Sie

Sie war ein unscheinbares Mädchen. still, klein und nie trug sie etwas besonderes. Für die ganze Nachbarschaft war sie eine Unbekannte. Freunde hatte sie keine. Sie hatte bloß ihren großen Bruder. Meistens ignorierte er sie. Was sollte er auch mit einer 11 jährigen machen? Er ging viel Lieber mit seinen Freunden feiern! Viele Nächte verbrachte das Mädchen alleine Zuhause. Jede Nacht wartete sie bis ihr Bruder heimkam, was meistens erst am nächsten Morgen der Fall war. Sie kam so gut wie immer übermüdet zur Schule. Jeder ignorierte es. Einmal im Jahr ging es ihr richtig schlecht. Am Todestag ihrer Eltern. Jedes Jahr aufs Neue dieses erdrückende Gefühl der Trauer. Jedes Jahr aufs Neue diese Schuldgefühle, diese Gedanken, dass sie es hätte verhindern können. Jedes Jahr aufs Neue dieser Wunsch, der Wunsch mit ihnen gestorben zu sein, der Wunsch nicht solch ein einsames Leben verbringen zu müssen. Sie hatte einmal versucht mit ihrer Lehrerin darüber zu reden, aber die Lehrerin hatte sie nicht verstanden. Die anderen Schüler hatten es mitbekommen, man hatte gesagt sie wäre eine Lügnerin, sie hätte gelogen um Aufmerksamkeit zu bekommen. Die anderen Kinder hatten sie runtergemacht sie. Sie hatte es ignorierte. Schnell war der Vorfall vergessen gewesen. Sie wurde wieder das unscheinbare Mädchen, das niemand kannte. Sie wurde wieder zu der, die niemand je wiedererkennen würde. Die Lehrer hielten sie für glücklich. Ihr Bruder hielt sie für glücklich. Ihren Mitschülern war sie egal. Sie selbst, wusste nicht wie sich sich wirklich fühlte. Mal war da diese unendliche Leere, mal war da diese unerträgliche Einsamkeit, mal waren da diese unbeschreiblich starken Schuldgefühle. Eines fühlte sie nie. Glück. Sie wusste nicht einmal, ob sie das Gefühl von Glück überhaupt kannte. War sie je glücklich gewesen? Konnte sie überhaupt glücklich sein? Sie wusste es nicht. Immer wieder dachte sie darüber nach, doch sie wusste es einfach nicht. Wäre sie je glücklich gewesen, lag diese Zeit viel zu weit zurück als dass sie sich daran erinnern könnte. Manchmal stellte sie sich vor, wie es wäre glücklich zu sein. Fühlte man sich frei, wenn man glücklich war? Hatte man keine Schuldgefühle während man glücklich war? Konnte dieses Gefühl die Trauer überdecken? Sie glaubte das es so war. Die Vorstellung, sich glücklich fühlen zu dürfen, war für sie so schön, dass sie jedesmal begann zu weinen. Sie wäre gerne glücklich gewesen. Sie wurde nie glücklich. Sie blieb unscheinbar. Sie blieb traurig und unverstanden. Sie blieb einsam. Eines Tages starb sie. Sie wurde nicht sehr alt. Sie wurde bloß zwölf Jahre alt. Ein Auto hatte sie überfahren. Der Fahrer hatte sie nicht gesehen. Sie war zu unscheinbar gewesen. Niemand kümmerte sich um ihre Beerdigung. Sie wurde anonym begraben. Es wurde vom Staat finanziert. Es kam auch niemand zu ihrer Beerdigung, genauso fragte nie jemand, wo genau sie begraben lag. Wer sollte auch? Niemand hatte sie gekannt. Kaum einer hätte sich überhaupt an sie erinnern können und denen, die sich an sie erinnerten war sie egal.

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