Kapitel 8

Sicht Lasse 

Erfrischend zischte das Bier, als ich es gekonnt mit dem Feuerzeug von Marko öffnete. Ein Talent, dass ich von meiner Mutter geerbt hatte. 

Das Training heute war die reinste Qual gewesen. Meine Rippen fühlten sich an, als hätte mich ein Auto angerammt, und wäre dann immer und immer wieder dagegen gefahren. Big jedoch war unerbittlich gewesen, und hatte das Training an diesem Montag Abend sogar noch extra in die Länge gezogen. Das Grinsen hatte er nicht unterdrücken können, denn ab und zu kam einfach der Sadist in ihm zum Vorschein. 

"Du sollst das nicht immer mit meinem Feuerzeug machen, du schrottest die immer!" Eingeschnappt entriss Marko mir das 50 Cent Feuerzeug, während ich ihm nur ein Schulterzucken schenkte, bevor ich genüsslich von meinem Bier trank. Nachdem ich es in fast einem Zug leer getrunken hatte, schaute ich kurz auf mein Handy, um nach der Uhrzeit zu sehen, entdeckte dabei aber eine Benachrichtigung, die ich nicht ignorieren konnte. Offensichtlich hatte mir Mina auf die Kommentare geantwortet. Augenblicklich schoss mein Puls in die Höhe, und die Zeit, die es brauchte um die App zu öffnen, schien gar unendlich. Noch bevor ich mir ihre Kommentare durchlas, nahm ich noch einen großen Schluck meines Bieres. 

"Was starrst du denn so gebannt auf dein Handy?" Neugierig lehnte sich Pascal zu mir rüber, um auf das Display zu schauen, doch drehte ich mich von ihm weg. 

"Hat dein Grinsen etwa etwas mit dieser Rothaarigen von Samstagabend zu tun?" Verschwörerisch wackelte Passi mit seinen Augenbrauen, als Marko mir auf einmal mein Handy entriss. 

"Wow, seid ihr 26 oder 14? Mal im Ernst ihr Idioten." Da ich mich nicht zum Oberdeppen machen wollte, ließ ich Marko einfach mein Handy durchforsten. 

"Wuhuuu, sie hat dein Bild kommentiert. Sehr kreativ und ausführlich. Sie schreibt einfach nur ein 'Wunderschön!' Ich schätze mal, sie meint den Tisch, und nicht dich. Immerhin siehst du auf dem Foto mal wieder aus wie ein Mädchen." 

Und noch so ein Running Gag, der auf meine Kosten ging. 

Nichtsdestotrotz holperte mein Herz in meiner Brust. Natürlich war ich mir sicher, dass Mina den Tisch meinte, aber alleine die Tatsache, dass ihr gefiel, was ich tat, schien mich so dermaßen aus der Bahn zu werfen, dass ich momentan vermutlich nicht einmal mehr meinen Namen buchstabieren könnte. 

"Haha, okay. Also ich vermute, das hat entweder ihre Katze geschrieben, oder ein hirnloser Zombie." Marko's Worte verwirrten mich, und schließlich entriss ich ihm dann doch mein Handy, um zu sehen, was er denn meinte. 

Die Antwort zu meinem Kommentar unter ihrem Bild war mehr als merkwürdig. Sie hatte es erst vor zwei Minuten geschrieben, da es jetzt bereits 22:30 Uhr war, vermutete ich jedoch, dass sie beim Tippen vielleicht einfach eingeschlafen war. Zumindest konnte ich mit 'Dassssssssdcvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvv' nicht viel anfangen. Ich gab dem Kommentar trotzdem ein Herz, und wartete einfach mal ab, was sie schreiben würde, wenn sie sah, was sie da so fabriziert hatte. 

Urplötzlich wurde ich von hinten gegen meine linke Schulter geboxt, die Dank des Trainings ziemlich lädiert war. Missmutig drehte ich mich um, und sah nur Kevin, der mich erwartungsvoll anblickte.

"Um Himmels Willen, Männer… ich glaube unseren ach so taffen Lasse hat's erwischt." In seiner Stimme klang keinerlei Spott oder Hohn mit, doch wusste ich ehrlich gesagt nicht, auf was er hinaus wollte. 

"Was meinst du, Kev?" 

Offensichtlich trug ich an diesem Abend zur allgemeinen Belustigung bei, denn keiner von meinen Teamkollegen sagte mir, um was es ging, sie lachten sich jedoch trotzdem ihre Ärsche ab. 

Als es dann bereits auf Mitternacht zuging, beschloss ich, mich vom Acker zu machen. 

