sie zuvor so erschöpft lag.

Von ihrer Erschöpfung ist nichts mehr zu sehen, sie bringt ihm etwas zu trinken und setzt sich nah an ihn ran. Marlon rechnet schon damit, jetzt zusehen zu müssen wie er seine Hände über ihren traumhaften Körper gleiten lässt, ihr Gesicht umfasst und sie küsst, aber es passiert nichts. Er nippt an seinem Glas und schaut sie nur an.

Marlon beneidet ihn darum, dass er dieses Gesicht aus nächster Nähe betrachten darf. Sie beugt sich zu ihm, nimmt ihm das Glas aus der Hand und stellt es auf den Tisch, um dann rittlings auf seinen Schoß zu klettern und ihn zu küssen. Schnell wendet Marlon den Blick ab, ist schon dabei sich umzudrehen und nach Hause zu laufen, als er sieht wie das Licht im oberen Stockwerk angeht.
Schnell schaut er zu ihr zurück und beobachte wie sie mit enttäuschtem Gesichtsausdruck aufsteht und nach oben geht. Die Miene ihres Mannes ist unergründlich. Wenn er sich ärgert, dass sie unterbrochen wurden, lässt er sich davon nichts anmerken.

Das Licht im Kinderzimmer erlischt, und kurz darauf leuchtet Licht im Raum daneben auf. Ihr Mann sitzt unverändert auf dem Sofa, nippt an seinem Glas während sie oben am Fenster steht und wieder nach draußen sieht. Sie lächelt müde, wendet sich ab und löscht das Licht.

Das ist auch sein Zeichen, wieder nach Hause zu gehen. Er kann noch nicht sagen ob es ihm gut getan hat, so lange bei ihr zu bleiben oder nicht.

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