Kapitel 6
„Also, Astron", sagt mein Vater mit sehr gedehnten Worten und kommt auf mich zu. Ich schrecke aus meinem Dämmerzustand und schaue ihn an. „Es gibt da ein kleines Problem." Na, was auch sonst? Wahrscheinlich sollte ich mir Sorgen machen, wenn es kein Problem gibt. „In der Botschaft gibt es keine Quarantäne-Räume."
Er sieht mich an, als erwarte er eine Reaktion. Aber mir fällt absolut nichts Passendes dazu ein. Bis darauf, dass ich Wünsche habe, die ich gern erfüllt hätte. Doch dafür ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Und auch nicht der richtige Ort. Ich hoffe nur, dass sie mich nicht, bis sie eine Lösung entwickelt haben, in diesem engen Isolierkasten sitzen lassen.
„Es ist eine Botschaft, wo Sternenreisende zu Gesprächen zusammenkommen. Mit Beratungsräumen." Sein Blick scheint intensiver zu werden. Denkt er, nur weil ich blau leuchte, dass ich verdummt bin? Okay, ich werde ihm entgegenkommen und eine Frage stellen.
„Und was habt ihr dann mit mir vor?"
„Glaub nicht, dass wir dich loswerden wollen", sagt meine Mutter hektisch und kommt herbei gestürzt. Sie stellt sich neben meinen Vater und gestikuliert heftig mit den Händen. „Es ist nur, dass du hier keine angemessene Hilfe bekommen kannst."
„Und dass hier niemand befähigt ist, um herauszufinden, was genau mit dir ni..." Er unterbricht sich, räuspert sich auffällig und fährt langsamer fort: „Äh, was mit dir passiert sein könnte."
„Ja", sage ich genervt, „das habe ich bereits kapiert. Was heißt das genau? Ihr werdet mich wohl nicht in den Planetenkern entsorgen." Ich lache, obwohl es allmählich in meinem leeren Magen zu rumoren beginnt.
Kannst du dir das vorstellen? Wenn da so ganz langsam der Verdacht in dir hochkriecht, dass deine Eltern irgendwas Fieses mit dir vorhaben, um dich zu entsorgen, weil du unverschuldet anders geworden bist? Und du weißt nicht, ob dein Spaß wirklich ein Spaß ist? Hey, vielleicht habe ich sie sogar soeben auf eine Idee gebracht! Auf jeden Fall geht es mir in diesem Moment genau so wie einem defekten Datenspeicher, der in einem Schmelzofen entsorgt wird.
Ich richte mich auf, damit ich mit meinem Vater auf Augenhöhe kommunizieren kann. Vielleicht hält ihn das von dummen Versuchen ab. Ich will auf jeden Fall noch nicht im Planetenkern schmelzen, weder als blauer Astron noch als hautfarbener Astron.
„Was deine Eltern dir zu übermitteln versuchen", mischt sich jetzt einer der Techniker ein, „ist die Tatsache, dass nur an Bord eures Raumschiffes geeignete Kapazitäten sind, um dich zu isolieren und auch zu untersuchen, Astron."
„Okay." Ich blicke verwirrt. Warum hat mein Vater das nicht gleich gesagt?
„Und was bedeutsam ist: Es dauert noch ein paar Stunden, bis alles für deinen Transport vorbereitet ist. Immerhin wissen wir nicht, was dieses Leuchten zu bedeuten hat."
Na klasse, noch ein paar Stunden in dieser eklig riechenden Minizelle. „Kann ich wenigstens etwas zu essen und zu trinken bekommen?"
„Leider nein." Jetzt ist auch der zweite Techniker bei mir an der Quarantänebox. „Wir dürfen dir nichts geben. Strikte Anweisung von Admiral Zenon."
„Von Admiral Zenon?" Ich reiße die Augen weit auf und glaube, er macht einen Scherz. Doch der Mann sieht ernst aus. Viel zu ernst. „Was hat denn der Admiral mit meinem Hunger zu tun?", bringe ich krächzend hervor und muss schlucken, weil mir ganz sonderbar wird. Ich habe noch nie mit Admiral Zenon zu tun gehabt. Noch nie! Ich bin nur ein kleiner Diplomatenangehöriger, und meine Eltern sind keine Geheimdienstler. Also was will der Admiral von mir?
„Du leuchtest blau, Astron, seit du hier eingetroffen bist", erklärt der Techniker mit leichter Ungeduld in seiner Stimme.
Ich betrachte ihn genauer und stelle fest, er hat kurze dunkelblonde Haare und braune Augen, während der andere Techniker rotblonde Haare und grüne Augen hat. Wahrscheinlich ist es für mich nicht relevant, wer wer ist, da ich hoffentlich nur noch wenige Stunden hier sein werde. Aber es ist immer gut, seine Gesprächspartner identifizieren zu können.
