-11- Millie

Als ich bei der morgendlichen Spazierrunde mit Bailey nicht wie erwartet auf Cathy gestoßen war, sondern auf Marlow, schlug mein Herz direkt wieder schneller. Und nicht nur das. Seine Anwesenheit bescherte mir wieder einmal eine Gänsehaut, die ich am ganzen Körper zu spüren bekam.

So ein Mist aber auch.

Ich wollte für ihn doch gar nicht mehr so fühlen. Erst gestern hatte ich beschlossen, dass er mir egal war. Warum klappte es denn nicht?

Als Bailey mit einem Handy im Maul angerannt kam, welches sich dann auch noch als Marlow's herausstellte, erklärte es zumindest in meinen Augen, warum er nicht geantwortet hatte.

Und schon war ich wieder Feuer und Flamme für diesen Mann.

Er war zwar noch immer auf eine Art mysteriös, allerdings fand ich es urplötzlich nicht mehr so schlimm, solche Gefühle für ihn zu hegen. Zumindest solange genau das die Erklärung dafür gewesen war, dass er sich nicht gemeldet hatte. 

Doch ich hatte keine Zeit mehr, das auszudiskutieren. Meine Schicht im Café stand kurz bevor. Dazu kam, dass ich erst noch den Hund nach Hause bringen und ihm wenigstens noch frisches Wasser und etwas zu fressen geben musste.

Als ich mich gerade umdrehte und einige Schritte lief, hörte ich seine tiefe männliche Stimme hinter mir. Die Stimme, die mir jedes Mal sofort unter die Haut ging.

„Soll ich ihn solange nehmen?"

Verdutzt runzelte ich meine Stirn, drehte mich zu ihm um und wollte gerade etwas sagen, als er mir ins Wort fiel.

„Ich arbeite auf der anderen Seite in der Bank." 

Mit einem heiseren Lachen zeigte er auf den Teil hinter der Brücke, die über den gefrorenen See führte.

„Naja, vielleicht war es eine doofe Idee. Du kennst mich kaum, aber ich dachte, es wäre besser, als wenn er den ganzen Tag alleine zuhause wäre. Ich muss dann auch los, Millie."

Was tat er denn da? Erst bot er es mir an und nun war es eine doofe Idee?

Ehrlich gesagt, war die Idee wunderbar. Richtig ... Ich kannte ihn kaum, doch ich hatte bei ihm einfach das Gefühl, dass ich ihm vertrauen konnte. Hätte er Bailey sonst aus dem See gerettet?

„Okay!", platzte es aus mir heraus, bevor er weiter reden konnte. Gerade als das kleine entscheidende Wörtchen meine Lippen verließ, fragte ich mich, ob es wirklich das Richtige war. Aber ich wollte unter keinen Umständen, dass Bailey so lange alleine blieb. Und mit ins Café konnte ich ihn definitiv nicht nehmen.

„Okay?"

„Ja. Ich würde mich freuen, wenn du dich ein wenig um ihn kümmern könntest. Sonst wäre er den ganzen Tag alleine zuhause. Außerdem kann ich mir womöglich morgen eine neue Wohnung suchen, wenn er mal muss und niemand da ist, der ihn nach draußen lässt", kicherte ich verlegen und strich eine verirrte Strähne hinter mein Ohr.

Der Wind zog kräftig und blies meine Frisur so durcheinander, dass mir alle Haare gefühlt zu Bergen standen. Die halbe Stunde mit dem Glätteisen vor dem Spiegel hätte ich mir also gut und gerne sparen können. Durch den Wind und dazu die nassen Schneeflocken, sah ich sicherlich aus wie ein begossener Pudel und fühlte mich schlagartig unwohl.

„Gut, also ich werde unterwegs einfach etwas zu fressen für ihn kaufen und einen Behälter für frisches Wasser finde ich sicherlich irgendwo auf der Arbeit."

Oh mein Gott, das war die absolute Rettung.

Bailey hätte bei und vor allem auch mit Marlow sicher mehr Spaß, als alleine zuhause. Von daher strahlte ich übers ganze Gesicht.

„Bist du wirklich sicher?"

Noch konnte er einen Rückzieher machen, was ich natürlich nicht hoffte und drückte tief im Inneren beide Daumen, dass er jetzt nicht 'nein' sagen würde.

„Hundertprozentig sicher, Millie."

„Okay, dann muss ich nur noch wissen, in welcher Bank du arbeitest. Ich würde ihn einfach nach meinem Feierabend heute Nachmittag abholen", erklärte ich und freute mich insgeheim, dass ich ihn dann auch nochmal sehen würde. Ich gab mir Mühe, ein Lächeln dabei zu verkneifen.

Oh Mann, was war nur mit mir los?

Ich fühlte mich gerade wie ein verliebter Teenager, der zu viele Brausestäbchen gegessen hatte. So sehr kribbelte alles in mir.

