Kapitel 23

Den gesamten Nachmittag über war Mina ein reines Nervenbündel gewesen. Von ihrer Umwelt hatte sie beinahe nichts mitbekommen. Nachdem sie gut eine Stunde mit Lotte über den Markt geschlendert war, hatte Lotte ihre Schwester aus Versehen an einem Stand stehen lassen. Mina hatte nämlich nicht mitbekommen, dass ihre Schwester einfach quatschend weitergedackelt war, während sie in Gedanken versunken auf die Auslage des Süßigkeitenstandes geschaut hatte. Es war Lasse gewesen, der ihre Gedanken völlig vereinnahmt und sie beinahe um den Verstand gebracht hatte.
"Mina, alles in Ordnung bei dir?", drang sanft die Stimme der Landschaftsarchitektin an ihre Ohren. Nur am Rande nahm sie die sachte Berührung an ihrem Oberarm wahr, drehte sich dann aber zu ihrer Schwester herum.
"Was ist los?" Besorgnis schwang in Lottes Stimme mit, die auch in ihren Augen aufblitzte.
"Ja. Ich ... warte kurz." Aufgeregt und überfröhlich zugleich kramte Mina nach dem Schriftstück in ihrer Tasche, und streckte es umgehend Lotte entgegen, die verdatterter nicht hätte dreinschauen können.
"Ooookay. Was ist das?" Ihr war anzusehen, dass sie Minas verwirrten Zustand nicht auf den Zettel zurückführen konnte.
"Na ließ schon. Der ist von Lasse, und den hab ich vorhin erst versteckt angebracht in unserem Ständchen entdeckt."
Nun war die jüngere Schwester von Neugier getrieben, denn der Zettel war schnell auseinander gefaltet.
Mit Argusaugen beobachtete Mina ihre Schwester, versuchte ihre Reaktionen zu deuten. Doch es schien, als wäre Lotte recht gleichgültig. Aber das schien nur so. Groß waren ihre Augen, als sie auf Minas Gesicht zu liegen kamen, und ihr Grinsen sagte so einiges aus.
"Was meinst du dazu?"
Das Grinsen von Lotte wurde immer breiter und steckte Mina geradewegs an.
"Was soll ich denn dazu meinen? Das ist vermutlich so ziemlich das Süßeste, was ein realer Mann im realen Leben getan hat." Quietschend nahm Mina ihrer Schwester den Zettel wieder ab, las die wenigen Worte erneut, und saugte das fröhliche Gefühl, welches sie gerade durchflutete, in sich auf.
Lasse hatte eine sehr schöne Schrift, musste sie dabei feststellen, und merkte selbst, wie kindisch sie war, bei einer solchen Banalität wie der Handschrift eines Mannes schon beinahe einen Herzinfarkt zu bekommen. Als wäre sie eine 13 Jährige Teenagerin, die verträumt die neuste One Direction CD angaffte.
"Lotti, ich bin total aufgeregt. Und meine Hände schwitzen."
Minas Stimme überschlug sich beinahe vor lauter Panik, und Hilfe suchend starrte sie Lotte an.
"Ich weiß was da hilft. Glühwein!"

~~~

Sechs Stunden und vermutlich eine Alkoholvergiftung später stand sie nun da, am vereinbarten Treffpunkt, die Kühltasche in ihrer rechten Hand. Der Schweiß an den Händen war verschwunden, dafür trat er jetzt auf ihre Stirn, und in ihrem Magen rumorte es.
Gerade verfluchte Mina sich selbst, aber vor allem ihre kleine Schwester, der sie einen Suff der Extraklasse verdiente. Die letzten Stunden über waren die Zwei von Glühweinstand zu Glühweinstand geschlendert, da Lotte der Meinung war, dass Alkohol in dieser Situation die beste Lösung war. Nun wusste sie es besser. Es war keine Lösung gewesen.
Die Übelkeit, die sie in unregelmäßigen Abständen überkam, konnte sowohl von der Aufregung, als auch vom Glühwein und Glühmet kommen, und hätte Mina nicht noch ihre lichten Momente gehabt, in denen sie glücklicherweise immer wieder Wasser getrunken hatte, hätte sie sich vermutlich jetzt schon auf das Kopfsteinpflaster des Rathausplatzes übergeben. Ihr war klar, dass das nicht unbedingt die klügste Idee gewesen war, aber immerhin fühlte sie sich nun im Stande, ihrer Verabredung gegenüber zu treten.
