Kapitel 102 ~ IO TRIUMPHE II

Die Gebäude der Stadt der sieben Hügel warfen bereits lange Schatten auf die belebten Straßen. Dennoch war keiner der Bewohner bereit schon nach Hause zurückzukehren. Auf den Straßen gab es gigantische Tische mit kostenlosen Speisen für die Bevölkerung, welche der siegreiche Triumphator, ihr Princeps, gesponsert hatte. Die ganze Stadt befand sich im Siegesrausch, als hätte jeder einzelne Bürger an der Seite des ersten Mannes die wilde Insel befriedet.
Die feinere Gesellschaft lag bei prächtigen Abendmahlen zusammen und sehnte sich danach, eines Tages in das Haus des Princeps eingeladen zu werden. Denn in ganz Rom gab es ein Abendmahl, welches alle anderen überstrahlte. Dabei wurden im Haus des Princeps weder andere Speisen und Getränke noch andere Musik gespielt – im Gegenteil! Neigten einige der Gastmähler der Oberschicht schon zu dieser Stunde auszuarten, lag man im Triclinium des erfolgreichen Caesars ihrer Zeit noch immer gesittet beisammen und genoss das Beisammensein. Aber ein Aspekt konnte nur das Abendmahl des Triumphators bieten: Exklusivität. Denn nur wer an der Spitze der Oberschicht angekommen war, hatte an diesem Abend auf eine Einladung hoffen können. Es gab einige Senatoren, die in ihren eigenen Villen mit der Erkenntnis lagen, dass sie noch nicht weit genug aufgestiegen waren.
In ganz Rom gab es nur eine einzige Frau, die von sich behaupten konnte, dass sie an diesem Abend vollkommen glücklich war. Denn sie allein lag an der Seite des Princeps auf einer Speiseliege und genoss seine Nähe mit vollen Zügen. Viel zu lange hatte Aurelia auf ihren Mann verzichten müssen und wer diese beiden Menschen an der Spitze der Gesellschaft ihres Staates betrachtete, konnte die Liebe und das pure Glück sehen, die sie mit jeder Faser ihres Körpers ausstrahlten.
Immer wieder berührte Gaius sie zufällig und jede Berührung sandte einen wohligen Schauer durch ihren Körper. Wenn sich ihre Blicke trafen, blitzte in seinen Augen die gleiche Ungeduld auf wie in ihren. Sie konnten es nicht erwarten endlich wieder fortzusetzen, was sie am Abend zuvor heimlich begonnen hatten.
Strahlend vor Glück beobachtete Aurelia ihren Mann und lauschte einfach nur dem Klang seiner Stimme. Wie sehr hatte sie nur seine Stimme vermisst. Ab und zu beteiligte sie sich an den Gesprächen, aber sie war zu sehr damit beschäftigt ihren Gaius zu betrachten. Anders als die meisten Kinder waren Tonilla und Julius bereits im Bett und schliefen. Der Tag war zu aufregend für beide gewesen und Gaius hatte es sich nicht nehmen lassen die beiden persönlich ins Bett zu bringen.
Sobald Gaius mit dem Essen fertig war, wusch er sich die Hände in einer kleinen Schüssel. Nachdem er seine nassen Hände an einem Handtuch abgewischt hatte, legte er einen Arm um Aurelia und zog sie näher an sich. Überrascht lachte seine Frau auf und drehte ihm ihren Kopf zu. Ihre Blicke kreuzten sich und sie verlor sich in den Weiten seiner himmelblauen Augen. Sanft verstärkte Gaius den Druck auf ihrer Hüfte und Aurelia schüttelte lachend den Kopf. Die Wärme seiner Haut strahlte durch die dünne Seide ihres Kleides und beinahe hätte Aurelia vor Genuss die Augen geschlossen. Ihr Körper stand in Flammen.
Unmerklich setzte sie sich auf und als er sie zurück auf die Liege drücken wollte, lehnte sie sich lächelnd vor, wobei sie darauf achtete, dass ihre Brüste beinahe seinen Arm streiften. Der Griff um ihre Taille wurde härter und sie genoss es zu sehen, wie er auf sie reagierte. Tief inhalierte sie seinen vertrauten Geruch und beobachtete, wie seine Augen dunkel vor Verlangen wurden.
„Wir haben Gäste", erinnerte sie ihn neckend und wollte sich zurückziehen, aber Gaius' Arm hielt sie gefangen.
„Zum Pluto mit unseren Gästen", raunte er ihr verführerisch ins Ohr. „Hör auf mich zu reizen, sonst werde ich im Beisein all unserer Gäste die Kontrolle verlieren und ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass auch nur ein Einzelner von ihnen dich jemals so zu Gesicht bekommt, wie ich dich am liebsten sehe"
Mit seiner anderen Hand strich er sanft eine lose Haarsträhne aus ihrem Gesicht und hauchte ihr unauffällig einen kleinen Kuss hinters Ohr. Heiß und kalt zugleich fühlte sie sich, als er unmerklich von ihr wegrutschte.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Aurelia die belustigten Blicke ihrer Verwandten und atmete tief durch. Als sie sich ausreichend vertraute, lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und konzentrierte sich ganz auf das Gespräch, welches Julia mit ihr führen wollte.

