-5- Millie

Als ich zurück in den Club ging und vor Wut schnaubte, weil ich Cathy leider nicht mehr erwischt hatte, spürte ich meine volle Blase und machte mich direkt auf den Weg in Richtung Damentoiletten.

Die Schlange war sehr lang, doch es nutzte ja alles nichts. Ich hätte bei den Herren gehen können, aber einige vor mir schienen sich das Gleiche überlegt zu haben und wurden prompt wieder nach draußen befördert.

Nachdem ich endlich fertig war und mir gründlich die Hände gewaschen hatte, suchte ich Marlow. Das Model mit den Augenringen aus dem Park. Immerhin war ich ohne jegliche Erklärung abgehauen, sodass nun wohl ich diejenige war, die sich entschuldigen musste und einen Wiedergutmachungsdrink besorgen wollte.

Bei dem Gedanken daran, dass ich ihn gleich zweimal innerhalb kürzester Zeit gesehen hatte, musste ich kichern.

War es Zufall?

Ich ging zurück an die Stelle, wo wir vorhin noch gestanden hatten, doch dort war er nicht mehr. Kein Wunder, wahrscheinlich war er froh, dass er mich los war. Vermutlich hatte er sich gezwungen gefühlt, mich einzuladen oder aber er hatte mitten im Gespräch festgestellt, dass ich nicht sein Typ war.

Warum hätte er auch auf mich warten sollen? Wahrscheinlich hätte ich auch das Weite gesucht, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre.

Hazel sah mich, winkte mich zu sich und von da an tanzten wir wild und ungehemmt. Ich vergaß sogar die Sache mit Cathy, während ich mich im Takt der Musik gehen ließ und meine Hüften zum Beat schwang. Wenn ich am kommenden Tag keine Spätschicht gehabt hätte, wären wir vermutlich bis zum Abschließen des Clubs geblieben, doch so musste ich mir immerhin keine Streichhölzer zwischen die Augen klemmen.

Es war ein sonniger, aber dennoch kühler Tag und da die Nacht recht kurz war, nahm ich mir heute keine Auszeit vor der Arbeit auf der Parkbank. Vielleicht war Cathy auch der Grund. Ich wollte ihr nicht begegnen. Irgendetwas an ihr war einfach sehr komisch. Mysteriös.

Die Schicht ging bisher recht ruhig von Statten, doch gegen Nachmittag hatte man das Gefühl, dass sich alle Bewohner New Yorks urplötzlich zur gleiche Zeit auf den Weg ins Rosalie's Cottage machten. Dem Café meiner lieben Chefin namens Rosalie. Es wurde total voll und die Schlange nahm einfach kein Ende.

Während ich mitten in meiner Schicht war und gerade einen Kunden bedient hatte, tauchte auf einmal Cathy bei mir auf.

Die hatte mir gerade noch gefehlt. Gestern haute sie einfach so ab und heute kam sie freiwillig her? Ich sagte ja, irgendetwas war komisch, aber ich wusste noch nicht, was es war.

„Hey Millie!"

Ihrem Gesichtsausdruck zufolge, tat es ihr immerhin leid, dass sie mich gestern erst geschubst und dann stehen gelassen hatte.

„Cathy, was sollte das gestern Abend?"

„Ach komm schon, du hast einen kleinen Schubser nötig gehabt. Hattet ihr einen schönen Abend?", fragte sie doch tatsächlich mit einem verschmitzten Grinsen auf den Lippen. War das ihr ernst?

„Nicht wirklich. Als du gegangen bist, bin ich dir gefolgt und habe ihn stehen lassen."
Sie verzog ihr Gesicht und biss sich seufzend auf ihre Unterlippe.
„Oh Millie!"

„Er denkt jetzt bestimmt, ich bin irgendeine Komische, weil ich so schnell abgehauen bin. Egal, ich sehe ihn nie wieder und selbst wenn, ist es mir auch egal."

Das war natürlich gelogen. Mir was es nicht egal, was er von mir dachte wenn ich ihn nochmal sehen würde. Aber das musste Cathy ja nicht unbedingt wissen. Sie hatte genug angerichtet.

„Tut mir wahnsinnig leid. Ich hatte einen Anruf bekommen und musste schnell gehen. Wie ärgerlich."

Wenigstens tat es ihr leid, auch wenn ihre Ausrede echt lahm war. Immerhin wollte sie mir Marlow schon im Park aufschwatzen.

Sah ich so aus, als bräuchte ich Nachhilfe beim Flirten und Typen kennenlernen? War ich so erbärmlich? Für wen hielt sie sich? Amor höchstpersönlich?

Keine Ahnung, was sie sich davon erhoffte oder was sie davon hatte, aber das war mir jetzt egal. Auch wenn sie ziemlich strange war, war sie jedes Mal total nett, wenn ich sie sah. Und man erkannte deutlich an ihrer gekrümmten Haltung, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte. Sie biss sich auf ihre Lippen und runzelte entschuldigend ihre Stirn.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich Pause machen konnte und nachdem mein Kollege mir sein OK gegeben hatte, dass er mit der Schlange zurecht kam, nahm ich Cathy mit nach hinten in unseren Pausenraum. Mit einem heißen Kaffee unterhielten wir uns und irgendwie erhoffte ich mir dabei, die mysteriöse Cathy näher kennenzulernen.

„Ich bin Fotografin und war die letzten Monate eigentlich nur unterwegs. Extra für Weihnachten bin ich mal in der alten Heimat und hoffe auf ein bisschen Ruhe", erklärte sie mir gerade, als mein Kollege mich zu sich rief. Scheinbar kam er wohl doch nicht zurecht, also musste ich meine Pause noch ein klein wenig verschieben.

