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„Wenn die Bäume ihre Farben wechseln und der Wind Geschichten flüstert, zeigt der Herbst, dass manche Dinge trotz allem niemals ganz vergehen.“
Als ich aus dem Schulbus steige, begrüßt mich der trübe Himmel mit einem dichten Schleier aus grauen Wolken, die den Tag fast ersticken. Feine Regentropfen trommeln leise auf die Kapuze meiner Regenjacke, während ich vorsichtig über den rutschigen Schulhof laufe. Ein gleichmäßiges Prasseln, das beruhigend und melancholisch zugleich wirkt.
Trotz des grauen Wetters trage ich ein tief indigoblaues Kleid, das an den Säumen mit filigranen keltischen Mustern verziert ist – eine kleine, stille Rebellion gegen den trostlosen Tag. Die Strumpfhose darunter hält mich warm und schützt vor dem kühlen Wind, der mir gelegentlich um die Beine streicht.
Mit jedem Schritt klacken meine schwarzen Stiefel auf den regennassen Boden und hinterlassen kleine Spuren in den Pfützen. Mein langes, schwarzes Haar habe ich in zwei sorgfältige Zöpfe geflochten, die fröhlich über meine Schultern tanzen. So bleibe ich wenigstens vor der lästigen Feuchtigkeit des Regens verschont – und meine Haare bleiben brav an ihrem Platz, statt wild vom Wind durcheinandergewirbelt zu werden.
Als ich die Cafeteria betrete, werde ich von einem vertrauten Duft nach frischem Essen empfangen, der sich mit dem Klappern von Geschirr und dem fröhlichen Lachen meiner Mitschüler vermischt. Ich scanne den Raum und entdecke Sophie, meine beste Freundin, die an unserem gewohnten Tisch sitzt. Sie hat ihr volles, blondes Haar in einem lockeren Dutt zusammengebunden, und ihre strahlenden blauen Augen funkeln vor Neugier.
„Na, wie war das Cherokee-Fest?“, fragt sie, während sie einen Bissen von ihrem belegten Brötchen nimmt und die Krümel um ihren Mund verteilt.
Ich setze mich zu ihr und kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Es war ... sagen wir mal, etwas anders als erwartet“, murmele ich und versuche, die schockierenden Momente zu verdrängen, die ich lieber aus meinem Gedächtnis streichen würde. „Das Essen war großartig.“
„Klingt ja wirklich nicht so aufregend“, stellt sie lachend fest, doch ich verziehe erneut meine Mundwinkel und schnaube. „Aber du siehst aus, als wäre dir am Wochenende ein Geist begegnet.“
„Von Tamani mal abgesehen, hat meine Mum mich beim traditionellen Tanz eingetragen.“
Sophie sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Was? Du und tanzen?“ Ihr Gesichtsausdruck schwankt zwischen Unglauben und Belustigung, und ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.
„Es hat sogar ganz gut funktioniert. Ich habe mich richtig wohl gefühlt. Aber dann ...“ Die Bilder schießen mir wieder durch den Kopf. „Dreimal darfst du raten, wer plötzlich vor mir stand.“
Nie im Leben wird sie darauf kommen, wer mir den Abend mit meiner Gemeinde vermasselt hat.
„Luca Moretti?“, fragt sie schließlich, und ich ziehe perplex die Augenbrauen zusammen.
„Woher ...“
Ich komme nicht einmal dazu, meine Frage zu beenden, da deutet sie bereits mit ihrem Kopf auf den Eingang der Cafeteria. Als ich ihrem Blick folge, entdecke ich ihn, und mein Herz macht einen Satz. Nur wenige Meter entfernt von uns lacht er mit seinen Kumpels.
Sein dunkles, zerzaustes Haar fällt ihm leicht ins Gesicht, und sein Charme strahlt förmlich aus ihm heraus. Ich kann nicht anders, als ihn von oben bis unten zu mustern. Über dem engen, grauen T-Shirt, das seine muskulöse Figur betont, trägt er eine schwarze Lederjacke, die ihm diesen lässigen, rebellischen Look verleiht. Dazu passt seine abgewetzte Jeans, die ihm perfekt sitzt und aussieht, als hätte sie schon so manche Abenteuer mitgemacht. Der freche Ausdruck auf seinem Gesicht lässt mich schaudern. Er hat sich wirklich nicht verändert.
Doch plötzlich wird mir eines bewusst: Er wohnt wieder in Cedar Creek. Warum sonst würde er hier zur Schule gehen?
Könnte ein Tag eigentlich noch katastrophaler beginnen?
Mein Herz schlägt schneller, und ich fühle, wie sich ein unangenehmes Gefühl in meinem Magen zusammenzieht. „Oh nein. Bitte nicht. Das kann doch nicht wahr sein!“ Ich kann die Vorstellung nicht ertragen, dass ich ihn ständig um mich haben könnte. „Das ist nicht gut“, murmele ich, und meine Stimme klingt unüberhörbar panisch.
„Geh ihm doch einfach aus dem Weg“, schlägt Sophie vor und schaut mich hoffnungsvoll an.