„Und du hast dich übergeben", fügt meine Mom hinzu.
Na wunderbar, sie stellt sich auch auf die Seite der Techniker. Dabei habe ich gehofft, sie wird erkennen, dass mir das nur passiert ist, weil ich Hunger habe, nass bin und so einen schrecklichen, juckenden Ausschlag am ganzen Körper hatte. Wobei, den hat sie ja nie gesehen.
„Wir können dich auch nicht beamen", sagt Techniker Dunkelblond, „weil in unseren Systemen noch Ionen von deinem Blau herumschwirren und andere kontaminieren können. Deshalb hat das System sicherheitshalber alles deaktiviert."
„Die Techniker vom Raumschiff basteln gerade an einer Lösung, wie sie dich hochbeamen können", fährt Techniker Rotblond fort. „Aber mach dich mit dem Gedanken vertraut, dass du einen Sicherheitsanzug anziehen musst."
„Wobei wir den", nimmt Techniker Dunkelblond das Wort wieder auf, „in der Botschaft nicht haben. Der muss uns ebenfalls erst zugeschickt werden."
Langsam schwirrt mir der Kopf, denn nun spricht wieder der andere. Können die sich nicht einigen auf einen Sprecher?
„Aber da haben wir eine gute Nachricht: Unser Transportsystem für Frachten ist nicht infiziert, den können wir verwenden. Also sollte bald deine Kleidung eintreffen."
„Sie muss nur erst speziell für dich angepasst werden."
„Wundere dich also nicht, wenn gleich ein Mediziner kommt und dich untersucht. Zumindest oberflächlich. Die brauchen auf dem Raumschiff deine allgemeinen Gesundheitsdaten, um den Schutzanzug anzupassen."
Als niemand mehr etwas sagt, wage ich ziemlich eingeschüchtert vorzubringen: „Aber wie will der Mediziner einen Gesundheitscheck machen oder ich meine Kleidung bekommen, wenn ich hier in der Quarantänebox bin?"
Die Techniker tauschen einen Blick mit meinen Eltern aus. Mein Vater runzelt die Stirn und meint: „Gute Frage, daran haben wir nicht gedacht."
„Könnte nicht das Messgerät zu Astron reingebeamt werden und wieder raus?", fragt meine Mutter.
Ich seufze und lasse die Schultern resigniert sinken. Ich dachte vorhin noch, dass das umzäunte Gebiet in Mainz eine Herausforderung gewesen ist. Tatsächlich ist erst jetzt eine Herausforderung da, so eine richtig schlimme, denn ich kann gar nichts tun. Und die Erwachsenen jenseits meines Gefängnisses können anscheinend auch nichts tun.
„Sobald etwas bei ihm drin ist", erklärt Techniker Rotblond, „ist es kontaminiert – mit was auch immer. Wir können es nicht riskieren, damit in Kontakt zu treten."
„Das ist so ein Mist", schimpft Techniker Dunkelblond. „Aber woher hätten wir wissen sollen, dass so etwas passiert? Wir sind hier nicht auf solche Notfälle ausgelegt. Wir wissen nicht mal, wohin wir den Mageninhalt entsorgen sollen."
Automatisch schauen wir alle auf den Matsch zu meinen Füßen, der sich mittlerweile ziemlich verfestigt hat. Er riecht auch nicht mehr so schlimm. Oder aber meine Riechzellen nehmen nur nichts mehr wahr. Gewöhnungseffekt nennt man das dann wohl.
Meine Idee mit dem Planetenkern zur Entsorgung von allem rückt in meinem Gehirn wieder ganz nach vorn. Das werde ich aber nicht wiederholen, um die zwei Männer nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Ich hoffe, mein Dad hat es vergessen.
„Wie wäre es", schlage ich schließlich vor, „wenn die Techniker vom Raumschiff ein Gerät bei mir reinbeamen. Ich speichere meine Daten, und sie beamen es in einen Quarantäneraum, in dem sie einen Androiden haben. Und der wertet die Daten aus."
„Das ist perfekt", lobt mich mein Dad. „Das müsste doch zu machen sein?", wendet er sich an die Techniker. Rotblond tippt auf einer Platine herum, während Dunkelblond zum Steuerpult geht und dort etwas macht. Dann öffnet sich die Tür, und ein Mann in einer weißen Uniform kommt herein – der Mediziner.
„Hallo, Astron", sagt er und kommt auf mich zu. „Wie fühlst du dich?"
„Gut", sage ich.
Wenn du nun meinst, dass man Autoritäten nicht anlügen darf, kennst du unser System schlecht. Immerhin haben wir so viel technischen Schnickschnack, dass eine Frage „Wie geht es dir" einfach nur dämlich ist. Und da ist die Antwort „Gut" auch keine wirkliche Lüge, sondern eine passende dämliche Antwort. Na schön, der Mann hat kein Gerät, um meinen Gesundheitszustand durch die Quarantänescheibe zu überprüfen. Die sind hier nicht mit so etwas ausgestattet. Aber ist das mein Problem?
