Kapitel 8
„Atrius!", rufe ich durch den Flur.
Er dreht sich erstaunt um.
„So spät noch auf? Du musst doch morgen wegen des Trainings früh aufstehen, nicht?", fragt er.
Ich habe zwei Stunden mit Hazel telefoniert, und mittlerweile ist es schon elf Uhr.
„Ja, ich bin nicht müde. Können wir reden?",
Atrius nickt.
„Natürlich, ich muss dir auch noch ein paar Fragen stellen. Folge mir."
Wir laufen zu seinem Zimmer, welches zwei Etagen höher liegt als meines.
Sobald er die Tür aufstößt, stockt mir der Atem.
Sein Zimmer ist noch größer und schöner als meins.
„Setz dich.", fordert er mich auf, und ich fühle mich zurückversetzt an die zwei ersten Male, die ich in seinem Wohnzimmer auf der Couch saß.
„Wie geht es deinem Arm?", fragt Atrius.
„Besser.", antworte ich und setze
mich auf das Sofa, während
Atrius sich an den Schreibtisch anlehnt und seine Arme vor der Brust verschränkt.
Er muss nicht wissen, dass die Wunde direkt fast verheilt ist.
Hier ist schon genug los.
„Was willst du mir erzählen?", kommt er direkt zum Punkt.
„Ich habe vergessen, dir etwas zu sagen, und ich glaube, dass es wichtig ist."
Atrius zieht eine Augenbraue hoch, sagt aber nichts.
Ich erzähle ihm alles, was in der Schule passiert ist, und bei der Erwähnung der Stimme in meinem Kopf wird er bleich.
Sobald ich fertig bin, seufzt er.
„Lia, du hättest mir das schon viel früher sagen sollen!"
Ich schlucke.
„Ja, ich weiß. Es tut mir leid."
„Weißt du, was es bedeutet?", fragt Atrius.
Ich schüttele meinen Kopf.
„Du?"
„Ich habe eine Vermutung.", meint er.
Ich schaue ihn fragend an.
„Ich glaube, dass es zwischen dir und jemand anderem eine gewisse Verbindung gibt, die der anderen Person anscheinend erlaubt, mit dir zu sprechen.
Beeinflusst die Stimme deine Entscheidungen?", fragt Atrius mich.
„Keine Ahnung...Nein, ich glaube nicht. Sie fordert mich auf, gewisse Dinge zu tun, und immer wenn ich es tue, geschieht etwas Übernatürliches."
Atrius runzelt seine Stirn.
„Du musst mir noch erklären, was mit dir los war, als Kiara und Lyel aus Rivera angereist sind. Woher du wusstest, dass die Kutsche gestoppt werden musste.
Nicht einmal Etalon hat das Tritogen bemerkt."
„Es war wieder die Stimme, doch erst als mein Arm angefangen hat zu bluten, wurde ich panisch und war dadurch in der Lage, meine Magie aufzurufen."
„Lia...Das ist nicht gut. Stell dir vor, du wärst praktisch an diese Person gebunden. Vielleicht hat sie sich selbst körperlich verletzt, um somit auch dir wehzutun.
Ob die Verbindung auch andersherum funktioniert, weiß ich jedoch nicht.
Und das hat alles an deinem sechzehnten Geburtstag angefangen?"
Ich nicke.
„Wir können jetzt nichts daran ändern, du solltest schlafen gehen.", schlägt Atrius vor.
Vermutlich muss er jetzt eine Weile alleine überlegen.
„Gute Nacht.", sage ich, während ich die Tür aufmache.
„Gute Nacht, Lia."
Als ich die zwei Etagen wieder runtergelaufen bin, muss ich kurz überlegen, in welche Richtung ich jetzt laufen muss.
Plötzlich ertönen zwei Stimmen von links.
Schnell verstecke ich mich hinter einer Säule und lausche.
„Hör auf, Shane.", bittet die erste Stimme.
Das ist eindeutig May.
„Das meinst du doch nicht ernst.", hofft Shane.
„Ich habe es dir schon mal gesagt. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben, wenn du so wichtige Geheimnisse vor mir hast."
„Bitte May, ich-"
„Nein! Das reicht. Lass mich in Ruhe."
Kurz halte ich meine Luft an, als die beiden an mir vorbeilaufen, doch zum Glück bemerken sie mich nicht.
„Es tut mir wirklich leid, aber ich kann es dir einfach nicht sagen!
Er bringt mich um, wenn ich-"
„Wer denn?!"
„Ich habe schon viel zu viel gesagt.", meint Shane verzweifelt.
„Ich versuche dir doch nur zu helfen! Rede mit mir!", fleht May, und ich sehe aus dem Augenwinkel, wie sie ihre Hände an seine Brust legt und ihr eine Träne aus dem Augenwinkel fließt.
Shane nimmt ihre Hände in seine und lehnt seine Stirn an ihre.
„Du kennst mich, May. Besser als jeder andere. Vertrau mir."
Jetzt fängt May wirklich an zu weinen, weshalb Shane sie in den Arm nimmt.
Auch er scheint wirklich niedergeschlagen zu sein.
Sanft fährt er mit seiner Hand durch ihre langen seidigen Haare und flüstert ihr beruhigende Worte zu, die ich von meinem Platz aus
aber nicht verstehen kann.
Die Gedanken rasen in meinem Kopf umher, ich kriege sie nicht geordnet.
Wovon zur Hölle spricht Shane?
