𝐏𝐫𝐨𝐥𝐨𝐠
𝔇unkelrotes Blut klebte an meiner Schulter, fast mein ganzes T-Shirt war damit getränkt.
Noch immer waren meine Augen feucht und ich zitterte am ganzen Körper.
Der Geruch der zähen Flüssigkeit lag schwer in der Luft und mir wurde ein wenig übel.
Es roch nach Eisen, der bittere Geschmack legte sich schwer auf meine Zunge und verdarb mir alle Nerven. Ich schluckte, in dem verzweifelten Versuch, den widerlichen Belag zu vertreiben.
Ohne Erfolg.
Am Boden hatte sich eine kleine Lache gebildet, in der sich der alte, majestätisch wirkende Kronleuchter an der Decke spiegelte.
Meine Lippen waren trocken und mein Hals rau.
Mein Hals verlangte Wasser, doch das konnte ich ihm nicht geben.
Ich hatte die Augen geschlossen, aus Angst, etwas zu sehen.
Etwas zu sehen, was ich nicht sehen wollte. Was ich nicht sehen konnte, ohne dass mein Herz drohte, erneut in tausend Teile zu zerspringen, die mich anschließend von innenher aufschlitzen und zerreißen würden, wie unendlich viele kleine Messerstiche.
Mein Herz hämmerte lautstark in meiner Brust, um mir deutlich zu machen, dass es noch schlug.
Aber ein anderes hatte aufgehört zu schlagen. Und das für immer.
Das war mir klar.
Aber das war auch soweit das Einzige, was ich im Moment noch begreifen konnte. Ich wusste nur noch, dass ich versagt hatte.
Ich hatte mir geschworen, sie zu beschützen, doch auf meine Versprechen konnte man nicht zählen.
Das hatte ich nun mehr als deutlich bewiesen.
Ich war eine Versagerin.
Ich hatte nicht nur mein Leben zerbrochen, sondern auch noch das von Oz.
Jetzt hatten wir nur noch uns beide, ich einen optimistischen, kleinen, gutgläubigen, schlauen Bruder und er eine unzuverlässige, unnütze, frustrierende Schwester, die ihm das ganze Leben zerstört hatte und es nie wieder herrichten konnte.
Denn was kaputt war, war kaputt.
Was zerbrochen war, war zerbrochen.
Die Trauer schien mich zu überwältigen, doch es gab ein Gefühl, das es übertrumpfte und das war Hass. Hass und Wut auf mich selber.
Es war wie ein unerträgliches Brennen, tief in meinem Inneren und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dieses Feuer zu löschen.
In diesem Moment zog ich es in Erwägung, mein altes Taschenmesser aus meinem Gürtel zu ziehen und es mir in mein zerbrochenes Herz zu stechen.
Die Welt würde besser ohne mich dran sein.
Doch ich konnte es nicht tun.
Selbst wenn ich es wirklich gewollt hätte.
Nicht meinetwegen.
Sondern seinetwegen. Meines Bruders wegen. Er brauchte mich.
Ich war das einzige Familienmitglied, was er jetzt noch hatte. Oder zumindest das Einzige, was er wirklich kannte.
Ich konnte ihn jetzt nicht allein lassen. Das war ich ihm mehr als schuldig.
Er war noch viel zu klein.
Wenn wir schon beim Thema waren, ihm ging es gerade bestimmt noch um einiges schlechter als mir.
Ein Bild schob sich in meine Gedanken: Mein kleiner Bruder an die Wand gekauert, blutig und verletzt. Hilflos und verzweifelt nach jemand lebendem suchend. Ich schüttelte den Kopf, um das Bild loszubekommen und bereute es im selben Moment, denn ein stechender Schmerz ging von meiner Wunde am Hals aus. Ich musste etwas tun, doch ich war ratlos, ob ich in diesem Zustand überhaupt irgendetwas tun konnte. Ich konnte noch nicht einmal meinen Kopf drehen, ohne von einer Welle des Schmerzes übermannt zu werden.
Ich stöhnte.
Sollte ich einfach warten?
Aber auf was?
Warten darauf, dass dieser Albtraum endlich endete?
Warten, bis irgendetwas passierte? Warten auf den Tod?
Vorsichtig fühlte ich mit meiner Hand nach meinem Hals. Es fühlte sich warm und feucht an. Blut. Auch meine Hände waren voller Blut, wenn auch nicht alles mein eigenes war, was die Tatsache nur noch schlimmer machte.
Außerdem konnte ich den Schmerz auch nicht mehr länger ausblenden. Es brannte wie Feuer und ich musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu schreien. Meine Mutter hätte jetzt sofort einen passenden Druckverband dagehabt.
Meine Mutter... Nein! Ich durfte nicht an sie denken. Denn der Schmerz, der daraufhin folgte, war tausendmal schlimmer, als jede Verletzung, die ich gerade an meinem Körper trug.
Also zwang ich mich, ruhig an die Wand gelehnt, stehen zu bleiben und das Atmen nicht zu vergessen.
Das sollte ich doch wohl schaffen.
Bis auf einen Bluterguss an der linken Seite ging es meinen Beinen ja ganz gut. Ich musste einfach nur zu der Kammer, unten im Erdgeschoss, wo sich das Verbandszeug befand und dann in direktem Wege zu Oz.
Oz.
Es stach mir wieder ins Herz, an ihn zu denken. Ich wusste nicht, ob ich ihm je wieder in die Augen gucken konnte. Ich wollte sein Leiden nicht sehen, für das ich verantwortlich war. Ich wollte den Schmerz nicht in seinen Augen glitzern sehen.
Ich war ein Feigling.
Doch egal was ich tat, letztendlich würden alle Wege zusammen laufen. Und an diesem Ende würde die Wahrheit auf mich warten.
Ich musste den Tatsachen ins Auge sehen. Es hatte keinen Zweck, es herauszuschieben, denn auch wenn ich das heutige Ereignis nicht mehr rückgängig machen konnte, so konnte ich doch eines tun:
𝐃𝐢𝐞 𝐖𝐚𝐡𝐫𝐡𝐞𝐢𝐭 𝐡𝐞𝐫𝐚𝐮𝐬𝐟𝐢𝐧𝐝𝐞𝐧.
***
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