Kapitel 3
"Mina, das ist mein Onkel Lasse." Das war das letzte, was sie wahrnahm, bevor sie in diese wundervollen, blauen Augen blickte, die in den letzten Nächten ihre Träume heimgesucht hatten.
"Kenne ich Sie nicht?" Seine Stimme klang noch immer so wundervoll, wie sie sie in Erinnerung hatte.
"Ähm, ja... ja, Sie sind im Krankenhaus in mich rein gerannt... ich hab Sie angemault."
Mit jedem Wort wurde die junge Frau leiser, und sie zwang sich ihren Blick von dem Mann ihr gegenüber abzuwenden, und schaute stattdessen zu dem kleinen Mädchen, das breit grinsend zwischen ihr und Lasse stand. Lasse. Das war also sein Name, und er passte zu ihm.
"Genau..., ich hoffe doch, ich hab Sie nicht verletzt? Ich war auf der Suche nach Luna's Mutter. Sie hat sich an dem Tag die Rippe und ihren Arm gebrochen."
Rede einfach weiter, dachte sich Mina. Sie wollte ihm einfach nur zuhören.
"Stimmt, ich hab schon mit ihr telefoniert... da fällt mir ein, dass ich dir, kleine Dame, nachher noch etwas für deine Mama mitgegeben muss..." Daraufhin grinste Luna noch zufriedener, und klatschte in ihre kleinen Patschehändchen.
"Ist es in Ordnung, wenn ich noch kurz mit rein komme? Luna wollte mir noch so viel zeigen. Natürlich nur, wenn es Sie nicht stört?" Offensichtlich schien er total locker zu sein, und nicht so verkrampft wie Mina. Sie traute sich nicht ihm wieder in die Augen zu sehen, was vermutlich total dämlich rüberkommen musste.
'Gott, reiß dich zusammen, Mina!' schalt sie sich selbst, und hob mit einem Lächeln im Gesicht ihren Blick an.
"Natürlich. Das ist kein Problem. Luna kann Ihnen alles zeigen, und Luna du weißt - du musst dann in ein paar Minuten in den Stall, du bist heute dran mit füttern."
Wenn es überhaupt noch möglich war, wurde das Lächeln im Gesicht der Dreijährigen noch größer. Sie liebte die Kühe, und neben ihren eigentlichen Namen, hatte das kleine Mädchen den Kühen nochmals Namen gegeben, die sie passender fand.
"Okay, ich ähm... ich geh dann Mal wieder zu meiner Gruppe, ich sag dir Bescheid, wenn du zum Füttern musst, Luna. Hat mich gefreut, Lasse", verabschiedete sich die junge Frau, und wandte sich schnell um.
"Ohhhh man... Wieso immer ich?" Pure Verzweiflung schwang aus ihrer Stimme, und innerlich raufte sie sich die Haare. Ihre Wangen brannten, ihre Hände waren schwitzig und ihr Mund war total ausgetrocknet.
"Bei dir alles gut, Mina? Du siehst aus als hättest du gerade einen Geist gesehen." Alex stand vor ihr, und hatte Oskar auf dem Arm. Auf seinem Gesicht trockneten seine salzigen Tränen. Oskar war ein klein wenig... schusselig. Er stolperte häufig, oder rannte gegen etwas. Da kam das häufiger vor, dass man ihn weinend vorfand, weshalb man bei ihm immer extra aufpassen musste.
"Frag bloß nicht... Luna wurde von ihrem Onkel gebracht..." Bevor Mina ihren Satz beenden konnte, fiel ihr schon Alex ins Wort.
"Oh stimmt, Ida hat gestern noch angerufen, und gesagt, dass sie morgen, also heute zum Arzt müssen, und Luna deshalb von ihrem Onkel gebracht wird."
Ja, dann war es ja gut, dass man ihr das auch mitgeteilt hatte
"Naja, ist ja auch egal. Ich mach mich jetzt gleich fertig für den Stall, und hol dann die Kinder, die heute morgen dran sind."
Für den Stall hatten sowohl die Erwachsenen, als auch die Kinder extra einen Anzug, sowie Gummistiefel. Das war die einzige Möglichkeit, um nicht gleich jedes Mal neue Klamotten anziehen zu müssen, wenn man von oben bis unten mit Kuhkacke bespritzt wurde. Sie hatte sich gerade in ihren Overall gequetscht, was angesichts der Tatsache, dass ihr Arm noch in einem Gips steckte, nicht ganz so einfach war, und ging nun in ihre Gruppe, um die vier Kinder zu holen. Oskar, Felix, und Emilie hatten sich in der Bauecke getummelt, während Luna mit ihrem Onkel in der Puppenecke saß. Das Mädchen schien offensichtlich den Spaß ihres Lebens zu haben, denn Mina konnte sie durch den ganzen Raum kichern hören. Durch das Fenster, dass in der kleinen Hausfassade des Puppenhauses war, konnte sie Lasse sehen, der mit einem Grinsen im Gesicht so aussah, als wäre er gerade selbst wieder 5 Jahre alt. Auch der Dutt und die Brille konnten das nicht verstecken. Irgendwie fand Mina das süß, nicht nur, dass er selbst noch aussah wie ein fünfjähriger Lausbub, nein auch dass er so inbrünstig mit seiner Nichte spielte.
