Kapitel 5

Irgendetwas ist anders. Mal abgesehen davon, dass mir schwindlig und sogar ein klein wenig übel ist. Aber noch während ich materialisiere, fühle ich, dass etwas nicht stimmt. Es dauert eine Nanosekunde, bis die Neuronenweiterleitung bis zu meinem Gehirn richtig funktioniert. Dann aber strömen gleich mehrere Inputs auf mich ein. Oder heißt es dann: in mich ein? 

Ich starre auf zwei mir unbekannte Männer, wahrscheinlich die technischen Wissenschaftler, die mich hergeholt haben, und meine Eltern. Sie starren zu mir zurück. Das ist Input Nummer eins. Es gibt keine erleichterte Umarmung. Keine Willkommensrufe. Sie bleiben einfach stehen, als wären sie zu Robotern in der Erholungssequenz mutiert. 

Mir ist immer noch kalt. Das gilt nicht als Input Nummer zwei, denn das weiß ich längst. Der zweite Input ist der fehlende Juckreiz. Es gibt an meinem kompletten Körper keinerlei kribbelndes, juckendes Gefühl mehr! Und außerdem – das zähle ich auch noch zu Input Nummer zwei – ist der brennende Schmerz der aufgekratzten roten Pünktchen weg. Komplett weg. Als hätte ich mir das alles nur eingebildet. 

Das wiederum bringt mich dazu, meinen Blick nach unten zu senken auf meine Unterarme und die Hände. Und das beschert mir Input Nummer drei: Ich leuchte blau. 

Ich leuchte blau. 

Bestätigt wird meine widersinnige Erkenntnis durch das erschrockene Keuchen meiner Eltern, die fast zeitgleich ausrufen: „Astron, du leuchtest blau!" Gefolgt von den fassungslos gestammelten Worten der Techniker: „Wa-warum leuchtet er b-blau?" 

Ja, das wüsste ich auch gern. 

Leider kommt nun Input Nummer vier zum Zug, was in gewisser Weise auch ein Output ist. Denn mit einem Mal ist mir so übel, dass die vorverdauten Nahrungsreste der letzten Mahlzeiten den Weg nach draußen finden. Und weil es hier im Teleporterraum keine Spuckbehälter gibt, geht gleich der Alarm an wegen Verunreinigung der Bodenfläche mit nicht identifizierten Teilchen. 

Um es dir ganz plastisch zu beschreiben: Da steht ein kotzender, blau leuchtender Teenager barfuß in einem High-Tech-Raum voller Schaltpulte und Elektronik und wird von vier Personen angestarrt. Und niemand kommt ihm zu Hilfe. Stattdessen ertönt ein durchdringender Alarm. 

Zusätzlich surrt jetzt noch eine Schutzwand hoch, die mich hermetisch einschließt. Oder aber die anderen ausschließt. Also hat das Gesundheitssystem der Botschaft erkannt, dass ich unter Umständen eine ansteckende Krankheit habe und alle kontaminieren könnte. Dabei ist mir nur das Beamen nicht bekommen. Nach all der schlechten Luft auf der Erde ist das kein Wunder. Das hat ja nichts mit einer ansteckenden Krankheit zu tun, vor der man nun alle schützen müsste. Der Meinung bin ich zumindest. Aber sowohl der Botschafts-Computer als auch die Botschafts-Angehörigen sind da wohl anderer Meinung. 

Glaubst du mir, dass ich in diesem Moment froh bin, dass die zwei Techniker das nicht schon vor dem Beamen geahnt haben? Also das mit der eventuell-vielleicht-möglicherweise Krankheit? Lieber stecke ich in der Botschaft in Quarantäne, als dass ich im Nieselregen in Mainz auf dem Boden schlafen muss. Obwohl sie mich da gar nicht hätten lassen dürfen, wenn sie glauben, dass ich irgendeine Krankheit habe. Fällt mir gerade so ein. Meine biometrischen Daten stimmen nicht mit herkömmlichen Terranern überein. Die würden mich sofort in ein Alien-Labor stecken, sobald sie herausfinden, dass ich ein außerirdisches Lebewesen bin. 

Ach, was mache ich mir für sinnlose Gedanken? Ich bin in der Botschaft in Chile und sicher. Hier kann mir nichts passieren. Ich kann endlich aufhören, mir wegen jeder Kleinigkeit Sorgen zu machen. 

Aber leider ist es nicht so leicht, wie ich mir erhofft habe. Immerhin stecke ich auf der Seite des Quarantäneraumes, wo die Kotze am Boden klebt. Sonderlich appetitlich ist das nun nicht. Und weil mir noch immer kalt ist und etwas schwindlig, setze ich mich ganz dicht an die Wand und ganz weit weg von meinem Erbrochenen. Ich hoffe, dass die eine Lösung finden, wie sie hier drinnen sauber machen. Ein Bett wäre auch nicht schlecht. Ich bin nämlich echt total fertig. Wenn ich noch genauer nachdenke, dann habe ich auch Hunger. In meinem Magen ist jetzt richtig viel Platz. Außerdem könnten sie langsam aufhören, mich wie ein Weltraumrelikt anzustarren. 

„Dad, Mom, was ist hier eigentlich los?" Ich wage mal einfach einen direkten Vorstoß. Vielleicht hilft das, ihre Schockstarre zu lösen. 

Es hilft. Zumindest bei meiner Mutter. Jetzt, wo sie sicher von mir getrennt sind, stürzt sie auf mich zu und presst ihre Hände an das Glas. „Astron, was beim galaktischen Quasar hast du gemacht?" Warum glaubt sie, dass ich etwas gemacht habe? „Hast du Schmerzen? Wo sind deine Schuhe? Wieso ist dein gesamter Körper verklebt?" 

