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Es dauerte keine halbe Stunde, da betrat ich mit der hübschen Unbekannten meine Wohnung. Sie setzt sich zielstrebig auf meinen einzigen Küchenstuhl und begann wieder fürchterlich zu schluchzen. Ihr ganzer Körper bebte.

Unschlüssig stand ich im Raum. Was könnte ich ihr Gutes tun? Ich hatte nicht viel Zuhause, was ich ihr hätte anbieten können. Tee! Menschen tranken gerne Tee. Ich begab mich auf die Suche nach welchem. Machte all meine Schranktüren auf und knallte sie wieder zu. Einmal hob sie ihren Kopf und warf mir einen verstörten Blick zu. Ich lächelte sie entschuldigend an und suchte weiter.

Im letzten Schrank ganz unten fand ich dann endlich einen Packung mit Früchtetee. Ich warf einen flüchtigen Blick auf das Haltbarkeitsdatum. Letztes Jahr abgelaufen. Konnte Tee schlecht werden? Ich hob die Packung an meine Nase und roch daran. Ich nahm keinen unangenehmen Geruch war, nur den nach Erdbeere, Apfel und Hagebutte. Ich zuckte mit den Schultern, setzte einem Topf Wasser auf und lehnte mich unschlüssig an den Herd. Sollte ich mich zu ihr setzen? Sie trösten?

Ich holte den metallen Mülleimer aus einer Ecke, drehte ihn um und setzt mich zu ihr. Sie stützte noch immer ihr Gesicht auf ihren Händen ab. Doch das Schluchzen war verebbt und nun weinte sie nur noch stumm. Ich legte eine Hand auf ihre Schulter und sie zuckte augenblicklich zurück.

Betreten sah zur Erde und zog mich zurück. Ich wollte ihr nicht zu nahe treten. Sie sollte sich wohl bei mir fühlen und keine Angst verspüren. Das Wasser fing an zu pfeifen und ich stand auf. Mit schnellen Handgriffen hatte ich das Wasser inklusive Teebeutel in einen sauberen Becher gegossen. Etwas von der kochenden Flüssigkeit rann mir über meine Hand. Doch mir machte es nichts aus. Das war der einzige Vorteil. Ich nahm Hitze und Kälte seit meinem menschlichen Tod anders wahr. Daher waren mir heiße Sommernächte lieber als kalter Regen. Wenn die Menschen anfingen zu schwitzen und sich über das Wetter beklagten, fing meine Wohlfühltemperatur erst an.

Mit dem Becher in der Hand kehrte ich zu ihr zurück und stellte ihn vor ihr ab.

„Ich hab Tee für dich gekocht", sagte ich unnötigerweise.

Sofort ärgerte ich mich darüber. Warum war ich bloß so bescheuert und ungeschickt im Umgang mit Frauen? Ich hasste mich.

Sie hob ihren Blick und lächelte mich schüchtern an.

Bumm Bumm.

Ich krallte mich am Tisch fest. Mir wurde schwarz vor Augen und speiübel.

„Alles okay?", fragte sie mich ernsthaft besorgt.

Ich grinste sie unbeholfen an und riss mich zusammen.

„Ja, alles gut", presste ich zwischen den Zähnen hervor.

Sie schob ihre Unterlippe vor und griff nach dem Becher. Als ich mich wieder gefangen hatte, setzte ich mich aufrecht hin. Ich fuhr durch mein fettiges, schwarzes Haar und wünschte, ich hätte mir heute etwas Passenderes angezogen. Doch ich trug wie immer denselben schwarzen Mantel, denselben schwarzen Rollkragenpullover und dieselbe schwarze Hose. Mehr brauchte ich nicht. Leichen schwitzten nicht.

„Danke", flüsterte sie mir zu.

Ich sah auf und ihre braunen Augen leuchteten mich warm an.

„Gern geschehen", antwortete ich ihr.

Ich lächelte sie verhalten an, darauf bedacht, dass sie meine spitzen Eckzähne nicht zu Gesicht bekam.

