I
Missmutig schob ich mich durch die Menschenmasse. Der Regen prasselte auf mich hinab und lief mir in den Kragen. Mir war auch ohne das schlechte Wetter kalt. Doch durch die eklige Nässe fror ich nun auch noch.
Die Welt um mich herum wirkte grau. Die Sonne verbarg sich hinter dicken Regenwolken, die Passanten um mich herum trugen graue oder schwarze Trenchcoats und der Gehweg war durch das Wasser dunkel gefärbt
Platsch. Mürrisch sah ich nach unten und begutachtete meinen Schuh. Schon jetzt konnte ich das Wasser an meinen Zehen spüren, wie es weiter meine Socke hochkroch. Bei jedem weiteren Schritt, den ich tat, hörte ich ein schmatzendes, saugendes Geräusch. Dieses Wetter war grauenhaft. Ich hasste es.
Jemand rempelte mich an und ich funkelte ihm böse hinterher. Es war eine hübsche, blonde Frau, die gerade in ein Telefonat vertieft war und mich gar nicht zu bemerken schien. Sie lief einfach fröhlich weiter und brabbelte in den Hörer.
„Verfluchte Menschen", hörte ich mich murmeln.
Ich wandte mich von ihr ab und lief weiter. Hier und da wurde ich geschubst, gestoßen und bekam den ein oder anderen Ellenbogen in die Seite gerammt. Wie an jedem anderen Tag fühlte ich mich ignoriert und missachtet. Ich hasste es.
An der nächsten Seitengasse bog ich ab und hielt auf den Hinterhof meiner Stammbar zu. Dicke Tropfen prasselten zur Erde, als ich meinen durchnässten Mantel ausschüttelte. Das New Yorker Wetter machte seinem Ruf alle Ehre. So einen schlechten Tag wie heute hatte ich schon lange nicht mehr erlebt. Dabei ‚lebte' ich im entferntesten Sinne schon seit Ewigkeiten.
Am Eingang stand der dicke Henry. Seine Oberarme waren so breit wie mein Kopf und übersät mit unzähligen Tattoos. Im Gegensatz zu ihm sah ich aus wie ein Hungerhaken. Für einen Mann war ich fast klein, mein kantiges, eingefallenes Gesicht würde man nicht als ‚hübsch' betiteln und meine stets fettigen Haare lagen glatt nach hinten. Ich konnte sie mir so oft waschen, wie ich wollte, es änderte nichts an ihrem Zustand. Ich hasste sie.
Henry besaß nicht einmal Haare, er trug Glatze. Seine Wangen hatten eine gesunde Rundung und allgemein wirkte sein Körperbau anziehend auf das andere Geschlecht. Wie er da so stand, mit dem bulligen Armen vor der breiten Brust verschränkt, versteckt in einer Lederjacke, die drohte aus den Nähten zu platzen, da bekam ich förmlich Angst vor ihm. Doch wir kannten uns schon seit Jahrzehnten und ich wusste, was für ein weicher Kern in dieser harten Schale steckte.
„Hallo Ryder. Kommst du auch mal wieder vorbei?", begrüßte mich der dicke Henry mit einem breiten Grinsen. Zwei spitze Zähnen blitzten auf und ließen ihn gefährlich wirken.
„Ja", brummte ich Henry zu und wollte mich gerade an ihm vorbeischieben.
„Ah, ah, ah", sagte er und wackelte dabei mit einem dicken Finger in der Luft. „Jetzt kostet es Eintritt."
Ich zog meine Augenbrauen zusammen und schaffte es, noch finsterer drein zu schauen als zuvor.
„Wie bitte?", fauchte ich ihn an.
Dies war mein einziger Rückzugsort und jetzt sollte ich dafür bezahlen, um hier eintreten zu dürfen? Ich konnte es kaum fassen.
Henry hielt meinem entgeisterten Blick einige Sekunden stand, bis er schallend anfing zu lachen. Er schlug sich amüsiert auf den Oberschenkel und stützte sich an der Tür ab. Er hatte mich bloß aufziehen wollen. Hielt er mich für ein Kind? Meine Stimmung rauschte durch den Keller direkt in den Kern der Erde. Ich hasste ihn.
„Das war nur ein Scherz, Bro", brachte er schnaufend hervor, als er sich etwas beruhigt hatte.
Genervt verdrehte ich die Augen und stieß ihn zur Seite. Ohne Gegenwehr zu leisten, trat er immer noch lachend von der Tür zurück. Ich schenkte ihm keine weitere Beachtung mehr, öffnete die Stahltür und betrat das schummerige Etablissement durch die Stahltür. Im Inneren schlug mir abgestandene Luft, Zigarettenrauch und der Geruch nach Blut entgegen. Alles Dinge, die ich hasste.
Die dunkle und nebelige Atmosphäre erschwerte mir die Sicht. Doch ich kannte diese Örtlichkeiten in und auswendig. Daher hielt ich zielstrebig auf die Bar zu und setzte mich auf einen Hocker. Tom, der Barkeeper, kam auf mich zu. Seine strahlend weißen Zähne glänzenden mich freundlich an.
