-9- Millie
Mit Bailey auf dem Arm, machte ich mich schnellstmöglich auf den Weg zu mir nach Hause. Da er total durchgefroren war, musste er dringend ins Warme. Während ich Ausschau nach einem freien Taxi hielt, was im Dezember in New York fast unmöglich war, quälten mich tausend Fragen, die mir durch den Kopf gingen.
Zum einen war da wieder einmal die Frage, wo Cathy war. Sie hatte sich erneut aus dem Staub gemacht. Warum ging sie immer, ohne mit mir zu sprechen? Wenn Sie Bailey gesucht hatte, warum sagte sie nichts? Ich hätte ihr doch geholfen.
Zum anderen fragte ich mich, was ich falsch gemacht hatte. Wieso schrieb Marlow mir erst eine Nachricht und antwortete dann nicht mehr?
Mit keinem Sterbenswörtchen hatte er die Nachricht angesprochen, als ich ihn traf. Wenn er vergessen hatte zu antworten oder eben keine Zeit hatte, dann hätte ich Verständnis dafür gehabt. Doch nichts ... Er sagte kein Wort. Keine Erklärung. Keine Rechtfertigung.
Okay, zugegeben. Es war der Situation geschuldet, dass wir kein Pläuschchen halten konnten, immerhin ging es in aller erster Linie darum, Bailey schnell trocken und warm zu bekommen.
Nun gut, jetzt musste ich mich um andere Dinge kümmern. Als ich endlich zuhause ankam, nahm ich ein trockenes Handtuch, rieb sein Fell damit trocken und wickelte ihn in eine Decke ein. Mit ihm zusammen saß ich auf der Couch, zappte im TV-Programm und streichelte ihn nebenbei, während er genüsslich seine Augen schloss und vor sich hin brummelte.
„Was mache ich jetzt mit dir, mein Kleiner?", fragte ich mich selbst und überlegte mir, dass ich dringend Cathy's Handynummer brauchte. So konnte das ja nicht weiter gehen.
Als dann meine Mutter von der Arbeit nach Hause kam, sah sie Bailey und mich sprachlos an und sog scharf Luft ein.
„Frag besser nicht. Lange Geschichte."
„Will ich die hören?"
Achselzuckend und mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen wandte ich mich wieder dem Fernseher zu.
Natürlich bohrte sie weiter nach, immerhin war ein fremder Hund in unserem Haus. Doch zum Glück hatte meine Mum Erbarmen und besorgte sogar Hundefutter für Bailey, als ich ihr erzählt hatte, dass Cathy verschwunden war und ich nicht wusste, wem er eigentlich gehörte.
Sie hatte einfach ein Herz für Tiere und das spielte mir gerade ungemein in die Karten. Ich hätte es nicht über mein Herz gebracht, den Kleinen auf die Straße zu setzen. Also wartete ich, dass Cathy sich meldete. Sie war wahrscheinlich krank vor Sorge und suchte ihn immer noch.
Nachdem wir ab sofort Hundefutter im Haus hatten und dem Kleinen einen Napf mit Fressen in die Küche stellten, stand er nun hibbelig vor der Terassentür.
„Was ist? Hat dir der Ausflug und dein spontanes Eisbad nicht ausgereicht? Nein Bailey, wir gehen jetzt nicht wieder in den Schnee. Hinterher frierst du wieder. Einmal am Tag reicht ja wohl", ermahnte ich ihn, doch er jaulte leise und diesem süßen Hundeblick konnte ich einfach nicht widerstehen. Er hatte mich weichgekocht.
„Na gut, komm schon."
Bei der Eiseskälte zog ich mir eine trockene Jacke an und nahm ihn mit vor die Tür. Dort sah ich auf Anhieb, warum er es so eilig gehabt hatte. Wir gingen ein Stück durch unsere verschneite Straße. Der Wind pustete kräftig und schüttelte dabei den Schnee von den Bäumen. Ich sah durch die umherwirbelnde Schneeflocken in die dunkle Ferne und bemerkte jemanden auf mich zukommen, der mir mehr als bekannt vorkam.