Wer bedroht ihn?
Vermutlich versucht er May zu schützen, vielleicht wurde ihm verboten, sie einzuweihen.
Mir ist klar, dass ich versuchen werde zu helfen, und ich habe auch schon eine Idee, wo ich damit anfangen kann.
„Komm schon, du musst es noch mehr wollen!", schreit Edmon mir zu.
Ich bin unfassbar müde, weil mich dieses Gespräch von May und Shane gestern noch ewig wachgehalten hat.
Immer mehr Schweiß läuft mir die Stirn runter, und langsam bekomme ich Kopfschmerzen.
Edmon seufzt.
„Was ist los mit dir?", fragt er.
Ich senke meine Arme und starre ihn an.
"Naja, Shane wird von jemandem bedroht und jetzt ist May deswegen traurig, es wird immer noch ein Verräter gesucht, die königlichen Familien habe ich mir viel netter vorgestellt, aber sonst ist alles super.
Ach ja, und mein Arm wurde verletzt, weil ich vermutlich eine Verbindung zu jemandem habe, der sich absichtlich wehgetan hat um auch mich zu verletzten.", denke ich.
Was ich aber sage ist: „Gar nichts."
Ich merke, dass Edmon mir nicht glaubt, doch er fragt nicht weiter nach.
Sein Blick jedoch bleibt prüfend und kalt, als er mir weitere Anweisungen zuruft.
„Das reicht für heute.", entscheidet er schließlich nach einer halben Stunde.
„Wenn du nächstes Mal wieder so unkonzentriert bist, gehe ich zu Atrius und sage es ihm, klar?"
„Ernsthaft jetzt?", spotte ich.
Edmon zuckt mit den Schultern.
„Das ist nur für dein bestes.", meint er.
Ich lache.
„Seit wann kümmert es dich, was gut für mich ist?"
Edmon kneift seine Augen zusammen.
„Hast du eigentlich eine Ahnung, was-"
„Wie auch immer, ich muss los. Ich habe jetzt echt weder Zeit noch Lust mit dir zu diskutieren.", unterbreche ich ihn und will mich an ihm vorbeidrängen, doch er hält meinen Arm fest.
„Nicht so schnell.", murmelt er und zieht mich zurück.
„Wieso hast du es so eilig?", fragt Edmon und blickt mir dabei prüfend in die Augen.
Meiner Meinung nach sind wir uns gerade viel zu nah.
„Bei allem Respekt, das geht dich nun wirklich nichts an."
Ich versuche mich loszureißen, doch Edmons Griff ist eisern.
„Wenn es der Grund ist, warum du heute so unkonzentriert warst, dann schon. Also los, raus damit."
Ich kneife wütend meine Augen zusammen.
Nie im Leben werde ich ihm erzählen, was ich jetzt vorhabe.
„Lass mich los, Edmon."
„Beantworte meine Frage."
„Ganz ehrlich, hast du nichts besseres zu tun als mich zu nerven?", frage ich und versuche wieder, meinen Arm zu befreien.
Ohne Erfolg.
„Eines Tages wirst du mir dafür danken, dass ich versucht habe, dich zu beschützen.", meint er wütend.
„Mich beschützen? Vor wem?"
Ein spöttisches Lächeln schmückt meine Lippen.
„Du kennst diese Stadt nicht wie ich sie kenne, Amelia."
Mein Lächeln erlischt.
„Hör auf mich so zu nennen.", verlange ich.
„Wieso denn? So hast du dich mir vorgestellt, als ich dich bei den Waisen erwischt habe. Wenn Will-"
Er hört auf zu reden, als er bemerkt, wie viel er mir gerade unabsichtlich verraten hat.
„Waisenkinder also. Alles klar."
Ich lächele über meinen kleinen Triumph.
Etwas über Edmon zu erfahren ist so selten, dass ich jede einzelne Information mit Freude aufnehme.
Er ist mir zwar immer noch ein Rätsel, doch wenigstens weiß ich jetzt, wer sich hinter den Mauern versteckt.
Die Frage ist nur wieso zur Hölle Edmon bei Waisenkindern seine freie Zeit verbringt.
Seine Atmung beschleunigt sich.
„Ich schwöre, wenn du-"
„Weiß Atrius davon?", unterbreche ich ihn.
„Wenn du es mir nicht sagst, kann ich ihn auch gleich selbst -"
„Nein, okay?", unterbricht er mich diesmal.
Ich liebe diesen Rollentausch.
Es kommt nicht oft vor, dass ich die stärkere von uns beiden bin.
„Und das soll auch so bleiben.", sagt Edmon und schaut mir dabei durchdringend in die Augen.
„Dann schlage ich vor, dass du mich jetzt gehen lässt.", drohe ich.
Edmon beißt sich vor Wut auf die Lippe, lässt aber endlich meinen Arm los.
Ich ziehe mein leicht verrutschtes T-Shirt wieder zurecht, ziehe mir schnell meine Jacke an und beeile mich dann, aus der Scheune zu kommen.
Ich drehe mich nicht mehr um, doch ich spüre Edmons Blick in meinem Rücken.
Zum Glück regnet es gerade nicht, sonst würde ich vermutlich nicht den Weg zu meinem Zielort finden.
Mir war schon gestern klar, was ich heute machen würde.
Ich glaube, dass alles hinter dem Mauerlabyrinth angefangen hat, und vielleicht hängen Shane und Edmons Geschichten ja sogar irgendwie zusammen.