Aber verdammt, es fühlte sich auch einfach unglaublich gut an.

„Ich arbeite in der Commercial Bank."

„Gut. Und an welchem Schalter stehst du?"

„An keinem. Frag nach mir, man bringt dich dann zu uns."

Wow, das klang, als wäre er wichtig in der Bank. Vielleicht hatte er ein kleines Team an Leuten, die für den Bereich Immobilien zuständig waren.

Oder aber er war ein stinknormaler Sachbearbeiter, der Kundenanfragen bearbeitete und einfach im hinteren Bereich der Bank saß.

Wie auch immer ... Ich freute mich, dass sich eine Lösung gefunden hatte. Als er nach Bailey's Leine griff, berührten sich unsere Finger und es fühlte sich an, als wären tausend kleine Blitze durch meinen Körper gezogen.

Hatte er das auch gespürt?

Schnell nahm er seine Hand wieder von mir und hielt die Leine recht kurz, weil Bailey schon wieder weiter wollte.

„Also dann bis später."

Marlow drehte sich um, Bailey ging voran und so sah ich den beiden einige Meter verträumt hinterher.

Oh Gott. Hoffentlich war das kein Fehler, Bailey bei ihm zu lassen. Ich glaubte zwar nicht, dass er Bailey etwas antat oder schlecht zu ihm war, aber ein wenig riskant war es dennoch.

Einige Sekunden überlegte ich, ob ich ihm hinterher rennen und mir den Kleinen zurückholen sollte. Andererseits war es allgemein eine konfuse Situation. Die Nachbarin hatte den Hund Cathy anvertraut, die wiederum gab ihn mir und ich hatte immerhin Arbeit, zu der ich ihn nicht mitnehmen konnte.

Welche Wahl hatte ich schon?

Minutenlang stand ich in der Eiseskälte da und sah starr dabei zu, wie die beiden die Brücke passierten und von Sekunde zu Sekunde kleiner wurden. Einmal hatte sich Marlow noch zu mir umgedreht, gewunken und ich hätte schwören können, dass er mich auch noch einmal angelächelt hatte. Doch sicher war ich mir nicht.

Aber Bailey schien es gut zu gehen und das war das Wichtigste. Er lief brav an seiner Seite und als die beiden endgültig nicht mehr zu sehen waren, drehte ich mich um und lief ruhigen Gewissens zum Café.

Die Schicht heute im Rosalie's Cottage war stressig. Es kamen viele Gäste, die sich mit einer heißen Tasse Kaffee oder einem leckeren warmen Kakao mit Marshmallows aufwärmen wollten. Zwischenzeitlich war sogar so viel los, dass wir echt ins Schwitzen kamen. Doch als es endlich ein wenig ruhiger wurde, kam mein Schwesterherz Hazel vorbei und grinste mich unwillkürlich an.

„Lange nicht mehr gesehen", begrüßte ich sie herzlich, ging um die Theke und schloss sie in meine Arme.

Gott, sie war total durchgefroren, daher deutete ich auf einen freien Tisch.

„Ich bin nun mal nicht so oft hier und habe einige Freunde, die ich momentan besuche. Also was kannst du mir heute empfehlen?"

Sie legte ihre Jacke beiseite und wuschelte sich durch ihr langes strohblondes Haar, für das ich sie immer beneidete. Mir hatte man eher ein hellbraun vererbt. Ich kam nach meinem Vater, wie in vielen Dingen, was ich selbst manchmal gruselig fand, wenn ich ihn in mir wieder erkannte.

„Caramel Macchiato? Oder lieber Haselnuss für meine liebe Hazel?", schmunzelte ich und brachte sie damit zum Kichern.

„Hasel für Hazel, bitte."

Lachend ging ich zurück hinter den Tresen und bereitete ihr den Haselnuss Macchiato zu, den ich mit einem Hauch Kakaopulver verzierte.

Irgendwie hatte ich heute gute Laune. Woran das wohl lag? 

Da ich noch keine Pause gemacht hatte, sprach ich kurz mit meiner Chefin und setzte mich dann mit einem Früchtetee zu meiner Schwester an den Tisch.

„Erzähl mir von dem Typen. Habt ihr noch geschrieben?"

„Um ehrlich zu sein, hat er nicht mehr geantwortet", erklärte ich etwas geknickt, denn bisher wusste ich nicht, ob sein Handyverlust wirklich der Grund dafür war, dass er nicht mehr geschrieben hatte.

Immerhin hatte ich die Nachricht den Abend davor geschrieben und da er mir kurz vorher noch selbst geschrieben hatte, schätzte ich, dass er zu dem Zeitpunkt sein Handy noch am Mann hatte.

„Männer sind Schweine. Lass dich nicht unterkriegen", murmelte Hazel in ihre Tasse und wärmte ihre Hände daran.  

