Kapitel 30

Joels Sicht

Flashback

Mit absolut guter Laune lief ich neben Neo über den Rummelplatz, der nicht weit entfernt vom Zoo war, denn nach unserem ernsteren Gespräch über seine Eltern hatten wir uns zuerst erfolgreich mit einem Eis abgelenkt und waren schließlich auch noch ins Aquarium gegangen, wo mir dann endgültig klar wurde, wie sehr Neo Unterwassertiere liebte. 

Und da so langsam die Sonne unterging hatte ich letztendlich noch vorgeschlagen eine Runde über die Kirmes zu laufen und dort etwas zu Abend zu essen. 

„Oh mein Gott, das wollte ich schon immer mal machen" Neos aufgeregte Stimme ließ mich sofort seinem Blick folgen und dann sofort die Augen aufreißen. 

Oh bitte nicht. 

„Können wir da bitte drauf?" mit seinem besten Hundeblick sah er mich an und ließ mich nur schwer schlucken. 

Er ist immer noch ein Prinz, Joel. Du kannst jetzt nicht nein sagen. Du bist schließlich auch Schuld an seiner Platzwunde, also reiß dich zusammen. 

Neos Frage beantwortete ich also widerwillig mit einem Nicken und so steuerten wir im nächsten Moment auch schon auf das Riesenrad zu. 

Wieso nur musste ich so Höhenangst haben? Wieso konnte ich nicht wie mein bester Freund die Höhe und den Adrenalinkick lieben? 

Stumm stellte ich mich neben den aufgeregten Neo in die Schlange und zählte gedanklich die Sekunden bis zu meinem Todesurteil. 

Ob Maria mir wohl verzeihen würde, wenn ich vor ihr an einem Herzinfarkt sterben würde? 

Schneller als mir lieb war waren wir schließlich auch schon an der Reihe und während Neo es kaum noch abwarten konnte wollte ich am liebsten weit weg rennen. 

Mir versuchend nichts an zu merken stieg ich nach Neo in die Gondel und setzte mich neben ihn auf den Platz. 

Du schaffst das Joel. Einfach die Augen schließen und nicht nach unten gucken. 

Als das Rad sich schließlich in Bewegung setzte drohte mein Herz direkt aufzuhören zu schlagen und ließ mich nur panisch meine Fingernägel in meine Oberschenkel bohren. 

Alles wird gut. Du wirst hier nicht sterben. 

„Joel?" Neos Stimme ließ mich langsam die Augen wieder öffnen, aber keineswegs zu ihm blicken. 

„Alles gut? Du bist ganz blass" Abwesend nickte ich nur und versuchte nicht durch zu drehen als das Rad plötzlich stehen blieb. 

Oh bitte nicht, bitte lass es jetzt nicht irgendwie defekt sein. Das halt ich nicht aus. 

„Du hast Höhenangst, hab ich Recht?" Seine Worte ließen mich sofort die Luft anhalten und dann langsam zu ihm blicken. 

War es so offensichtlich? 

„Verdammt Joel, wieso hast du nichts gesagt? Ich hätte doch niemals das Riesenrad vorgeschlagen, wenn ich das gewusst hätte" 

Aber wie hätte ich bei seinen strahlenden Augen bitte nein sagen können. 

„Es ist alles gut, Neo. So schlimm ist es gar nicht" 

Lüge, es war so viel schlimmer als ich mir ausgemalt hatte. 

Und wieso zum Teufel standen wir immer noch? Ich wollte hier raus. 

„Verarsch wen anders, Joel. Du bist leichenblass" 

Ach was, so sah ich bestimmt immer aus. 

Gerade als ich etwas erwidern wollte setzte sich das Rad plötzlich wieder in Bewegung und ohne es verhindern zu können verstärkte ich meinen Griff und versuchte nicht durch zu drehen. 

Du wirst jetzt keine Panikattacke vor einem Prinzen kriegen, Joel. 