Auf jeden Fall scheint dieser Will wichtig zu sein.
Vielleicht ist er derjenige, der Shane bedroht?
Bleibt noch die Frage, wieso.
Ich ziehe meine Kapuze auf, damit man meine roten Haare nicht so stark sieht.
Wie beim letzten Mal, als ich bei den Mauern war, ist es mittlerweile dunkel.
Gut für mich, so habe ich etwas mehr Deckung.
Wie letztes Mal schleiche ich durch die Gänge, bis ich Stimmen hören kann.
„Ich verstehe nicht, wieso es nicht geklappt hat. Wie zur Hölle konnte jemand das Tritogen sehen?", ärgert sich jemand.
Die Stimme ist männlich und mir unbekannt.
„Reg dich ab. So schlimm ist es nun auch wieder nicht."
Diesmal ein Mädchen.
Ich muss mich konzentrieren, damit ich das Gespräch weiterverfolgen kann, weil andere viel zu laut sind.
„Nicht so schlimm?! Weißt du eigentlich, wie Will ausrasten wird, wenn er das erfährt? Ganz zu schweigen vom Boss."
Das Mädchen seufzt.
„Wir können es doch eh nicht mehr ändern. Was willst du denn machen?"
„Keine Ahnung, derjenige, der den Plan sabotiert hat, muss bestraft werden. Wer war das überhaupt?"
Ich halte die Luft an.
„Bin mir nicht sicher. Irgendein Ringträgerkind.", meint das Mädchen.
„Echt jetzt?! Von wem?"
„Meandra, glaube ich."
„Aha.", sagt der Junge nur.
Ich trete ein paar Schritte zurück und überlege kurz, ob ich noch bleiben soll, doch dann ist es mir doch zu gefährlich.
Sollte ich hier erwischt werden, würde ich wahrscheinlich nie wieder wegkommen.
Schnell renne ich zurück, doch wegen der Dunkelheit kann ich nichts sehen und stolpere.
Ich blicke mich prüfend um, doch zum Glück hat niemand mich bemerkt.
Ich hoffe, dass ich nicht schon wieder Ärger bekommen werde, weil ich zu lange weg war und schon wieder alleine nachts durch die Gegend laufe.
Doch das Alleinsein tut mir jetzt ganz gut, weil meine Gedanken gerade so schnell in meinem Kopf kreisen, dass ich das Gefühl habe, er explodiert gleich.
Die ganze Zeit drängt sich die Frage nach vorne, ob ich jemandem alles erzählen soll, oder nicht.
Ich habe viel erfahren, doch mit absoluter Sicherheit weiß ich noch nichts.
Was, wenn ich das alles hier völlig falsch interpretiere?
Die Stadt scheint heute irgendwie verlassener als sonst, weshalb ich versuche, schneller zu laufen.
Im Hotel angekommen laufe ich direkt in den Essbereich, weil ich einen unglaublichen Hunger habe.
Ich erblicke direkt den Tisch mit den Ringträgerkindern, und laufe geradeaus darauf zu.
Es wird Zeit, dass ich meine Familie kennenlerne.
Maddison und Amy schauen mich kritisch an, doch Tyler und Eric lächeln mir aufmunternd zu, weshalb ich mich auf einen Stuhl neben den beiden setze.
Weder May noch Hailey sind schon da, weshalb ich mich erst einmal ziemlich unwohl fühle, vor allem, als Shane sich mit tiefen Augenringen zu uns setzt.
„Alles okay mit dir?", fragt Tyler ihn besorgt.
Shane nickt nur.
Ich sage nichts, obwohl ich weiß, dass er lügt.
Jede fünf Minuten werfe ich einen Blick auf meine Uhr, doch May kommt nicht.
Nach einer viertel Stunde kommt Hailey in den Saal und schenkt mir ein strahlendes Lächeln, als sie mich erblickt.
Sollte ich ihr von May und Shane erzählen?
Ich verwerfe den Gedanken.
„Wie geht es dir, Lia?", fragt Eric mich plötzlich.
Ich schaue ihn verwundert, aber auch dankend an, dafür dass er versucht, mich in ein Gespräch zu
verwickeln.
„Gut.", lüge ich lächelnd.
„Und dir?"
Bevor er antworten kann, mischt sich Maddison ein.
„Kommt schon, als würde es euch wirklich interessieren. Tut doch nicht so.", sagt sie genervt.
„Was ist dein Problem?", frage ich sie wütend.
„Lass sie, sie ist nur eifersüchtig.", versucht Tyler mich zu beruhigen.
„Eifersüchtig? Auf wen?", frage ich.
„Gute Frage, auf wen soll ich eifersüchtig sein? Es ist wohl eher andersherum."
Maddison zieht spöttisch ihre Augenbrauen hoch.
Sie erinnert mich gerade so sehr an Zoe, dass ich meine Hände zu Fäusten balle.
„Werd erwachsen, Maddison, und lass Lia in Ruhe.", verteidigt Tyler mich.
Ich lächele ihn dankend an.
„Das ist doch alles Unsinn hier. Selbst dieses Hotel nervt mich. Wird Zeit, dass- wie auch immer.
Kommst du, Amy?", fordert Maddison ihre Schwester auf und wischt sich dabei die Krümel von ihrer Kleidung.
Ich runzele meine Stirn.
Was wollte sie gerade sagen?
Plötzlich schießt mir ein Gedanke durch den Kopf.
