Kapitel 18 ~ Zu perfekt
Gelassen stand Gaius am Heck des Schiffes und ignorierte höflich das Würgen seines Großonkels, der sich verzweifelt an der Reling festhielt. So weit, wie sich der Alte über die Reling beugte, hätte sein Gewicht ihn schon längst ins Meer ziehen müssen, wenn Macro und Clemens ihn nicht so eisern festhalten würden. Wie die beiden Prätorianer ihre Pflicht erfüllten ohne sich durch den „Duft" des Princeps gereizt ebenfalls zu übergeben, war ihm schleierhaft. Auf jeden Fall bewunderte er sie für diese Standfestigkeit. Zur Feier des Tages hatte Tiberius sogar noch mehr von den widerlich süßen Ölen, Salben und Cremes verwendet.
Der Wind zerzauste Gaius' Haare. Seit einem Monat war er einfach nicht mehr dazu gekommen sie schneiden zu lassen und jetzt waren sie einfach eine Spur zu lang für seinen Geschmack. Je kleiner Capri hinter ihnen wurde, desto leichter wurde Gaius ums Herz. Wenn er die Augen schloss und sich auf den Geruch des Meeres konzentrierte, konnte er sich für einen Moment vormachen, Tiberius wäre noch immer in seiner Villa.
„Wie lange noch?", stöhnte Tiberius so würdevoll wie möglich. Der Kommandant des Schiffes versicherte, dass sie gleich in den Hafen einlaufen. Gaius schloss die Augen und lächelte. Bald würde er sie wiedersehen.
Sobald er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, konnte er seine Ungeduld kaum noch im Zaum halten. Immer wieder ermahnte er sich jetzt nur ja keinen Fehler zu machen.
Tiberius musste nach der kurzen Schifffahrt eine dreistündige Rast einlegen, die er in den Thermen der kleinen Hafenstadt verbrachte. Gaius überwachte gemeinsam mit den übrigen Prätorianern, die sich nicht zu Tiberius' Schutz in der Therme positioniert hatten, die Entladung des Schiffes. Dabei ignorierte er Clemens gekonnt, so wie er es schon die letzten vier Monate tat, sobald eine andere Person sich in ihrer Nähe befand.
Ihm war klar, dass Tiberius bei ihrer Ankunft nur am gepflegtesten erscheinen wollte. Falls der Alte ihn jedoch mürbe machen wollte, so irrte er sich. Gaius hatte so lange auf ein Wiedersehen mit seinen vier liebsten Mädchen warten müssen, dass es nun auf ein paar Stunden mehr oder weniger auch nicht ankam.
Obwohl die Sonne mittlerweile ihren höchsten Stand erreicht hatte, fröstelte Gaius. Für März war es wirklich überraschend kalt. Wenn Tiberius endlich genug von den örtlichen Huren haben würde, könnten sie auch endlich weiterreisen. Trotz der kaiserlichen Sänfte und den dreißig Kutschen würden sie nicht weniger als eine halbe Stunde bis zur Villa brauchen. Sie war ja nur den Berg hinauf und dann einmal scharf links am Ende der Straße.
Endlich erschien der Princeps in all seiner Pracht und schreckte die armen Sklaven auf. Keine drei Minuten später trabte Gaius auf seinem Pferd neben der kaiserlichen Sänfte und unterhielt seinen Großonkel mit kleinen Geschichten über seine Schwestern.
Der Tross hatte sogar schon nach zwanzig Minuten die elegante Villa erreicht und Gaius stellte erleichtert fest, dass Drusilla, Agrippina und Julia bereits auf der obersten Stufe Stellung bezogen hatten. Als die kaiserliche Sänfte abgestellt wurde, schritten sie gemeinsam elegant die wenigen Stufen hinab und begrüßten herzlich eine nach der anderen ihren Princeps. Nachdem seine Schwestern ausreichend beteuert hatten, was für eine Ehre es sei den Princeps beherbergen zu dürfen, meinte Tiberius sichtlich geschmeichelt über die Aufmerksamkeit drei so schöner junger Frauen, nun dürften sie auch ihren armen Bruder begrüßen. Still zog jede seiner Schwestern ihn nacheinander in eine kurze Umarmung und er drückte jeder von ihnen einen sanften Kuss auf die Stirn.
Mit einem betörenden Lächeln wandte Julia sich wieder ihrem Großonkel zu und führt ihn in die „bescheidene Villa, die allein durch seine Anwesenheit in neuem Glanz erstrahlte". Drinnen hatten die Haussklaven bereits das Gepäck in die verschiedenen Gästeschlafzimmer gebracht und standen nun bereit, um den Gästen Erfrischungen zu reichen oder sie in die Bäder zu führen, damit sie sich den Schmutz der Reise abwaschen konnten. Dankend nahm Gaius einen Schluck Wein entgegen und plauderte locker mit Drusilla. Er zwang sich nicht nach Aurelia zu suchen.
