Kapitel 11
„Oh, das Fräulein hat sich also doch entschlossen, bei der Einführung teilzunehmen", sprach Rileys Gegenüber mit einer überheblichen Stimme.
„Tja, ich dachte mir, nachdem ich mich ausgeruht habe, werde ich dieses Jahr bestimmt nicht wieder einschlafen, aber na ja, wie soll ich sagen...jeder kann sich mal irren", konterte sie. Die noch leicht verkaterte Frau trat aus dem Türrahmen und ging auf die Gruppe zu. Die meisten waren Mitte 20, tuschelten jedoch wie kleine Kinder miteinander. Anscheinend hatte Megan ihnen schon etwas Angst eingejagt, sonst würden sie nicht so staunen, dass es eine Unbekannte wagt, sich mit ihr anzulegen.
Zwei andere Auftragskiller, Rufus und Veronica, standen weiter abseits und betrachteten das Geschehen von der Ferne. Was macht Rufus hier? Ich dachte, er muss einen Auftrag erledigen. Na ja, auf jeden Fall ist es nicht verwunderlich, dass er noch einen Schüler bekommt, aber bei Veronica hätte ich es nicht erwarten. Sie ist noch zu unerfahren. Megan muss wirklich einen Mangel an Mitarbeiter haben.
„Jetzt bin ich im Bilde. Wenn du mit ‚ausruhen' meinst, drei Tage lang komatös auf einer Parkbank zu liegen, weil du als gebürtige Trinkerin davor ein bisschen zu viel erwischt hast, dann verstehe ich dich natürlich voll und ganz."
„Touché", erwiderte sie, während sich die Gruppe teilte, um die Frau hindurchzulassen.
Jetzt waren die beiden nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. Riley blieb stehen. Ihr war klar, dass, obwohl sie Stunden zu spät gekommen war, Megan sie nicht feuern würde, denn sie hatte sich verraten. Die Braunhaarige sah an dem Gesicht ihrer Chefin, dass sie es ebenfalls bemerkt hatte.
Sie wusste, wo ich mich aufgehalten hatte. Das heißt, ich bin ihr nicht ganz egal. 1:0 für mich. In der Stille, die nun herrschte, waren sich die zwei einig, dass Riley ihren Job behalten würde, wenn dieses Thema nicht mehr zur Sprache käme.
„Nun denn", begann Megan, „das hier sind die bisherigen Kandidaten."
Sie zeigte links und rechts von sich. Riley drehte sich um. Insgesamt vier Personen befanden sich vor ihr. Sie stellten sich in einer Reihe auf, damit Riley sie besser begutachten konnte. Ganz am Anfang stand ein großer, dürrer Junge mit flammendrotem Haar und Sommersprossen im Gesicht. Er wirkte leicht verängstig, leicht nervös. Die Fremde daneben gefiel Riley schon besser. Sie erinnerte sie ein bisschen an sich selbst, doch als sie das junge Mädchen mit ihren eisernen Blick ansah, gab das Kind nach, und fing an zu weinen. Meine Güte, wenn sie schon bei Augenkontakt heulen muss, was macht sie dann bei einer Verabredung?
Bei diesem unglaublich gut inszenierten Kopfkino musste Riley lachen.
„Hör auf, sie auszulachen", murmelte jemand von weiter hinten. Sofort verschwand ihr fröhliches Gesicht. Megans Miene verfinsterte sich ebenfalls.
„Würde derjenige bitte vortreten, der das gesagt hat", verlangte Riley in einer noch netten Stimmlage.
Allen Personen, die sich hier auf dem Dach befanden, war klar, wer diesen Satz von sich gegeben hatte, doch die Auftragskillerin wollte ihn aktiv dazu auffordern, sich zu bekennen. Aus dem Augenwinkel konnte Riley sehen, wie sich Rufus und Veronica näherten. Ich brauche niemanden, der mich aufhält, falls ich zu weit gehe. Ich kann mich zügeln. Doch sie wurde mit jeder weiteren Sekunde, in der sich der Schuldige nicht meldete, wütender.
„Ich warte."
Von hinten berührte sie eine Hand, und als sie sich umdrehte, schaute sie in Rufus Augen. „Riley, ich glaube nicht, dass..."
„Lass gefälligst meinen Arm los", schnaubte sie ihn an und befreite sich in einer ruckartigen Bewegung aus dem schon festen Griff des Erwachsenen. Nachdem es nichts half, die Braunhaarige zu besänftigen, trafen sich die Blicke von Rufus und Megan.
„Ms. Foster, ich finde...", fing er an.
„Nein, es ist gut so. Er verdient seine Strafe, auch wenn er noch nicht dabei ist. Es ist töricht, einem Ausbilder Anweisungen zu geben." Einige Momente verstrichen, dann meldete sich Riley wieder zu Wort.
„Also Bürschlein. Komm raus, und zeig dich mir."
Sie bekam eine Antwort. Doch die beinhaltete ein Wort, dass die Frau zur Weißglut brachte: Nein.
„Das war keine Bitte, das war ein Befehl!", brüllte sie nun. Endlich zeigte es die gewünschte Wirkung und ein mittelgroßer Jüngling, mit orangefarbenem, gelverschmiertem Haar, trat in Hemd und Jeans selbstbewusst hervor. Das zu dick aufgetragene Aftershave rochen selbst Veronica und Rufus, die beide mindestens drei Meter entfernt waren. Es füllte die Luft in eine riesige Duftwolke aus Sandelholz und Moschus.
Unnachgiebig hielt er Blickkontakt und als er vor ihr anhielt, meinte er: „Das war mir durchaus klar."
Jeder wusste, dass das die falsche Antwort war. Sie ignorierte seine arrogante Erscheinung und widmete sich Megan.
„Hast du ihnen schon das Loch gezeigt?", fragte die Frau in Lederjacke in einem ruhigen Ton. „Nein. Aber das kann sich ganz schnell ändern. Willst du die Führung übernehmen?"
„Mit Vergnügen."
Riley wollte schon losgehen, als sie dem vorlauten Mann noch einmal in die Augen sah und ihm entgegnete: „Dort wird einer von euch...wie sagt man das am besten in der heutigen Zeit...draufgehen, verrecken, den Löffel abgeben, ins Gras beißen, wenn du weißt, was ich meine. Aber", sie hielt einen Moment lang inne", das war dir wahrscheinlich durchaus klar, hab ich recht?" Erneut lachte sie, doch diesmal widersprach ihr keiner.
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