1 - Juliana
Gedankenverloren läuft sie die Treppen hinunter und schaltet das Licht wieder an. Das Chaos begrüßt sie und kurz kann sie das seltsame Gefühl von eben wieder verdrängen. Während sie anfängt, die Spielsachen aufzuräumen und die Decken zusammenzufalten, um sie ordentlich auf das Sofa zu legen, grübelt sie, wann sie das letzte Mal so gefühlt hat.
Diese seltsame Mondfühligkeit macht sie total verrückt. Als ob der Mond selbst sie beobachten würde, jedes Mal wenn er seinen ganzen Umfang erreicht. Wie ein magisches Band, zieht es sie jedes Mal an Vollmond zum Fenster. Immer nur einen Augenblick. Als ob sie jemand beobachten würde.
Dass sie schon den Mond selbst im Verdacht hat, lässt sie kurz auflachen. Manchmal fühlt sie das auch zwischendurch, aber dieses Mal ist es länger her, der letzte Vollmond wird wohl das letzte Mal gewesen sein.
„Wie auch immer...", murmelt sie zu sich selbst und widmet sich dem Esstisch. Wie immer, steht noch alles da, wo sie es hat stehen lassen, um ihre Kinder ins Bett zu bringen. Während sie den Tisch abräumt und anfängt die Küche aufzuräumen, hört sie oben eine Tür, dann leises Tapsen.
„Mama?", kommt es leise von oben. Sie schmunzelt und schaut auf die Uhr, keine zehn Minuten seit sie das Kinderzimmer verlassen hat. „Was ist denn los, kleine Maus?", fragt sie, schon auf dem Weg zur Treppe.
„Ich habe Angst, Mama, schaltest du noch das Nachtlicht an?", bittet sie ihre Tochter.
Kurz überlegt sie, entscheidet sich aber gegen eine Diskussion darüber, dass der Mond doch hell genug sei. Sie läuft die Treppe nach oben und nimmt Melli auf dem Arm.
Langsam wird sie schwer, ihrem Rücken tut das nun nicht gut, aber sie tut sich so schwer mit dem Gedanken, wie groß sie schon geworden sind. „Das mache ich doch gerne", nuschelt sie in die Haare des kleinen Mädchens und trägt sie ins Zimmer.
Ihr Sohn schläft, wie immer, schon tief und fest, also schleicht sie an ihm vorbei, legt Melli ab und schaltet das Nachtlicht an. Mit einem „Schlaf gut Prinzessin, ich hab dich sehr lieb", drückt sie ihr einen sanften Kuss auf die Stirn, deckt sie zu und geht wieder raus. Sie bemerkt, dass das Fester noch offen ist und schließt es.
Kurz atmet sie durch, als sie die Tür hinter sich geschlossen hat und wendet sich dem Schlafzimmer zu.
Es zieht sie zum Fenster, das zum Wald gerichtet ist. Sie blickt hinaus und spürt wieder einmal diese Präsenz. Es ist der Mond, es muss der Mond sein.
Sie fährt sich durch ihre Haare und wendet sich wenige Momente später ab. Auf seltsame Weise fühlt sie sich geboren und beschützt. Als ob sie nicht allein wäre, mit sich selbst.
Schnell schüttelt sie den Gedanken ab und macht sich daran, auch den Rest des Haushalts noch zu erledigen, um sich dann den Abend noch gemütlich zu machen, bis ihr Mann nach Hause kommt.
Zur Zeit werden die gemeinsamen Abende immer kürzer, seine Arbeitszeiten immer länger. Aber heute wollte er früher kommen, noch vor 8 hat er ihr versprochen. Dass es schon bald halb 9 ist, darüber sieht sie hinweg.
- - -
Etwas zerknittert und ziemlich verwirrt schaut sich Ju um, bis sie ihr Handy entdeckt, an dem der Wecker schellt. Sie war wohl wieder auf dem Sofa eingeschlafen.
Wo Sven ist, muss sie sich gar nicht fragen, sein benutztes Glas und seine Socken zeigen ihr, dass er wohl nach Hause gekommen war, als sie schon geschlafen hat und er sich noch eine Weile zu ihr gesetzt hatte.
Er beobachte sie gern beim schlafen, sagt er ihr immer. Dass er sie da nicht wecken will, wenn sie so friedlich da liegt und ihre wohlverdiente Ruhe hat, ist doch selbstverständlich.
Wann er sie das letzte mal ins Bett getragen hat, um dort mit ihr in den Armen zu schlafen, weiß sie nicht mehr. Aber nach den Kindern ist sie nun auch nicht mehr die Leichteste.
