Kapitel 11 // Der Wächter
Kassandra bemerkte erst, dass sie ihre Augen geschlossen hatte, als sie diese wieder öffnete. Sie konnte es nicht glauben! Sie waren tatsächlich in Okumiel! Erstaunt sah sie sich um. Ehrlichgesagt hatte sie sich alles etwas anders vorgestellt. Die Stadt war ziemlich leer und es gab viel Freiraum. Was jedoch die Häuser anging, wurde sie nicht sonderlich enttäuscht. Die tristen Fassaden und die dunklen Dächer sahen genauso aus, wie es in den Büchern beschrieben wurde, die Kassandra gelesen hatte.
Plötzlich wurde Kassandra hinter eine Hausecke gezogen, als gerade zwei Schattenmenschen, die gerade in ein Gespräch vertieft waren, vorbeikamen.
„Ich weiß zwar nicht, wie weit sich mein Verrat herumgesprochen hat, aber es muss ja keiner mitbekommen, dass wir uns hier herumtreiben", murmelte Dìyù. „Obwohl, so, wie ich Yami kenne, weiß es bestimmt jeder und wer mir in irgendeiner Weise auch nur versucht mir zu helfen, lässt sie gleich hinrichten. Nein, SIE wird ihn hinrichten – und mich auch. Diese Gelegenheit lässt sie sicherlich nicht verstreichen, den Verrätern nochmal ins Gesicht zu schauen, bevor sie das Tageslicht verlässt." Ungläubig schüttelte sie den Kopf, bevor sie sich wieder fasste und vorsichtig an der Hausecke vorbeilugte. „Die Luft in rein!", flüsterte sie. Leise schlichen sie sich von dem kleinen Platz vorbei, in Richtung von Yamis Palast.
Je näher sie dem Unglücksgebäude kamen, desto dichter wurde die Gegend besiedelt, was es leichter machte, sich zu verstecken. Doch auch hier, auch wenn es schon mehr bewohnt war und die Häuser dichter aneinander standen, so herrschte hier trotzdem eine merkwürdige Leere. In Kristallica war es in dieser Gegend mindestens fünfmal so stark besiedelt, als hier.
Es dauerte nicht lange, bis die Mädchen das Schloss erreicht hatten. Dieses war in einer riesigen Felsenwand eingebaut. Nur von vorne konnte man das prächtige Gebäude erkennen, welches von dem Felsen verschlungen wurde. Lediglich die vorderen zehn Meter schauten daraus hervor. Der Rest des Schlosses befand sich im Felsen. Vor dem Eingang stand ein großgemauter Mann, mit Vollbart und Glatze, an dem, wie Kassandra befürchtete, es nicht so einfach sein würde, vorbei zu kommen. Aber sie hatte ja zu Glück Aurora – nein, Dìyù!
Diese schnaubte allerdings nur gelangweilt. „Es wird nicht sonderlich schwierig sein, an diesem Trottel vorbeizukommen! Das ist Elo ... Wopda ... Kolpwec ... wie auch immer. Ich konnte mir seinen Namen noch nie merken. Er bekommt jedenfalls nur selten irgendwelche Neuigkeiten mit. Dabei müsste man eigentlich meinen, dass man, wenn man in Schloss arbeitet – umgeben, von den wichtigen Leuten – immer auf dem neusten Stand sein müsste, aber..." Dìyù zuckte die Schultern. „Wir könnten ihn vielleicht austricksen" Damit zwinkerte sie Kassandra zu.
Keine zwei Minuten später marschierten die zwei auch schon auf den Wächter zu.
„Guten Tag, Prinzessin", begrüßte er seine ehemalige Herrin, wobei er ein genervtes Augenrollen kassierte. Anscheinend hatte er von dem Verrat tatsächlich noch nichts mitbekommen zu haben.
„Lass diesen Quatsch und lass uns lieber rein!", schnauzte sie ihn an.
Hastig verbeugte sich der große Mann vor ihr. „Ja, ja, natürlich Herrin!" Seine Worte überschlugen sich schon fast. Doch als er wieder aufblickte fiel ihm Kassandra ins Auge. „Hey, wer ist das?", fragte er. „Ich habe Euch einige Tage nicht mehr gesehen. Was war los, Prinzessin?"
„Das geht dich gar nichts an, Wächter! Kümmere dich lieber um deinen eigenen Kram! Ich glaube damit hast du mehr, als genug zu tun!", fuhr sie ihn an. Dabei glitt ihr Blick an seinem ganzen Körper entlang. „Oder möchtest du meine Autorität in Frage stellen?"
„Nein, nein. Verzeiht mir, Prinzessin!" Damit machte er schnell Platz und ließ sie Zutritt gewähren.
Als sie drinnen waren, fiel das schwere Tor mit einem lauten Scheppern in Schloss und die Mädchen waren nun wieder allein. Bis hierhin hatte der Weg ja schonmal gut geklappt. Hoffentlich blieb es auch so!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top