Kapitel 19 // Sirenas Schatz
„Guten Morgen", weckte Aurora eine fröhliche und sanfte Stimme, die wie eine sanfte Meeresbriese in der Luft hing und jegliche schlechte Laune wegzuspülen, die ihr begegnete. Und genau diese Wirkung brauchte sie auch, wenn man nur einen einzigen Blick auf Alaska warf. Griesgrämig saß sie auf der anderen Seite der Feuerstelle – von der nur noch Aschereste in einem Steinkreis übrig waren – und starrte mit eisernem Blick ins Nichts. Aurora war sich sicher, dass, wenn eine Fliege – oder auch irgendein anderes Insekt – durch Alaskas Blickfeld fliegen würde, es einen Kälteschock erleiden und tot umkippen würde.
Alaskas Blick richtete sich auf sie und ihr Blick wurde – wenn das überhaupt möglich war – noch düsterer. „Oh, auch schon wach?"
Sirena half Aurora hoch, als sie sich aufsetzen wollte. Ihr Körper tat weh. Sie musste wohl gestern Abend, als Sirena sie heilen wollte, wohl weggetreten. An mehr konnte sie sich jedenfalls nicht mehr erinnern. Jedoch waren Sirenas Lächeln und all ihre netten Gesten aufmunternd und glichen Alaskas eiskalte Art aus. Aurora wusste nicht so recht, was sie von diesem Eismädchen halten sollte. Was sie allerdings wusste, war, dass sie in Sirena eine neue Freundin gefunden hatte.
Nach dem Frühstück – einer etwas komisch aussehenden Suppe, die allerdings echt köstlich war – packte Sirena schon die Sachen wieder zusammen.
„Wo solls denn hingehen?", fragte Alaska mit hochgezigener Augenbraue.
„Wir, meine Liebe, werden uns auf den Weg zu Yami machen.", antwortete ihr Sirena mit einem Lächeln.
Alaska lachte kopfschüttelnd. „Wenn wir uns dorthin begeben, sind wir in weniger als einer Minute tot! Es wäre der reinste Wahnsinn, diese Reise zu unternehmen. Das wäre purer Selbstmord!" Damit sprang sie auf und ging.
„Moment!", rief Aurora ihr hinterher. „Wo gehst du denn hin?"
Alaska drehte sich zu ihr um. „Na ich denke, ihr wollt zu Yami. Also, worauf wartet ihr denn noch?" Damit drehte sie sich wieder um und lief weiter.
Aurora warf Sirena ein vielsagenden Blick zu.
Diese schüttelte lachend den Kopf. „Alaska, Alaska", murmelte sie. „Sie liebt das Risiko und die dramatik", erklärte sie. Damit war sie fertig mit dem Einpacken und lief zusammen mit Aurora den Weg hinterher. Bis sie Alaska eingeholt hatten, erzählte Sirena ihr, dass sie eigentlich auf dem Weg zurück nach Kristallica waren, aber sie nun eine dringendere Aufgabe zu erledigen hätten.
„Hast du die Wegsteine noch?", fragte sie.
Aurora nickte und holte die übrigen drei Steine heraus: der Notenschlüssel, das Schwert und der Drache. Die Schneeflocke – die sie zu Sirena und Alaska gebracht hatte – war schon verbraucht.
„Gut" Sirena nickte ihr zu. „Behalte und verwahre sie. Wer weiß, wann du sie noch einmal brauchst. Alaska und ich kennen den Weg zu ihnen auch so. Wir waren es schließlich auch, die sie gefunden hat."