Was, wenn Maddison die Verräterin ist?
Sie hat sich von Anfang an so komisch benommen. Gegenüber jedem genervt, bei mir selbst hasserfüllt.
Dabei habe ich ihr nie etwas getan.
Amy nickt und folgt ihrer Schwester, die schon schnellen Schrittes vorangegangen ist,aus dem Saal.
„Sie ist schrecklich.", seufzt Eric.
Ich nicke.
„Habe ich was verpasst?", fragt Hailey neugierig, als sie unsere genervten Gesichtsausdrücke sieht.
„Nichts Außergewöhnliches.", murmelt Shane.
Selbst seine Stimme klingt vollkommen niedergeschlagen.
„Alles klar bei dir?", fragt Hailey ihn.
„Alles bestens!", ruft er genervt und läuft aus dem Saal, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben.
An der Tür läuft er fast in May rein, die ihn erschrocken anblickt, doch mehr als einen kurzen Blick schenkt er ihr nicht.
May sieht ihm traurig hinterher und beißt sich auf die Lippe, vermutlich, um nicht zu weinen.
Schnell drehe ich mich wieder zum Tisch, nicht, dass jemandem etwas auffällt.
Gedankenverloren fasse ich mir an mein Handgelenk, um aus Gewohnheit an der kleinen schwarzen Rose zu drehen.
Doch anders als erwartet, kann ich die kühle Form nicht spüren.
Ein Blick von mir bestätigt mir, was ich schon erwartet habe.
Das Armband ist nicht mehr da.
Ich suche jetzt schon mindestens eine halbe Stunde nach meinem Armband, doch es ist nirgends zu finden.
Immer klarer wird mir, dass ich es wohl vorhin im Mauerlabyrinth verloren habe, als ich gestürzt bin.
Ich bin unfassbar müde, obwohl es noch nicht einmal so spät ist.
Nach weiteren zehn Minuten gebe ich die Suche endgültig auf und mache mich bettfertig.
Es dauert nicht lange, dann bin ich eingeschlafen.
Als ich aufwache, sehe ich mich selber. Erst verstehe ich es nicht, doch dann merke ich, dass ich träume.
Normalerweise habe ich nie so eine Art von Traum.
Ich stehe in einer Ecke und sehe zu, wie mein ungefähr dreijähriges ich in den Armen einer Frau gehalten wird.
Ihr Gesicht kann ich jedoch nicht erkennen.
Nach einer Weile kommt ein Mann ins Zimmer und lächelt die beiden warmherzig an.
Als die Frau ihn hört, dreht sie sich um.
„Schau sie dir an, Miron. So schön.", flüstert die Frau und drückt mir einen leichten Kuss auf die Stirn.
Mittlerweile ist mir natürlich klar, wen ich hier vor mir sehe, doch ich habe keine Ahnung, wieso.
Wie bin ich überhaupt in diesen Traum gekommen?
„Sie sieht dir jetzt schon ähnlich.", murmelt der Mann und lächelt seine Frau genauso an, wie mich vorhin.
Ich kann es nicht zurückhalten, und ich wische die Träne nicht weg, die aus meinem rechten Augenwinkel fließt.
„Ich hoffe, sie wird ein schönes Leben haben.", meint die Frau plötzlich und ruiniert somit die angenehme Stimmung.
„Ich auch, Meandra, ich auch.", stimmt Miron ihr zu.
Beiden laufen Tränen über die Wangen, genauso wie mir.
Plötzlich fängt der ganze Raum an, zu wackeln und beben, und ich wache erschrocken auf.
Vor mir steht May mit tränenüberströmtem Gesicht.
„Was zur Hölle-"
„Du musst mir helfen, Lia!", unterbricht sie mich.
„Was ist denn los?"
Ich reibe mir über die Augen, um etwas wacher zu werden.
„Ich wollte gerade zu Shane und mich mit ihm aussprechen, doch ich kann ihn nicht finden! Er ist verschwunden!"
„Leg dich wieder hin, May, er ist bestimmt nur spazieren gegangen oder so."
„Mitten in der Nacht?"
„Wie spät ist es denn?"
„Drei Uhr."
Ich seufze.
„Ich glaube nicht dass-"
„Bitte, Lia. Ich habe das Gefühl, du weißt etwas."
Und dann fällt es mir wieder ein.
Das erste Mal beim Mauerlabyrinth hatte ich mitbekommen, wie sie vermutlich über einen Angriff geredet haben. Ich überlege und versuche mir die genaue Wortwahl nochmal einfallen zu lassen.
„Wir müssen morgen mal wieder ordentlich abräumen.
Sonst schaffen wir's nie ins Hotel.", meinte jemand.
„Brauchen wir denn echt unbedingt dieses beschissene Geld?", fragte ein anderer.
„Versuch gar nicht erst, das zu verstehen.", antwortete noch jemand anderes.
Was, wenn sie sich mit dem Geld Waffen kaufen? Oder Spione?
Und was, wenn Shane der Verräter ist und ihnen hilft? Vielleicht planen sie gerade mitten in der Nacht, wo niemand es mitbekommt, einen Angriff auf das Hotel.
„Ich muss gehen.", sage ich zu May und springe aus dem Bett.
„Was? Wohin? Hilfst du mir jetzt?"
Ich nicke.
„Ich werde ihn suchen gehen und du bleibst hier, falls er wiederkommt."
„Bist du sicher? Nicht, dass dir was passiert. Ich sollte gehen, du bist wertvoller als ich."
