Kapitel 40 ~ In Matrimonium ducere
Unbemerkt gelangte Aurelia in ihr Zimmer und wechselte eilig ihre Kleidung. Innerlich schalt sie sich dafür, dass sie ihrer Familie keine Nachricht hinterlassen hatte. Doch was hätte sie schreiben sollen? Bin mit Gaius unterwegs. Bis heute Abend. Sie bürstete sich noch rasch durch die Haare, dann ertönte auch schon ein zaghaftes Klopfen an ihrer Tür. Aurelia warf einen raschen Blick in den kleinen Spiegel und setzte eine neutrale Miene auf. Dann lief sie ohne Hast zur Tür und öffnete sie. Der junge Küchensklave, Segimer, trat unsicher von einem Fuß auf den anderen. Ohne den Blick zu heben murmelte er, dass Vespasius sie in der Bibliothek erwartete. Aurelia nickte, entließ den jungen Germanen und schlenderte gemächlich durch die Stadtvilla. Die Sklaven begannen auf leisen Sohlen die Öllampen zu entzünden und verbeugten sich, wenn Aurelia an ihnen vorüberging, die jeden von ihnen ein warmes Lächeln schenkte. Unwillkürlich musste sie an Lichtschalter denken. Wie viel einfacher Lichtschalter das Leben doch machten! Früher war es für sie so selbstverständlich gewesen, wenn sie einen leeren Raum betrat selbst das Licht anzuschalten. Ob sich die Sklaven oft beim Entzünden der Lampen verletzten? Nachdenklich runzelte sie die Stirn und beschloss mit Vespasius darüber zu reden.
Viel zu schnell erreichte sie die mit mythologischen Szenen verzierte Holztür, wie auch die restlichen Kunstwerke im Haus zeugten diese Schnitzereien ebenfalls von den sexuellen Vorlieben des Hausherren – nur waren hier immerhin die meisten Männer in Gesprächen vertieft. Am meisten gefiel ihr die Darstellung von Apollo und Hyazinth. Als sie mit ihrer Schulklasse in den Alten Meistern gewesen war, hatte sie auf einem winzigen Gemälde die Metamorphose des Hyazinth entdeckt und später war dieser Teil von Apollos Liebesleben immer wieder in einer Buchreihe ihres Lieblingsautors über moderne griechische Mythologie aufgetaucht. Bedächtig fuhr sie mit der Hand über das Relief. Mit einem Mal vermisste sie ihre echte Familie in ihrer wirklichen Welt und fühlte sich Fehl am Platz. Gewiss wären ihre Eltern nicht erfreut gewesen, wenn sie einfach verschwunden wäre, um mit einem Jungen um die Häuser zu ziehen. Aber ihre Eltern hätten sie verstanden. Sie konnte immer offen und ehrlich mit ihnen reden und sie hörten ihr zu. Was konnte sie von Vespasius erwarten? In dieser Zeit besaß eine Frau kaum Rechte. Hätte sie ihn um Erlaubnis bitten müssen, bevor sie das Haus verließ? Würde er sie bestrafen, weil sie einfach einen Tag verschwunden war?
Aurelia holte tief Luft, dann klopfte sie gegen die Tür. Sie trat einen Schritt zurück, straffte die Schultern und stellte sich gerader hin. Im nächsten Augenblick öffnete Vespasius' Sekretär Sophos die Tür und erklärte ihr, sie könne nun eintreten. Sie lächelte ihm freundlich zu, setzte sich in Bewegung und blieb erst vor Vespasius stehen, der lesend auf einem Sofa lag. Als sie sich ihm gegenüber auf Sophos' Hocker setzte, legte er seine Schriftrolle beiseite und gab Sophos ein Zeichen sich zurückzuziehen. Leise schloss sich die Tür in ihrem Rücken und ihre Blicke begegneten sich. Nervös strich sich Aurelia eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Vespasius Mund verzog sich zu einem freundlichen Lächeln.