„Schön dich zu sehen, Ryder", grüßte er und fuhr sich durch die blonden Haare.
An den Seiten waren sie abrasiert und dort trug er nun bunte Bilder von Schlangen, Schädeln und Flügeln. Den Rest hatte er zu einem lockeren Manbun nach hinten gebunden.
„Hallo Tom. Das übliche bitte", brummte ich.
Er kam meiner Bitte nach, stellte ein leeres Glas vor mich und schnappte sich eine Flasche, die sich unter dem Tresen verbarg. Das dunkle, dickflüssige Getränk floß in mein Glas hinein und ich griff sofort danach.
Ohne auch nur einmal Luft zu holen, was für mich zum Überleben irrelevant war, trank ich es leer. Auf meiner Zunge explodierten die tausend Aromen und meine zuvor trockene Kehle wurde geschmeidig. In meinem Inneren breitete sich eine angenehme Wärme aus und vertrieb die dort herrschende Kälte, zumindest etwas.
Mit einem Knall ließ ich das Glas auf den Tresen nieder sausen und atmete erleichtert aus.
„Nicht so hastig, mein Freund", belächelte mich Tom.
„Wir sind keine Freunde", murrte ich.
Tom zuckte nur mit den Schultern und begann ein Glas zu polieren. In einem Buch über Klischees wäre darin mit Sicherheit ein Foto von Tom, direkt unter B wie Barkeeper.
„Und was hast du den Monat getrieben, in dem du nicht hier warst?"
Tom war wirklich eine neugierige Person. Doch es war angenehm mit ihm zu sprechen. Er hörte zu und ich konnte reden. Nicht so wie die Menschen. Sie plapperten gerne über sich selbst und ihre Probleme. Außerdem spielten sie sich vor einem auf und dachten nur an sich. Ich hasste sie.
Das war sicher auch der Grund, warum seine Bar der Umschlagplatz für Neuigkeiten aus der ganzen Welt war. War ein Sack Reis in China umgekippt, Tom hatte davon gehört.
„Ich habe mein Jagdgebiet etwas erweitert. Doch nach ein, zwei Treffern wurde mir die Sache zu heiß. Hat also nicht viel gebracht. Sonst wäre ich nicht zurück in deine Spelunke gekommen."
Meine herablassenden Worte würden ihn nicht treffen, da war ich mir sicher. Tom war hart im Nehmen und er wusste selber, dass nur die wirklich armen Schweine zu ihm kamen, solche wie ich.
Er nickte verständnisvoll. Seine blassgrünen Augen sahen mitleidig auf mich nieder. Auch er war, wie die meisten meiner Art, größer und breiter als ich. Seine muskulösen Oberarme feixten mich durch sein blaues Tanktop an. Frauen würden ihn attraktiv nennen. Ich hasste ihn.
Ein glockenklares Lachen drang an mein Ohr. Ich drehte mich um und entdeckte in einer Ecke den Frauenhelden Jeremias, der zwei bezaubernde Blondinen in seinem Armen hielt. Beide waren in hautenge Kleider gepresst und trugen mindestens eine Tonne Makeup. Sicher zog er gerade seine Masche ab. Tom schien meinem Blick gefolgt zu sein und beantwortete mir die Frage, die ich nicht gestellt hatte.
„Frischfleisch. Keine Ahnung, wo die Jerry wieder aufgegriffen hat."
„Der hat aber auch immer Glück", gab ich griesgrämig von mir.
„Da magst du wohl mit recht haben."
„Was hat er ihnen diesmal erzählt? Die Geschichte, er wäre ein Manager und suche noch Models für seine Agentur, oder ist er diesmal Regisseur und verspricht ihnen eine Schauspielkarriere?"
„Es ist eine ganz neue Masche. Du hast doch sicher mal von diesem Internet und Handys gehört?"
Kurz sah ich zu ihm und nickte einmal. Dann wandte ich den Blick wieder Jeremias zu und konnte beobachten, wie er einer der beiden Frauen einen Drink in die Hand drückte.
„Da gibt es so ein," Tom suchte nach dem richtigen Wort, „Ding, ich weiß nicht genau wie das heißt. Jedenfalls kann man sich da bewerben und wird an reiche Männer vermittelt."
„Ich verstehe." Ich verstand nicht.
Doch ich wollte mir nicht die Blöße geben. Ich war einer von wenigen, die sich gegen die rasanten Veränderungen wehrte. Die Welt war in den letzten Jahren so schnell geworden, da war ich kaum hinterher gekommen. Ich fühlte mich abgehängt, von den Menschen, von der Zeit, vom Leben. Ich hasste es.
„Jedenfalls glauben sie, dass er der Besitzer einer solchen Sache ist und wollen bei ihm aufgenommen werden. Deshalb machen sie ihm schon den ganzen Abend schöne Augen. Jesus, sind die vielleicht naiv." Das letzte lachte er in sich hinein.
