Kapitel 1
Joels Sicht
„Bitte, bitte, bitte Joel. Komm schon" flehend sah Vitus mich an und ließ mich kurz die Augenbraue amüsiert anheben.
„Und was hab ich bitte davon?" abwartend sah ich ihn an und ließ ihn kurz überlegen.
„Äh du lernst ein paar neue Leute kennen?"
Sein ernst?
„Also um es noch mal zusammen zu fassen. Während du mit deinem Engel einen Nachmittag zusammen verbringst, offiziell um Mathe zu lernen, inoffiziell um zu flirten, soll ich deine Aufgabe übernehmen und die Austauschschüler willkommen heißen?" schnell nickend bestätigte Vitus meine Aussage und ließ mich Augen rollend meinen besten Freund anblicken.
„Wie stellst du dir das denn überhaupt vor? Ich meine, die Neuen werden vielleicht nicht merken, dass ich nicht der richtige Schulsprecher bin, aber unser Direktor wird es auf jeden Fall merken. Er weiß schließlich, dass du der Schulsprecher bist und nicht ich" abwartend blickte ich ihn an und ließ ihn verzweifelt ausatmen.
„Lass dir was einfallen, du bist doch sonst auch immer so spontan, Joel. Außerdem reicht es unserem Direktor bestimmt, wenn ein Collister unsere Schule vertritt. Und da du ja dank meiner Mutter jetzt offiziell auch diesen Nachnamen trägst, steht dem ja nichts im Wege. Komm schon, Joel, tu es für mich, für deinen besten Freund, für deinen Bruder, für deinen-"
„Ich mach es ja schon" unterbrach ich Vitus und ließ ihn sofort strahlend mich umarmen.
„Tausend Dank, Joel. Du hast auf jeden Fall was gut bei mir"
Diese Aussage getroffen zu haben würde er noch bereuen.
„Jetzt hau schon ab und genieß den Tag mit deinem Engel" lachend drückte ich Vitus von mir und ließ ihn ebenfalls leicht lachend sich von mir entfernen.
Gerade als er schon um die Ecke biegen wollte, fiel mir noch etwas entscheidendes ein.
„Warte mal, Vitus. Wo muss ich eigentlich wann sein?" Angesprochener drehte sich direkt wieder zu mir herum und sah mich etwas nervös an.
„Um 16 Uhr am Flughafen. Ach und du müsstest ihnen auch ein bisschen die Stadt zeigen"
Was zum Teufel?
„Verdammt Vitus, so war das nicht abgemacht" schrie ich meinem bestem Freund noch hinter her, der aber nur wie ein Feigling weg rannte.
„Hab dich auch lieb Joel" hörte ich ihn noch rufen, doch stöhnte ich nur genervt auf.
Was man nicht alles für den verliebten besten Freund tut.
Seufzend machte ich mich auf den Weg zu meinen letzten beiden Stunden und zog dabei mein Handy aus meiner Hosentasche.
Jetzt musste ich nur noch jemanden finden, der mich zum Flughafen fahren würde.
Nachdem ich also in unsere große Gruppe geschrieben und nachgefragt hatte und Vitus privat noch schnell einen Mittelfinger geschickt hatte, machte ich mich daran diesen Schultag hinter mich zu bringen und mir dabei schon mal zu überlegen, welche Lüge ich meinem Direktor auftischen würde, wieso ich anstelle von Vitus die Neuen empfangen würde.
**
„Danke, dass du mich fährst Schwesterherz" dankend stieg ich zu meiner Schwester ins Auto und ließ sie lächelnd abwinken. „Magst du mir denn verraten, wieso du zum Flughafen musst?" neugierig blickte mich Saphira an und ließ mich direkt aufschnauben.