Als hätte er Minas Starren bemerkt, wandte er seinen Kopf in ihre Richtung, und lächelte sie an. Er sagte etwas, doch konnte sie nicht hören, was. Kurz darauf schoss jedoch seine Nichte durch die kleine Tür heraus, und kam gleich darauf vor ihr zum Stehen.
"So, Oskar, Felix, Emmi... kommt ihr mit?" Sofort sprangen die drei auf, und stellten sich in einer Reihe hinter Luna auf.
Noch bevor sie etwas zu den Kindern sagen konnte, stand plötzlich Lasse hinter den Kindern.
"Ich würde dann gehen... Bis morgen Luna." Kurz winkte er ihr zu, sie tat es ihm gleich, und blickte Mina dann wieder gespannt an.
"Hat mich gefreut, Mina." Mit diesen Worten drehte sich der rothaarige Mann um. Die grünen Augen der jungen Frau folgten ihm, bis er schließlich gänzlich aus ihrem Sichtfeld verschwunden war.
"Na gut, Kiddies, dann lasst uns Mal loslegen. Alex, wir sind draußen", ließ sie ihre Kollegin noch wissen, bevor sie zu fünft im Gänseschritt in die Umkleide wackelten.
Das Füttern war für die Kinder wie immer eine Freude. Mit Vorsicht und Elan halfen sie Minas Vater, das Futter einzustreuen, doch wussten sie mittlerweile nur zu gut, was sie zu tun hatten. Während Felix und Oskar Walter noch halfen, den Mist wegzuschieben, saßen Luna und Emmi bei Madonna, einer der trächtigen Kühe, und streichelten ihren Kopf.
"Du bist eine tolle Kuh, Paula, du bist soooo brav", hörte sie den kleinen Rotschopf reden, bevor sie ihr einen fetten Schmatzer auf die Nüstern gab. Luna hatte sämtlichen Tieren auf dem Hof, gemeinsam mit Emmi, andere Namen gegeben. In solchen Momenten wurde Mina bewusst, wie sehr sie ihren Beruf liebte. Kinder waren einfach nur faszinierend, und jedes Kind war auf seine eigene Art ein Unikat.
"Hey ihr Lieben, wollen wir vielleicht noch zu den Alpakas? Ich hol von drinnen noch den Rest unserer Gruppe, und dann können wir zu den drei flauschigen Freunden, wie wäre das?"
Die vier waren sofort Feuer und Flamme, und so gingen sie zunächst wieder in die Umkleide, wo die zwei Jungs und die zwei Mädels ihren Anzug ausziehen konnten, was Mina ihnen gleich tat, und dann kurz rein flizte, um Alex zu informieren.
Nur eine Viertelstunde später waren alle Kinder angezogen, und zusammen konnten sie dann in den angrenzenden Stall der Alpakas gehen.
Dort konnten sie die drei Huacaya-Alpakas jedoch nicht vorfinden.
"Die sind bestimmt draußen", sagte Konstantin, der bereits unter der Holzabsperrung durchgeklettert war, und durch den Ausgang, der eigentlich für die Alpakas gedacht war, auf die Wiese hinter den Stall gerannt war.
"Wir machen das nicht wie Konstantin, wir gehen außen rum", mischte sich nun auch Alex ein, während Mina sich ein Lachen nicht verkneifen konnte.
Der Tag war genauso schön verlaufen, wie er angefangen hatte. Über den Mittag wurden die ersten Kinder wieder abgeholt, die restlichen durften zusammen mit Frederike kochen. Mina hatte währenddessen Mittagspause, die sie bei den Alpakas im Stall verbrachte. Die Tiere waren ihre absoluten Lieblinge, die sie sich erst vor ein paar Wochen zugelegt hatten.
Schon immer waren Alpakas ihre Lieblingstiere gewesen, und sich die drei endlich zulegen zu können, war ein wahrgewordener Traum.
"Ja, Isabelle... du bist ein braves Ding." Ihr Fell unter ihren Fingern war so flauschig und weich, dass sie nicht aufhören konnte, das weiße Alpaka zu streicheln. Gerade als sie von ihrem belegten Brötchen abbeißen wollte, stahl sich eine Person in ihr Blickfeld, die genau wie ihre Tochter aussah.