„Hör auf damit, deine Sicherheit ist mir wichtiger als meine.
Wir sehen uns später.", sage ich, während ich mir schnell einen Pulli und eine Jogginghose über meinen Schlafanzug ziehe.
„Pass auf dich auf, Lia. Und danke."
Ich nicke, ziehe mir schnell Schuhe an und beeile mich dann, aus dem Zimmer zu kommen.
Ich renne die Treppen runter, durch die große Eingangstür, wo die Wachen mich komisch anschauen, aber nicht aufhalten, und nehme dann den altbekannten Weg.
Ich höre nicht auf zu rennen, erst, als ich in die Nähe der Mauern komme.
Ich höre schon Leute lachen.
Kurz blicke ich mich um, nur um zu merken, dass hier kein einziges Haus ist. Auch den Boden taste ich mit meinem Blick ab, aber mein Armband ist nirgends zu finden.
„Wie dem auch sei, ihr wisst ja schließlich alle, wieso ich dieses Nachttreffen schon vorher organisiert habe.
Der Boss ist nicht froh, dass der Tritogenangriff nicht funktioniert hat, aber er gibt uns nicht die Schuld.
Hoffen wir mal, dass wir ihn heute Nacht nicht enttäuschen werden.
Oder?"
Zustimmende Schreie folgen.
Ich muss sie aufhalten, die Frage ist nur wie.
Ich will noch etwas näher drangehen, da werde ich plötzlich von hinten gepackt, wie beim ersten mal von Edmon.
„Du kommst mit.", murmelt der Junge, und ich höre sein gehässiges Grinsen heraus.
Er führt mich genau in die Mitte, und automatisch wird es still.
„Sie hat gelauscht, Will.", erklärt der Junge die Situation.
Bei dem Namen klingeln meine Ohren.
Diese Situation, in der ich mich momentan befinde, ist ziemlich gefährlich.
Verdammt gefährlich.
Ich versuche mich aus dem Griff des Jungen zu befreien, doch er ist zu stark, und das hässliche Grinsen des Anführers vervielfacht meine Angst nochmal um einiges.
Er hat graue Augen und hellbraune, zerzauste Haare. Sein Gesicht ist schmal und seine Lippen werden von einem dünnen Bart umrundet. Er sieht nicht schlecht aus, doch sein kalter Blick verleiht ihm etwas so Bedrohliches, dass sein gutes Aussehen dadurch zerstört wird.
Ich schlucke und versuche meine Hände irgendwie zu bewegen, um Magie anzuwenden, doch sie werden immer noch eisern festgehalten.
„Ich würde dir raten, die Wahrheit zu sagen, sonst endet das hier für dich noch schlimmer als sowieso schon. Also, was hast du hier zu suchen?", droht Will.
Ich spüre die Angst in mir wie damals im Bus, als Zoe mich vor allen Leuten ausgefragt hat.
Nur ist meine jetzige Situation schlimmer, weil die Gefahr auch eine Rolle spielt.
„Und?", drängt er.
Hilfesuchend blicke ich mich um, doch Shanes Gesicht ist nirgends zu sehen.
„Zum letzten Mal. Was hattest du hier zu suchen?", fragt Will mit ruhiger Stimme. Doch ich höre den drohenden Teil heraus, ich weiß, dass ich gerade etwas riskiere.
„Ok, das war's, bringt sie her, ich hab kein Bock mehr auf-"
„Los lassen, sofort!", unterbricht ihn plötzlich eine wütende Stimme hinter mir.
Ich schaffe es, meinen Kopf so weit zu drehen, dass ich die Person erkennen kann, doch sobald ich die bekannten Gesichtszüge erblicke, schnappe ich nach Atem.
Das gerade er mich rettet, hätte ich nie gedacht.
Edmon steht selbstbewusst hinter mir, die Augen leicht zusammengekniffen, der Kiefer mahlend und die Hände zu Fäusten geballt an seinen Seiten.
„Na sieh mal einer an. Erzähl, Edmon, was verschafft uns die Ehre deiner Anwesenheit?", spottet der Anführer.
Ich runzele die Stirn. War Edmon etwa länger nicht hier gewesen?
„Lass das Mädchen gehen, Will.
Sie hat sich nur verlaufen."
Edmon kommt langsam näher, seine grünen Augen strahlen etwas gefährliches aus, und seine Haare unterscheiden sich kaum von der Dunkelheit.
„Das bezweifle ich. Aber sie wird es uns bestimmt noch sagen, hab ich recht, kleines?"
Ich zittere vor Kälte und Angst, und weiß nicht ob ich über Edmons Anwesenheit froh sein soll, oder mich um ihn sorgen soll.
„Sie hat sich verlaufen.", meint Edmon eindringlich und tritt noch näher.
Will lacht leise.
„Ich würde ihr empfehlen, nächstes Mal besser auf den Weg zu achten.
Führ sie ab, Edmon.", befiehlt er, sein bedrohliches Lächeln hat einem vollkommen kalten Platz gemacht.
Edmon greift nach meinem Arm und zieht mich aus dem Labyrinth, wobei ich fast nochmal hinfalle.
„Bist du lebensmüde?!", fragt er geschockt und fährt sich mit den Händen durchs Gesicht.
„Ich-"
„Weißt du eigentlich, was die alle mit dir gemacht hätten, wenn ich nicht gekommen wäre? Ganz zu schweigen von dem, was sie gemacht hätten, wenn sie herausgefunden hätten, wer du
bist."