„Vitus hat sich mit Talia zum Mathe lernen verabredet – aber unter uns, viel lernen werden die beiden wahrscheinlich nicht – und hat dabei vergessen, dass er heute eigentlich als Schulsprecher die Austauschschüler empfangen müsste. Und da ich nun mal einfach der beste Freund bin, hab ich mich dazu bereit erklärt ihn zu vertreten. Und wo wir schon dabei sind, denkst du der Direktor gibt sich mit der Ausrede zufrieden, dass er sich nicht gut gefühlt hat und seine überfürsorgliche Mutter ihn zum Arzt gezwungen hat?"
Etwas besseres war mir nämlich nicht eingefallen.
„Denke schon und wenn nicht, soll er einfach Maria anrufen. Sie wird ihn spätestens davon überzeugen, dass ihr Sohn sterbenskrank im Bett liegt"
Und da konnte ich Saphira nur zustimmen, denn wenn eine sich nicht zwischen das Liebesglück ihres Sohnes stellen würde, dann war es Maria.
„Und ich finde es übrigens wirklich nett von dir, dass du das für Vitus machst" lächelnd winkte ich nur ab und erwiderte dann noch kurz, dass Vitus schließlich auch nie zögern würde mir zu helfen.
Und das stimmte nun mal auch zu 100%.
Wenn es jemanden gab auf den ich mich verlassen konnte, dann war es Vitus.
Natürlich wusste ich, dass jeder der Collister mir helfen würde – das lag nun mal in der Familie – doch war die Freundschaft zu Vitus nun mal doch etwas besonderes.
Das war sie schon vom dem Tag an als ich ihn im Krankenhaus traf.
Flashback
Schniefend sank ich auf den Boden und zog meine Knie an meine Brust. Die mitleidigen Blicke der herum laufenden Leute versuchte ich zu ignorieren während ich an meine Schwester dachte, die im sterben lag.
Ich hatte sie doch gerade erst wieder bekommen, wieso nahm man sie mir denn jetzt wieder weg?
Als meine Eltern mir vorhin erzählt hatten, dass Saphira wahrscheinlich nie wieder aufwachen würde, dachte ich wirklich sie würden mich verarschen, doch spätestens als ich Saphira selbst in diesem Zimmer an all diesen Schläuchen gesehen hatte, wusste ich es besser.
Das Leben meiner großen Schwester hing an einem seidenen Faden und ich konnte nichts dagegen tun.
War dazu verflucht wieder nur dabei zu gucken zu können, wie man sie mir wegnehmen würde.
Ich hatte Saphira in all den Jahren, die sich mich alleine zurück gelassen hatte nie vergessen, ich meine wie sollte ich bitte auch die einzige Person vergessen, die abends mit mir gekuschelt hat, die sich mit mir Bilderbücher angesehen hat und die mir immer heimlich Kekse aus der Küche gestohlen hat.
Saphira und ich existierten damals nur als Duo und als es vor ein paar Wochen hieß, ich hätte sie wieder, hatte ich so gehofft, dass es wieder so wie früher sein würde, doch mittlerweile wusste ich es besser.
Die 7 jährige Bea von damals existierte nicht mehr, denn irgendetwas war in den letzten Jahren passiert, vor dem sie anscheinend mich schützen wollte und das sie daran gehindert hatte zu mir zurück zu kehren.
„Magst du auch welche?" die Stimme eines Jungen riss mich aus meinen Gedanken und überrascht sah ich hoch und blickte in das Gesicht eines gleichaltrigen Jungen.
Mein Blick fiel weiter auf die kleine Tüte Gummibärchen, die er mir hin hielt und schüchtern blickte ich zwischen ihm und der Tüte hin und her.
„Nimm dir so viele wie du willst" hörte ich ihn kurz darauf sagen und zögerlich schnappte ich mir zwei grüne Gummibärchen.
Meine absoluten Lieblinge.
Leise bedankte ich mich bei ihm und beobachtete ihn dabei dabei, wie er sich neben mich setzte.
„Du bist Joel oder?" überrascht nickte ich und ließ ihn dann weiter reden. „Du bist doch der Bruder von Saphira oder?" nickend beantwortete ich seine Frage wieder und ließ ihn dann leicht grinsen als er meinen verwirrten Gesichtsausdruck sah.