Während sie ihren Tee langsam trank, sah sie sich etwas in meiner Wohnung um. Ich besaß nur wenig und gab nicht viel Wert auf Aussehen und Deko. Dementsprechend kahl und kalt sah meine Wohnung aus.

Ich schlief nur auf einer Matratze, hatte weder Bettgestell noch Lattenrost. Ich nahm keine Nahrung zu mir außer menschliches Blut. Daher nannte ich weder einen Kühlschrank noch einen Ofen mein Eigen. Nur eine Herdplatte mit zwei Töpfen und eine einfache Kaffeemaschine besaß ich. Dieses köstlichen Heißgetränk hatte es mir schon vor Jahrzehnten angetan und war neben dem Blutdurst mein zweites Laster.

Sie rümpfte angeekelt die Nase. Wer wollte es ihr verübeln? Ich hielt beim Eintreten in meine Wohnung unbewusst die Luft an. Ich wusste, hier roch es nicht gerade angenehm. Doch mich störte es nicht. Da ich eh nie eine Frau kennenlernen und mit zu mir nehmen würde, hatte ich keinen Anspruch an meine Wohnung. Das doch eine weibliches Wesen meine Wohnung betrat, grenzte an ein Wunder. Nun schämte ich mich für mein Zuhause.

„Ich kann mir nichts besseres leisten", versuchte ich mich zu rechtfertigen.

Das war noch nicht einmal gelogen. Im Bestattungsinstitut verdiente ich nicht gerade viel. Es reichte gerade mal, um mir diese Wohnung und meinen Blutdurst zu leisten. Mehr war nicht drin. Das Klischee, dass Vampire reich seien, weil sie kein Geld für Nahrung ausgeben müssten, stimmte nur zum Teil. Stattdessen warfen wir unser Geld für Blut aus dem Fenster. Da steuerte die Nachfrage den Preis. Blut war teuer!

Sie nickte einmal und sah mich dann wieder an. Ihre Augen waren stark gerötet und kleine Spuren zeichneten sich auf ihren Wangen, dort wo die Tränen hinabgeflossen waren.

„Ich verstehe. Meine Wohnung ist auch eine Bruchbude. Doch trotz zwei Jobs kann ich mir nichts besseres leisten."

Ihre Worte waren wie ein laues Lüftchen im Sommer. Mein Herz wurde leichter. Sie schien mich zu verstehen. Schüchtern biss sie sich auf die Unterlippe und schlug ihre Lider nieder.

„Was hast du?", fragte ich sie besorgt.

Hatte ich sie mit meiner bloßen Anwesenheit beleidigt? Fühlte sie sich in meiner Gegenwart unwohl?

„Beth", flüsterte sie und sofort rann eine Träne ihre Wange hinab.

Mist! Die hatte ich ganz vergessen. Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Das meine Vampirkollegen ihr zu viel Blut abgezapft hatten und sie daher einen Volumenmangelschock erlitten hatte?

„Ihr wird es sicher gut gehen. Bestimmt hat sie einen reichen Mann kennengelernt und ist mit ihm durchgebrannt." Die Lüge kam holprig über meine Lippen. Selbst ich kaufte sie mir nicht ab.

Traurig blickte sie mich aus ihren haselnussbraunen Augen an. Ihr Mund zitterte. Sie machte einen elendigen Eindruck, trotzdem empfand ich sie immer noch als perfekt.

„Glaubst du?", fragte sie mich hoffnungsvoll.

Ich nickte energisch. Sie sollte meine eigene Unsicherheit nicht bemerken. Ihre Augen fixierten den Becher Tee und sie trank erneut einen Schluck. Ihr Blick wurde glasig und sie schien mit ihren Gedanken wo anders zu sein.

Langsam hob ich meinen Arm und legte ihn auf ihren Rücken. Sie zuckte weder zurück, noch sah sie auf. Ich wurde mutiger und fing an, sie zu streicheln. Sie sollte nicht traurig sein. Sie sollte lächeln, lachen, fröhlich sein. Es zerriss mir das Herz, sie so zu sehen.