„Es tut mir leid.", versuche ich ihn zu beruhigen.
„Aber du bist mir einige Erklärungen schuldig.", ergänze ich.
„Ich bin dir überhaupt nichts schuldig!"
„Ich würde trotzdem gerne alles wissen!"
„Sehe ich so aus, als würde mich-"
„Bitte, Edmon!", unterbreche ich ihn.
Erst schweigt er, dann seufzt er ergeben.
„Danke. Auch für vorhin.", murmele ich.
Edmon nickt nur.
„Werden sie jetzt einen Angriff auf das Hotel ausüben?", frage ich.
„Würde mich wundern."
„Wieso? Und wo ist Shane?"
„Du stellst ziemlich viele Fragen, weißt du das?"
„Und du antwortest ziemlich wenig."
Edmon verdreht seine Augen.
„Erstens, sie hatten einen genauen Zeitplan, den du jetzt durcheinander gebracht hast, und zweitens, Will wird sich erst eine Strafe für mich ausdenken.
Und Shane hat sich am Anfang rausgeschlichen."
Ich runzele meine Stirn.
„Wieso solltest du bestraft werden?", frage ich.
„Komm erst mal mit, ich erkläre dir alles in der Scheune."
Ich nicke und folge Edmon durch die Nacht.
„Willst du was trinken?", fragt Edmon mich und ich nicke dankend.
Seit wann ist er so nett zu mir?
Er läuft zu einem Schrank und holt dort zwei Gläser und eine Wasserflasche raus.
„Also, was willst du wissen? Und nur damit das klar ist, ich erzähle dir das nur, damit du nicht nochmal so was abziehst wie heute, klar?"
Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht zu lachen, und nicke.
„Wieso hast du was mit denen zu tun?", frage ich als erstes.
„Mit wem? Den Waisenkindern?"
Ich nicke.
„Kannst du dir das nicht irgendwie denken? Soweit ich weiß, warst du auch mal eins."
Ich zucke mit den Schultern.
„Keine Ahnung."
„Naja, ich habe das Mauerlabyrinth wie du durch Zufall gefunden.
Manchmal findet Will die Kinder und bringt sie dort hin, doch bei mir und Shane war das anders."
„Was hatte Shane damit zu tun? Und wieso hast du dann angefangen Zeit mit den Kindern zu verbringen?", frage ich.
„Shane und ich waren damals beste Freunde. Er war der einzige, den ich an mich rangelassen habe.
Er war der einzige der verstanden hat, warum ich lieber alleine in meiner Scheune schlafe, als in diesem Luxushotel mit den anderen.
Jedenfalls haben wir zusammen das Labyrinth gefunden und sind natürlich direkt reingegangen.
Will hat es nicht gestört, damals hat er diese Gruppe nur erstellt, um Waisenkindern, wie auch er eins war, zu helfen.
Also haben Shane und ich angefangen ihm zu helfen, aus Mitleid sozusagen.
Ich habe mich mit diesen Kindern verbunden gefühlt, und Shane wollte mir dann einfach helfen."
„Und von wem wird er dann erpresst? Oder weißt du nichts davon?"
„Nach ein paar Jahren fing Will dann an, kriminelle Sachen für andere zu erledigen, denn im Gegenzug bekam er dafür Geld.
Er hatte schon immer diese Vision, dass die Weisen eines Tages groß rauskommen würden, mächtig, und Geld schien ihm dabei sehr wichtig zu sein. Anfangs waren es nur kleine Dinge, wie zum Beispiel eine einzelne Person zu überfallen, doch mit der Zeit bekam er Aufträge, ganze Häuser auszurauben.
Die Leute fingen an von einer Räuberbande zu erzählen.
Shane und ich wollten raus, doch Will ließ uns nicht.
Schon damals konnte ich gut mit Magie umgehen und auch Shane war als Ringträgerkind ziemlich mächtig.", erklärt Edmon.
„Und seitdem werdet ihr beide erpresst?!"
„Nicht direkt. Am Anfang hat Will
uns einfach nur gebeten, drinnen zu bleiben. Er meinte, er würde uns aus den kriminellen Aufträgen raushalten, wenn wir ihm weiterhin helfen, die Waisenkinder zu betreuen.
Shane und ich wollten erst einmal nicht, doch wir hatten auch schon einige Kinder lieb gewonnen und wollten diese dann nicht verlassen.
Während Will also losging um Geld anzuschaffen, blieben wir in den Mauern und spielten mit den Kleinen oder brachten ihnen das Zaubern bei.
Und das ging einige Jahre so.
Doch seit diesem Jahr nimmt Will riesige Aufträge an.
Und einer davon wäre eben gewesen, das Hotel auszurauben."
„Wer zur Hölle hat ihm denn diesen Auftrag gegeben?", frage ich.
„Will sagt es uns nicht. Doch ich habe eine Vermutung."
„Und zwar?"
„Nicht so wichtig. Jedenfalls wollten Shane und ich dann endgültig raus. Das war uns alles viel zu groß.
Aber dann fing Will an, mir zu drohen.
Er meinte, wenn ich aussteige, dann verletzt er Shane. Also drohte ich Shane-und glaub mir, das viel mir nicht leicht-, dass ich sonst May verletzen würde."
Ich brauche eine Weile, um diese Informationen aufzunehmen.
