1. Kapitel - Flo
Ich bog um die Ecke und schnaufte aus. Der Tag war zum Vergessen. Abschalten – das war alles, was ich brauchte. Und wozu ich noch in der Lage war.
Warum ich auch nur meinen Mund nie aufbekam? Es war besser so. Bestätigend nickte ich mir zu. Dazu konnte ich es mir auch einfach nicht erlauben an meinem ersten Arbeitstag.
In meiner Vorstellung – in der ich es mindestens tausendmal durchgegangen war – lief es anders ab. Freudestrahlend öffnete ich die einladende Glastür, die schwingend hinter mir wieder schloss und ein guter Tag würde beginnen. Das Glücksgefühl, zu einem aufregenden Team dazu zu gehören würde den ganzen Tag anhalten ...
Doch in der Realität konnte ich es nicht abwarten, bis die Uhr den Feierabend einläutete. Und das nur ... Kaffee!, drang ganz klar und deutlich in mein Hirn hinein. Vermutlich auch, um mich endlich von den Gedanken lösen zu können. Es würde schon alles werden, hoffte ich wie immer.
Somit marschierte ich zu meinem angestammten Café, das zwischen meiner neuen Aaar...; zwischen hier und meiner Wohnung liegt. Öfter nutzte ich bereits das Café als meine kleine Oase und tauschte mich mit Dave und Till – den zwei Besitzern – aus.
Obwohl ich das ziemlich gerne machte, war ich froh, die Neue – Peggy – durch die Außenscheibe zu sehen. Ich hätte nicht gewusst, wie ich den beiden mitteilen sollte, dass ich zu erschöpft wäre.
Ich drückte die Tür auf, wodurch mein eigenes Spiegelbild in der Scheibe, das mich eher weniger erfreute, verwackelte. Kraftlos und müde. Ich brauchte Kaffee und Ruhe. Peggy gab mir Ersteres und ließ mich schnell wieder ziehen.
Nach den ersten Schlucken brodelte es nicht mehr mit voller Wucht in mir. Der kleine Vulkan hatte sich ein wenig beruhigt. Doch so kannte ich mich gar nicht. Weder nach außen noch innen war ich vorher jemals so ... so ... so wütend und frustriert.
Der erblühende Frühling half mir, mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich lief den äußeren Weg des nahe gelegenen Parks entlang, um über einen Umweg nach Hause zu gelangen.
Verflucht! Auch das noch. Meine Nase begann zu kribbeln und ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Ein Niesen nach dem anderen folgte. Meine Sicht verschwamm. Ich kam kaum hinterher.
Sehen konnte ich gerade noch, wie jemand auf einem Skateboard auf mich zuraste und ich am besten ausweichen sollte. Doch neben mir war ein Mann mit Kinderwagen. Wie im Film wurde mein Hirn auf Zeitlupe umgestellt.
Hoffentlich ist das ein Traum, dann hatte ich auch keinen ersten verkackten Arbeitstag!, dachte in diesem Moment nur. Dazu hörte ich eine düstere apokalyptische Melodie im Hintergrund und war mir sicher, dass das hier nicht der Wirklichkeit entsprechen konnte. Mein Körper war davon nicht überzeugt.
Der handelte und machte einen – wie auch immer es möglich war – Hechtsprung schräg seitlich nach vorne. Ich spürte gerade noch den Luftzug der an mir vorbeifahrenden Skateboard-Person, als mir klar wurde, dass ich wach sein musste.
»Können Sie bitte aus dem Weg gehen?«, wurde ich angesprochen und drehte mich um. Der Papa. Wie wäre es mit: ›Vielen Dank, dass Sie mich nicht angerempelt, sondern Ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben‹ ... oder so ähnlich?
»Ja, klar. Tut mir leid«, entgegnete ich jedoch kleinlaut und trat einen Schritt auf die gefährlichere Seite zurück. Nachdem er an mir vorbeizog, tapste ich wieder auf die rechte Seite des Wegs und blieb unschlüssig stehen. Mein Herz holperte nach wie vor extrem, als ob es seinen Rhythmus nicht mehr kennen würde.
»Abgefahren!«
Verwirrt und überrascht wendete ich mich. Das Kribbeln setzte erneut ein, sodass ich nichts antworten konnte. Ein weiteres Niesen folgte ebenso. Was konnte ich darauf denn aber auch erwidern?
»Du könntest Stuntfrau werden. Das war abgefahren", sprach er weiter und reichte mir ein Taschentuch, womit er erst auf seine Wangen zeigte. Wie peinlich. Wahrscheinlich hatte ich überall Schnodder hängen. Hastig schüttelte ich das Tuch aus und wischte mir über das Gesicht und putzte mir die Nase.
»Danke«, flüsterte ich.
»Das klingt nach Fettnäpfchen-Alarm!«, rief er aus. Er irritierte mich vollkommen.
»Du bist also Stuntfrau, das kann alle Welt doch sehen!« Er klatschte sich gegen die Stirn.
»Nein. Nein.« Konnte er nicht etwas leiser sein? Verwirrt schaute er mich nun an.
»Bin ich nicht«, ergänzte ich.
»Okay. Sorry. Ich habe manchmal das Talent, Dinge misszuverstehen«, erklärte er sich, wobei er mit der Sonne um die Wette strahlte.
»Darf ich wissen, wie die Nicht-Stuntfrau heißt?«
»Flo.«
»Ist das eine Abkürzung?«
»Für Florina«, gab ich ungern zu.
»Mir gefällt Rina als Kurzform ja lieber«, schoss es aus ihm heraus.
»Mir Flo.«
»Mir Rina und zusammen ergibt das: Florina«, rappte er auf einmal los. Was stimmte denn mit dem nicht?
»Ich heiße Leonhard, nur weil du gefragt hast und so.« In diesem Moment musste ich auch lächeln, nur ein bisschen, aber ich konnte es nicht unterdrücken. Er strahlte so viel Selbstbewusstsein und Zuversicht aus und hatte eine schräge Art, die mir wiederum gefiel.
»Leonhard, ja?«
»Ja. Aber Leo reicht«, sagte er keck mit hochgezogener Augenbraue. Ich verstand sofort, was er meinte.
»Mir würde Hard besser gefallen«, traute ich mich daher zu sagen und merkte erst beim Aussprechen, wie das klang. Als er lachte, verfärbten sich meine Wangen sicherlich noch mehr.
»Bevorzugen würde ich das auch, muss ich zugeben, aber damit hätte ich es schon schwer.« Er zwinkerte mir dabei zu.
»Ich denke auch.« Obwohl ich begriff, was er sagte, fiel mir nichts anderes dazu ein.
»Ich muss jetzt leider weiter. Wir sehen uns bestimmt wieder, Rina«, verabschiedete er sich freudig.
Noch immer hielt ich das Stofftaschentuch von Leo in der Hand, als er fortging. Vielleicht war dieser Tag doch nicht so schrecklich und zum Vergessen.
Bis bald, vielleicht.
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