„Ich bin Vitus, Vitos Bruder"
Daher kam er mir also bekannt vor.
„Willst du noch welche?" fragend blickte Vitus mich an und deutete dabei auf die Tüte in seiner Hand und langsam nicht mehr ganz so unwohl fühlend nickte ich und ließ mir ein paar Gummibärchen geben.
So saßen Vitus und ich die nächsten Minuten still schweigend und Gummibärchen am naschen auf dem Boden im Krankenhaus, zwei Gänge von Saphiras Zimmer entfernt und blickten auf die kahle weiße Wand vor uns.
„Ich hasse Krankenhäuser" mein Kopf drehte sich wie von alleine zu Vitus als seine stumpfe Stimme ertönte.
„Das letzte mal als ich hier war musste ich Angst um meinen großen Bruder haben" kurz verzog Vitus das Gesicht und ließ mich dann etwas zögerlich nach fragen.
„Um Vito?" sofort schüttelte Vitus den Kopf und ließ mich dann etwas neugierig ihn anblicken.
„Um Vincent, also um meinen ältesten Bruder"
Wie viele Brüder hatte er denn?
Genau die Frage stellte ich ihm dann auch und setzte mich dann etwas aufrechter hin.
Auch Vitus drehte sich zu mir sodass wir uns im Schneidersitz gegenüber saßen und fing dann an zu erzählen.
„Also ich hab vier Brüder" mein Mund klappte wie von alleine auf und erstaunt blickte ich den Jungen vor mir an.
„So gucken die meisten, wenn ich es ihnen erzähle, aber es stimmt tatsächlich. Also Vincent ist der Älteste, dann kommt Valentin, dann Viktor und zum Schluss noch Vito. Ich bin also der Jüngste" erstaunt blickte ich Vitus an, der nur kurz grinste ehe er mich neugierig anblickte.
„Hast du neben Saphira noch andere Geschwister?"
Mein Gedanke wanderte wie von alleine zu meiner Adoptivschwester Beatrice und ließ mich kurz das Gesicht verziehen.
Ich wusste, was meine Eltern mit dieser Adoption erreichen wollten, doch sie würden es nie schaffen. Beatrice würde niemals meine Schwester ersetzen können, egal wie sehr sie es versuchen würden.
„Ich hab noch eine Adoptivschwester, aber mit ihr versteh ich mich nicht so richtig"
Und das war nicht mal gelogen. Beatrice und ich verstanden uns schon von der ersten Sekunde an nicht und egal wie sehr meine Eltern versucht hatten aus uns richtige Geschwister zu machen, sie hatten es nicht geschafft, denn im Gegensatz zu ihnen wollte ich meine richtige Schwester nicht ersetzen geschweige denn vergessen.
„Denkst du Saphira wacht wieder auf?" das Thema wechselnd blickte ich Vitus mit glasigen Augen an und ließ ihn gleich ausatmen.
„Ich hoffe es so sehr. Ich will sie nicht verlieren und ich will auch nicht meinen großen Bruder verlieren" auch Vitus standen nun die Tränen in den Augen und seine Worte riefen direkt das Bild von Vito in meinem Kopf auf wie er zusammen gekauert neben dem Bett meiner Schwester saß und verzweifelt ihre Hand umklammerte.
Während ich auf der anderen Seite ihres Bettes gestanden hatte und sie angefleht hatte wieder aufzuwachen hatte Vito sich keinen Zentimeter gerührt geschweige denn ein Wort gesagt.
Von dem lustigen, gesprächigen Jungen, den ich am See kennen gelernt hatte war plötzlich nichts mehr da und so konnte ich Vitus Angst verstehen.
Einen Moment lang blieb es still zwischen Vitus und mir, doch schien er die Stille irgendwann nicht mehr auszuhalten und stand auf.
„Mein Bruder Valentin hat mir ganz viel Geld für den Snackautomaten gegeben. Lust es auszugeben?"