Schnell packte ich meine Sachen zusammen, und sammelte Rocco ein, den ich ab und zu zum Training mitbrachte, und quasi schon zum Maskottchen des EC's geworden war, bevor ich mich von den Männern verabschiedete, und mich in meinen Trainingsklamotten auf den Weg nach Hause machte. 

Die Runde mit Rocco war ich schnell gelaufen, da er so spät selten Lust auf lange Spaziergänge hatte, was mir recht sein sollte.

So war ich, nachdem ich mich im Bad noch frisch gemacht hatte, und endlich nicht mehr eklig verschwitzt war, schnell im Bett, und eigentlich auch so müde, dass ich sofort einschlafen wollte. Der Gedanke an Mina ließ mich jedoch wieder zu meinem Handy greifen. 

Doch anstatt ihr unter einem der Kommentare zu antworten, öffnete ich ihr Profil, und tippte auf das Feld 'Nachricht'. 

Von: LasseHatKlasse

An: Mina Fobrich

Guten Morgen,

Ich geh jetzt mal davon aus, dass 'Dassssssssdcvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvv' kein böses Kinderwort ist, dass du von einem deiner Kindergartenzwerge aufgeschnappt hast? 

Ich hoffe, du hast gut geschlafen, und hast einen guten Start in den Dienstag. 

Lasse ;) 

Schnell sendete ich die Nachricht, bevor ich es mir noch anders überlegte. Ich sollte wohl besser schlafen. 

Gehetzt betrat ich am nächsten Morgen mein Büro. Der Tag heute war komplett durchgeplant, doch auf etwas freute ich mich tatsächlich, und ich nahm mir auch die Zeit dafür. Danni hatte mich vor ein paar Minuten angerufen, und mich gefragt, ob ich heute Mittag Luna vom Kindergarten abholen könnte. Sofort hatte ich zugesagt. Ich würde alles tun für meine Nichten, aber der Pluspunkt war natürlich Mina. Zunächst war ich etwas verwirrt gewesen, da Ida wohl schon wieder ins Krankenhaus musste, und ich mir tatsächlich etwas sorgen machte. Und irgendwie schien es mir, als würden sie und ihr Mann irgendetwas verheimlichen. Denn um ihren gebrochenen Arm konnte es nicht geht. Doch wenn ich Luna heute Nachmittag bei ihren Eltern abliefern würde, würde ich die beiden Geheimniskrämer darauf ansprechen.

Nichtsdestotrotz musste ich mich nun meiner Arbeit widmen. Es gab bereits neue Arbeitsaufträge, die verteilt werden mussten. Gemeinsam mit meinem Sandkastenfreund Sven hatte ich vor zwei Jahren den Betrieb übernommen. Der vorherige Besitzer der Tischlerei, Frank, war damals in Rente gegangen, und Sven und Ich hatten auf den Wunsch von Frank die Tischlerei nur zu gerne zu unserem Projekt gemacht. Während sich Sven jedoch hauptsächlich auf den praktischen Teil der Arbeit konzentrierte, musste ich leider die ganze Büroarbeit übernehmen, zumindest den Teil, den Susan, unsere Sekretärin, nicht übernahm. Sie war bereits zu Franks Zeiten die Sekretärin gewesen, und da sie hervorragende Arbeit leistete, war es mir eine Freude gewesen, dass sie sich weiterhin ihrer Arbeit hier widmen wollte. Ein Pluspunkt war, dass sie fast jeden Tag etwas Selbstgebackenes mit zur Arbeit brachte, was die ganze Belegschaft freute. Heute zum Beispiel hatte sie einen leckeren Mohnzopf dabei, von dem ich mir gerade schon ein Stück stibitzt, und jetzt schon fast aufgegessen hatte. Er schmeckte aber auch zu göttlich. 

"Sven, du bist heute bei der Montage im Neubaugebiet. Die Parkettböden hab ich am Freitag schon fertig gemacht. Wenn du zwei von den Auszubildenden mitnimmst seid ihr schneller fertig. Tobi, Jo - ihr dürft die Holzleisten für die Fenstergläser anfertigen. Hier die Unterlagen." Ich reichte Tobi den Auftrag mit den nötigen Daten, dann nickten beide, bevor sie sich schon auf den Weg zur Dickenhobelmaschine machten. Zwei weitere Aufträge wurden verteilt, und somit waren alle Mitarbeiter beschäftigt. Auch ich musste mich daraufhin gleich an die Arbeit machen. Für mich stand heute eine Kommode auf dem Plan, die ich hoffentlich größtenteils schon bis zur Mittagspause fertig bekommen würde. 