„Ich hoffe, du hattest einen schönen Tag, meine Liebe", meinte er gut gelaunt und verblüfft nickte Aurelia.
„Das freut mich sehr", fuhr Vespasius fort. „Natürlich wäre es mir lieber, wenn du nächstes Mal mit mir deine Pläne besprichst und mir nicht nur einen kurze Nachricht hinterlässt. Aber ich verstehe, dass du eine direkte Einladung von Gaius nicht ablehnen konntest. Allerdings kam während deiner Abwesenheit Pallas mit einer Einladung der werten Antonia für dich zu uns und ich musste ihn leider wieder wegschicken. Aber ich soll dir ausrichten, dass sie dich morgen früh gerne bei sich empfangen würde. Vermutlich möchte sie noch ein paar wichtige Dinge mit dir wegen deiner Hochzeit besprechen oder hast du bereits andere Pläne für morgen?"
Schnell erkläre Aurelia, dass sie morgen Antonia gern besuchen würde und Vespasius klatschte erfreut in die Hände. Im Stillen dankte sie Gaius für seine Weitsicht, dass er ihre Familie über ihren gemeinsamen Tag informiert hatte.
„Dann lass uns jetzt zu Abend essen – wir haben nur auf dich gewartet", sagte er augenzwinkernd, sie erhoben sich zeitgleich und gemeinsam spazierten sie plaudernd zum Speisesaal. Dort lag bereits Vespasian, der während seiner Romaufenthalte immer bei seinem Onkel wohnte, mit zwei Überraschungsgästen: Neben ihm lag sein Bruder Sabinus mit seiner Frau Clementina, die gerade aufsprang, um ihre Freundin zu begrüßen. Voller Freude schloss Aurelia Clementina fest in die Arme.
„Was machst du denn hier?", fragte sie aufgeregt. „Wolltest du nicht erst im November nach Rom zurückkehren, wenn es auf eurem Landgut zu kalt geworden ist?"
Clementina lachte und schob Aurelia ein Stückchen von sich. Mit gespielter Strenge erwiderte sie ihren Blick und antwortete: „Glaubst du wirklich, ich würde mir deine Hochzeit mit dem begehrtesten Mann Roms entgehen lassen?"
Während des Essens tauschten sie Geschichten aus, wie es ihnen in der Zeit der Trennung ergangen war und auch wenn Vespasian und Sabinus sich ständig gegenseitig aufzogen, so war die Stimmung entspannt. Aurelia wurde bewusst, wie sehr ihr diese Menschen ans Herz gewachsen waren. Sie hatten sie ohne Fragen über ihre Vergangenheit zu stellen in ihrer Familie aufgenommen und waren für sie da, wenn sie sie brauchte. Innerhalb weniger Monate waren sie zu ihrer neuen Familie geworden und auch wenn sie in wenigen Tagen dieses Haus verlassen und zu Gaius in den kaiserlichen Palast ziehen würde, würden diese Menschen ein wichtiger Teil ihre Familie bleiben.
Mit dem ersten Licht des Tages verließ Aurelia in Begleitung von Vespasian die Villa ihres Vaters. Magnus und seine Kumpanen warteten bereits auf sie. Sie würden ihnen wieder als Begleitschutz dienen. Sie kamen schnell und unauffällig voran. Bis jetzt war nur die bevorstehende Hochzeit des Princeps mit der reichsten Erbin Roms verkündet worden, aber da Gaius und Aurelia bisher keinen gemeinsamen öffentlichen Auftritt gehabt hatten, kannten die Bürger der Stadt ihr Gesicht noch nicht. Das würde sich erst am Tag ihrer Hochzeit ändern, wenn sie an Gaius' Seite ihren Platz im traditionellen Brautzug einnahm, der sich von Vespasius' Stadtvilla bis zu ihrem neuen Zuhause in Gaius' Palast durch die Straßen Roms zog.