Ihre Augen begaben sich auf die Suche, und als gäbe es eine magnetische Anziehungskraft, glitt ihr Blick in genau die richtige Richtung. Die roten Locken, die unter der gelben Mütze hervorlugten, seine große Brille, und das Grinsen, das sich auf seinem hübschen Gesicht abzeichneten, ließen ihren Puls in die Höhe schießen, und vergessen war die alkoholbedingte Übelkeit.
Lasse fing an wie bekloppt zu winken, und da sie selbst in ihrer gesunden Hand die Tasche hielt, streckte sie diese nur nach oben oben.
Als er mit schnellem Schritt auf Mina zukam, blieb ihr kurz die Luft weg.
War dieser Mann tatsächlich wegen mir hier,  fragte sich Mina, und versuchte, das Atmen nicht zu vergessen.
Doch das gestaltete sich tatsächlich ziemlich schwer, denn kaum war er bei ihr angekommen, hatte er sie schon an seine starke Brust gezogen.
Holy Moly!
Nachdem ihr Herz zunächst für wenige Sekunden stillgestanden hatte, begann es zu rasen, als wäre sie einen Marathon gerannt.
Und dieser Duft! Wie konnte man nur so toll riechen? Der frische Duft von Shampoo und Duschgel, ein typischer Männerduft, stieg ihr in die Nase und mischte sich mit dem unverkennbaren Geruch von Lasse.
Konnte man sich in den Geruch eines Menschen verlieben?
Nein Mina, aber in den Menschen!
Das zarte Gefühl seiner Lippen auf ihrer Wange gab ihr den letzten Rest, und hätte Lasse sie nicht im Arm gehalten, wäre sie einfach wie ein nasser Sack nach unten gekippt.
"Hej Mina", sagte er mit rauchiger Stimme, und drückte sie an den Schultern sachte nach hinten. Sie wusste, dass sie ihm antworten sollte, doch war ihr Kopf beinahe komplett leer.
"Hej Lasse. Ich ähm... dieser Zettel, war dann wohl offensichtlich wirklich für mich."
Was für eine dämliche Antwort!
"Natürlich, oder wird hier sonst noch jemand Solskin genannt?"
Das allseits bekannte peinliche Gefühl stieg in ihr auf, und Mina fragte sich, weshalb sie nicht einfach etwas cooles und lässiges hatte sagen können.
"Okay, ein Punkt für heute, den wir befolgen müssen. Kein peinliches Schweigen, keine verlegenen Blicke, und keine Gedanken an das, was bisher war."
So gut es ging, versuchte Mina nun die Peinlichkeit zu unterdrücken, und bekanntlich klappte das am besten mit einem Witz.
"Das sind aber drei Punkte", erwiderte sie, wie sie fand, recht keck, und erhielt ein warmes Lachen von Lasse.
Na wer sagt's denn! Das ging doch!

Nachdem Lasse ihr schließlich die Tasche abgenommen, und sie ohne Umschweife an ihrer Hand genommen hatte, steuerte er gezielt durch die Menschenmassen hindurch, sehr fokussiert und doch darauf bedacht, seine Begleitung nicht im Trubel zu verlieren.
Auch wenn sie ziemlich zügig vorangingen, hatte Mina doch Zeit, sich die weihnachtliche Kulisse genauer anzuschauen. Sogar wenn sie immer wieder eine leichte Übelkeit überkam, so konzentrierte sie sich auf das, was sie umgab, und besonders auf den Mann, der ihre Hand mit der seinen zum Schmelzen brachte. Doch ließ sie der Anblick der beleuchteten Promenade kurz innehalten, und ohne es zu verhindern, drang ein ziemlich schrilles Quietschen aus ihrem Mund, das ihrer Freude über den Anblick nicht einmal annäherungsweise gerecht wurde.
"Es sieht hier einfach jedes Jahr so wundervoll aus", murmelte sie vor sich hin, und blendete um sich herum beinahe alles aus. Dass Lasse mit ihr an der Hand bereits weitergegangen war, bemerkte sie erst nach einigen Metern, so sehr hatte Mina der Anblick abgelenkt. Das Funkeln der Schneeflocken im Schein der vielen Lichterketten, die sich im Wasser wiederspiegelten, ließen ein solches Glücksgefühl durch sie hindurch strömen, dass sie hätte weinen können. Die Faszination über die winterliche Weihnachtskulisse ließ die junge Erzieherin alles um sie herum ausblenden. Schließlich blieb Lasse jedoch stehen, und das genau vor der Anlegestelle.