Im nächsten Moment spürte ich nur wie Neo sanft meinen Griff löste und stattdessen meine Hand in seine nahm. 

„Atme, Joel. Tief ein und aus. Dir wird nichts passieren. Es wird alles gut" seine Stimme beruhigte mich dann tatsächlich etwas und ließ mich kontrolliert ein und ausatmen und konzentriert nach vorne blicken und der Sonne beim untergehen zu gucken. 

„Lieber Sonnenauf- oder Untergang?" Neos Frage verwirrte mich kurz ehe ich aber antwortete. 

„Lieber Untergang, ich bin kein Morgenmensch" Neo hörte ich direkt auflachen und dann etwas erwidern. 

„Dann sind wir ja schon zu zweit" seine Worte zauberten mir wie von alleine ein Lächeln auf die Lippen und ließen mich dabei weiter konzentriert atmen. 

„Lieber Sommer oder Winter?"

„Winter" schoss ich sofort zurück und ließ ihn neugierig nach harken. „Wieso genau Winter?" 

„Ich weiß gar nicht so genau, aber ich denke mal es liegt an den Feiertagen und den damit verbundenen Erinnerungen" 

Alleine, wenn ich schon an mein erstes Weihnachten mit den Collister dachte und vor allem an den ersten Spieleabend konnte ich nicht anders als zu strahlen. 

„Lieber Nacht oder Tag?" Das fiel mir nicht schwer zu beantworten. 

„Nacht, eindeutig Nacht" 

Ich wurde schließlich nicht immer umsonst als Nachteule bezeichnet. Und das ich kein Morgenmensch war lag auch mehr oder weniger daran, dass ich die halbe Nacht wach war und dementsprechend nicht um 8 Uhr morgens super ausgeschlafen war. 

„Weiße oder dunkle Schokolade?" kurz überlegte ich ehe ich antwortete. 

„Beides. Um ehrlich zu sein ist meine absolute Lieblingsschokolade die, die so ein Kuhmuster aus weißer und dunkler Schokolade hat" grinsend blickte ich zu Neo, der mich ebenfalls grinsend ansah und es mir gar nicht so leicht machte wieder weg zu blicken. 

Wie konnte ein Mensch eigentlich so strahlend klarblaue Augen haben? 

Wie konnte ein Mensch allgemein so schön sein wie er? 

„Joel?" 

„Mmh?" 

„Du hast es geschafft" kurz sah ich ihn verwirrt an ehe ich bemerkte, dass das Riesenrad angehalten hatte. 

„Danke, Neo" erwiderte ich letztendlich nur während ich den Prinzen weiterhin anblickte und mich immer mehr in dieser Wärme verlor, die er in mir auslöste.


Flashback Ende


„Joel?" Lions Stimme holte mich wieder ins Hier und Jetzt und weiterhin überzeugt davon, nicht zu springen, sah ich ihn an und verschränkte währenddessen stur die Arme vor der Brust. 

„Vertraust du mir, Joel?" 

Darum ging es hier doch nicht. 

„Ich werde nicht springen, Lion" 

Ha genau, da konnte er noch sagen was er wollte, ich war noch nicht bereit zu sterben. 

„Das beantwortet nicht meine Frage" während der sprach trat er langsam auf mich zu und ließ mich kurz unauffällig schlucken. 

Seine Nähe tat mir eindeutig nicht gut, nicht, weil sie mir nicht gefiel, sondern eher weil sie Gefühle in mir auslöste, die ich gerade echt nicht gebrauchen konnte. 

„Ich vertrau dir Lion, aber-" 

„Dann spring mit mir" 

Er war anscheinend genauso lebensmüde wie Vitus, sollte er doch mit meinem besten Freund springen. 

„Vergiss es" 

Und ich würde ganz sicher meine Meinung auch nicht mehr ändern. 

„Ok, dann spring ich eben alleine" 

Pff mach doch. 