„Hast du früher schon mal blau geleuchtet?"
Ich starre ihn an. Was glaubt er denn? Dass ich die Farbe mit den Frühstücksproteinen zu mir nehme? „Nein."
„Und du fühlst dich nicht anders als sonst?"
„Welches sonst meinen Sie denn?", frage ich zurück. Immerhin ist mir noch immer kalt, ich bin weiterhin hungrig und allmählich trocknet mein Mund komplett aus. So fühle ich mich normalerweise nie. Eigentlich kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich mich jemals so gefühlt habe. Nur hat das ja nichts mit dem blauen Leuchten zu tun.
„Vielleicht gestern. Fühlst du dich so wie gestern um diese Uhrzeit?"
„Nein, da war ich nicht durstig, hungrig und durchnässt in einer Quarantänebox eingesperrt."
„Abgesehen davon, fühlst du dich anders?"
Mühsam unterdrücke ich ein Stöhnen und Augenrollen. „Abgesehen davon fühle ich mich genauso wie gestern um diese Uhrzeit." Ist er jetzt zufrieden? Erwachsene können wirklich anstrengend sein. Warum holen die mich nicht einfach ins Raumschiff und machen ihre Tests – nachdem ich gesäubert und versorgt wurde.
„War irgendetwas Besonderes, als du in Mainz einen Platz zum Beamen gesucht hast?"
Ich überlege. Was kann ein Mediziner besonders finden? Meinen Ausschlag!
„Ich hatte einen roten Ausschlag am ganzen Körper, der furchtbar gejuckt hat. Ich hab mich sogar blutig gekratzt!" Bereits bei der Erinnerung schüttle ich mich. Das ist wirklich keine schöne Erinnerung gewesen. „Aber hier in der Botschaft war nichts mehr davon zu sehen. Gar nichts. Und das finde ich schon seltsam."
„Das ist wirklich etwas Besonderes", murmelt der Mediziner und tippt auf seinem Kommunikationsmodul herum. Er dreht sich weg und fordert einen Doktor als Gesprächspartner an. Während er Richtung Tür geht, unterhält er sich mit ihm. Mich lässt er zurück, als wäre ich nicht mehr interessant für ihn.
„So, Astron", sagt Dunkelblond, „strecke deine Hände nach vorn. Da sollte sich dann gleich ein kleines Gerät manifestieren."
Ich mache es und tatsächlich, kaum eine Sekunde später halte ich ein silbernes Objekt in Händen.
„An der Seite befindet sich ein Knopf. Da drückst du drauf. Danach fährst du mit dem Gerät von deinem Kopf bis zu deinen Füßen hinunter und wieder hoch. Anschließend drückst du erneut den Knopf."
„Okay." Ich mache alles genau nach Anweisung. Weil ich perfekt mitdenke, halte ich das Teil anschließend auf meinen Handflächen wieder vor mich. Und schwupps wird es weggebeamt. Tja, die Raumschifftechniker und ich sind wohl ein eingespieltes Team. Ich grinse zufrieden.
„Jetzt wird es nicht mehr lange dauern", erklärt Rotblond. „Das Auslesen geht in Nanosekunden. Das Justieren des Anzugs dauert allerhöchstens dreißig Minuten. Du solltest dich dann ganz an den Rand der Box stellen, damit genug Platz für den Anzug ist."
„Und sobald du ihn anhast", fährt Dunkelblond fort, „gehts für dich aufs Raumschiff."
Jetzt melden sich auch meine Eltern wieder zu Wort. „Wir kommen nach, sobald wir die Freigabe erhalten. Bis dahin sei einfach tapfer. Wir wissen, du schaffst das."
„Freigabe?" Ich blicke verwirrt, erhalte jedoch nur ein Schulterzucken als Antwort. Anscheinend ist hier mehr los als nur mein blaues Leuchten. Seit wann benötigen meine Eltern eine Freigabe, um in unser Quartier auf das Raumschiff zu beamen? Sie sind schließlich nicht infiziert. Es sei denn ...
Meine Augen tränen, so durchdringend starre ich meinen Vater an. Dabei bringt das überhaupt nichts. Eine Antwort hat er trotzdem nicht für mich. Und in meinen Gedanken rotiert es wie ein Kreisel. Der atmosphärische Nebel fällt mir wieder ein. Das furchtbare Jucken. Der Ausschlag. Irgendetwas geht auf Terra vor. Und ich hatte das Pech, ausgerechnet heute eine Facharbeit schreiben zu müssen.
Ich sag's dir, die nächste Facharbeit schreibe ich nur noch in geschützten Räumen auf dem Raumschiff, und wenn ich dafür ein Holodeck programmieren muss.
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