Ich versuche, möglichst flach zu atmen. Besonders gut riecht es hier drinnen echt nicht. Da ist es nicht so einfach, auf so viele Fragen sinnvolle Antworten zu finden. Außerdem weiß ich, dass meine Mutter nicht wirklich hören will, was ich in den letzten Stunden erlebt habe. Eigentlich möchte sie nur wissen, ob ich gesund bin. Und das scheine ich nicht zu sein. Sonst wäre da nicht die Trennscheibe zwischen uns. 

„Ich habe keine Schmerzen. Die Schuhe habe ich ausgezogen, um über einen Zaun zu klettern. In Mainz ist ein Niederschlag, der mich komplett durchnässt hat." Ein irrsinniger Gedanke durchzuckt mich. Könnte der Niederschlag dieses blaue Leuchten verursacht haben? Aber warum habe ich dann vorhin in Mainz nicht geleuchtet? Das wäre mir auf dem freien Feld doch aufgefallen, oder? Mal abgesehen davon hatte ich dort noch am ganzen Körper die roten Punkte. 

Ich ziehe den Kragen von meinem Pulli nach unten und linse auf meine Brust. Keine roten Punkte und keine blutigen Stellen. Es kann sein, dass ich sie auch nicht sehe, weil der blaue Schimmer kräftiger ist. Ich lasse den Pulli los. Nun streiche ich über meine Arme. Es fühlt sich ganz normal an. Da ist auch kein sonderbares Geräusch. Ganz kurz habe ich mir nämlich überlegt, ob ich so eine Art Magnetismus entwickelt habe. Darum das Streichen und Abtasten. Müsste meine Hand von meinem Körper abgestoßen werden, wenn ich mich anfasse. Oder läuft das bei biologischen Magneten anders? Ich weiß nicht einmal, ob es biologische Magnete gibt. 

Meine Tasche! Wo ist eigentlich meine Tasche? Ich greife um mich und spüre sie am Rücken. Erleichtert ziehe ich sie nach vorn. Das hätte mir jetzt echt noch gefehlt, dass sie aufgrund eines Transporterfehlers mit meinem Körper verschmolzen wäre. Ein zweites Horrorszenario wäre, dass sie in Mainz auf dem freien Feld herumliegt. Die Terraner dürfen unsere Technologie unter keinen Umständen in die Finger kriegen. Nicht auszudenken, wenn ich der Grund dafür wäre, dass sie unsere technischen Errungenschaften für ihre machtpolitischen Aktivitäten missbrauchen. 

Ich wühle herum und hole den Datenchip heraus. Ich kann ihn einfach so in die Hand nehmen. Das ist doch wohl ganz klar der Beweis, dass ich kein Magnet bin. Weder flutscht er von allein in meine Hand, noch wird er weggestoßen, als ich nach ihm greife. 

Ich atme tief ein – Fehler! Denk an die Kotze! Aber zu spät, ich hab also tief eingeatmet, bevor ich den Chip auf mein Modul auf der Hand lege. Es knistert nicht. Das ist ein gutes Zeichen, finde ich zumindest. Weniger gut finde ich, dass nichts passiert. Mit gerunzelter Stirn blicke ich zu meiner Mutter, die mich neugierig beobachtet hat. Hinter ihr sehe ich meinen Vater, der mit den Technikern leise diskutiert. Sehr leise, dennoch sehr gestenreich. Das ist auch nicht gut. 

„Mom, kannst du mich mal anfunken?" 

„Wieso, Astron, du sitzt doch direkt vor mir?" 

„Mom, tu es einfach, bitte." 

Sie seufzt. Dann tippt sie auf ihr Modul und sagt: „Stelle eine Verbindung zu Astron her." Dabei sieht sie mich an, als ob sie hinterherschieben will: Jetzt zufrieden? Aber das bin ich nicht. Und sie eine Nanosekunde später auch nicht, denn sie bekommt die Info: „Ich kann keine Verbindung zu Astron herstellen." Ihre Gesichtszüge entgleisen. Fassungslos tippt sie erneut auf ihr Modul. „Stelle eine Verbindung zu Astron her." Natürlich ändert sich nichts. Da kann sie das ruhig x-mal sagen. Sie bekommt die gleiche Antwort wie vorhin. Bestürzt weicht sie zurück, dreht sich um und hastet zu Dad und den beiden Technikern. Nun tuscheln sie zu viert. Und ich sitze hier mit meiner Kotze und leuchte noch immer blau vor mich hin. 

Langsam nehme ich den Chip von meinem Handrücken und packe ihn zurück in die Tasche. Wenn ich eine Krankheit habe, dann ist es eine computerzersetzende Infektion. Und dann kann ich nur hoffen, dass durch das Beamen keine Erreger in das System der Botschaft gelangt sind. Im Moment funktioniert noch alles. Aber bei mir hat auch ziemlich lang alles funktioniert, ehe mein System zusammengebrochen ist. 

Seufzend lehne ich den Kopf gegen die Glaswand und schließe die Augen. Was auch immer auf der anderen Seite meiner Quarantänebox beschlossen wird, hoffentlich beinhaltet es ein Bett für mich. Und etwas zu essen. Und frische Kleidung. 

Mit einem schrägen Blick aus zusammengekniffenen Augen Richtung Bodenverunreinigung füge ich hinzu: Und eine Reinigung meiner gepeinigten Atemwege. 

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