Ohne noch etwas zu sagen trat Lion wieder weg von mir und lief zum Rand der Klippe. 

Warte, er meinte das wirklich ernst? 

„Und was mach ich, wenn dir etwas passiert?" 

Ich hatte zwar einen erste Hilfe Kurs gemacht, aber, wenn ich in Panik geriet dann war ich wirklich nicht zu gebrauchen. 

„Habe gehört Mund zu Mund Beatmung hilft" seine Worte ließen wie von alleine meinen Mund aufklappen und mit rasendem Herzen sein Zwinkern in Kenntnis nehmen. 

Gerade als Lion tatsächlich den Anschein machte zu springen hielt ich ihn nochmal auf. 

„Warte" Lion drehte sich natürlich wieder zu mir herum und sah mich mit hoch gezogener Augenbraue an. 

„Ich meinte das ernst. Was mach ich, wenn dir etwas passiert?"

„Mir wird nichts passieren, Joel" 

„Das kannst du doch gar nicht wissen" 

„Joel, du kannst nicht alles kontrollieren. Wenn du dich bei jeder Entscheidung fragst, was wäre wenn, dann wirst du niemals voran kommen. Du musst anfangen zu leben und endlich aufhören alles zu hinterfragen, sonst wirst du niemals vollkommen glücklich werden" 

Er hatte leicht reden. Wusste er eigentlich wie viele Menschen mir das jetzt schon gesagt hatten? 

Es änderte nur leider nichts daran, dass ich dieses Verhalten nicht ablegen konnte. Ich würde immer anfangen alles in Frage zu stellen, wie auch nicht mit meiner Vergangenheit. 

Ich hatte einmal zu viel blindlings Menschen vertraut, bei denen ich dachte, sie würden mich nie enttäuschen und wie war das geendet? 

Jahre lang hatte ich naiv geglaubt, meine Schwester hätte mich freiwillig zurück gelassen und sich ein neues Leben ohne mich aufgebaut statt das ich ihr plötzliches Verschwinden einfach mal in Frage gestellt hatte. Und ich war nicht bereit so etwas noch mal durchzumachen. 

„Wovor hast du Angst, Joel? Ist es wirklich deine Höhenangst, die dich zurück hält, weil wenn ja, dann lassen wir es sein, aber-" 

„Das ist es nicht" unterbrach ich Lion ohne zu zögern, denn im Grunde wusste ich, was mich in Wirklichkeit zurück hielt. 

„Was ist es dann, Joel?" während er mich ansah atmete ich tief ein und aus und trat dann langsam zu ihm. 

Ruhig weiter atmen, Joel. Verdräng deine Höhenangst und stell dich deiner anderen Angst. 

Mach einmal in deinem Leben keinen Rückzieher, nur weil du Angst hast verletzt zu werden. 

Als ich schließlich neben Lion zum Stehen kam atmete ich noch einmal tief ein und aus, fasste all meinen Mut zusammen und drehte mich dann zu ihm. 

„Bevor ich draufgehe muss ich eins noch getan haben" 

Etwas, was mich schon seit unserem ersten Filmeabend verfolgte. 

Etwas, was ich bereute nicht bei Neo getan zu haben. 

„Und was?" 

Und schneller als irgendwer hätte reagieren können schloss ich den Abstand zwischen uns und legte für wenige Sekunden meine Lippen auf seine. 

„Genau das" erwiderte ich noch ehe ich seine Hand umschloss und einfach sprang. 

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Überraschung :D

Hättet ihr mit einem Kuss gerechnet? Oder damit, dass Joel sich tatsächlich traut zu springen?

Freut ihr euch?

Und da ich neugierig auf eure Antworten bin, hier nochmal die selben Fragen:

Lieber Sonnenauf- oder Untergang?

Lieber Winter oder Sommer? 

Lieber Nacht oder Tag?

Lieber weiße oder dunkle Schokolade?


Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen und ihr freut euch aufs nächste:)


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