Kurz darauf saß sie der Großmutter ihres Verloben gegenüber und fragte sich, was sie hier eigentlich tat. Aus Caenis' Abwesenheit schloss sie, dass diese Unterhaltung nicht festgehalten werden sollte. Vermutlich war die Sklavin gerade mit Vespasian beschäftigt.
Eine gefühlte Ewigkeit erklärte Antonia Aurelia die Riten einer traditionell römischen Eheschließung und Aurelia sog jedes Detail in sich auf. Wenn sie am Tag ihrer Hochzeit nur den kleinsten Fehler begehen würde, gelte dieser als schlechtes Omen und welche Ehe wollte unter einem schlechten Stern beginnen?
Wirklich unwohl wurde Aurelia nur, als Antonia den Vollzug erwähnte. Sie wusste, dass man dafür Zeugen brauchte, aber mussten sie ihnen wirklich zusehen oder wurde es anderes bezeugt? Wenn ja wie? Doch Aurelia traute sich nicht, diese Fragen zu stellen.
Stattdessen begann Antonia ihr endlich zu erklären, warum sie die Verlobte ihres Enkels tatsächlich zu sich eingeladen hatte.
„Meine Liebe", begann die Ältere und lächelte sanft. „Du wirst bald im Zentrum des allgemeinen Interesses stehen. Das Volk wird zu dir aufschauen, die Elite wird jeden deiner Schritte genau beobachten und jede Frau wird auf ein Zeichen von Schwäche lauern, um Gaius' Interesse auf sich zu ziehen und es für ihre eigenen Zwecke zu benutzen. Es gibt Dinge, die du noch nicht wissen kannst, aber können musst, bevor ihr verheiratet seid und ich werde dich diese Dinge lehren"
In den folgenden Tagen lernte Aurelia bei Antonia alles. An den ersten beiden Tagen lernte sie alle Verhaltensregeln, die sie befolgen musste, wenn sie sich außerhalb ihrer Gemächer oder der kaiserlichen Familie befand. Es erinnerte sie an antiquierte Protokolle der Königshäuser ihrer Zeit. In jeder Lektion schärfte Antonia ihr ein, dass es vor allem um den Schein ging. Das Volk, die Senatoren, hochrangige Besucher – sie mussten sehen, dass Aurelia ihren Platz als Frau niemals wirklich an der Seite ihres Mannes, sondern in seinem Schatten ausfüllte. Doch genau diese Position eröffnete ihr eine Anzahl an Möglichkeiten sich trotzdem in die Politik einzubringen. Strategien und Szenarien, in denen sie Gaius im Hintergrund helfen konnten, spielten sie die nächsten beiden Tage durch. Manchmal schritten sie während ihres Unterrichts gemeinsam durch das Peristyl oder spazierten durch die Gärten, manchmal saßen sie einfach nur in Antonias Bibliothek. Aurelias Eifer und rasches Umsetzen des Gelernten verscheuchten Antonias letzte Bedenken. Die junge Frau besaß einen messerscharfen Verstand wie ihr Enkel und gemeinsam würden sie große Dinge erreichen können. Davon war Antonia von ganzem Herzen überzeugt.
Einen Tag vor dem Vorabend ihrer Hochzeit mit Gaius erreichte Aurelia Antonias Haus nervöser als die anderen Male. Seit ihrem Date hatte sie Gaius nicht mehr gesehen und Briefe schrieben sie keine. Als Antonia ihr gerade die Aufgaben und das Verhalten einer guten Gastgeberin während eines Spaziergangs zusammenfasste, formte sich ein Gedanke in Aurelias Hinterkopf, der immer mehr Gestalt annahm.
„Morgen Abend könnte ich doch ein paar Freundinnen zu mir einladen", warf sie ein, als Antonia gerade eine Pause machte. Die ältere Frau musterte sie skeptisch.