Weit nach Sonnenuntergang gähnte Aurelia theatralisch und fing bewusst Gaius' Blick auf. Seine Augen funkelten amüsiert auf.
„Wir werden uns nun zurückziehen, meine Freunde", verkündete er und sofort erstarben alle Gespräche. „Vielen Dank, dass ihr diesen Abend mit uns verbracht habt. Bleibt, solange ihr wollt und genießt den Wein. Eure Zimmer sind bereits für die Nacht hergerichtet. Gute Nacht"
Während Gaius sich von der Liege erhob, sich zu ihr umdrehte und ihr seine Hand anbot, zwinkerte Vespasian ihr verschwörerisch zu. Mit gespielter Müdigkeit ergriff Aurelia die Hand ihres Mannes, ließ sich von ihm aufhelfen und aus dem Saal führen.
Sobald sich die Tür ihrer privaten Gemächer hinter ihnen schloss, fiel jegliche Selbstbeherrschung von ihnen ab.

Gerade als Aurelia in einen sanften Schlaf gleiten wollte, hörte sie das vertraute Rascheln von Stoff und spürte im nächsten Augenblick, wie sein Gewicht von der Matratze verschwand. Sofort war sie hellwach. Ruckartig setzte sie sich in ihrem Bett auf und musterte ihren Mann. Dass die Decke an ihrem Körper herabglitt, kümmerte sie nicht. Ertappt fuhr Gaius herum und verschlang ihren Körper mit hungrigen Blicken.
„Was hast du vor?", fragte sie ihn misstrauisch und er fuhr sich durchs zerzauste Haar. Ungeduldig hob sie die Augenbraue und neigte sich leicht nach vorn. Fasziniert beobachtete er seine Frau, dann bat er sie mit sanfter Stimme die Augen zu schließen. Kopfschüttelnd schloss Aurelia die Augen und wartete. Wenn er sie damit nur ablenken wollte, damit er ungestört arbeiten konnte, hatte er sich geirrt. Seine Schritte verrieten ihr, dass er gezielt im Zimmer herumlief und Erleichterung durchströmte sie.
Plötzlich senkte sich die Matratze hinter ihr und die Wärme seines Körpers traf ihren Rücken. Aber sie hielt still und ihre Lider flatterten nicht. Als etwas Kaltes ihren Hals berührte und über ihre Haut glitt, sog sie scharf die Luft ein. Hinter ihr kicherte Gaius leise, dann gab es ein metallisches Klicken und im nächsten Augenblick spürte sie das Gewicht einer Kette um ihren Nacken.
Automatisch schlug sie die Augen auf und drehte sich zu ihm um. Ihr Herz setzte einen Schlag bei seinem Anblick aus. Er war so schön. Sofort hielt das Blau seiner Augen sie gefangen.
Zögerlich legte sie eine Hand an ihren Hals und fühlte die glatte Oberfläche der einzelnen Glieder der Kette. Verwirrt blickte sie an sich herab und musterte die perfekten Perlen, die sich in drei Reihen an ihre Haut schmiegten. Ungläubig blickte sie zu ihm auf.
„Hast du wirklich geglaubt, ich komme ohne Geschenke nach Hause, mein Herz?", zog er sie auf und vergrub die Hand in ihrem Haar. Fordernd zog er sie zu sich und presste seine Lippen auf ihren Mund. Doch Aurelia hielt ihn sanft zurück. Verwundert zog er sich zurück und wollte wissen, ob ihr das Collier nicht gefallen würde. Bestürzt legte sie ihre Hand auf seine Wange und schmiegte sich enger an ihn.
„Sie ist perfekt", flüsterte sie mit belegter Stimme. „Aber mir ist Geschenk genug, dass du wieder in einem Stück zu mir zurückgekommen bist"
Grinsend zog er sie in einen weiteren Kuss.
„Gut", raunte er heiser. „Ich habe noch ein passendes Armband und Ohrringe anfertigen lassen. Das wäre sonst eine ziemliche Verschwendung gewesen"
„Du hast zu viel Zeit mit Vespasian verbracht", zog sie ihn kichernd auf und presste ihren Mund auf seine weichen Lippen. Lachend zog er sie enger an sich und sie meine vor Glück zu zerspringen.