Na warte. Die schnapp' ich mir.
„Cathy?!", rief ich lauthals und mit autoritärer Stimmlage. Sie sollte bloß nicht glauben, dass ich ihr das alles so durchgehen ließ. Als sie näher kam, blickte sie mich entschuldigend an und streichelte erleichtert über Bailey's Fell.
„Hallo mein Kleiner, da bist du ja wieder. Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt." Sie hob ihren Kopf und neigte ihn mit verzweifeltem Gesichtsausdruck zur Seite. „Es tut mir leid, Millie. Ich habe dich überall gesucht. Ich bin hinter Bailey her und wusste plötzlich nicht, wo er ist und dann habe ich dich auch nicht mehr gefunden. Wo war er denn?"
„Im See."
„Wie bitte? Im See?", keuchte sie panisch und riss dabei ihre Augen auf.
„Er ist aufs Eis gesprungen und dann eingebrochen", erklärte ich, während Cathy geschockt ihre Hand vor den Mund hielt und traurig zu Bailey hinab sah.
„Was machst du nur für Sachen? Du musst einen guten Schutzengel gehabt haben, mein Kleiner. Ich danke dir, Millie, dass du ihn gerettet hast. Du bist ein wahrer Engel."
Eigentlich war es ja nicht ich, die ihn gerettet hatte. Es war ein kurioser Zufall, dass ausgerechnet Marlow zur Stelle gewesen war, was ich ihr natürlich auch erzählte.
„Das gibt's doch nicht. Ein Retter in der Not. Und dann noch der, den du so toll findest", sagte sie mittlerweile wieder grinsend. Sie schien sich schnell von dem kleinen Schock erholt zu haben. Schließlich war sie ja auch Feuer und Flamme für Marlow und mich, was ich bis heute nicht verstand, denn wir kannten uns kaum.
„Kannst du mir bitte einen Gefallen tun? Wie ich sehe, kommt ihr zwei gut zurecht. Meine Nachbarin musste kurzfristig verreisen", erklärte sie, ohne dabei ihre Hand von Bailey's Kopf zu nehmen. Der Schlingel genoss doch wirklich jede einzelne Streicheleinheit bis aufs Äußerste.
„Sie verreist ohne Bailey?"
„Es war ein Notfall zu dem sie ihn leider nicht mitnehmen konnte. Und ich bin allergisch. Wenn ich ihn vierundzwanzig Stunden am Tag bei mir habe, kannst du mich morgen im Krankenhaus besuchen kommen."
Natürlich verstand ich, worauf sie hinaus wollte, doch ich konnte irgendwie nicht glauben, dass diese Nachbarin ihren Hund einfach bei einer Fremden ließ.
„Das heißt, du willst...", begann ich meinen Satz, den sie sofort unterbrach.
„Ja bitte. Es sind auch nur ein paar Tage. An Weihnachten ist sie zurück. Versprochen."
„Ach ich weiß nicht, Cathy. Meine Eltern wohnen ja auch hier und ein Hund macht Dreck und viel Arbeit."
Schlagartig senkte sie ihren Blick, schaute Bailey traurig an.
„Verstehe ich. Was mache ich dann mit dir, du kleiner Frechdachs? Vielleicht finden wir in einem Tierheim solange Unterschlupf, hm?!"
Wie in Zeitlupe griff sie nach Bailey's Leine und ich merkte sofort, was sie vorhatte. Sie wollte mir ein schlechtes Gewissen machen und naja ... Was soll ich sagen?
Es funktionierte.
Als ich Bailey so ansah, erwärmte er mir mein Herz und da es ja quasi gerade erst halbwegs gebrochen wurde, stimmte ich schließlich doch zu.
„Ist gut, ich kümmere mich um ihn."