"Hey Mina, meine Leidensgenossin...", ertönte Ida's glockenhelle Stimme.
"Na guten Tag, wie war's beim Arzt?"
Mehr schlecht als Recht humpelte Lunas Mutter in Minas Richtung. "Und wie geht's deiner Rippe?"
"Naja, es geht. Ich bekomme Luft, kann aber nur schlecht liegen, sitzen ist eigentlich auch ziemlich beschissen... aber wenigstens...", redete Ida drauf los, und presste urplötzlich ihre Lippen zusammen.
"Wenigstens?" Mina war einfach zu neugierig, und sie ahnte, dass Ida ihr etwas verschwieg.
"Setz dich doch erst einmal", bot Mina Ida an, stand auf, und deutete auf die Holzbank, die dem Eingang gegenüber lag.
"Danke." Es dauerte kurz, bis Ida sich gesetzt hatte. Mina hatte sich zu ihr gesellt, und wartete nun geduldig.
Für eine Weile war es einfach nur still, und die Erzieherin hatte das Gefühl, dass Ida irgendetwas auf dem Herzen lag.
"Geht es dir gut? Hat der Arzt irgendetwas Beunruhigendes herausgefunden?" Nun war sie doch etwas besorgt, so kannte sie die junge Mutter nicht.
"Es ist nur... ich bin schwanger, Mina. Der Arzt hat es heute bestätigt."
Völlig baff zog Mina ihre Augenbrauen in die Höhe, und ihr Mund öffnete sich leicht.
"Aber, das ist doch super! Ich gratuliere dir!"
Vorsichtig zog Mina sie in eine Umarmung, und drückte sie leicht, so gut das mit ihrem und Idas Gips ging.
"Danke. Ich bin noch etwas überfordert...", gestand sie, und strich sich ihre Locken hinters Ohr.
"Aber, du behältst es doch, oder?" Etwas verunsichert stellte sie die Frage.
Eilig nickte die junge Mutter, und seufzte laut aus.
"Ja, um Himmels Willen. Natürlich. Das kam nur alles so plötzlich, und ich muss mich erst einmal an den Gedanken gewöhnen. Das ist einfach alles."
Eine Weile saßen die zwei einfach so da. Mina tätschelte beruhigend die Hand von Ida, die vorne aus dem Gips schaut, und beide hingen ihren Gedanken nach.
Ida war nur ein Jahr älter als Mina selbst, und irgendwie hatte Mina immer gedacht, dass sie selbst noch nicht so alt war. Doch wenn sie auf das Leben der 27-jährigen blickte, die neben ihr saß, musste sie sich ehrlich eingestehen, dass sie noch nicht das erreicht hatte, was sie früher immer gedacht hatte in dem Alter schon erreicht zu haben. Nächstes Jahr wurde sie selbst 27, sie war in keiner festen Beziehung, und es gab auch keinen Ausblick auf eine. Dementsprechend war ihr Kinderwunsch auch noch in weiter Ferne. Lauter als gedacht, entfuhr der so in Gedanken versunkenen Mina ein Seufzen, das trauriger nicht klingen konnte. Nun war es an Ida, die Augenbrauen zusammen zu ziehen, und sie besorgt anzuschauen.
"Und was bedrückt dich?"
Mina schreckte sofort auf, und wurde augenblick rot. Dass sie gerade an den Onkel von Luna, also den Bruder von Ida oder an ihren Schwager, wobei die Haarfarbe schon eher auf ihren Bruder schließen ließ, gedacht hatte, würde sie nicht sagen. Aber ihre Gedanken waren automatisch zu ihm gesprungen, als sie an Männer gedacht hatte, die sie tatsächlich irgendwie interessant fand.
"Ach ich... hab nur dran gedacht, dass du jetzt schon dein drittes Kind bekommst, du nur ein Jahr älter bist als ich, und ich noch nicht einmal eine anständige Beziehung geführt habe... aber he...", gespielt gut gelaunt schaute sie zu ihren drei flauschigen Freunden "... Immerhin hab ich meine Alpakas."
Stumm blickten sich die beiden Frauen an, bevor sie herzhaft lachen mussten. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatten, und sie auch wieder Luft bekamen. Doch das Lachen hatte beiden gut getan.
"Hey, falls du Lust hast... Mein Bruder, der heute morgen Luna gebracht hat, hat morgen ein Eishockey Spiel. Vielleicht hättest du ja Lust mitzukommen? Wer weiß, vielleicht lernst du dort ja jemanden kennen."
