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„Manche Herausforderungen klopfen nicht an – sie stürmen einfach herein und werfen dich direkt ins kalte Wasser.“
Mit zerzausten Haaren und einem dumpfen Pochen im Knie stolpere ich in die Klasse. Die Blicke meiner Mitschüler brennen sich in meinen Rücken, als ich mich auf meinen Platz fallen lasse, und meine Frisur glatt streiche. Sophie dreht sich sofort zu mir um, ihre Augen vor Neugier weit geöffnet.
„Namida, was zur Hölle ist mit dir passiert? Du siehst aus, als wärst du durch eine Hecke gejagt worden – und zwar rückwärts!“
„War auch fast so“, murmele ich und streiche mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ein blauer Jeep hat mich beinahe in Namida-Brei verwandelt.“
„Was?!“ Meine Freundin zieht schockiert ihre Augenbrauen hoch.
„Ja, und rate mal, wer auf dem Beifahrersitz saß.“ Ich rolle mit den Augen. „Luca Moretti. Er hat mich gefragt, ob alles okay ist. Tut so, als wäre er besorgt. Wer soll ihm das denn bitte abkaufen?“
„Na, was für ein Gentleman“, schnaubt Sophie ironisch.
„Ja, ein echter Held.“ Ich stütze mein Kinn auf die Handfläche. „Aber ich will jetzt echt nicht mehr über ihn reden.“
„Versteh ich. Lass uns nach der Schule ins Einkaufszentrum gehen, okay? Ein bisschen shoppen bringt dich bestimmt auf andere Gedanken.“
Ich lächle schwach. „Klingt perfekt. Außerdem brauche ich noch ein paar Sachen für die Party.“
***
Nachdem Sophie und ich im Einkaufszentrum waren, und ich bei jeder Menge Dekorationen zugeschlagen habe, vergrabe ich mich sofort an meinem Schreibtisch. Zeit für die Einladungskarten! Ich öffne mein Grafikprogramm und lasse meiner Kreativität freien Lauf. Das Thema dieses Jahr? Geister und vergessene Seelen. Klingt dramatisch, aber das ist ja der Sinn der Sache.
Ich kritzle ein paar verwunschene Bäume, füge schattenhafte Figuren hinzu und spiele mit den Farben, bis es aussieht, als wäre die Karte aus einem Albtraum entsprungen. Genau das, was ich will. Perfekt.
„Wow, das sieht ja richtig gruselig aus!“ Meine Mum steht plötzlich hinter mir und stellt ein Glas Orangensaft auf den Tisch. „Wenn die Party nur halb so schaurig wird wie deine Karten, dann wird sie wieder ein voller Erfolg werden.“
„Hoffentlich“, murmle ich und drehe mich zu ihr. „Letztes Jahr sind ein paar Sachen schiefgelaufen. Ich hoffe, dass trotzdem noch alle kommen, die ich einlade.“
Sie legt mir eine Hand auf die Schulter und lächelt. „Die Leute kommen wegen dir, nicht nur wegen der Deko.“
Ich zucke mit den Schultern. „Naja, aber ein bisschen schauriger Spaß kann ja nicht schaden, oder?“
„Klar, aber übertreib’s nicht, sonst machst du deine Freunde noch zu lebenslangen Halloween-Verweigerern,“ witzelt sie und drückt mir einen Kuss auf den Kopf, bevor sie Richtung Küche geht. „Ach übrigens“, ruft sie über die Schulter zurück, „ich hab gehört, dass die Morettis wieder in der Stadt sind.“
Ich spüre, wie sich mein Magen zusammenzieht. Natürlich. Als ob es nicht schon reicht, dass ich Luca jeden Tag in der Schule über den Weg laufen muss. Jetzt auch noch zu Hause diese Erinnerung an ihn. „Schön für die Morettis“, entgegne ich trocken und richte meinen Blick zurück auf den Laptop-Bildschirm.
„Ich dachte, du freust dich vielleicht“, meint meine Mutter und wirft mir einen prüfenden Blick zu. „Ihr wart doch mal richtig dicke.“
„Das ist ewig her, Mum.“ Ich tippe ein paar Mal extra laut auf meiner Tastatur herum, als würde das irgendwas helfen. „Also, wenn du mich entschuldigst, ich muss die Einladungen fertig machen.“
Ich schiebe meinen Stuhl näher an den Schreibtisch und tue so, als wäre ich ganz vertieft in die Details. Keine Lust, auch noch hier darüber zu reden. Ja, wir waren mal Freunde, und ja, es ist einige Zeit her. Aber was damals passiert ist, bleibt lieber dort, wo es hingehört – in der Vergangenheit.
***
Ein paar Tage später sind Sophie und ich gerade mitten in einem Gespräch, als plötzlich ein Schatten auf unseren Tisch fällt. Ein Schatten, der zu einem breiten Grinsen und einem Paar dunklen Augen gehört. Luca steht da, lässig wie immer, als würde ihm die ganze Cafeteria gehören. Er stützt sich mit einem Arm auf unseren Tisch, sein dunkles Haar fällt ihm leicht in die Stirn, als wäre es absichtlich in diesem unordentlich-perfekten Stil zerzaust, den nur Typen wie er hinbekommen.
