10 | augenblicklichkeit

Du verließt mich tagtäglich mit von Trauer erfüllten Worten.
Dies sind meine Antworten.

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Du meinst also, dass die Erinnerung in meinem Gedächtnis bestehen bleibt und meine unzähligen Fotos und Bilder, die ich schoss deshalb unnütz sind?

Aber was, wenn ich dir sage, dass du mir jeden Tag etwas mehr entschwindest und ich absolut nichts dagegen tun kann?
Ich sehe dich zwar noch vor mir, aber nicht mehr so klar und deutlich wie noch vor wenigen Wochen.
Und meine Angst, dich irgendwann vollkommen zu vergessen - dich, dein Aussehen, dein Lächeln und deine Grübchen - wird immer und immer größer.
Also sind die Fotos, die ich schoss ganz gewiss nicht unnütz.
Doch ich vertraue dir. Schon immer vertraute ich dir.
Also lösche ich die Bilder.

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Und dann meinst du, dass ich es nicht nochmal versuchen soll;
mich zu ertränken, damit alles leichter werden würde.

Aber was, wenn ich dir sage, dass nichts mehr einfacher werden wird und dass ich dich - dich mit deiner schokoladengebräunten Haut und den strahlenden Zähnen - bis ins Jenseits geliebt habe?
Dass es unvorstellbar für mich ist, in naher Zukunft weiter ohne dich zu leben.
Mein Leben ohne dich zu leben.
Es ist nichts wert ohne dich.
Doch anstatt mich in den brausenden Wellen des Meeres verenden zu lassen, vertraue ich dir und tue es nicht.
Denn dir vertraute ich schon immer.

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Ich soll dich loslassen, damit ich nicht kaputt gehe?

Aber was, wenn ich dir sage, dass ich schon lange kaputt bin?
Kaputt und zerbrochen seit dem Tag, an dem du - du und deine tief verborgene innere Schönheit, die du nur mir sichtbar machtest - mir entgleitetest.
Dass ich tagtäglich an dich denke und mich jeder dieser erinnerungswürdigen Gedanken noch trauriger und kaputter macht.
Doch wenn du von mir verlangst, dass ich dich loslasse, dann werde ich das.
Zumindest versuche ich es.
Denn das ist alles was ich zurzeit kann - es versuchen;
denn ich vertraue dir.
Das tat ich schon immer.

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Ich soll lächeln?

Aber was, wenn ich dir sage, dass mir schon seit Wochen nicht mehr zum Lächeln; geschweige denn zum Lachen zumute ist?
Dass mir alles zu Kopf steigt und zu viel wird?
Dass immer, wenn du vor mir auftauchst, meine Augen nicht vor Freude strahlen, sondern sich von einem Augenblick zum anderen mehr mit Feuchtigkeit füllen, bis kleine Trauertränen an meinen Wangen hinabrollen?
Doch weißt du was?
Ich vertraue dir - vertraute dir schon immer - und deshalb wische ich heute diese Trauertränen mit stolz von meinem Gesicht und setze mein bestes Lächeln auf;
auch, wenn mir nicht zum Lachen zumute ist.

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Du meinst also, dass es nicht mehr deine Hand sein sollte, die meine hält?

Aber was, wenn ich dir sage, dass ich nur deine Hand möchte und dass allein schon der Gedanke an eine andere Hand in meiner mich geradezu anekeln würde?
Ich bin nicht mehr im Stand dazu, eine andere Hand zu halten.
Wie eine Phobie, die meine Gedanken immer weiter und weiter einnimmt.
Doch wie das nunmal so mit Phobien ist, kann man sie bekämpfen.
Und so fange ich klein an und lege meine Hand in die meiner besten Freundin - und du hattest recht.
Es fühlt sich sogar befreiend an.
Und nun bin ich froh, dass ich dir schon immer vertraute;
dass ich dir noch immer vertraue.

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Und dann wisperst du, dass ich dir fehle.

Aber was wenn ich dir sage, dass ich mir nie sicher sein kann, ob das stimmt?
Versteh mich nicht falsch, ich weiß, dass du mich geliebt hast, jedoch kann ich momentan nicht zwischen meinen mich nahezu einnehmenden Gedanken und zwischen der Realität unterscheiden.
Und so kann ich einfach nicht glauben, dass ich dir fehle, weil meine Gedanken sich diese versüßten Sätze auch gerne Mal selbst zusammenflechten.
Und wie es nunmal so ist, vertraue ich dir;
doch in diesem Fall, kann und darf ich dir nicht vertrauen.
Denn der Gedanke, dass ich dir auch nur ein klein bisschen fehlen würde, zerstört mich;
weil ich nicht bei dir sein kann.
Nie wieder.

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Ich soll die Erinnerungen Erinnerungen bleiben lassen?

Aber was, wenn ich dir sage, dass ich dazu nicht im Stande bin?
Dass ich zu gerne alle kleinen Details unserer Zusammentreffen noch einmal im Kopf durchgehe und dabei anfange zu lächeln?
Dass ich in meinen alten Tagebucheinträgen stöbere, um in einer Welt ohne dich nicht zu verzweifeln?
Und dass ich Gedichte und Texte über dich schreibe, um meine Gefühle zu kompensieren, auch wenn du sie nie lesen wirst?
Und doch mag es vielleicht - ganz vielleicht - besser für mich sein, wenn ich anfange, auch unsere gemeinsamen Zeiten loszulassen.
Und da ich dir vertraue - schon immer vertraute - fange ich heute damit an und verbrenne die zerknüllten Tagebuchseiten in orange leuchtenden Feuerflammen.

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Und dann flüsterst du mir zu, dass ich mir unserer Realität bewusst werden muss?

Aber was wenn ich dir sage, dass es diese Realität nicht gibt?
Denn - wirklich?
Unsere?
Das sagst du so leicht, obwohl es seit Wochen kein uns mehr gibt?
Obwohl ich zusammen mit der verhassten Dunkelheit meines Selbsts allein gelassen wurde?
Von dir..?
Es ist meine Realität, über die ich mir bewusst werden muss.
Meine triste und sonnenlose Realität ohne dich.
Und das versuche ich.
Ab heute.
Das verspreche ich mir.

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Und gerade eben meintest du, dass unsere Herzensmomente mir nicht entschwinden, wenn ich versuche, sie loszulassen.

Und das stimmt.
All die Augenblicke, die ich mit dir verbrachte, werden mir nie wieder ganz entschwinden.
Das ist gar nicht möglich;
denn du warst mein Ein und Alles.
Meine Hoffnung, wenn ich keinen Ausweg mehr sah und mein Licht in der vollkommenen Schwärze.
Du warst die Liebe, die ich mir so lange ersehnte und die zuversichtspendende Seele, die zu meiner zweiten und besseren Hälfte wurde.
Du warst du.
Du warst meine Augenblicklichkeit.
Die Augenblicklichkeit, die all die Augenblicke meines Lebens um so viel schöner machte;
zu Herzensmomenten machte.

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Ende

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