„Ja, genau! Es ist ja so einfach, jemanden zu ignorieren, den man hasst.“ Okay, zugegeben, Hass ist ein starkes Wort. Aber wenn man mich vor die Wahl stellen würde, entweder täglich mit ihm abzuhängen oder in einen Käfig voller Ratten gesteckt zu werden – na ja, dann würde ich lieber sofort den Käfig betreten. So sehr 'mag' ich ihn.
„Sophie, er ist nicht nur ein Besucher, der nach ein paar Tagen wieder verschwindet. Er geht hier zur Schule! Das heißt, er wohnt wieder hier. Das ist wie ein Albtraum, der wahr wird!“
Theatralisch werfe ich meinen Kopf zurück und lege meine Hände auf den Kopf.
„Du machst dir viel zu viele Sorgen“, sagt Sophie und lacht. „Wahrscheinlich ist er nur ein paar Monate hier, um seinem Onkel zu helfen oder so. Vielleicht zieht er schon bald wieder weg. Lass uns einfach hoffen, dass er schnell wieder verschwindet. Oder dich zumindest in Ruhe lässt.“
Gerade als ich dazu bereit bin, den Gedanken an Luca hinter mir zu lassen, bemerke ich, dass er in unsere Richtung schaut. Seine Augen treffen die meinen, und für einen kurzen Moment fühle ich mich, als würde die Welt um uns herum verschwimmen.
Idiot.
Luca hebt eine Augenbraue und grinst schief, während er sich mit seinen Kumpels weiter unterhält. Doch dann wandert sein Blick zu Sophie, und plötzlich legt er einen speziellen Ausdruck auf, den ich nur zu gut kenne – diesen charmanten, halb herausfordernden Blick, der ihn schon immer gefährlich wirken ließ. Sophie scheint das natürlich auch zu bemerken, denn sie wird rot und lässt ihren Kaugummi beinahe aus dem Mund fallen.
„Na toll“, murmle ich und rolle mit den Augen, während Luca sich von seiner Gruppe löst. Er steuert direkt auf uns zu, und natürlich sitzt Sophie wie gebannt da und saugt sein Lächeln auf, als wäre es frische Luft.
Sein Grinsen ist so breit, dass ich es am liebsten von seinem Gesicht wischen würde. „Namida, du hast ja echt Stimmung gemacht beim Fest. Ich wusste gar nicht, dass du solche Moves draufhast.“
Ich hebe gelangweilt eine Augenbraue. „Tja, Überraschungen gibt's immer wieder.“
„Na, du hast jedenfalls alle Augen auf dich gezogen.“ Er zwinkert mir zu, und für einen Moment sehe ich diesen funkelnden Schalk in seinen Augen.
„Schön, dass ich dir eine Show liefern konnte.“ Meine Stimme klingt sarkastischer, als ich beabsichtigt hatte. Bevor er noch etwas sagen kann, drehe ich mich um und ziehe Sophie mit mir. „Komm, wir haben Wichtigeres zu tun.“
Während wir weggehen, spüre ich seinen Blick im Rücken. Aber ich drehe mich nicht um. Sobald wir ein paar Schritte Abstand gewonnen haben, schaue ich zu Sophie. „Sag mal, warum hast du ihm gerade so angeschmachtet? Hast du gesehen, wie du ihn angesehen hast?“ Ich höre, wie genervt ich klinge, aber ich kann einfach nicht anders. „Du fällst wie alle anderen auch auf sein falsches Lächeln rein.“
Sophie wirft mir einen unschuldigen Blick zu und zuckt mit den Schultern. „Was soll ich sagen? Charme ist Charme.“ Sie grinst. „Außerdem war sein Lächeln nicht ganz so falsch, wie du tust. Nur weil du ihn nicht leiden kannst, heißt das nicht, dass er ...“
„Doch, genau das heißt es“, unterbreche ich sie und werfe einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass er nicht mehr in unserer Nähe ist. Dann bleibe ich stehen und lege Sophie eine Hand auf den Arm, um sicherzugehen, dass sie mich wirklich ernst nimmt. „Du weißt schon, dass er sich über mich lustig macht, oder? Der Typ nennt mich 'Pocahontas' und wirft mir beim ersten Wiedersehen irgendwelche Sprüche an den Kopf. Das ist nicht charmant – das ist einfach nur bescheuert.“
Sophie hebt abwehrend die Hände. „Okay, okay. Aber vielleicht meint er es gar nicht so, wie du denkst. Vielleicht will er nur ein bisschen mit dir flirten oder so.“
„Flirten?“, wiederhole ich ungläubig und verschränke die Arme vor der Brust. „Sophie, er ist nicht mal ansatzweise charmant. Wenn du auf Leute stehst, die sich über andere lustig machen, dann, bitte, aber das ist definitiv nicht mein Ding.“
„Vielleicht hat er einfach einen schrägen Sinn für Humor“, versucht sie es noch einmal, aber ich kann sehen, dass selbst sie nicht ganz überzeugt ist.
„Oder er ist einfach nur selbst schräg“, sage ich trocken. „Das ist auch eine Möglichkeit.“
Fest entschlossen, mich nicht von ihm ablenken zu lassen, gehe ich weiter. Es gibt Wichtigeres in meinem Leben, als mir über einen selbstgefälligen Kerl Gedanken zu machen.
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