„Hey Namida“, beginnt er mit dieser selbstgefälligen Ruhe in der Stimme. „Ich hab da mal 'ne Frage.“
„Was gibt’s, Moretti?“ Ich lasse meine Stimme so gelangweilt klingen, wie es mir möglich ist, obwohl mein Puls spürbar schneller wird. Seine Augen huschen für einen Moment über mein Gesicht, als wolle er genau erfassen, wie ich auf sein Auftauchen reagiere, und dann blitzen sie schelmisch auf.
„Ich habe gehört, dass du deine berühmten Halloween-Einladungen schon verteilt hast“, bemerkt er und zieht die Augenbrauen ein wenig hoch, als könnte er wirklich nicht verstehen, wieso ich nicht vor Freude über seinen Besuch aufspringe. Er lehnt sich ein bisschen näher an den Tisch, und ich fange einen Hauch seines Parfüms auf – frisch, leicht holzig, wie der Herbstwind selbst. „Komisch nur … in meinem Spind war nichts. Nur gähnende Leere.“
Sophie zieht scharf die Luft ein, und ich kann aus dem Augenwinkel sehen, wie sie zwischen uns beiden hin und her schaut, als hätte sie die Szene aus einer Teenie-Serie direkt vor sich. Ich aber zucke nur mit den Schultern, als wäre sein Kommentar so nebensächlich wie das Geräusch des plätschernden Brunnens draußen auf dem Schulhof.
„Das liegt daran, dass ich keine eingeworfen habe.“ Ich verschränke die Arme vor der Brust und blicke ihm direkt in die Augen. Mein Herz schlägt etwas heftiger, als ich zugeben will, aber ich lasse mir nichts anmerken.
Luca blinzelt einmal, sein Gesichtsausdruck bleibt locker, aber ich sehe, wie sich der Winkel seines Lächelns leicht verändert und ein wenig herausfordernder wird. „Absicht oder einfach nur … ein Versehen?“ Seine Stimme ist tiefer, und sein Blick bleibt so fest auf mir, dass es sich fast wie ein Magnet anfühlt, der mich daran hindert, wegzuschauen.
„Oh, es war volle Absicht.“ Ich lehne mich zurück, hebe das Kinn und lasse jede Silbe absichtlich scharf klingen. „Ich entscheide, wer zu meiner Party kommt und wer nicht. Und du, Moretti, stehst nicht auf der Liste.“
Er lacht leise. Ein leises, vibrierendes Lachen, das viel zu lässig klingt, als würde ihn meine Antwort kein bisschen aus der Ruhe bringen. „Na schön, Pocahontas.“ Er richtet sich auf, und für einen Moment wandert mein Blick unwillkürlich über seine breiten Schultern und den kantigen Kiefer, der mit diesem typisch italienischen Charme einfach unmöglich unattraktiv sein könnte. „Dann schmeiße ich eben meine eigene Party.“
Ich schnaube. „Viel Glück damit. Als ob irgendjemand freiwillig zu deiner Halloween-Party gehen würde.“
Er zieht eine Augenbraue hoch, das Grinsen wird breiter, ein Hauch von Überlegenheit darin, und sein Blick durchbohrt mich, als hätte er einen Ass im Ärmel. „Oh, ich weiß nicht …“ Er lässt seinen Blick über die Cafeteria schweifen, wo einige Mitschüler neugierig geworden sind und zu uns rübersehen. „Ich glaube, viele haben Bock auf etwas … anderes. Etwas Neues.“
„Hey Luca!“ ruft plötzlich jemand aus der Menge. „Wenn du 'ne Party schmeißt, dann komm ich auf jeden Fall!“
Ein leises Murmeln geht durch den Raum, und ein paar andere stimmen zu, als Luca mir wieder in die Augen sieht. Es ist, als hätte er mich gerade in einen Wettstreit hineingezogen, ohne dass ich zugestimmt hätte – ein Wettstreit, bei dem meine Party auf dem Spiel steht.
„Das wagst du nicht,“ stoße ich aus und bemerke erst nach dem Sprechen, dass meine Stimme vielleicht eine Spur zu ernst klingt.
Meine Wangen glühen vor Ärger, doch Luca zuckt mit den Schultern, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. „Wieso nicht?“ Seine Augen blitzen, und ein selbstgefälliges Lächeln umspielt seine Lippen. „Ich lass mir doch nicht von dir sagen, was ich tun darf und was nicht.“
„Dann lass es drauf ankommen,“ presse ich scharf hervor. „Wir werden ja sehen, wer die bessere Party schmeißt.“
Er gibt mir ein kleines Nicken, fast wie ein Ritterschlag, bevor er sich umdreht und mit langen Schritten Richtung Ausgang geht. Noch bevor er die Tür erreicht, wirft er mir einen letzten Blick über die Schulter zu. „Bereit, deine Krone abzugeben, Pocahontas?“
Ich presse die Lippen zusammen, die Wut kocht in mir hoch, aber gleichzeitig ist da auch dieser Funke von Herausforderung, der meinen Adrenalinspiegel in die Höhe treibt. „Das werden wir noch sehen, Moretti.“
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