„Nur als Test", fügte Aurelia hinzu. „Aber ich wäre am Abend vor meiner Hochzeit ungern allein. Da ich noch nicht lange in der Stadt bin und viele nur recht flüchtig kenne, meine ich nur Gaius' Schwestern und Clementina, die Schwester von Clemens und die Frau von Sabinus"
Bevor sie noch weiter Unsinn faseln konnte, um Antonia irgendwie die Idee eines Junggesellinnenabschied näher zu bringen, klappte sie den Mund zu und senkte hastig den Blick wie es sich für eine wohlerzogene Dame gehörte. Antonia lehnte sich zurück und musterte die Verlobte ihres Enkels mit einem feinen Lächeln auf den Lippen.
„Was für eine ausgezeichnete Idee, meine Liebe", sagte sie schließlich und Aurelia hob lächelnd den Kopf.
„Ich werde sogleich die Einladungen verschicken und alles vorbereiten", sprudelte aufgeregt aus ihr heraus. Mit einem milden Lächeln beendete Antonia ihren Unterricht und Aurelia machte sich auf direktem Weg nach Hause.
Eine Stunde später verließen vier Einladungen die Stadtvilla und nach einer weiteren Stunde hatte sie vier Zusagen bekommen. Lächelnd tippte sich Aurelia gegen die Nasenspitze. Girls just wanna have fun. Lautstark eines ihrer Lieblingslieder nach dem anderen singend tanzte sie durch ihr Zimmer und war froh, dass ihr Vater und ihr Vetter geschäftlich in der Stadt unterwegs waren.
Im Schein der Öllampen halfen ihre Freundinnen Aurelia mit ernsten Mienen in die traditionellen Brautkleider. Es berührte Aurelia zutiefst, dass sie sich zu diesen niederen Tätigkeiten herabließen, die üblicherweise von Sklavinnen übernommen wurden. Doch wie Agrippina erklärt hatte, die von Aurelias Bett aus jeden Handgriff ihrer Schwestern beobachtete, hatten die drei Schwestern sich auch gegenseitig für ihre Hochzeiten geholfen und da Aurelia nun bald offiziell zu ihrer Familie gehören würde, wollten sie ihr bei den Vorbereitungen helfen.
Drusilla, die sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte, reichte ihr die weiße Tunica recta, die Aurelia eilig überzog. Dann trat Julia zu ihr und drapierte hochkonzentriert die bordeauxfarbene Palla galbeata, in deren feiner Stoff goldene Fäden gesponnen waren, sodass sie von Weitem weder gelb noch rot erschien. Fasziniert befühlte Aurelia die Seide und entdeckte filigrane Muster. Blüten rankten sich wie Spitze am Saum der Palla, die knapp über dem Boden endete. Clementina trat zu ihr und ergriff ihre Hand.
„Bevor ich den Schleier aufsetzen kann, musst du das Ritual vollzogen haben", erklärte sie leise und Aurelia nickte. Agrippina erhob sich träge und gemeinsam verließen sie Aurelias Zimmer.
Kurz darauf kniete Aurelia vor dem Hausaltar und sang leise das traditionelle Gebet. Normalerweise opferte in dieser Zeremonie die Braut den Hausgöttern ihre Spielsachen oder Kinderkleider. Da Aurelia keines von beiden besaß, legte sie auf den Altar den Griffel, mit dem sie damals ihren Abschiedsbrief an Gaius geschrieben hatte. Kaum hatte sie das Gebet beendet, trat Vespasians Mutter Vespasia mit einem Pilum aus dem Schatten. Vespasians Eltern lebten seit einigen Jahren in Raetia und Aurelia erinnerte sich düster, dass dieses Gebiet in ihrer Zeit zur Schweiz gehörte. Vespasia und Titus waren für die Hochzeit ihrer Nichte in aller Eile nach Rom gereist.