„Trink in Ruhe aus, ich komme gleich wieder."

Mein Kollege und ich waren ein eingespieltes Team und arbeiteten die Kunden im Nu ab. Als die Schlange langsam lichter wurde, erkannte ich auf einmal unter den Kunden Marlow. Den Typen vom Club gestern. Das heiße Model mit den Augenringen.

Verflixt! Was machte er denn hier?

Gott weiß wieso, aber ich suchte mal wieder fluchtartig das Weite und fand mich kurze Zeit später wieder im Pausenraum, wo Cathy mich stirnrunzelnd ansah. „Alles in Ordnung?", wollte sie wissen, doch ich stammelte nur nervös vor mich hin, denn er sah mal wieder göttlich aus und schüchterte mich irgendwie ein.

„Marlow ... Der Typ ... Gestern ... Aus dem Club ... Er ist ... Er ist hier, Cathy!"

Wie peinlich! Da ließ ich ihn einfach stehen und nun stand er in der Schlange, als wolle mein Leben mir etwas mitteilen.

„Sucht er dich oder was macht er hier?"

„Keine Ahnung, aber er steht in der Schlange!"

Verzweifelt fuchtelte ich mit meinen Händen vor meiner Brust und spürte, wie sie immer schwitziger wurden. Verdammt, war ich aufgeregt. Seine Nähe ging mir eigenartigerweise unter die Haut. Schon gestern hatte ich gespürt, wie nervös ich in seiner Nähe war.

Mein Kollege rief mich erneut, also sah ich Cathy flehend an. „Geh du, ich schaffe das nicht..."

Doch sie lachte nur und schüttelte ihren Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wie man Kaffee mit so einer Maschine macht. Gib mir ne Kamera und Objektive und ich helfe dir, aber Kaffee? Wenn du deine Kunden nicht vergraulen willst, dann geh da jetzt raus! Du schaffst das. Das weiß ich!"

Cathy fackelte nicht lange, stand auf und schob mich durch die Tür, sodass mir keine andere Wahl mehr blieb. Ich ging zurück an den Tresen, lächelte den Kunden an und bediente ihn freundlich. Als er ging und Marlow mir plötzlich gegenüber stand, klopfte mein Herz wie wild. Meine Atmung beschleunigte sich und meine Hände zitterten leicht.

„Hi", begrüßte ich ihn, was er mit einem charmanten Lächeln quittierte.

„Hey. Was für ein Zufall, ich wusste nicht, dass du hier arbeitest."

„Woher auch? Wir hatten ja auch gestern nicht mehr die Chance, uns zu unterhalten. Du warst so schnell weg."

Es kostete mich viel Mühe, nicht in einem unverständlichen Kauderwelsch mit ihm zu sprechen. Seine Stirn runzelte leicht bei meiner Bemerkung, ehe er sich grinsend räusperte.

„Ich war schnell weg?"

Herzrasen. Schnappatmungen.
Ablenkung. Sofort!

Ich brauchte definitiv Ablenkung, also ließ ich das Thema 'gestern Abend' einfach vom Tisch fallen.

„Was möchtest du?"
„Was kannst du denn empfehlen?", stellte er mir eine Gegenfrage, zu der ich endlich mal eine vernünftige Antwort parat hatte. Mein Werk beherrschte ich nämlich sehr gut.

„Den Flat White zum Beispiel. Ein doppelter Espresso mit gedämpfter Milch." Doch Marlow verzog sein Gesicht, sodass ich lachen musste.

„Klingt irgendwie nach zu viel Milch, wenn du mich fragst."

„Also nur einen doppelten Espresso?"

„Mach einen Filterkaffee draus. Ohne Milch und ohne Zucker. Groß!"

Während er noch die Muffins und Cookies in dem kleinen Aussteller begutachtete, suchte ich nach den großen Bechern. „Hast du noch große Becher?", fragte ich meinen Kollegen, der mich allerdings nach hinten verwies.

„Sieh dich in Ruhe um, ich muss eben neue Becher holen", erklärte ich Marlow, bevor ich in den Pausenraum ging, in dem sich unsere kleine Vorratskammer befand. Doch Cathy hielt mir bereits die großen Becher entgegen.

„Hier."

„Woher...?" Verwundert sah ich sie an und fragte mich, ob sie mitbekommen hatte, dass ich die Becher gesucht hatte. Sie zuckte nur unbeeindruckt mit den Schultern, woraufhin ich verwirrt zu Marlow zurück ging. Dort schnappte ich mir den obersten Becher und füllte den Kaffee hinein, welchen ich ihm mit einem Deckel auf das Tablett stellte.

„Möchtest du noch einen Muffin?"

„Blaubeer bitte."

Mit der Zange nahm ich einen Blaubeer-Muffin und legte ihn in eine Gebäcktüte und schob ihm das Tablett ein Stück weit entgegen. Im Gegenzug überreichte er mir zwanzig Dollar und als ich gerade dabei war, das Wechselgeld heraus zu suchen, winkte er mit der Hand ab. „Stimmt so, danke. Vielleicht sieht man sich ja nochmal."

Dankbar lächelte ich ihn an und sah verträumt zu, wie er das Café verließ. Der Gedanke, dass man sich vielleicht nochmal sah, gefiel mir. Er gefiel mir...

Als mich mein Kollege wieder in die Pause schickte, ging ich zurück zu Cathy, die mich bereits mit einem süffisanten Grinsen erwartete.

Was bitteschön hatte die Frau jetzt wieder ausgeheckt?!

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