Kapitel 2

So, und was jetzt? Ist das nun doch das beschriebene Unglück apokalyptischen Ausmaßes? Das nicht über das Universum, sondern über diesen Planeten hereinbricht? Nur wäre ich da nicht der Held, der alle rettet, sondern das bedrohte Opfer, das gerettet werden muss. So habe ich mir das nicht vorgestellt, als ich dir von meinem heutigen langweiligen, unspektakulären und absolut normalen Tag erzählt habe. Na ja, versucht habe zu erzählen. Denn jetzt ist der Tag gar nicht mehr normal. 

Ich überlege fieberhaft, was ich über diesen Planeten gelernt habe. Abgesehen von den Bäumen als Informationsspeicher. Haben wir hier nicht irgendwo einen Außenposten in der Nähe? Wenn schon keine Botschaft, dann doch wenigstens ein getarntes Gebäude mit angemessenen Betten und gesundem Essen. Es muss doch eine Möglichkeit für Gestrandete geben, sich zivilisiert einzuquartieren. 

Mein Blick irrt zu dem Metallschild. Meine Tasche. Die hab ich fast vergessen. Ich eile die paar Schritte zurück und hebe sie auf. Na super! Der Boden ist hier natürlich vom dauerhaften Nebel-Nieselregen feucht. Und da diese terrestrischen Taschen aus einem aufsaugenden Material bestehen – wie kann es anders sein? –, ist sie rundum feucht, besonders unten. Ich hoffe, dass das Material zumindest so dick ist, dass meine Unterlagen innen keinen Schaden genommen haben. 

Vorsichtig öffne ich sie und blicke hinein. Es ist niemand hier, der sehen könnte, dass innen nicht nur Papierblöcke sind, sondern auch ein normaler Datenstift, mit dem ich meine Infos aufgezeichnet habe. Der sieht fast so aus, wie bei den Terranern ein ... Ich runzle die Stirn. Ist das der Insektenfraß? Oder warum fällt mir das Wort nicht ein? Meine Herzfrequenz erhöht sich automatisch und zu der Umgebungsfeuchtigkeit mischt sich – zumindest an den Schläfen – Körperfeuchtigkeit. 

„Bleistift!", stoße ich fast schon erleichtert hervor, als mir das Wort wieder einfällt. Also bin ich doch noch nicht von irgendeinem Parasiten befallen. Das erinnert mich an den Juckreiz. Ich ziehe vorsichtig meine Kleidung hoch und erstarre. Meine erhöhte Herzfrequenz senkt sich für eine Nanosekunde zum Herzstillstand herab. Was, bei allen Galaxien, sind das für sonderbare rote Punkte auf meiner Haut?! 

Ich schließe die Augen. Versuche, konzentriert ein- und auszuatmen. Die Worte meines Vaters schwirren durch mein Gehirn. Aber wie soll ich da ruhig bleiben, wenn ich ganz allein auf einem primitiven, fremden Planeten feststecke? Und wenn sogar schon meine Haut rote Punkte bekommt? 

Ich öffne die Augen und hebe meinen Arm. Mit angehaltenem Atem starre ich auf die roten Erhebungen. Bewegt sich da etwas? Ich blinzle. Die Spannung in meinem Körper nimmt überhand. Doch erst, als mir schwarz vor Augen wird, sauge ich hastig Sauerstoff in meine Lungen. Nein, es sind rote, winzige Punkte. Keine Bewegung erkennbar. Zumindest nicht mit bloßem Auge. Wenn da also irgendwelche Mikroben unterwegs sind, können das nur die Bordärzte erkennen. 

„Ich will nach Hause!", schreie ich in die klamme Luft hinaus. Es ist mir egal, ob mich jemand hören kann. Es ist mir egal, was ein Beobachter von mir denken könnte. Ich fühle mich schrecklich allein und so richtig verlassen. Wieder blinzle ich, doch dieses Mal, weil sich vereinzelte Tränen aus den Augen lösen. Das geht gar nicht. Ich bin doch kein kleines Kind, das sich weinend ans Bein seiner Mutter klammert. Ich bin zu alt, um zu heulen. 

„Reiß dich zusammen", zische ich mir zu und suche wie wild in meiner Tasche nach dem Datenchip, auf dem eine Karte dieser Erde gespeichert ist. Der muss doch irgendwo hier sein. Bei allen Galaxien, so viel Pech kann ich unmöglich haben! Endlich finde ich ihn. Er liegt ganz unten und fühlt sich feucht an. Feucht! Alle Alarmsirenen schrillen aktiviert in meinem Kopf auf. Feuchtigkeit ist etwas, das diese kleinen Dinger absolut nicht mögen. 

„Ich hasse diesen Planeten, ich hasse diese dämlichen Stoffe, ich hasse dieses Wetter!" 

Fehlt nur noch, dass ich wie ein Kleinkind aufstampfe. Aber dazu lasse ich mich nicht verleiten – noch nicht. Wenn es so weiter geht, könnte es passieren. Denn je mehr Unglück auf mich einstürzt, umso schrecklicher fühle ich mich. 

Ich klappe meine Tasche zu und mache mich auf den Weg. Zunächst einmal brauche ich einen Platz, wo garantiert keine Terraner sind. Wäre zu blöd, wenn einer beobachtet, wie ich den Chip aktiviere. Wenn der überhaupt noch funktioniert. Ich glaube kaum, dass auf diesem Planeten irgendjemand bislang ein frei in der Luft schwebendes Hologram gesehen hat. Selbst wenn es sehr klein ist. 