Während sie nach Süden liefen, erklärten ihr Sirena – und ab und zu auch Alaska – wie sie von Kassandra gebeten wurden, Hilfe zu suchen, dass Aurora die große Emrys war und was das überhaupt bedeutete und allerhand anderer Sachen. Und allmählich glaubte Aurora tatsächlich, sich an einige Sachen, an einige Stellen wieder erinnern zu können. Zumindest hatte sie nun zwei klare Gestalten im Kopf. Keine einzelnen Bildfetzen mehr, ohne Zusammenhang. Sie konnte ganz eindeutig die haselnussbraunen Haare und die süßen rosa Augen von Sherena sehen. Sherena. Der Name, so süß, wie nichts auf der Welt. Sie war die erste gewesen, die an sie geglabt und bis zum Schluss für sie gekämpft hat. Ein eindeutiges Bild von der Prinzessin erschien in Auroras Kopf. Sie hat so viel für sie getan. Dafür wollte Aurora sie vor allem beschützen. Jedoch hatte sie versagt. Sie ist mit Kassandra losgezogen, um nach ihr zu suchen. Ein neues Bild tauchte in Auroras Kopf auf. Diesmal waren es leuchtend grüne Augen, rein und klar und rotbraunes Haar. Die junge Königin war mit ihr zusammen losgezogen, um zusammen nach ihrer kleinen Schwester zu suchen. Doch was war dann passiert? Dunkle Schlieren vernebelten ihre Sicht.
„Hey" Sirena nahm sie beim Arm und zwang sie, in ihre Augen zu sehen. „Zerbrich dir nicht allzu sehr den Kopf daran, okay?" Sie wartete, bis Aurora nieckte, bevor sie fortfuhr: „Sie kommen sicher bald von allein wieder, deine Erinnerungen. Und solange wir noch weiterlaufen: Wie wäre es mit einer kleinen Ablenkung?" Alaska war gleich Feuer und Flamme.
„Aber bitte diesmal eine Gute!", warf sie ein. „Nicht so, wie beim letzten Mal, mit dem hungrigen Hummer und dem vegetarischem Hai!"
„Ich war damals vier oder fünf – wenn überhaupt!", verteidigte sich Sirena.
Aurora hatte keinen blassen Schimmer, wovon die zwei sprachen.
Doch dann fing Sirena an zu erzählen: „Es waren zwei sich liebende. Er und Sie. Jedoch konnten sie sich nicht treffen. Sie sahen sich lediglich nur morgens und abends kurz von weiter Ferne. Diese Zeit nutzten die beiden aber jedoch und strahlten so sehr, für den anderen, dass es alles andere in den Schatten stellte. Ganz besonders Sie. Sie strahlte immer und brachte Freude über die anderen. Allerdings, wenn Sie Ihn sah, war es, als wenn ihr tagtägliches Leben und strahlen eine neue Bedeutung hatte. Sie zog sich die schönsten Kleidungen für Ihn an. Mal hatte Sie ein leichtes rosa Kleidchen an. An anderen Tagen war Sie in einem kräftigen roten Shirt oder einem lieblichen gelb zu erblicken. Auf jeden Fall war es jeden Tag aufs Neue ein überwältigender Anblick für Ihn. Auch Er putzte sich extra für Sie heraus. Auch, wenn Er nicht so viele hübsche Sachen besaß, zeigte er sich trotzdem immer in seinem silbrigen oder gelblichen Anzug. So vergingen die Jahre. Jedoch war weder Er noch Sie mit dieser Situation zufrieden. Deshalb beschloss Er eines Tages, zu ihr zu gehen. Er musste unbedingt bei Ihr sein. Er wollte mehr, als Sie immer zu sehen, in Ihrer alltäglichen Pracht. Er wollte bei Ihr sein. Doch die Öffentlichkeit sah dies nicht gerne und so mussten sie sich schon nach wenigen Stunden voneinander trennen. Auch, wenn diese kurze Zeit für alle beide wundervoll war. Auch wenn die Öffentlichkeit es nicht gutheißen würde, beschlossen die beiden, sich alle zwanzig Jahre wiederzutreffen. Dafür, dass ihnen beide die Ewigkeit gehörte, war dies ein Katzensprung. Und so ist es auch noch heute. Sie sehen sich zweimal Täglich von weiter Ferne und gehen in der restlichen Zeit ihren eigenen Pflichten nach. Er und Sie. Für immer bis zur Unendlichkeit."
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