„Diesen Speer führte mein Sohn Vespasian in Thrakien gegen die Feinde Roms und ich flehe Euch an, ihr Götter, segnet ihn, damit er als hasta coelibaris meine Nichte in ihr neues Leben führt"
Dann trat sie hinter Aurelia, die nervös die Hände zu Fäusten zusammenballte. Sie hob ihren Kopf in eine geradere Position und wurde ganz still. Sanft teilte Vespasia mit der Speerspitze Aurelias Haare in sechs gleich große Teile, die ihre Freundinnen sofort mit Wollfäden, vittae, umwickelten und zu ordentlichen Zöpfen flochten. Schon als Kind war es ihr beim Friseur unangenehm gewesen die Kontrolle über ihre Haare abzugeben und so schloss Aurelia die Augen und versuchte sich abzulenken. Sie spürte, wie sie zu einem Haarknoten aufgesteckt wurden und öffnete blinzelnd die Augen. Lächelnd hielt ihr Agrippina einen Spiegel entgegen, den Aurelia dankbar ergriff. Die traditionelle Brautfrisur, Tutulus, gefiel Aurelia überraschend gut an sich. Einige kurze, widerspenstige Strähnen lösten sich bereits und nahmen der Frisur die Strenge. Leise bedankte sie sich bei ihren Freundinnen. Clementina trat neben sie und setzte ihr den Flammeum, einen bodenlangen gelben Schleier aufs Haar. Der Schleier war so gigantisch, dass Aurelia sich problemlos darin einwickeln konnte wie eine Larve in ihren Kokon. Die Augen ihrer Freundinnen füllten sich mit Tränen und Aurelia warf rasch einen Blick in den Spiegel. Sie sah aus wie eine römische Braut. Grinsend erwiderte sie die Blicke ihrer Freundinnen.
„Wie soll ich so nur schlafen?", fragte sie ernst und ein skurriler Vorschlag folgte dem nächsten. Lachend kehrten sie in Aurelias Zimmer zurück.
Am nächsten Morgen wünschte sich Aurelia nichts sehnlicher als eine Tasse heißen, dampfenden, süßen, schwarzen Kaffee. Die ganze Nacht hatten sie sich gegenseitig mit witzigen Geschichten aus ihrem Leben übertrumpfen wollen und im Morgengrauen waren sie vor Erschöpfung eingeschlafen. Mittlerweile war es fast Mittag in der Stadt am Tiber und die ersten Gäste strömten in die Villa. In weniger als einer Stunde sollten Gaius und Aurelia vor den Altar treten. Obwohl sie keinen Tropfen Wein angerührt hatte, dröhnte ihr Kopf. Aus müden Augen beobachtete Aurelia Agrippina, die versuchte die schlafende Drusilla zu wecken. Julia blinzelte Aurelia verschlafen an. Dann sah sie sich irritiert um und sprang alarmiert aus dem weichen Bett. Clementina mischte bereits irgendwelche Farben zusammen. Wahrscheinlich sollte das ihre Wimperntusche ersetzen. Aurelia seufzte wehmütig. Was würde sie nicht für ihren guten alten Concealer und ihre Mascara geben.
„Schau mich nicht so an!", rief Julia hektisch, ergriff Aurelias Hände und zog sie in Richtung ihres Schminktisches. „Setzt dich da hin und lass dich für deine Hochzeit fertig machen!"
Folgsam ließ sich Aurelia auf ihrem Stuhl nieder und lehnte sich zurück. Träge nickte sie Julia und Clementina zu und schloss die Augen. Als sie die Augen wieder öffnen durfte, war auch das letzte Zeichen ihrer Müdigkeit aus ihrem Gesicht verschwunden. Ihre Augen strahlten und ihr Mund war nicht zu intensiv geschminkt worden. Dankbar lächelte sie ihren Freundinnen zu. Drusilla legte gerade Aurelias Bürste beiseite, mit der sie sich die Haare geordnet hatte. Kaum war die letzte ihrer Freundinnen für den Tag fertig, klopfte Vespasians Vater an ihre Tür und erklärte, dass die Auspizien sehr günstig gewesen seien und die Zeremonie beginnen konnte.
