-26- Marlow

Was gibt's?", fragte mich Wyatt durch den Lautsprecher meines Handys, welches ich auf meinem Schoß liegen hatte. 

„Kannst du vorbeikommen?"

Ich wusste, dass ich mich irgendwie ablenken musste. Denn sonst wäre ich wahrscheinlich wieder in die alten Muster verfallen, um irgendwie mit meinem Kummer umzugehen.

Während ich mit meinem Bruder telefonierte, streichelte ich über Bailey's Fell, der sichtlich genoss und ich tat es genauso. Ich war froh, dass der kleine Kerl noch immer bei mir war. Die Hoffnung bestand zumindest noch darin, dass Millie selbst kommen und ihn holen würde.

„Ja ... klar", sagte er zögernd und ich wusste sofort, dass es gerade unpassend war. Ich wollte ihm keine Umstände machen und ließ mir nichts weiter anmerken. Dann musste ich eben selbst zusehen, dass ich nicht wieder in diesen Trott verfiel. Das würde ich schon schaffen.

„Schon gut. Komm einfach heute Abend, wenn du kannst, okay?"

„Ist gut. Bin gespannt, was du vom Date berichtest. Pizza und Football? Was sagst du?"

Bis dahin war noch eine ganze Weile, aber das klang zumindest nach viel Ablenkung heute Abend. Eigentlich war ich immer ein Kämpfer. In den letzten Monaten sah ich allerdings keinen Grund dazu, um irgendetwas zu kämpfen, weil ich ja alles verloren hatte.

Doch nun war es anders. Ich hatte wieder einen Grund zu kämpfen und vor allem sah ich wieder einen Sinn im Leben. Das hieß im Umkehrschluss, ich musste meine Finger vom Alkohol lassen und mich stattdessen anders ablenken.

Wir legten auf und ich lief pausenlos nervös in meiner Wohnung auf und ab. Immer wieder sah ich zum Kühlschrank und rang mit mir selbst. Doch nicht das, was jetzt jeder vermuten würde. 

Nein, kein Bier oder sonst was ... Es ging um das Foto von Cathy. 

Sollte ich es doch abhängen, um endgültig nach vorne zu sehen? Das Foto hatte mir die Sache mit Millie versaut. Zumindest glaubte ich das eine Zeit lang, bis ich nochmal genauestens darüber nachdachte und zu dem Entschluss kam, dass ich es selbst versaut hatte. 

Ich war derjenige gewesen, der ihr nichts von meiner Vergangenheit erzählt hatte. Obwohl ich so viel aussortiert und mein Herz riskiert hatte, hatte ich es nicht über mich gebracht, Millie davon zu erzählen.

Wenn ich doch nur die Chance bekommen hätte, es ihr zu erklären. Ich wusste allerdings, dass ich nicht aufgeben würde. Und wenn ich pausenlos in der Kälte vor ihrem Haus stehen musste, um ihr zu beweisen, dass ich es ernst mit ihr meinte. Damit sie mir endlich zuhören würde ...

Minuten vergingen, in denen ich einfach nur starr aus dem Fenster sah. Man hatte mich weder angerufen noch hatte jemand geklingelt, um Bailey abzuholen. Im Grunde machte es mir nichts aus, weil ich den kleinen Kerl wirklich lieb gewonnen hatte, doch er gehörte mir nicht. Als er mich mit einem leisen Jaulen auf sich aufmerksam machte, drehte ich mich zu ihm und sah, wie er mit seiner Leine im Maul vor der Tür stand.

„Na gut. Wird wahrscheinlich die letzte Runde mit uns beiden, Kumpel. Na komm", sagte ich zu ihm, zog mich warm an und machte mit ihm einen Spaziergang. Einen kleinen wohlgemerkt, weil ich nicht wusste, wie schnell ich wieder zuhause sein musste. 

Ich genoss den kühlen Wind um meine Nase und Bailey erfreute sich an den kleinen Schneeflocken, mit denen er immer wieder spielte. Doch Millie ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Ich nahm mir fest vor, spätestens morgen nochmal zu ihr zu fahren und höchstwahrscheinlich würde ich dann auch Bailey mitnehmen. Entweder sie hörte mir zu oder sie wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Das musste ich dann wohl oder übel akzeptieren. Auch wenn es mir schwer fiel.