Sie stellte den Becher ab und sah mich das erste Mal richtig an. Ihre Augen musterten mich von oben bis unten und ich fühlte mich in meiner eigenen Haut unwohl. Was sie wohl über mich denken würde?

Ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen und erreichte ihre Augen. Doch es verschwand so schnell, wie es gekommen war und sie starrte wieder ihren Becher an.

„Was ist los?", fragte ich sie unsicher.

Gefiel ihr nicht, was sie sah? Empfand sie mich als lächerlich oder gar abstoßend? Machte sie sich im Stillen lustig über mich.

„Ach nichts", druckste sie herum.

Ich umfasste ihr Kinn und hob es an. Ich wollte ihr in die Augen sehen. Diese vollkommene Schönheit in mir aufnehmen.

„Du kannst mir alles sagen." Ich versuchte so viel Vertrauen in meine Stimme zu legen, wie ich aufbringen konnte.

Ihre Augen begannen sacht zu leuchten. Ich ließ ihr Kinn los und rutschte etwas näher an sie heran. Unsere Knie berührten sich und kleine elektrische Ströme flossen durch meinen Körper. Ob sie dasselbe für mich fühlte?

„Ich war noch nie bei einem Mann", gestand sie mir.

Die Schamesröte schoss ihr in die Wangen und färbten sie bezaubernd rosig. Ich lächelte sie liebevoll an.

„Ich lag bisher nur bei einer Frau im Bett und das ist Jahre her." Ich versuchte sie mit meiner Mitleid erregenden Geschichte aufzuheitern. Doch sie bewirkte das Gegenteil.

„Ich glaube dir nicht. Ein Mann wie du kann sicher jede Frau haben." Ihr Ton klang trotzig und sie legte ihre Stirn in Falten.

Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. Noch nie hatte jemand von mir gedacht, dass ich ein Frauenheld war. Sie schmeichelte mir mit ihrer Aussage und ich musste augenblicklich schmunzeln.

„Niemand hat Interesse an einer dicken Seekuh wie mir", hörte ich sie wispern.

Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Dieses liebliche Geschöpf empfand sich als hässlich und abstoßend? Ich wollte sie schütteln, auf sie einreden, sie küssen, sie umarmen und das alles am liebsten auf einmal. Doch ich riss mich zusammen und wählte die nächsten Worte mit Bedacht.

„Ich finde dich wunderschön", flüsterte ich nur für ihre Ohren.

Mit leicht geöffneten Mund sah sie mich überrascht an. Mein Blick war eindringlich. Ich wollte ihr nicht das Gefühl geben, ich würde lügen. Sie sollte die Wahrheit in meinen Augen sehen.

Aus einer Eingebung heraus näherte ich mich hier. Ich sog ihren Duft ein. Sie roch nach Blumen, nach Sommer. Ich schluckte schwer. Würde sie erneut vor mir zurückweichen?

Ich nahm all meinen Mut zusammen und kam ihrem Mund immer näher. Sie blinzelte mich verwirrt an, dann schloss sie ihre Augen und gab sich mir hin. Meine Lippen legten sich auf ihre und ich schmeckte Hitze, sommerliche Hitze. Es raubte mir sprichwörtlich den Atem. Ihre Hände landeten auf meiner Brust und ich umfasste sie an ihrer weichen Hüfte.

Plötzlich breitete sich ein stechender, tödlicher Schmerz in meiner Brust aus. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Japsend löste ich mich von ihr und stand panisch auf. Ich griff mir an die Brust. Sie schlug erschrocken ihre Hände vor den Mund. Ich wollte sie beruhigen. Ich lag nicht im Sterben, auch wenn es sich für mich so anfühlte - ich war schon tot. Doch der brennende Schmerz machte mir das Reden unmöglich.

Bumm bumm.

Mir wurde schwarz vor Augen und kleine Lichter tanzten in meinem Sichtfeld. Ich streckte die Hand nach ihr aus. Wollte sie halten, sie an mich pressen und sie erneut küssen.

„Oh mein Gott, er hat einen Herzinfarkt. Hilfe!", rief sie panisch, bevor ich das Bewusstsein verlor.

Bumm bumm.

Bumm bumm.

Wörter: 1645

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