Sie rappelt sich auf, sammelt die Socken und das Glas ein und macht sich schnell einen Kaffee, bevor der Trubel des Tages beginnt. Während sie über ihrem Getränk wach wird, grübelt sie weiter über den gestrigen Abend nach. Dieses Gefühl, nicht allein zu sein, lässt sie nicht los, auch heute ist es noch ganz präsent.
War das jedes Mal so? Woher kommen diese wohligen Schauer, die ihr immer über den Rücken jagen, das Lächeln, dass ihr einfach nicht vom Gesicht weichen will.
Wie ein innerer Frieden, ganz ohne Grund. Irgendwie muss sie einfach zufrieden sein, mit ihrem Leben, auch wenn sie sich manchmal so leer fühlt, fühlt sie sich an anderen Tagen so erfüllt. Wie jetzt.
Sie genießt es und schließt kurz ihre Augen. Der Geruch von Kaffee dringt ihr noch einmal in die Nase, während sie den letzten Schluck trinkt, um dann aufzustehen und loszulegen.
Es gibt viel zu tun, voller Elan begibt sie sich in die Küche und fängt an das Frühstück und die Dosen der Kinder vorzubereiten, als das Gefühl plötzlich verschwindet. Wie eine Faust, die sich um ihre Brust schließt. Plötzlich fühlt sie sich wieder leer, allein und schwermütig. Ein tiefer Atemzug und der Fokus liegt wieder auf dem Wesentlichen, genug der Gefühlsduselei.
Als die Kinder bereits fertig im Auto sitzen, um in den Kindergarten und die Schule gebracht zu werden, rennt Ju noch kurz durchs Haus, sucht ihre sieben Sachen zusammen und schaut ein letztes Mal in den Spiegel.
„Muss so gehen" nuschelt sie sich selbst zu und wendet sich schnell ab, um noch ihre Jacke vom Haken zu nehmen.
„Wie immer bezaubernd", raunt Sven hinter ihr. Sie wirbelt herum und schaut ihn kurz erschrocken an, um ihm dann ihr schüchternes Lächeln zu schenken.
Er blickt ihr in die Augen, schließt schnellen Schrittes den Abstand zu ihr und küsst sie.
„Schau nicht immer so skeptisch in den Spiegel, die wunderschöne Frau darin ist sensibel", haucht er und küsst sie erneut.
Sie seufzt und streicht ihm sanft über die Wange. „Alter Chameur", sagt sie und blickt ihm in die Augen. Das Grün leuchtet ihr entgegen und sie spürt diese tiefe Liebe, die sie so oft vermisst.
„Entschuldige, dass ich dich gestern Abend wieder hab warten lassen. Du hast das nicht verdient, ich wollte so gern noch Zeit mit dir verbringen, aber es war wieder kein Ende in Sicht und Simon wollte diesen Auftrag auf keinen Fall unerledigt liegen lassen."
Traurig schaut er sie an und die Aufrichtigkeit in seinem Blick lässt Ju wieder schlecht fühlen, weil sie sich am Morgen selbst bedauert hat. „Ich weiß es doch, und es ist in Ordnung, vielleicht ja heute Abend? Es ist Freitag, da könnten wir uns mal wieder einen Wein gönnen?", fragt sie ihn hoffnungsvoll.
Sie hebt den Blick und rudert sofort zurück, als sie seinen trifft. „Ach vergiss, was ich gesagt hab, ich weiß doch, dass gerade der Freitag oft besonders schwierig ist. Wir werden schon bald wieder Zeit füreinander finden. Du fehlst mir, aber ich konnte dich ja jetzt im Arm halten."
Sie gibt ihm einen Kuss und sein Griff um ihre Taille wurde kurz fester, was ihr schon ein wohliges Gefühl im Bauch beschert. Instinktiv drückt sie sich enger an ihn, drückt ihm ihr Becken entgegen. Es war schon so lange her, dass sie... „Hast du die Kinder schon im Auto, Liebling?", unterbricht Sven ihren kurzen Hormonausbruch, und wirft sie direkt zurück in die Realität.
Kurz schüttelt sie den Kopf um wieder klar zu werden, worauf er schmunzelnd auf sie herabblickt.
„Ja." Sie seufzt. „Ja die Kinder, sie warten im Auto auf mich, ich sollte los, wir sehen uns später oder morgen, hab einen schönen Tag, mein Schatz." Immernoch etwas durcheinander, fischt Ju den Autoschlüssel aus der Jackentasche und eilt zur Garage hinaus. Die Kinder singen schon fröhlich die Musik aus dem Radio mit. Sie startet den Wagen und fährt los. Auch wenn es eine kurze Begegnung mit ihrem Mann war, fühlt sie sich wieder so wohl und zufrieden, als sie auf dem Weg in den Kindergarten ist.
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