Aha. Dann war Lasse also wirklich Ida's Bruder. Und er spielte Eishockey. Stimmt, Luna hatte so etwas schon einmal erwähnt, doch hatte Mina selbst da nicht drauf geachtet.
Mina beeilte sich, ihrem Gegenüber eine Antwort zu geben, da sie nun schon ewig nachdachte. So nickte sie zuerst nur, bevor sie es tatsächlich Zustand brachte, ihren Mund zu bewegen.
"Das wäre klasse. Ich wollte mir schon immer einmal ein Eishockeyspiel ansehen. Das muss unglaublich spannend sein."
"Oh spitze, das freut mich! Ach und, lass dir von einer etwas gestressten Mutter sagen: Das was du bisher erreicht hast, ist ebenfalls eine starke Leistung! Überleg doch Mal, was du schon alles auf die Beine gestellt hast. Und die Kinder hier im Kindergarten lieben dich. Du machst deine Sache großartig. Glaub mir, du musst hier sicher nicht sitzen und schmollen."
Bei Ida's Worten waren Mina's Augen immer größer und größer geworden, und ein warmes Gefühl hatte sich in ihr breit gemacht. Sie hörte eigentlich nicht gerne Lobeshymnen über sich selbst, doch das was Ida gesagt hatte, hatte sie tatsächlich aufgebaut.
"Und falls du Probleme damit hast, Männer kennenzulernen, lad dir doch einfach eine dieser Apps runter. Ich meine, schaden kann es doch nicht."
Noch spät am Abend lag Mina in ihrem Bett, ihr Handy hielt sie in ihrer funktionierenden Hand.
Gemeinsam mit Ida hatte sie sich in der Mittagspause eine Dating App aufs Handy geladen, und Ida hatte ihr gleich dabei geholfen, ihr Profil einzurichten. Nun hatte sie tatsächlich schon einen Mann entdeckt, der ihr äußerst gut gefiel, und dessen Bilder sie nun schon zum zigtausendsten Mal anschmachtete. Seine Haare waren schwarz, und schulterlang, er hatte unglaublich schöne blau-grüne Augen, und einen Drei-Tage-Bart, der sein Äußeres komplett machte, und ihn irgendwie verwegen aussehen ließ. Doch selbst jetzt traute sie sich nicht, ihn anzuschreiben. Was war nur los mit ihr? Gerade als sie ihr Smartphone aus der Hand legen wollte, ploppte eine unbekannte Benachrichtigung auf, die sie nur zögerlich öffnete. Als sie sah, was das war, hielt sie kurz die Luft an. Dieser schwarzhaarige Kerl hatte ihr doch tatsächlich eine Nachricht geschrieben.
Aber wieso? Ja, Mina hatte auch Bilder reingestellt, aber auf dem einen sah man nur ihr Gesicht, und ihre roten Haare, die ihre Schwester für Fasching in eine Aufwendige Frisur gebracht hatte, und das andere zeigte sie vor zwei Jahren an einem Strand in Dänemark, jedoch konnte man da nur ihr grünes Kleid und ihr Haare im Wind flattern sehen.
Etwas nervös tippte sie also auf die Nachricht, um im nächsten Moment einen halben Herzinfarkt zu bekommen.
Von: Steve #91
An: Pumuckel
Na, Pumuckel (passender Name), ich hoffe, du hast dich an meinem Profil satt gesehen.
PS: ich wollte dir nur mitteilen, dass man sehen kann, wie oft jemand auf dein Profil geht ;)
PPS: Ich hab dein Profil auch mehrere Male angeschaut ;)
Grüße, Steve
Oh Gott, dachte Mina. OH GOTT! Das war ja so unglaublich peinlich. Schnell legte sie ihr Handy auf ihren Nachttisch, nur um es wenige Sekunden später wieder in die Hand zu nehmen.
Erneut tippte sie auf seine Nachricht, und war nicht sicher, ob sie ihm nun schreiben sollte, oder nicht. Wie musste sie seine Worte einschätzen? War das irgendwie abwertend gemeint? Ja, sie hatte sich Pumuckel genannt, aber machte er sich da jetzt lustig drüber oder nicht?
"Himmel Mina, du denkst zu viel nach", tadelte sie sich selbst.
Gut, dann antwortete sie eben.
Von: Pumuckel
An: Steve#91
Wenn ich dir jetzt sage, dass mein Handy spinnt, und ich nicht wirklich sieben Mal auf dein Profil gegangen bin, dann würdest du mir das nicht glauben, oder?
Wo sehe ich denn, wie oft jemand auf meinem Profil war? Jetzt möchte ich doch auch wissen, wie oft dein Handy gesponnen hat ;)
Gruß, Mina
Das war doch gar nicht so schlimm gewesen.
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