Ich folge der Straße bis zur nächsten Gebäudeansammlung. Zwischen zwei Gebäudekomplexen ist ein schmaler Durchgang. Ich gehe hinein und blicke nach oben. Hier gibt es keine Fenster, was mir entgegenkommt. Vorsichtshalber gehe ich tiefer hinein in diese schmale Gasse. Erst als ich sicher bin, dass man mich von der Straße nicht mehr sehen kann, lege ich den Chip auf das Modul auf meiner Hand. Nichts passiert. Klar, wäre auch zu schön gewesen, wenn es auf Anhieb funktioniert hätte. Ich schließe meine Augen, hole tief Luft und öffne sie wieder. Mit einem verzweifelten Atemstoß greife ich zum Saum des Pullovers unter meiner Jacke und wische über den Handrücken. Da ich sowieso bereits von roten Punkten übersät bin, macht das bestimmt nichts schlimmer. Aber hoffentlich trockener. 

Erneut lege ich den Chip auf das Modul. Und wieder einmal halte ich die Luft an. Starre gespannt hin und warte. Beim Universum, nie ist mir eine Sekunde so lang vorgekommen! Doch dann, endlich, eine gefühlte Ewigkeit später erscheint eine kleine Benutzeroberfläche in der Luft. Ich tippe auf den Ordner mit den Karten dieses Planeten. Weitere Ordner ploppen auf. Verschiedene Namen erscheinen. Leise vor mich hinfluchend versuche ich mich zu erinnern, wie die Stadt hier heißt. Oder sind das Namen von Ländern? Von Staaten? Wie ist die Erde aufgegliedert? 

„Warum hab ich nicht besser aufgepasst, als Landeskunde auf dem Plan stand?" Die Antwort ist eigentlich leicht. Weil ich nie erwartet habe, hier allein zu stranden. „Es fängt mit A an, so wie mein Name." Da bin ich mir sicher. Zumindest ziemlich sicher. Ich glaube, diese Situation wünsche ich niemandem, auch nicht dir. Unter Stress funktioniert das Gehirn nicht besonders gut. Und ich stehe nicht nur unter Stress, ich habe sogar rote Punkte auf meinem Körper, was auf eine Erkrankung hindeutet. Wie soll ich da noch klar denken können? 

Es hilft alles nichts, ich muss ausprobieren. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Also klicke ich auf das erste A: Afrika. Ein weiterer Ordner öffnet sich. Na super, wollen die mich bis auf die letzte Nanosekunde quälen? Da ploppen sicherlich fünfzig weitere Ordner auf. Wenn die jetzt alle noch Unterordner haben, stehe ich bis zum nächsten Morgen hier und kann zurück zum Gebäude gehen, wo ich mich über die terrestrischen Informationsspeicher informiert habe. 

„Europa!", stoße ich hervor. „Deutschland, Mainz!" Warum habe ich nicht direkt daran gedacht? Da war vor Ewigkeiten ein Terraner, der herausgefunden hat, wie man Papier vervielfältigt. Oder so ähnlich. Und das war der Beginn vom Baumsterben, weil sie mit einem Mal unendlich viele Schriften herstellen konnten und wollten. Die haben auf diesem Planeten nie gelernt, wie man schonend mit Ressourcen umgeht. 

Erleichtert tippe ich auf die Ordner und endlich erhalte ich einen Plan von meiner Gegend. So ganz zufrieden stellt mich das jetzt nicht. Kannst du dir vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn du erkennen musst, dass die nächste ordentliche Unterkunft nicht zu Fuß erreicht werden kann? Wenn ich es richtig sehe, gibt es weder in Mainz noch in Deutschland ein geeignetes Quartier. Dass die Botschaft in Südamerika in Chile liegt, ist mir bekannt. Je trockener, desto besser. Und die Atacama-Wüste erschien den galaktischen Kommissaren als perfekter Ort, um unsere Technik aufzubauen. Dorthin kann ich nicht kommen. Glücklicherweise liegt die Unterkunft für Sternenreisende näher an meinem jetzigen Standort. Unglücklicherweise ist sie in Spanien. 

Ich lasse mich stöhnend ein wenig nach hinten fallen und lehne mich an die Mauer, um direkt erschrocken zurückzuweichen. Wer weiß, was in diesem Mauerwerk für Lebewesen sind?! Ich möchte es lieber nicht herausfinden. Ein klein wenig schlecht gelaunt nehme ich den Chip und verstaue ihn wieder in meinem Rucksack. Unbewusst kratze ich meinen linken Arm. Das Jucken verstärkt sich immer mehr und lässt sich nicht mehr ignorieren. Vorsichtig schiebe ich den Ärmel so hoch, wie es geht. Überall rote, kleine Punkte. Auch an meinem rechten Arm bin ich mit diesen Malen übersät. Nervös schluckend öffne ich die Jacke und ziehe den Pulli am Hals hinunter. Ich hätte es wissen müssen. Sogar auf meiner Brust tummeln sich diese Flecken. Als ich mich dieses Mal gegen die Mauer sinken lasse, ist es mir egal. Irgendetwas hat mich infiziert. Da kann mich ein Mauerinsekt auch nicht mehr kleinkriegen. 

Ich lehne meinen Kopf gegen das harte Material und atme schnaubend aus. „Na super, wie komme ich jetzt ohne terrestrische Währung zur Unterkunft nach Spanien?" 

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