Langsam erhob sich Aurelia und glättete den Stoff ihres Kleides. Clementina trat neben sie und richtete ihren Schleier.
„Bereit?", flüsterte sie und umfasste beruhigend Aurelias Schultern. Aurelia nicke lächelnd. Clementina ließ beruhigt ihre Freundin los.
„Natürlich wenn die Zeichen so günstig stehen", konterte Aurelia und Drusilla kicherte. Augenzwinkernd nahm Aurelia die erhabene und elegante Haltung an, die sie bei Antonia gelernt hatte und ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen. Hinter dieser Maske der aristokratischen Gelassenheit versteckte sie ihre Nervosität und Müdigkeit. Clementina öffnete die Tür und gemeinsam mit ihren Freundinnen verließ Aurelia ohne Angst das Zimmer. Ihre Gedanken drehten sich allein um Gaius.
Aus dem Atrium hörte sie Vespasius' Stimme die Bestimmungen ihres Ehevertrages verlesen, doch sie war viel zu aufgeregt, um seine Worte zu verstehen oder ihre Bedeutung auch nur im Ansatz zu fassen. Denn dort stand er vor dem Lararium, dem Hausaltar und gab vor aufmerksam den Worten ihres Adoptivvaters zu lauschen. Als hätte Gaius ihre Anwesenheit gespürt, wandte er den Blick in ihre Richtung und verzog bei ihrem Anblick den Mund zu seinem schiefen Grinsen, welches sie so sehr liebte. Schmetterlinge tanzten in ihrem Bauch. Er sah so gut aus in seiner weißen Toga mit den goldenen Verzierungen am Saum, die denen ihres Kleides ähnelten.
Vespasius erreichte das Ende der Schriftrolle und nickte seiner Tochter wohlwollend zu. Aurelia trat neben Gaius und verlor sich in seinen himmelblauen Augen. Lächelnd stellte sich Vespasia zwischen sie, ergriff jeweils die rechte Hand der Brautleute und legte sie ineinander. Sofort schlüpften Aurelias Finger zwischen Gaius und sobald sie sich berührten, fielen auch die letzte Reste von Anspannung und Müdigkeit von Aurelia ab. Mit einem roten Band umwickelte Vespasia die verschlungenen Hände und trat aus dem Weg, sodass jeder der Anwesenden das Brautpaar gut sehen konnte. Wie auch schon im Kapitolinischen Tempel verkündete Aurelia mit fester Stimme: „Wo du Gaius bist, bin ich Gaia"
Dieses Mal blitzte in ihren Augen nur für sie beide sichtbar ein Hauch Humor auf. Aurelia stellte sich auf die Zehenspitzen und federleicht fanden sich ihre Lippen. Viel zu schnell ging ihr Kuss zu Ende. Als nächstes folgte eine gewaltige Anzahl an Anrufungen der verschiedensten Götter, von denen Aurelia vorher nur Ceres und Juno gekannt hatte.
Das darauffolgende Hochzeitsmahl im Kreis ihrer beiden Familien zog sich bis in den späten Nachmittag. Die Flavier und Vespasier hielten sich dennoch durch die Anwesenheit der Julier zurück – ihre Herkunft war einfach zu weit voneinander entfernt. So waren die Gespräche höflich, aber zurückhaltend. Aurelia war zu müde, um alles in sich aufzunehmen. Irgendwann erklärte Gaius, dass sie langsam aufbrechen sollten.
Fackeln wurden entzündet, obwohl die Dämmerung noch nicht hereingebrochen war und viel zu schnell musste sich Aurelia von ihrer Familie verabschieden. Fest schlang sie ihre Arme um Vespasius und dankte ihm leise für alles, was er für sie getan hatte.