Drusilla, die ihn sofort durchschaute, zwinkerte ihm unauffällig zu und empfahl ihm ein Bad. Er wolle doch an Julias großem Abend nicht wie ein Bauer oder Barbar bei ihnen liegen. Sofort erschien ein Sklave und führte ihn freundlich in die herrlich ausgestattete Badanlage. Heute Abend also. Verträumt lächelte Gaius in sich hinein.
Während des Festmahls musste sich die arme Julia eine Liege mit dem vor Parfüm triefenden Tiberius teilen. Zu ihrer Linken lagen Agrippina und Drusilla, die beide um die Aufmerksamkeit des Princeps wetteiferten. Auf ihrer rechten Seite lag Gaius. Die Musiker spielten angenehme Melodien, die Kelche wurden immer wieder zügig gefüllt und die Stimmung wurde immer ausgelassener.
Plötzlich watschelte ein kleiner, dicker Mann auf den bereits betrunkenen Tiberius zu, während Aurelia hinter ihm elegant wie eine junge Göttin schritt, die gerade vom Olymp herabgestiegen war, um sich unter die glücklichen Sterblichen zu mischen. Endlich sah er sie wieder und sog unauffällig ihren Anblick in sich auf, auch wenn ihre ganze Aufmerksamkeit dem Princeps galt. Ihr Blick huschte nicht unsicher umher, sie hielt den Kopf weder gesenkt noch machte sie sich klein. Die dunkelblaue Stola mit der farblich passenden, sorgfältig drapierten Palla betonte ihren perfekten Körper und mehr Männer als ihm lieb waren, warfen ihr interessierte Blicke zu. Ihr Gesicht wurde von zarter Schminke betont, ohne dass sie wie die vielen anderen jungen, adligen Frauen künstlich wirkte. Das Haar war kunstvoll nach der neuesten Mode aufgesteckt und schimmerte im sanften Kerzen Licht wie altes Gold.
Vor Tiberius' Liege blieb der kleine, fette Senator stehen und verbeugte sich tief. Aurelia folgte geschickt seinem Beispiel. Julia stellte hastig ihren Kelch ab und fragte Tiberius, ob er sich an Senator Gaius Vespasius Pollio erinnere. Tiberius dachte kurz nach, dann nickte er.
„Princeps", flötete die Stimme des Senators. „Darf ich Euch meine Adoptivtochter Aurelia Vespasia vorstellen?"
Gaius zog sich in seinen Geist zurück und wurde zu einem teilnahmslosen Zuschauer, als würde er ein interessantes Stück im Theater verfolgen. Tiberius musterte Aurelia von Kopf bis Fuß und schenkte ihr ein väterliches Lächeln.
„Sehr erfreut, Aurelia Vespasia", schnurrte er und sein Blick schwankte zu Gaius. Sein Lächeln wurde kälter. „Erst neulich hat mir mein lieber Großneffe deinen Fall vorgetragen. Hätte ich gewusst, wie reizend du bist, hätte ich die Bitte deines Vaters nicht ein paar Tage überdenken müssen, sondern sofort erfüllt. Sicher hätte er nichts dagegen, wenn du uns nach den Feierlichkeiten nach Capri begleitest, nicht wahr, mein Kind? Das wird sicher höchst amüsant"
Ohne mit der Wimper zu zucken dankte Aurelia für die Einladung und hüllte den Princeps augenblicklich mit ihrer natürlichen Art ein. Seinen Blick immer noch nachdenklich an Gaius geheftet, forderte er sie auf sich doch zu seinem Neffen zu legen. Aurelia verbeugte sich erneut, während Gaius rasch ans andere Ende der Speiseliege rutschte, damit Julia sich besser mit ihrer Freundin unterhalten konnte.
„Aurelia Vespasia", meinte Tiberius in gönnerhaftem Ton, als sie vor Gaius stehen blieb. „Dies ist mein Großneffe Gaius Julius Caesar, doch alle nennen ihn nur Caligula. Ist sie nicht hübsch, Caligula?"
Aurelia neigte leicht den Kopf in seine Richtung und schenkte ihm ein schüchternes Lächeln. Gaius musterte sie kritisch, während sie es sich auf der Liege bequem machte.
