Kassandra war ziemlich nervös. Heute war der Tag! Der Tag, von dem an sie die Krone ihrer Vorfahren tragen würde. Sie saß noch drinnen, in ihrem Zimmer. Nun erhob sie sich von ihrem Sessel, auf dem sie Platz genommen hatte und ging runter in das Elternzimmer. Bevor sie eintrat klopfte sie kurz an der Tür nur um dann festzustellen, dass niemand da sein würde, um sie herein zu lassen. Vorsichtig öffnete Kassandra die Tür und trat ein. Das erste was sie wahrnahm, war der sanfte Geruch, den sie immer an ihrer Mutter gerochen hatte, wenn sie mit ihr und Sherena gekuschelt hatte. Die zukünftige Königin öffnete die Schublade des Schmucktisches. Dort drin befanden sich noch immer die herrlichen Schmuckstücke ihrer Eltern. Sachte strich sie über einzelne Ketten und Anhänger. Wie sehr sie sie doch vermisste. Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr. Aber so konnte es nicht weitergehen! Deshalb entschied sie sich, einige Schmuckstücke ihrer Eltern zu tragen, um sich stärker, sicherer zu fühlen und ihre Nähe zu spüren. Zum Schluss waren es zwei wunderschöne kristallene Ohrringe. Dazu eine passende Kette und drei ebenbürtige goldene Ringe mit prächtigen Edelsteinen darinnen, welche sie gleich anlegte. Nachdem dies getan war, verweilte sie noch einige Minuten in diesem Raum. Sah sich noch einmal das prächtige Himmelbett in rot und golden, die großartig gemalten Bilder an den Wänden und die passenden Möbel an, wo hier und da immer mal einige Pflanzen ausfindig zu machen waren.

Bald würde die Krönung beginnen, jedoch war davor noch etwas zu erledigen! Kassandra verließ das Elternzimmer und ging zum Fenstersaal. Eigentlich war es nur ein langer und recht schmaler Flur. Das dachte sie jedenfalls früher immer. Nun sah das Mädchen die wahre Bedeutung dieses Raumes. Jedes Fenster, jedes Mosaik stellte ein wichtiges Ereignis dar. So ähnlich, wie Unmeis Wandteppiche. Auf der einen Seite waren die Herrscher, die Kristallica schon regiert hatten. Auf der anderen waren wichtige Ereignisse vermerkt, wie zum Beispiel die Entstehung Kristallicas oder Heiwas große Taten für den Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt.

Kassandra ging den Gang weiter durch. Sie blieb bei dem Fenster stehen, welches König Wáng und Königin Jīng zeigte. Wieso musste das alles nur passieren? Warum mussten ausgerechnet die beiden gehen? Kassandra schossen schon wieder die Tränen in die Augen. Nein, sie durfte nicht weinen! Sie musste stark bleiben! Für sich, für sie und für ihr Volk. Denn sie war ja nicht dir einzige, die traurig ist. Das Volk brauchte nun endlich jemanden, der stark ist und Kassandra wollte genau das sein: eine starke, doch vor allem eine gute Königin! Viel zu lange musste Kristallica schon ohne Herrscher auskommen. Das hatte viel Caos mit sich gebracht. Doch nun war es soweit und Kassandra konnte diese Stelle antreten. Sie war nun alt genug und konnte ihren rechtmäßigen Platz einnehmen. Kassandra wurde ihr Leben lang auf diesen Tag vorbereitet. Doch nun, wo es tatsächlich so weit ist, fragt sie sich, ob sie das wirklich schafft, ob es ihre Bestimmung ist. Doch in Wirklichkeit - und das weiß sie auch sicherlich irgendwo in ihrem Inneren - hat sie einfach nur Angst. Angst vor der Zukunft, Angst vor der Wahrheit.

Mit gesenktem Kopf und feuchten Augen sprach sie zu dem Mosaik. „Ich wünschte, ihr könntet an diesem heutigen Tag bei mir sein." Kurz verharrte die Prinzessin in dieser Position. Dann sah sie wieder hoch, zu diesem Kunstwerk vor ihr. Und tatsächlich glaubte sie, ihre Eltern ihr zulächeln zu sehen.