„Wir haben jetzt übrigens einen Hund. Vorübergehend. Also keine Ahnung, wie lange."

„Was? Wo?", fragte sie verwundert, also erzählte ich ihr alles, was in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert war. Auch, dass Bailey in dieser Sekunde in der Commercial Bank in New York City war. Bei Marlow.

„Nicht dein Ernst!? Der Hund ist bei ihm?"

„Ich hoffe doch. So sollte es zumindest sein", lachte ich, um meine erneute Unsicherheit zu unterdrücken.

„Unfassbar. Da schläft man mal eine Nacht woanders und du hast dir einen Hund und einen Typen angelacht." 

Beeindruckt hielt sie mir ihre halbleere Tasse entgegen, was mich ein wenig stolz machte und stieß mit mir an.

„Aber er ist so merkwürdig. Mysteriös irgendwie. Einerseits ist er total charmant und hilfsbereit. Und andererseits ist er wie ein Buch mit sieben Siegeln. So ... geheimnisvoll. Irgendwie passt es alles nicht richtig zusammen. Irgendetwas ist komisch an ihm."

Ich wusste nur noch nicht, was es war oder ob ich es mir einfach nur einbildete. Manchmal wurde ich das Gefühl nicht los, dass ihn etwas bedrückte und er einfach nicht richtig wollte.

„Wann hast du Feierabend?"
„Schon in einer Stunde ungefähr."

Da es heute so voll war, machte ich meine Pause recht spät, doch laut Gesetz musste ich sie machen. Außerdem meckerte meine Chefin sonst immer. Einfach nur, weil sie eine tolle Arbeitgeberin war und das Beste für ihre Mitarbeiter wollte.

„Warum?", fragte ich interessiert in Hazel's Richtung.

„Weil ich mitkommen werde!", entgegnete sie selbstsicher, aber das konnte sie sich getrost von der Backe schmieren. Nie und nimmer würde ich sie mitnehmen. Sie würde mich blamieren und ich kannte sie - meine Schwester hatte mehr drauf, als diese lächerlichen Kuppelaktionen, die Cathy alias Amor ausprobiert hatte.

„Äh? Nein, sicher nicht."
„Und ob ich mitkomme."
„Vergiss es", diskutierten wir, doch ich blieb bei meinem Entschluss.

„Ernsthaft. Was willst du da? Du siehst Bailey später zuhause."

„Bailey ja, der läuft nicht weg. Aber was ist mit Marlow?"

„Na den siehst du zuhause nicht", antwortete ich sarkastisch, doch sie fuhr direkt fort.

„Ich möchte doch sehen, wer sich in das Herz meiner Schwester geschlichen hat."

Bitte was? Wer hat sich hier in wessen Herz geschlichen? Und warum wusste sie schon wieder darüber Bescheid?

Dafür war es zu früh. Ich fand ihn nett und hilfsbereit ... Und das war auch schon alles.

Mal abgesehen von dem Herzklopfen, den schwitzigen Händen, dem Bauchkribbeln und der nicht so gescheiten Redegewandheit, wofür er alleine verantwortlich war.

„Bitte, Hazel. Lass mich das alleine machen."

„Ach du bist doof. Na gut, aber nachher erzählst du mir alles, okay?", fragte sie grinsend und klimperte dabei unschuldig mit ihren Wimpern. Doch sie wusste, dass ich ihr sowieso alles erzählen würde.

„Versprochen. Und wenn es irgendwann so sein sollte, dass es einen Grund gibt, ihn kennenzulernen, dann bist du die Erste, in Ordnung?"

Sie nickte zufrieden und zwinkerte mir zu. Nachdem sie ihre Jacke angezogen hatte, drückte sie mir grinsend einen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich wieder von mir.

„Danke für den Kaffee, Süße. Bis später und toi toi toi."

Ich nahm an, dass ihre Erfolgswünsche nicht der Abholung von Bailey galten, sondern eher der Unterhaltung mit Marlow, worauf ich mich ehrlich gesagt jetzt auch schon wieder freute. Allein der Gedanke daran, machte mich schon wieder total wuschig im Kopf.

Warum war ich in seiner Nähe nur so aufgeregt?

Meine Schicht ging im Nu vorüber und ehe ich mich versah, hatte ich Feierabend. In unserem kleinen Badezimmer für Mitarbeiter, machte ich nochmal meine Haare, für die es bei diesem Wetter sowieso viel zu spät war. Trotzdem gab ich mein Bestes.

Nur halb zufrieden, machte ich mich dann auf den Weg in die Commercial Bank, um Bailey abzuholen.

Währenddessen hörte ich mein Herz laut schlagen und wusste, dass meine Schwester recht hatte. Er hatte sich bereits in mein Herz geschlichen.

Still und heimlich.

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