vierter Teil
In meinem Schlafzimmer angekommen ging ich mein alltägliches Ritual durch, alles an seinen Platz zu stellen, bevor ich Enrico wegen seines Handys anrief.
Ich wählte die Nummer seines Arbeitsplatzes.
"Dr. Steiner Hallo.", meldete sich Enrico.
"Hey, ich bin es, sorry wenn ich störe..." "Hey Aurel, tut mir echt Leid wegen vorhin, das wiederholen wir.", unterbrach mich Enricos Stimme.
"Alles okay, deine Arbeit ist wichtiger. Aber deswegen rufe ich nicht an, ich kann dir dein Handy leider nicht bringen wie du weißt, du musst es holen.", gestand ich ihm leicht beschämt.
"Mein was? Das ist hier Aurel, steckt am Ladekabel."
Auf einmal, wie ein Schlag fing alles an sich zu drehen, ich bildete mir nicht ein verrückt zu sein, anscheinend war ich es. Um schlimmeres als den Verlust meines Bewusstseins zu verhindern, ließ ich mich langsam auf den Sofasessel sinken.
"Hallo, bist du noch dran?", wurde die Stille von einer besorgten Stimme unterbrochen.
Ich räusperte mich, "Jaja, bin ich. Hab mich anscheinend vertan." Abrupt beendete ich das Gespräch. Mir wurde soeben erst klar, dass ich im Besitz eines fremden Handys war, das ich einfach so mitgenommen hatte. Aber vorher lag es doch auch noch nicht da ? Oder war es doch nur mein eigenes ? Ausgeschlossen, es hatte keine Ähnlichkeit mit meinem. Seit dem Unfall vor einem Monat war es kaputt gegangen weswegen ich mein altes Modell vorübergehend benutzte. Es dauerte nicht lange und ich warf aus Neugier einen Blick auf das hüllenlose I Phone. Ich lies es in meinen Händen hin und her wiegen bevor ich mich dazu entschied es anzuschalten. Gegen meiner Erwartung verlangte es keinen PIN, also reichte ein kuzes Wischen über den Bildschirm. Ein Chatverlauf öffnete sich, es war ein offener Tab. Der Kontaktname konnte nicht geladen werden, es gab nicht einen Balken Empfang. Den Chat konnte ich dennoch klar und deutlich lesen. Es war lediglich eine Nachricht auf dem sonst leeren Verlauf zu sehen, die mich erzittern lies.
Du wirst es noch einmal tun!
Ich las den Satz zweimal, dreimal, viermal, zehnmal, immer schneller. Nach jedem weiteren Mal wurde er undeutlicher, wie, als würde er allmählich vor meinen Augen verschwinden.
"Wer sind sie? Was meinen sie?", wollte ich schreiben, doch es war mir nicht möglich, ich konnte die Tastaur nicht bedienen, stattdessen erschien eine weitere Nachricht.
Warum hast du es getan?
Schlagartig spürte ich es wieder, den leichten Schwindel, die Kopfschmerzen, mein Hals, der sich plötzlich seltsam geschwollen anfühlte.
"Ich weiß es nicht.", raunte ich kraftlos in die Leere meines Zimmers.
Es erschien eine weitere Nachricht.
Hättest du deine Krankheit im Griff, wäre all das nicht passiert und du wärst glücklich.
"Ich war noch nie glücklich! Wer behauptet das ?", schrie ich machtlos gegen den Bildschirm. Doch dann erschien ein Wort, das mir den letzten Funken Verstand raubte. Es war eine Vermutung, dessen Antwort nur ich kannte.
Du.
Und sie erwies sich als richtig. Nur ich war im Besitz dieser trostlosen, verantwortungslosen Erkenntnis, die nicht nur mir sondern auch anderen Menschen Schaden zufügte.
Wie in Trance wischte ich über den Bildschirm, hoch und runter. Plötzlich war ich am Anfang des Chates angelangt, den ich vorher nicht bemerkt hatte.
"Nein, das kann, das kann nicht sein."
Ein Bild von Lili. Nicht nur irgendeines, sondern das, welches ich von ihr vor einem Monat in der Klinik, einen Tag vor ihrem Tod, flüchtig geschossen hatte. Aus meinem Zimmer. Aus meinem Bett. Aus meinem Blickfeld.
"Ich habe das niemals jemanden geschickt. Ich kenne die Nummer nicht. Ich kenne das Handy nicht!", wollte ich gegen alle Vernunft aus meinem Fenster brüllen, sodass es jeder hören konnte, aber es kam nur ein vergebliches Krächzen aus mir heraus. Es war die vergebungslose Trauer, die in den Nachrichten steckte, was mich die Fassung verlieren lies. Obwohl die bisherige Dosis, die ich einnahm, schlimmeres nicht verhindern konnte, schaffte es die doppelte Tablettenmenge, die ich mir erfolgreich gegen den Willen meiner Ärzte bunkerte. Um die Menge wirken zu lassen, krallte ich mich am Waschbeckenrand fest, hob meinen schwer gewordenen Kopf an und sah in die leeren grünen Augen meines Spiegelbildes, die einst funkelten.
"Kann das wirklich sein?", mit zitternder Stimme und bebenden Lippen krallte ich mir an meinen Kopf im Kampf mit meinem Gewissen, das sich gegen meine inneren, aufbrausenden Emotionen stellte.
"Hör auf damit, ich will das nicht mehr", ich vergrub mein Gesicht in den Händen in der Hoffnung nicht mehr atmen zu können.
"Es tut mir ja so leid, bitte, nur mach das es aufhört!" Nun brach der Damm meiner Verzweiflung endgültig, sodass ich die Tränen, die mir in die Augen schossen, nicht mehr zurückhalten konnte. Ich wusste nicht, was ich fühlen und was denken sollte. Das Einzige was ich wirklich wusste, war, dass ich mein eigener Gegner, mein eigener Racheengel war und von diesem grauenvollen Gefühl nie wieder eingenommen werden wollte. Nie wieder wollte ich das jemanden antun und auf gar keinen Fall mir selbst. Umhüllt im Schleier meines inneren Konflikts, trottete ich zurück zum Sofasessel und wie erwartet war der Chatverlauf verschwunden und das Handy gab es auch nicht.
Angesichts meiner bisherigen Lebenserfahrung gab es Menschen, die der Genetik zu verdanken als Sieger geboren wurden, aber auch welche, die zum Verlieren verdammt waren. Das hatte ich geglaubt zu sein, einer der Verdammten, doch es war der Selbstzweifel, der mich zu meinem Gegner und gleichzeitig zum Verlierer machte. Jedoch war ich in der Lage mich meinem Gegner zu stellen und über diese Einsicht konnte ich nur schwer erleichtert schmunzeln.
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