„Und jetzt zapft ihr diesen Blondchen Blut ab?" In meiner Stimme schwang ein gelangweilter Unterton mit.
Die Frage war mehr rhetorisch gemeint, da ich die Antwort schon kannte. Doch ich hörte Toms rauchiger Stimme gerne zu.
„Oh ja und wie wir das werden."
Seine Worte ließen mich aufhorchen und ich drehte mich zu ihm um. Seine blassgrüne Augen waren gebannt auf die Frauen gerichtet. In seinen Gesichtszügen spiegelte sich Gier und Hunger wieder. Da zeigte sich unsere Natur. Ich hasste es.
„Morgen werden sie die Kopfschmerzen auf den Kater schieben. Keiner würde darauf kommen, dass ihnen etwa ein Liter Blut fehlt." Tom sagte das so gleichgültig, als wäre es etwas ganz Normales. Für uns war es das auch, nur für diese Mädchen nicht. Dabei zog er seine Oberlippe nach oben und entblößte seine spitzen Eckzähne.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder Jeremias zu. Ich beneidete ihn für sein gutes Aussehen. Die Frauen lagen ihm regelrecht zu Füßen.
Gerade als ich mich wieder zu Tom drehen und noch ein Glas bestellen wollte, trafen meine Augen auf sie.
„Wer ist das?", fragte ich Tom entgeistert.
„Wer?" Tom klang verwirrt. Sah er sie denn nicht?
„Na, die Brünette bei Jeremias."
„Ach die", stieß Tom belustigt aus. „Das ist eine Freundin der beiden Blondinen. Armes Ding. Wie die hierher kommen ist, keine Ahnung. Prinzipiell bedeutet das für uns mehr Blut, aber die Hübschen schmecken besser."
Tom redete noch weiter, doch ich hörte nicht mehr zu. Dieses Mädchen zog meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Ihre matschbraunen Haare fielen bis auf ihren kleinen Busen und versteckten auch den Rest, den man hätte erahnen können. Ihr Körper war füllig. Ein kleiner Bauch zeichnete sich unter ihrem Shirt ab und ihre Schenkel waren doppelt so breit wie meine.
Ihre ängstlichen braunen Augen waren auf ihr zwei Freundinnen gerichtet. Krampfhaft umklammerte sie ihr Glas, aus dem sie noch nicht einen Schluck getrunken hatte. Andere würden sie als hässlich, dick oder unattraktiv betiteln. Doch für mich war sie das hübscheste Mädchen, das ich je gesehen hatte.
Sie schien vom Leben genauso gebeutelt zu sein wie ich. Mein totes, kaltes Herz machte einen Satz und meine Kehle zog sich zusammen.
„Ryder, hörst du mir noch zu?"
Toms ungeduldige Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
„Hä?", fragte ich ihn verwirrt.
Ein breites Grinsen stahl sich auf seine Lippen.
„Mensch Ryder, dieses Mädel hat es dir aber angetan. Soll ich sie zu uns holen, dass du von ihrem Hals kosten kannst?"
„Nein!", schrie ich ihn an. Das war das letzte, was ich jetzt wollte.
Seine Augen weiteten sich ein Stück. Kurz darauf stahl sich ein breites Grinsen auf seine Lippen. Ich schüttelte den Kopf und drehte mich von ihm weg.
„Noch eins", murmelte ich.
Während ich den weichen Gesichtskonturen der Brünetten folgte, hörte ich es hinter mir plätschern. Kurz darauf griff ich blind nach dem Glas und kippte es erneut in einem Zug hinunter.
Jeremias stand auf und zog die beiden Blondinen hinter sich her. Beide torkelten fürchterlich und lachten schallend. Eine verlor ihren Schuh und humpelte nun hinter Jeremias her.
„Wo gehst du mit ihnen hin?", hörte ich die kratzige Stimme der Brünetten.
Angst spiegelte sich in ihrem Augen wider und am Ende des Satzes schoss sie eine Oktave höher.
„Chill mal", rief ihr Jeremias belustigt zu.
Er interessierte sich nicht weiter für sie. Vielleicht würde sie mit einem blauen Auge davon kommen. Ohne Gegenwehr folgten die beiden Frauen ihm in das Hinterzimmer. Sie lachten ungehemmt und ahnten nichts von der drohenden Gefahr.
Ich überlegte, ob ich zu der zurückgeblieben Schönheit gehen und sie in ein Gespräch verwickeln sollte. Geistesabwesend stand ich auf und lief einige Schritt auf sie zu. Ihre braunen Augen trafen meine.
Bumm bumm.
Angst schnürte mir die Kehle zu. Mir wurde ungewöhnlich heiß und ich spürte einen unangenehmen Druck auf der Brust. Panisch ergriff ich die Flucht.
„He! Du musst noch bezahlen!"
„Schreib es an", rief ich Tom zu, als ich aus der Tür stürmte.
Wörter: 2028
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