Wieder zuhause legte ich mich in meinen gemütlichen Sessel und spielte Ball mit dem Vierbeiner.

„Was mache ich nur ohne dich, hm? Wenn man dich gleich abholt, bin ich wieder alleine, Bailey. Und das will ich eigentlich nicht. Kannst du mich verstehen?"

Er gab grummelnde Geräusche von sich, was mich lächeln ließ. Warum wurde ich das Gefühl nicht los, dass er mich jedes Mal verstand?

„Aber du vermisst ja sicher dein Frauchen. Sie ist ja einfach ohne dich weggefahren und hat dich bei völlig Fremden gelassen. Dafür hast du die Zeit ziemlich gut gemeistert", lobte ich ihn, während es im gleichen Moment an der Tür klingelte.

Mein Puls schoss in die Höhe und mein Magen zog sich schmerzlich zusammen.

„Das wars dann wohl, Kumpel."

Bailey war mittlerweile schon an der Tür und freute sich auf den Besuch. Ich drückte wortlos die untere Haustür auf, denn ich musste mich gerade erst einmal sammeln. Millie hatte ihr vermutlich gesagt, in welchem Stockwerk ich wohnte und dass sie den Lift nehmen konnte. Ich sammelte das Spielzeug von Bailey und auch die Sachen von Millie zusammen, die sie heute Morgen bei mir vergessen hatte.

Als ich die Tür nur kurze Zeit später öffnete, erstarrte ich zu Salzsäule, denn ich hatte mit allem gerechnet ... aber nicht mit Millie.

Sie trug einen hübschen weißen Pullover unter ihrer Winterjacke. In ihrem Dekolleté hing eine roségoldene Kette mit einem Unendlichkeitszeichen und ihr offenes Haar lag locker über ihren Schultern. Ich vermisste sie. Alles an ihr.

Während ich mich langsam wieder aus meiner Kurzzeitschockstarre löste, war Bailey bereits bei ihr und kratzte, bettelnd nach Aufmerksamkeit, mit seinen Pfoten an ihrem Bein. Doch sie hatte diesen eiskalten Blick auf Lager und schenkte Bailey im Moment keinerlei Beachtung. Beim genauen Hinsehen, konnte man erkennen, dass ihre Augen glasig und mit Tränen gefüllt waren.

„Millie", wisperte ich verzweifelt ihren Namen. Ein erleichterndes Lächeln legte sich auf mein Gesicht und als ich einen Schritt auf sie zuging, ging sie gleichzeitig einen nach hinten und hielt ihre Hand demonstrativ nach vorne.

„Sag nichts ... Bitte", flehte sie mich förmlich an und dabei hörte ich heraus, dass ihre Stimme zitterte. Ihr ging es genauso schlecht wie mir. Warum taten wir uns das an? Wieso wollte sie nicht einfach zuhören?

„Wie konntest du nur? Wie konntest du mir die ganze Zeit schöne Augen machen? Du hast mich geküsst, Marlow. Letzte Nacht und davor die Male ... Und dabei hattest du die ganze Zeit eine Freundin", warf sie mir schluchzend vor und schien auch noch nicht fertig zu sein.

„Und was für eine kranke Scheiße habt ihr euch da ausgedacht? Dass sie uns beide verkuppelt und wozu? Wolltet ihr mich ausnehmen? Ich hab nichts! Kein Geld ... Oder steht ihr auf sowas? Macht euch das an?"

Ich wusste überhaupt nicht, wovon sie sprach und sah sie verwirrt an.

„Ich..."

„Stop!", unterbrach sie mich mitten im Satz. „Ich war noch nicht fertig!"

Das Atmen fiel mir immer schwerer, da sich ein Kloß in meiner Kehle gebildet hatte. Doch ich nickte, damit sie mir weiter Vorwürfe machen konnte. Ich selbst wusste schließlich ganz genau, wie gut so etwas in diesen Momenten tat.

„Ihr seid doch krank. Und den armen Bailey zieht ihr mit rein. Ich möchte nie wieder etwas mit dir zu tun haben, Marlow. Nie wieder", sagte sie und betonte ihre letzten Worte, die mich besonders hart trafen.

Ehe ich etwas sagen konnte, drehte sie sich um und ging in Richtung der Treppen. Doch mir blieb nur diese eine Chance. Irgendeine höhere Macht wollte scheinbar, dass wir uns nochmal sahen und gab mir die Möglichkeit, es zu klären. Und zwar jetzt.