„Und musstest du Shane unbedingt verbieten, das May zu erklären? Das hat sie wirklich runtergezogen!"
Edmon seufzt.
„Ja, Will hat es mir befohlen. Wenn er rauskriegt, dass ich dir das gerade erzählt habe, bringt er mich um."
„Kann er das denn?", frage ich.
Egal wie dumm die Frage ist, sie ist ernst gemeint.
Edmon wendet seine Magie wirklich gut an.
„Vielleicht nicht alleine, aber wenn jemand mich festhält...", meint er.
„Und Shane hat dir das wirklich geglaubt? Das du May wehtun würdest, meine ich."
„Ich kann ziemlich überzeugend sein."
Innerlich stimme ich ihm vollkommen zu. Ich weiß wohl am besten, wie viel Angst er machen kann.
„Wirst du ihn denn jetzt aufklären?"
„Vermutlich schon. Aber erst einmal werde ich Atrius einweihen müssen. Das hätte ich schon viel früher tun sollen."
„Wieso hast du es denn nicht?"
„Ich hatte Angst, dass er die Waisen angreifen wird. Nur Will ist schuldig, nicht die anderen.
Aber mittlerweile glaube ich das nicht mehr."
Ich nicke.
„Und was meintest du vorher damit, dass Will dich bestrafen wird?"
„Er hat dich vorhin nur gehen lassen, weil er weiß, dass ich mächtiger bin als er. Ich bin bei den Waisenkindern beliebt, und wenn sie zuschauen, würde er es nicht wagen, mich mit der Hilfe von jemand anderem zu bestrafen."
„Aber wenn du so beliebt bist, wieso sollte jemand anders Will helfen wollen, dir wehzutun?"
„Mit der Hilfe von jemandem, der mich nicht leiden kann, da gibt es
genug von. Aber eben auch genug, die es doch tun."
Ich nicke verständnisvoll.
„Weiß eigentlich jemand, dass du hier bist?", wechselt Edmon das Thema.
„Nur May. Sie hat mich geweckt, weil sie wollte, dass ich ihr helfe, Shane zu suchen."
„Sind die beiden zusammen oder so?", fragt Edmon.
„Ist kompliziert.", antworte ich.
„Und du?"
„Was ich?"
„Bist du mit jemandem zusammen?"
Ich schüttele den Kopf.
„Du?"
Auch Edmon verneint kopfschüttelnd.
Kurz herrscht Schweigen zwischen uns, dann schaut Edmon ruckartig zu mir.
„Hast du schon mal Selia bei Nacht gesehen? Mit einem Fremdenführer?", fragt er grinsend.
Kurz bin ich geschockt, wie nett er auf einmal zu mir ist, dann grinse ich zurück.
„Soll das ein Angebot sein?", frage ich.
Edmon zuckt mit den Schultern.
„Nenn es wie du willst.", antwortet er.
„Also, willst du?"
Ich nicke langsam.
„Gerne."
„Dann komm."
Und schon ist er aufgesprungen und steuert auf die Tür zu.
Es müsste jetzt so vier Uhr Nachts sein, doch meine Müdigkeit ist vollkommen verschwunden.
Kurz vor der Tür bleibt Edmon auf einmal stehen, weshalb ich fast in ihn reinlaufe.
„Bevor ich es vergesse...", murmelt er und läuft zu einem kleinen Schrank.
Ich sehe nicht, was er dort rauszieht, bis er sich genau gegenüber von mich stellt und nach meinem Arm greift.
Sobald ich sehe, was er gerade tut, schaue ich ihn ungläubig an.
Als wäre es nichts, bindet er mir mein verloren geglaubtes Armband mit der schwarzen Rose um.
Bevor ich mich zurückhalten kann, umarme ich ihn.
Das es jemals so weit kommt hatte ich nie gedacht, doch die Erleichterung übertrumpft die Verlegenheit.
Edmon scheint etwas überfordert zu sein, doch nach ein paar Sekunden erwidert er die Umarmung.
„Danke.", murmele ich in seine Haare und löse mich dann von ihm.
„Wie hast du es gefunden?"
„Gestern bin ich etwas früher zum Treffen gegangen, deshalb habe ich es als erster gefunden."
„Was meinte Will eigentlich damit, dass es eine Ehre sei, dass du gekommen bist?"
„Er hat mich eine Weile nicht mehr gesehen, weil er irgendeinen Auftrag woanders hatte.
Und zu den Treffen davor bin ich nie gegangen, weil ich wusste, dass er da sein würde. Ich hatte keine Lust ihn zu sehen, nach dem was er Shane und mir angetan hat.", erklärt Edmon.
„Kann ich verstehen.", stimme ich ihm zu.
„Wie auch immer, wollen wir los? Sonst wird es gleich hell.", meint er.
Ich nicke und folge ihm aus der Scheune, während ich erfreut an der kleinen Rose drehe.
„Weißt du, was das lustige ist?", fragt Edmon plötzlich.
Ich schaue ihn fragend an.
„Ich habe ein Tattoo, an meiner rechten Seite. Eine schwarze Rose."
„Nicht dein Ernst!"
Edmon lacht, zieht seinen Pulli hoch und dreht sich so zu mir, dass ich das Bild erkennen kann.
Und tatsächlich, in seine Haut wurde die Abbildung einer schwarzen Rose gezeichnet.
„Wieso?", frage ich, immer noch am grinsen.