Einen Monat nach Gaius' Triumphzug war ihr Leben zum Alltag zurückgekehrt. Tagelang hatte Gaius aufwendige Spiele und Speisen für das Volk gestiftet und sicherte sich damit ihre Liebe. Aber auch die waren nun lange vorbei und während Gaius seine Aufgaben wieder vollständig übernommen hatte, begann Aurelia sich nutzlos zu fühlen. Sie versuchte diese seltsamen Gefühle beiseite zu schieben und verbrachte die meiste Zeit mit ihren Kindern. Aber in ihrem Inneren breitete sich unaufhaltsam eine gähnende Leere aus, die Wellnesstage, Kinderspiele und Vorstellungsgespräche mit Lehrern nicht schließen konnten.
Wie erwartet hatte Gaius den Beinamen Britannicus abgelehnt. Doch dies hatte den Senat nicht daran gehindert, ihn ihrem Sohn anzubieten und nun musste Aurelia in dem Wissen leben, dass ihr Julius nun Britannicus genannt wurde. Als Gaius ihr die Entscheidung des Senats mitgeteilt hatte, hatte sie vor Entsetzen nicht einmal ausflippen können. Vielleicht war es besser, dass sie kaum reagiert hatte. So konnte man wenigstens nichts aus ihrer Reaktion deuten, was ihrer Familie zum Nachteil gereicht hatte. Begeistert war sie über den Beinamen ihres Sohnes immer noch nicht. Aber sie begann sich langsam an seinen neuen Namen zu gewöhnen.
Es war ein unerträglich heißer Junitag und alle Bewohner hatten sich in das Innere der Villa geflüchtet. Solange Gaius im Senat war und ihre Kinder ihren Mittagsschlaf hielten, hatte sich Aurelia in die Tiefen ihrer Bibliothek zurückgezogen. Aber selbst die bissigen Spitzen von Horaz' Satiren konnten sie nicht aufheitern. Stattdessen überkamen sie dröhnende Kopfschmerzen. Frustriert legte sie die Schriftrolle beiseite, zog die Knie an ihre Brust und blickte hinaus auf die alles beherrschende Stadt. Wie lange sie so dasaß, wusste sie nicht. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
Irgendwann ertönten Schritte und jemand setzte sich auf neben sie auf die Fensterbank. Keine Sekunde wandte sie ihren Blick von der Stadt ab. Sie spürte, dass ihr Schweigen ihm unangenehm war. Aber sie hatte keine Energie für eines ihrer stundenlangen Gespräche über Geschichte. Vielleicht würde Claudius sie in Ruhe lassen, wenn sie ihn einfach ignorierte. Aber er blieb schweigend neben ihr und nach einer Weile sah Aurelia ein, wie kindisch ihr Verhalten war. Nicht einmal Julius, nein, nicht einmal Britannicus würde sich so aufführen.
„Hat Gaius dich geschickt?", wollte sie wissen und drehte ihm ihren schmerzenden Kopf zu, sodass sie einander in die Augen sehen konnten. Ertappt kratzte sich Claudius den fast kahlen Schädel.
„Er macht sich Sorgen um dich", fing er an und Aurelia brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. Behutsamer fuhr Claudius fort: „Wir alle machen uns Sorgen um dich. Aber deshalb bin ich nicht hier. Es fehlt immer noch jemand, der die Professur für Zeitgeschichte übernimmt und ich kenne niemanden, der für diese Stelle geeigneter wäre als du. Ich hätte dich schon vor Monaten gefragt, wenn du nicht so beschäftigt gewesen wärst meinen Neffen zu vertreten. Du hast aller Welt gezeigt, dass du für diese Aufgabe bereit bist. Also bitte nimm mein Angebot an"
Mit großen Augen erwiderte Aurelia Claudius' gelassenen Blick. Ihr Herz kannte bereits die Antwort.

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