„Millie, ich weiß nicht, was du meinst."

Doch sie ließ sich von meinen Worten nicht aufhalten und rannte die Treppe hinunter.

„Mil... Warte doch! Was ist mit Bailey?", rief ich und schnappte mir im gleichen Moment zügig meine Schlüssel. Dieses Mal würde sie mir nicht so einfach entwischen. Deswegen rannte ich hinter ihr her. Doch als ich unten ankam, saß sie bereits in dem roten Auto, direkt vor meiner Tür.

„Millie", schrie ich von der Haustür aus, doch sie fuhr los. Total verärgert über alles und jeden und vor allem über mich selbst, trat ich fest gegen das Geländer und bereute es im gleichen Moment wieder. Schmerzverzogen sah ich ihr hinterher und sprach mit mir selbst, während das Auto immer kleiner wurde. „Verdammt! Warum hörst du mir denn nicht zu, Millie?"

Doch ich durfte keine Zeit ins Land gehen lassen. Ich ging wild entschlossen nach oben und fragte mich, warum sie Bailey nicht mitgenommen hatte. Was hatten ihre Worte zu bedeuten? Bailey mit reingezogen? Verkuppeln? Es ergab keinen Sinn. 

Was dachte sie bitte? 

Aber eins war klar ... Ich musste ihr hinterher und das ein für alle Mal klären. Ich würde mich nicht vor der Tür, von wem auch immer, abwimmeln lassen. Ich musste kämpfen. Ihr die Wahrheit sagen, damit sie verstand. Für uns, weil ich wusste, dass es sich am Ende lohnen würde.

Oben angekommen, zog ich mich zum x-ten Male heute warm an und ging mit Bailey zur Tür heraus. Sofort setzte ich ihn in den Kofferraum, stieg dann selbst ein und fuhr los. Ich durfte ihr nicht die Zeit geben, sich wieder vor mir zu verstecken, deswegen musste ich schnell sein. Ich fasste einfach nicht, dass sie mir wieder entkommen war. Es war zum verrücktwerden. 

Als ich vor der Tür parkte, sah ich das rote Auto, mit dem sie bei mir war, zwar nicht, aber es hinderte mich auch nicht daran, zur Tür zu gehen und nach Millie zu fragen.

„Sie ist nicht hier", erklärte mir die blonde Frau von heute Morgen. Doch wie bereits erwähnt, wollte ich mich nicht wieder abwimmeln lassen.

„Ich weiß, dass sie heute Morgen auch hier war, also lass mich besser zu ihr. Ich muss es ihr einfach nur erklären, dann versteht sie das alles."

Ich drängelte mich an ihr vorbei und zum zweiten Mal in meinem Leben, verschaffte ich mir unbefugt Zutritt zu einem Haus. Nun ja, der Baseball damals war mir sehr wichtig gewesen. Aber noch wichtiger war mir Millie, daher musste ich es tun. 

Sie versuchte natürlich mich zu beruhigen, redete auf mich ein, dass sie wirklich nicht da war, aber das wollte ich selbst herausfinden.

„Millie?!", rief ich, doch es kam keine Antwort. „Wo ist ihr Zimmer?"

Sie deutete auf den oberen Stock und seufzte dabei. 

„Zweite Tür rechts."

Mir kam es schon spanisch vor, dass sie mir einfach verraten hatte, wo sich Millie's Zimmer befand, doch ich musste trotzdem nachsehen. Ich hechtete nach oben, aber ich sah sie nicht. Das Zimmer war leer. Als ich schluckte und sich eine Gänsehaut auf meiner Haut bildete, nahm ich jemanden hinter mir wahr.

Millie?

Ich drehte mich um, doch vor mir stand leider nicht Millie. Enttäuscht sah ich auf den Boden.

„Sie ist wirklich nicht hier. Eigentlich wollte sie zu dir. Ihr müsst euch verpasst haben."

„Nein, wir haben uns nicht verpasst. Aber sie ist mitten im Gespräch abgehauen."

„Ich sage ihr, dass du da warst."

Indirekt bat sie mich zu gehen, deshalb nickte ich schwach und ging zurück zu meinem Auto. Bailey noch immer bei mir.

Wie konnte ich es nur so versauen?

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