„Ah! Danke Millie. Du hast was gut bei mir." Sie drückte mich kurz, ehe sie sich wieder von mir und explizit von Bailey verabschiedete. „Mach mir keinen Unsinn. In ein paar Tagen hole ich dich wieder ab, okay?"
Dann wandte sie sich wieder an mich. „Da du ja jetzt öfter im Park sein wirst, sehen wir uns sicher. Macht's gut, ihr zwei."
Und schon war sie wieder weg. So wie immer. Sie kam, unterhielt sich kurz mit mir und dann verschwand sie wieder nach ein paar Minuten.
Mittlerweilte kannte ich es nicht anders von ihr und musste sogar über ihr dubioses Verhalten kichern. Es war mir auf eine ganz komische Art und Weise sogar sympathisch.
Bailey, der noch ein bisschen im Schnee schnupperte, sah total zufrieden aus.
„Na gut, ab sofort sind wir die besten Freunde. Für ein paar Tage, also musst du auf mich hören, verstanden? Und denk ja nicht, dass du in meinem Bett schlafen darfst."
Vielleicht bildete ich mir ein Nicken ein, vielleicht auch nicht. Jedenfalls wurde mir kalt und ich wollte einfach nur wieder rein ins Warme.
Am Abend lag ich in meinem Bett und grübelte noch immer, warum Marlow mir erst schrieb und sich dann nicht mehr meldete. Er fragte nicht einmal nach, wie es Bailey ging, obwohl er ja selbst gesehen hatte, wie es ihm gegangen war. Es schien ihn überhaupt nicht zu interessieren. Blödmann.
Ich beschloss, dass er mich auch nicht mehr interessieren würde. Bei so einem blöden Verhalten, wollte ich ihn gar nicht mehr toll finden.
Als mein neuer Freund plötzlich auf mein Bett hüpfte und sich an mich kuschelte, sah ich ihn streng an.
„Vergiss es, Freundchen. Ich habe es dir gesagt." Doch seine braunen Kulleraugen sahen mich an, während er mit seiner Schnute bettelte und mich damit sofort hatte. „Na gut, aber nur eine Nacht. Weil alles so fremd ist, okay?"
Wer konnte diesen süßen Augen schon widerstehen? So viel zum Thema, er schläft nicht in meinem Bett. Ich musste dringend an meiner Disziplin arbeiten.
Als ich am nächsten Morgen verschlafen und müde meine Augen öffnete, wurde ich direkt von Bailey's Kaltwasser-Schnauze begrüßt. Er schleckte mich ab und brachte mich direkt am frühen Morgen zum Kichern.
„Ihhh Bailey, lass das. Das kitzelt..."
Er sprang vom Bett, ich öffnete die Tür, damit er nach unten rennen konnte, denn da wurde bereits Frühstück in der Küche gezaubert. Der herrliche Duft von frisch gebackenen Pancakes ließ meinen Magen knurren.
Sofort verschwand ich im Badezimmer, um mich auf einen neuen Tag vorzubereiten. Ich ging duschen, kämmte und föhnte meine Haare, band sie zu einem Messy-Dutt und legte ein leichtes Make-Up auf, bevor ich mich über das lackiere Frühstück hermachte.
Meine Mum konnte einfach die besten Pancakes machen.
Mit vollem Magen machten wir uns auf den Weg in den Park. Einen heißen Cappuccino hatte ich selbstverständlich auch dabei. Tradition ist Tradition.
Ich setzte mich auf die Bank, auf der ich immer saß und beobachtete wieder einmal die Leute, die mir entgegen kamen. Doch heute dachte ich mir keine Geschichten über sie aus. Vielmehr hatte ich Augen für Bailey, der die Schneeflocken jagte und unendlich viel Spaß dabei hatte, sie zu fangen.
Leider saß ich alleine auf der Bank, denn wider Erwarten ließ sich Cathy heute nicht blicken.
Und das, obwohl ich mich doch gerade an sie gewöhnt hatte...
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