Mein Plan war leider nicht aufgegangen. Die Formatkreissäge gab bereits beim zweiten Stück auf, und so hatte ich die meiste Zeit damit verbracht, diese beschissene Säge zu reparieren. Natürlich hatte sich das ewig in die Länge gezogen, und auch nach dem Gespräch mit einem der Technikfuzies der Firma, die die Säge hergestellt hatte, konnte das Problem nicht gelöst werden. Und so half nur noch eins - Marko anrufen. Als Maschinenbautechniker hatte er das nötige Know-how, um mir damit eventuell helfen zu können. 

Es klingelte ewig und zwei Tage, bis er sich endlich erbarmte, und den Anruf annahm. 

"Ja hallo Lasse. Wie kann ich dir den Tag versüßen."  

"Hast du vielleicht kurz ne halbe Stunde? Eine meiner Sägen springt nicht mehr an." 

Er ließ mich warten, und im Hintergrund hörte ich das Rascheln von Blättern. 

"Du tust jetzt gerade nicht ernsthaft so, als würdest du in deinem Terminkalender nach freier Zeit suchen?" 

"Ist ja schon gut, ich bin in zehn Minuten da." 

Und schwupps hatte er aufgelegt. Marko hatte nicht zu viel versprochen, denn genau zehn Minuten später traf er in der Werkstatt ein. 

Nach einer kurzen Begrüßung, hatte ich ihm das Sorgenkind gezeigt. Und so stand er nun, ebenso unschlüssig und überfordert wie ich, vor der Säge. Er versuchte sie in Gang zu bringen und schaute überall nach einer Auffälligkeit.

"Mmm, okay. Ich denke, ich weiß was los ist. Könnte aber ne Weile dauern. Ich hab sie vielleicht bis zum Nachmittag fertig." 

"Oh das wäre super. Bist ein toller Kumpel. Dafür lade ich dich heute Abend auf ein Bier ein."

Marko grinste, schüttelte dann jedoch seinen Kopf. 

Tut mir Leid, Lasse. Aber heute Abend hab ich bereits eine Verabredung." 

Verwundert beobachtete ich meinen besten Freund, der übers ganze Gesicht grinste. 

"Du… hast eine Verabredung? Wieder mit deiner Mutter?" Mein Lachen hallte in der Werkstatt. 

Dafür kassierte ich von dem blonden Mann einen Schlag auf die Schulter und ein "du Idiot".

"Witzig, sagt der dessen einzige weibliche Konstante seine Nichten sind."

"Ist ja schon gut. Und jetzt sag mir mit wem du dich triffst."

War das Verlegenheit die ich in seinen Augen sah, als er sich im Nacken kratzte? Oh ja, das war es.

"Sie heißt Lotte… und ist die Schwester von Mina." 

Meine Augen drohten bei seinen Worten aus dem Kopf zu fallen, und mein Unterkiefer knallte auf den Boden.

"Nicht wirklich?" Doch Marko nickte nur, und schenkte mir ein unsicheres Lächeln.

"Wie? Wann?! Ich bin baff." Das war noch untertrieben. 

"Ich hab ihr am Samstag meine Nummer auf einen Zettel geschrieben, und ihr gegeben, bevor sie mit ihrer Schwester gegangen ist. Seit dem schreiben wir. Und ich muss sagen, sie ist echt klasse." 

Diese Neuigkeit war definitiv überraschend. 

"Da weißt du, dass ich…" Ja, wie sollte ich den Satz beenden? War ich jetzt wütend auf Marko? Nein. Eher auf mich. Der Kerl steckte ihr einfach seine Nummer zu, und schrieb mit ihr, während ich selbst nicht die Eier in der Hose hatte, sie einfach zu fragen, ob sie nicht Lust hätte, sich mit mir auf einen Kaffee zu treffen. Stattdessen schrieb ich ihr wie ein fünfzehnjähriges Teenie-Girl über komische Apps. Innerlich klatschte ich mir selbst eine. Wenn es um Frauen ging, oder um speziell eine Frau, war ich wohl absolut nicht der Held. Und so stand mein Entschluss fest. Auch wenn es Marko vielleicht nicht gefallen würde. 