„Ich erinnere mich nicht mehr an meine richtigen Eltern, ich weiß nur, dass Morton mich als Baby zusammen mit seiner Frau Zenella aufgezogen hat.
Die einzige Erinnerung an meine Eltern ist ein Foto, wo wir im Gras sitzen und lächeln.
Meine Mutter trägt darauf ein Kleid mit schwarzen Rosen, und weil ich sie auf irgendeine Art und Weise immer bei mir haben will, hatte ich die Idee mit dem Tattoo.", erklärt Edmon mir, während wir durch die menschenleere Stadt laufen.
„Das war eine gute Idee.", sage ich.
Edmon nickt.
„Ich habe es hier in Selia bei einem Freund von mir machen lassen. Er hat das besser gemacht als erwartet.", meint er.
Wir müssen jetzt schon bestimmt eine halbe Stunde hier rumlaufen, und ich hätte nie gedacht, dass ich es so genießen würde, dass es sich wie fünf Minuten anfühlt.
Edmon ist wie ausgewechselt.
Diese ganzen Informationen über ihn alle gleichzeitig zu erfahren macht es mir unfassbar schwer, wegen unseres Starts noch sauer auf ihn zu sein.
Klar, er hat sich mir gegenüber schrecklich benommen, doch wenn er so weitermacht, bin ich bereit ihm zu verzeihen.
Wieso sollte ich es nicht tun?
Es ist kalt, und ich fühle mich lächerlich mit meinem Schlafanzug, auch wenn man ihn nicht sieht.
Kurz ist es still zwischen uns, doch es ist ein angenehmes Schweigen.
„Vermisst du deine Freunde in London?", fragt Edmon nach einer Weile.
„Singular.", antworte ich.
„Wie meinst du das?"
„Ich habe dort nur eine Freundin, aber besser eine echte als zehn falsche. Und um deine Frage zu beantworten, ja, sehr. Aber zum Glück sind hier auch einige, mit denen ich mich gut verstehe."
Edmon nickt.
Seit wann stellt er mir solche normalen Fragen?
Ich kann mich nicht mehr zurückhalten und bleibe stehen.
„Was ist los?", fragt Edmon.
„Wieso bist du auf einmal so nett zu mir?"
Er seufzt.
„Ernsthaft jetzt?"
„Ja! Ganz auf einmal. Ist was passiert?", frage ich.
„Hör mal, ich kann auch wieder-"
„Nein! Um Gottes Willen, nein!"
„Wieso beschwerst du dich dann?"
„Tu ich doch gar nicht! Ich will nur wissen, wieso du dich so verändert hast. Positiv."
„Themawechsel!", ruft Edmon genervt und läuft weiter.
„Okay, ist gut, ich lasse es. Tut mir leid.", gebe ich nach.
Ich merke, dass er den Weg zum
Hotel einschlägt, was ich irgendwie schade finde.
Doch es wird wohl wirklich bald hell, und außerdem erfriere ich bald.
Den Rest der Zeit schweigen wir, doch auch dieses mal ist es eher angenehm.
Die Zeit vergeht schnell, und langsam wird es hell.
Das Hotel ist schon in Sicht, weshalb ich versuche, genauer hinzuschauen um erkennen zu können, ob ein mir bekanntes Gesicht vielleicht suchend vor der Tür steht.
Zum Glück ist das nicht der Fall, und etwas vor dem Hotel bleibe ich stehen.
Edmons Gesicht wird durch eine Laterne erhellt und meine Haare durch einen Windstoß kurz in alle Richtungen gewirbelt.
In seinen Augen ist ein kleiner gelber Ring.
Ich räuspere mich und höre auf, ihn anzustarren.
„Da sind wir.", murmelt Edmon und fährt sich durch die Haare.
Ich nicke langsam.
Die Situation ist gerade ziemlich unangenehm.
„Ich...", will ich anfangen, doch dann lasse ich es.
Ich habe sowieso nichts zu sagen, und ich will jetzt kein Gespräch anfangen, nur um diese unangenehme Stille zu überbrücken.
„Ich werde dann mal gehen.", entscheidet Edmon schließlich.
Ich nicke.
„Bis...Dann, schätze ich."
„Mach's gut, Feuermädchen.", sagt er und grinst.
„Bitte was?"
„Deine Haare."
„Das vergisst du ganz schnell wieder."
„Wieso nochmal?"
„Weil-"
„Stell dich nicht so an.", unterbricht er mich.
„Ist doch nur ein Spitzname."
„Alles klar, Grünauge. Wir sehen uns.", meine ich und drehe mich grinsend um.
„Ja. Wir sehen uns.", verabschiedet Edmon sich, wobei ich das Lächeln aus seiner Stimme heraushören kann.
Ein letztes Mal drehe ich mich zu ihm um, doch da läuft er schon in Richtung Scheune, die Hände in seinen Hosentaschen vergraben.
Ich denke an die jetzt vergangene Nacht mit ihm, und kann mein aufkommendes Lächeln nicht verhindern.
Sooo das war Kapitel Nr. 8!
Denkt ihr, Atrius Vermutung mit der Verbindung könnte stimmen?
Was haltet ihr jetzt von Edmon?
Findet ihr es ein bisschen zu unüberlegt von Lia, schon wieder zu den Mauern gegangen zu sein?
Was haltet ihr von May und Shane?
Und von Lias komischem Traum?
Was ist wohl mit Maddison los?
Voten und Kommentieren bitte nicht vergessen!
Ich hoffe, es hat euch gefallen. :)
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