„Ich wollte nie eigene Kinder haben", flüsterte er zurück. „Aber es ist eine große Ehre für mich dein Vater zu sein"
Mit Tränen in den Augen kehrte sie zu Gaius zurück und lächelte ihn glücklich an.
„Hab ich dir schon gesagt, wie wunderschön du aussiehst?", flüsterte er ihr ins Ohr. Aurelia zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
„Nur das Beste für den ersten Mann im Staat", gab sie scherzhaft flüsternd zurück und Gaius schmunzelte.
„Bist du bereit die Herzen meines Volkes zu erobern?", fragte er und mit einem knappen Nicken ergriff sie seine nach ihr ausgestreckte Hand. Gaius gab dem alten Sklaven an der Tür, Aristophos, ein Zeichen und diese wurde zugleich von ihm geöffnet.
Gemeinsam schritten sie durch die Straßen Roms umringt von Tänzern, Musikern, Schauspielern und Gaius' Schwestern. Das Volk jubelte. Immer wieder kamen kleine Jungen zu Gaius und forderten ihn auf Nüsse auszustreuen. Alles erinnerte sie an die Bilder eines brasilianischen Karnevals – nur dass wesentlich weniger Haut gezeigt wurde. Sie kamen nur recht langsam voran, weil die Menschen die Straßen verstopften. Es schien, als würde jeder Bürger Roms einen Blick auf die neue Frau des Princeps erhaschen wollen. Als sie den Palast erreichten, ging die Sonne unter.
An der Tür reichte man Aurelia eine Schüssel mit Fett und einen Pinsel. Bedächtig strich sie die Pfosten ein und ignorierte den Geruch. Kaum war sie fertig, nahm ein Sklave ihr die Utensilien ab und ein anderer reichte ihr Wollbinden. Hochkonzentriert befestigte sie die Binden um den Türpfosten und fragte sich, wie man auf die Idee für einen so schwachsinnigen Brauch kommen konnte. Schon jetzt taten ihr die Sklaven leid, welche später die gewaltige Sauerei von dem schönen Holz putzen mussten.
„Bist du fertig?", raunte ihr Gaius ins Ohr und sie wickelte die letzte Binde um den Pfosten. Plötzlich packte Gaius ihre Taille und hob sie hoch. Automatisch legte Aurelia ihre Arme um seinen Hals und presste sich an ihn. Grinsend trug Gaius sie ohne zu stolpern über die Schwelle. Bevor er sie auf den Boden abstellte, stahl er sich einen flüchtigen Kuss.
Aurelia lächelte versonnen in sich hinein. Die Musik drang leise aus den Straßen zu ihnen. Heute würden wohl wenige zum Schlafen kommen.
Im Atrium hieß Gaius Aurelia mit Wasser und Feuer in seiner Familie willkommen. Grinsend legte Aurelia ihm eine Perle in die Hand und noch zwei weitere auf den gewaltigen Hausaltar, der unverkennbar Venus geweiht war.
Nachdem nun endlich alle öffentlichen Rituale vollzogen waren, führte Gaius sie in seine Gemächer. Auch hier trug er sie wieder über die Schwelle. Doch sobald sich die Tür hinter ihnen schlossen, fiel seine vornehme Zurückhaltung von ihm ab und er drückte seine Lippen auf ihre. Ihr Kuss wurde immer leidenschaftlicher und nur am Rande nahm sie wahr, wie er sich mit ihr aufs Bett sinken ließ. Aurelia vergrub die Hand in seinen Haaren und zog ihn näher an sich.
„Ich liebe dich", raunte er heiser und ihr ganzer Köper stand in Flammen. Lächelnd schlug sie die Augen auf und ihre Blicke trafen sich.
„Ich liebe dich", flüsterte sie glücklich zurück, als er ihren Hals küsste und die Welt um sie herum hätte untergehen können, sie hätten nichts bemerkt. Alles andere verlor seine Bedeutung bis es nur noch sie beide gab. Die Grenzen begannen zu verschwimmen und sie wurden eins.
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