Bevor ich auch nur was erwidern konnte zog Vitus mich an der Hand nach oben und zog mich die Gänge entlang.
Wenig später blieben wir vor einem Automaten stehen und zählten dann das Geld von Valentin, nur um darauf zu schließen, dass wir den halben Automaten leer kaufen konnten. Letztendlich entschieden wir uns nochmal für Gummibärchen, eine Tüte Kekse und eine Chipstüte.
Mit unserem kleinen Vorrat liefen wir wieder zurück und setzten uns an die gleiche Stelle wie vorhin.
Vitus riss gleich die Gummibärchentüte auf und so schloss ich darauf, dass er wohl Gummibärchen am liebsten hatte.
„Hier welche für dich" großzügig hielt er mir eine Handvoll hin und ließ mich sie dankend entgegen nehmen.
Mein Blick wanderte unwillkürlich zu seiner Hand, in der die andere Hälfte der Tüte lag und ließen mich nach einem Blick auf meine Hand zögerlich ihn etwas fragen.
„Kann ich vielleicht deine grünen Gummibärchen haben? Ich mag die irgendwie am liebsten. Du kannst dafür deine Lieblingsfarbe haben" etwas schüchtern sah ich ihn an und ließ ihn direkt strahlend nicken.
„Ich mag die Grünen sowieso nicht. Krieg ich dafür deine Weißen?" und so tauschten Vitus und ich zufrieden die Gummibärchen aus und während wir die nächsten Minuten über alles mögliche redeten, schaffte Vitus es tatsächlich mich abzulenken und mich für einen Moment lang denken zu lassen, dass alles gut werden würde.
Flashback ende
Und das war es im Ende auch geworden.
Saphira hatte es geschafft und auch, wenn ich Vitus das nächste Mal erst im Gerichtssaal wieder sah, wusste ich schon zu diesem Zeitpunkt, dass er es an dem Tag im Krankenhaus geschafft hatte sich einen besonderen Platz in meinem Herz zu erkämpften.
So wurde er schließlich zu dem Jungen, mit dem ich ab dem Tag meines Einzuges bei ihm Zuhause Tag und Nacht verbrachte.
So wurde er zu dem Jungen mit dem ich meine Leidenschaft zum Fußball teilte.
So wurde er zu dem Jungen, dem ich blind mein Leben anvertrauen würde.
„Wir sind da, Joel" Saphiras Stimme riss mich aus meinen Gedanken und nachdem ich ihr schnell einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte stieg ich aus und sah dann seufzend zum Eingang des Flughafen.
Denn selbst in solchen Moment, wo ich Vitus verfluchen könnte, wusste ich, dass ich ihm niemals böse sein könnte.
Er wurde schließlich auch zu dem Bruder, den ich niemals hatte und den ich mir heute nicht mehr aus meinem Leben weg wünschen könnte.
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So und hier das erste richtige Kapitel
Wie ihr gemerkt habt spielt das Buch zu dieser Zeit noch parallel zu der Geschichte zu Vitus und Talia
Wie findet ihr den Flashback?
Gefällt euch sowas?
Ich hab nämlich überlegt so etwas öfter zu machen, denn bis jetzt hat man ja von Joel noch nicht so viel gehört, während ihr die anderen fünf Brüder ja schon von Anfang an kanntet
Es würden dann also denk ich kleine Einblicke werden, die Vitus und Joels Freundschaft zeigen oder ihn auch allgemein mit der Familie Collister zeigen
Wie findet ihr die Krankenhausszene?
Ich liebe die Freundschaft zwischen den beiden einfach, das hab ich schon in der Geschichte von Vitus gemerkt
Habt ihr schon mal an einem Austausch mitgemacht?
Hattet ihr schon mal einen längeren Krankenhausaufenthalt?
Habt ihr eine Lieblingsfarbe bei Gummibärchen?
Ich hoffe euch hat das erste Kapitel gefallen:)
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