"Was auch immer du vor hattest… Das wird ein Doppeldate."

~~~~~~~

"Und dann haben wir noch das Stroh zu den Kühen reingestreut, und ich hab noch was für den Stall gebastelt, und…", redete Luna wie wild, als sie sich vor mir auf die weiße Holzbank gesetzt hatte, um ihre Hausschuhe auszuziehen. Der Lärmpegel war unbeschreiblich hoch, und immer wieder rannte ein Kind hinter meinem Rücken vorbei. 

" Wohooo, ganz ruhig Brauner. Du kannst mir nachher noch alles erzählen. Ziehst du dir kurz deine hübschen, rosafarbenen Stiefel an? Dein Onkel muss noch ganz kurz etwas fragen." 

Luna nickte nur, und so ging ich aus der Hocke wieder hoch, um noch einmal kurz in den Gruppenraum zu stolpern, in dem einige der Erzieherinnen saßen. 

"Tut mir Leid, wenn ich Sie noch einmal stören muss", versuchte ich, die Aufmerksamkeit der Frauen auf mich zu lenken. 

Sofort lagen drei Augenpaare auf mir.  

"Wo finde ich denn Mina? Ist sie heute nicht da?" 

Die Antwort folgte nicht sofort. Die Frau, die mir am nächsten saß, war vermutlich im selben Alter wie meine Mutter, trug eine dunkelblaue Latzhose, und einen roten Strickpullover darunter. Ihre leicht rötlich schimmernden Haare ließen sie jedoch um einiges jünger Aussehen, als sie vermutlich war. 

"Meine Tochter hat gerade Mittagspause, vermutlich findest du sie aber bei den Alpakas. Soll ich dich hinbringen?" Zuvorkommend war sie bereits aufgesprungen, und deutete bereits nach draußen, doch lehnte ich dankend ab. 

"Vielen Dank, aber das ist nicht nötig. Das finde ich bestimmt. Einen schönen Tag noch."

Als ich wieder auf den weihnachtlich geschmückten Flur trat, sah ich, wie Luna versuchte, sich in ihre dicke Winterjacke zu quetschen. Lächelnd trat ich zu ihr, und packte sie richtig ein.

"Was musst du denn noch fragen?" Mit drei Jahren schon so neugierig, da war sie ganz wie ihre Mutter.

"Ich wollte wissen, wo Mina ist." Allein bei dem Namen begannen Luna's Augen zu strahlen. 

"Die ist bei den Alpakas. Die liebt sie." Wissend nickte sie immer wieder mit ihrem Kopf, bevor ich ihr ihre rote Bommelmütze darauf setzte.

"Gut, dann schauen wir noch bei Mina vorbei." 

Luna klatschte und hüpfte, schnappte sich dann ihre zu Weihnachten passende Tasche in Form eines Rentierkopfes, und hüpfte dann zur Tür. 

Noch bevor ich ihr sagen konnte, sie solle langsam laufen, rannte sie auch schon über den Hof in Richtung eines kleineren Gebäudes. Doch ich war schneller und schnappte sie an ihrer Mütze. 

"Fräulein… du weißt, du darfst im Winter nicht einfach los rennen. Nachher geht's dir wie deiner Mama, und du hast dir irgendwas gebrochen." 

Luna sagte nichts, griff nur mit ihrer kleinen Patschehand nach meiner, und lief dann artig neben mir her. 

Ich konnte Mina's Stimme schon hören, bevor wir in den Stall hineingegangen waren, und offensichtlich redete sie gerade mit ihrer Schwester, denn der Name 'Lotte' war deutlich zu hören gewesen. 

"...und ich denke, er ist schon ein ziemlicher netter Kerl. Ich warte jetzt einfach einmal Samstag ab." 

"Uhhh, ich find's immer noch vom Schicksal vorherbestimmt. So wie Cal aussieht, ist er auf jeden Fall ein Hauptgewinn." Das war nicht Mina's Stimme gewesen, und trotzdem waren ihre Worte nicht unbedingt Balsam für meine Seele. Sie traf sich am Samstag mit Cal. Das war nicht gut. Überhaupt nicht.

Während ich über Lotte's Worte nachgedacht hatte, war Luna bereits weiter gelaufen, und hatte den Stall mit einem lauten "Miiiinaaaa" gestürmt. 

"Ja was machst du denn hier du kleiner Blitz." 

Nun war auch ich endlich um die Ecke getreten, so dass der hübsche Rotschopf mich wahrnahm.

"Ich musste Luna abholen, und ich dachte, wir sagen schnell Tschüss." 

Fröhlich lächelnd strahlte Mina mich an, während Luna schon an ihr vorbei war, und nun auf dem Holzzaun stand, um ein weißes Alpaka zu streicheln. Der prüfende Blick von Lotte entging mir dabei nicht.

"Das ist lieb von euch." 

"Naja, ich war nicht ganz uneigennützig. Um ehrlich zu sein, würde ich dich gerne auf ein Bier einladen." 

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