„Auf ihrer linken Seite hat sich eine Locke gelöst. Die Sklavin gehört ausgepeitscht", erwiderte Gaius trocken und Tiberius brach in schallendes Gelächter aus. Aurelias Gesicht wurde kalt und sie würdigte Gaius den Rest des Abends keines einzigen Blickes. Jedes Mal, wenn ihr Lächeln jemand anderem galt, bohrte sich ein stumpfes Messer in sein Herz und wurde genüsslich hin und her gedreht.
Eine Stunde nach Mitternacht konnte Aurelia ein kleines Gähnen nicht unterdrücken und besorgt erkundigte sich Tiberius nach ihrem Befinden.
„Ich bin nur etwas erschöpft, Princeps", erwiderte sie sanft und versuchte sich an einem Lächeln, doch das Strahlen fehlte. „Ich bin solch lange Feste einfach nicht gewohnt"
Sein Großonkel musterte Aurelia eindringlich.
„Du siehst wirklich müde aus, mein Kind", stellte er überrascht fest und Aurelias Wangen verfärbten sich leicht rosa. Wie bezaubernd sie doch aussah, wenn sie errötete. Am liebsten hätte Gaius die Hand nach ihrer zarten Haut ausgestreckt, um zu fühlen, ob ihre Wangen sich anders anfühlen als sonst. Stattdessen leerte er nur gelangweilt seinen Kelch. Tiberius rief streng seinen Spitznamen und Gaius schenkte ihm ein munteres Lächeln. Er war das lange Feiern durchaus gewöhnt.
„Geleite die Dame zu ihrem Zimmer!", befahl Tiberius und Gaius blieb der Mund offen stehen. Erneut lachte Tiberius und nach einem kurzen Blickwechsel stimmten Aurelia und Gaius zögerlich mit ein. Kurz darauf beruhigte Tiberius sich wieder und sie wurden wieder rasch ernst.
„Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn einem so hübschem, jungen Ding wie dir etwas zustieße", fuhr er unbeirrt an Aurelia gerichtet fort. Diese lächelte ihn nur erwartungsvoll an und in vertraulicherem Ton fügte er hinzu: „Nicht einmal meinen eigenen Prätorianern würde ich einen solch wertvollen Schatz anvertrauen. Mein Neffe wird darauf achten, dass weder er noch irgendein anderer Mann dir auch nur ein Haar krümmt, nicht wahr, Caligula?"
Gaius klappte hastig seinen Mund wieder zu, nickte Tiberius elegant zu und versicherte, er könne sich voll und ganz auf ihn verlassen. Vorsichtig, um Aurelia ja nicht unsanft von der Liege zu schubsen, erhob er sich, verbeugte sich gespielt demütig vor ihr und flüsterte schelmisch grinsend: „Seid Ihr bereit, meine Dame?"
Königlich stand sie auf, verbeugte sich tief vor dem Rest seiner Familie und wünschte allen eine angenehme Nacht. Dann ergriff sie zögerlich seinen dargebotenen Arm, harkte sich bei ihm unter und verließ ohne auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln den Saal. Kaum erreichten sie das Atrium, entschlüpfte sie ihm und lief schweigend die Treppe hinauf. Seufzend folgte er ihr hinauf, im Rücken spürte er nur zu deutlich Macros Blick.
An ihrer Zimmertür, er nahm an, dass es ihre Zimmertür war, wirbelte sie herum und fragte spöttisch, ob er ihr nun auch noch ins Zimmer folgen möchte, um sich zu vergewissern, dass sich niemand unter ihrem Bett versteckt hatte. Gaius verbeugte sich elegant und lächelte in sich hinein. Er war unbeschreiblich stolz auf sie, wie gekonnt sie jede Gefahr erkannte.
„Das wird nicht nötig sein, meine Dame, außer ihr besteht darauf", erwiderte er feierlich und Aurelia schnaubte empört – ganz die fromme Jungfrau. „Wenn Ihr meine Dienste nicht weiter benötigt, so werde ich..."
Doch sie hatte ihm schon die Tür vor der Nase zugeschlagen. Hinter sich verriegelte sie sofort die Tür und mit einem unbekümmerten Lächeln wand er sich ab, als würde er sich nichts aus diesem hübschen, jungen Ding machen. Vor sich hörte er die eiligen Schritte Macros verschwinden. Was hatten Tiberius und Macro denn erwartet? Etwa, dass sie sich irgendwelche geheimen Zeichen gaben und während des Festes in einem ihrer Zimmer verschwanden?
Beschwingt machte Gaius sich auf den Rückweg und lobte im Stillen die Weitsicht seiner Schwestern. Denn während Tiberius im schönsten Gemach der Villa am weitesten von Aurelia entfernt untergebracht war, grenzten sein Zimmer, in dem er bei jedem Besuch übernachtete, an Aurelias.
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