Auch wenn sie nun genau vor dem Weihnachtsdampfer stehen geblieben waren, konnte es Mina nicht ganz glauben. Die Begeisterung musste Lasse, der sie mit einem liebevollen Lächeln bedachte, sehen können.
"Das hast du nicht wirklich geplant?" Minas Stimme war kaum mehr als ein Krächzen, und überglücklich fiel sie ihm um den Hals. Sie hatte ihm bei ihrer ersten Verabredung im Schlachthaus davon erzählt, dass sie früher immer mit ihren Eltern und ihrer Schwester mit dem Weihnachtsdampfer den Fluss hoch und runter getuckert waren. Jedoch hatte sie das nun schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gemacht. Sehr zu ihrem Missfallen.
Auch wenn sie beide dicke Winterjacken trugen, war es, als würde Mina ihn durch diese spüren. Ihre Haut schien zu glühen, und dass Lasse seine Hand an ihre Wange legte, sorgte nur noch mehr dafür, dass diese ungewohnte Hitze sie verschlang.

~~~

"Wir müssen uns ganz nach vorne setzen. Dann hat man einen freien Blick", erklärte Mina ihrer Begleitung, während sie vor lauter Aufregung schon in einigen Metern Entfernung vorne weg sprang. Das rauchige Lachen, das Lasses Kehle entrang, vernahm sie trotzdem, und schickte umgehend einen Hitzestoß durch ihren Körper.
Konnte dieser Mann auch einmal nicht total umwerfend und anziehend sein?
Aus welchem Grund auch immer, war die vorderste Bank noch nicht belegt, als hätten diese die Weihnachtswichtel nur für sie zwei freigehalten.
"Ohhhh, das ist so wundervoll", quietschte sie erneut, und ließ sich auf die dunkle Bank fallen.
Lasse, der über ihre kindliche Freude nur den Kopf schütteln konnte, gesellte sich ohne Umschweife zu ihr, und vermied es, einen zu großen Abstand zwischen sie zu bringen. Lediglich die Tasche fand zwischen ihnen Platz, und wenn Mina sich nur ein wenig drehte, berührten sich ihrer beider Knie.
"Ist die Aussicht nicht magisch?", flüsterte Mina, beobachtete dabei jedoch Lasse, um zu sehen, ob er sich ebenso freute, wie sie selbst.
Lasse schaute jedoch die rothaarige Frau an, als er mit einem heißeren "ja" antwortete, und sie nicht aus den Augen ließ.
Natürlich war Mina nicht auf den Kopf gefallen, und sie wusste, dass er diese Antwort nicht auf die Aussicht bezog. Doch dass er tatsächlich sie meinen könnte, vermochte sie nicht zu hoffen.
Keiner von beiden sagte etwas, und Mina wagte es auch nicht, die Stille zu durchbrechen. Laut genug war das Boot, dass sich langsam vom Steg entfernte, und sich immer schneller werdend flussaufwärts bewegte.
Erneut durchflutete Mina dieses Gefühl, doch war es dieses Mal gemischt mit einer Übelkeit, die definitiv nichts Gutes zu verheißen hatte.
Einfach ignorieren, dann wird es schon weg gehen, sagte sie immer wieder zu sich selbst, und schloss für einen kurzen Augenblick ihre Augen, um sich wieder zu sammeln. Vielleicht hatte sie ja auch nur Hunger.
"Möchtest du vielleicht etwas essen? Ich weiß ja, dass du ziemlich verfressen sein kannst, also dachte ich mir, ich pack etwas mehr ein als gewünscht."
Erstaunen machte sich in der jungen Frau breit, hätte sie doch selbst nie gedacht, ihm eine solch einigermaßen witzige Frage stellen zu können.
"Okay, das sehe ich jetzt einmal nicht als Beleidigung, und bedanke mich dafür, dass du so gut für mein leibliches Wohl sorgst."
Kichernd öffnete sie die Tasche und beförderte zwei Metalltassen zutage, gefolgt von einer Thermoskanne voll Kinderpunsch, da sie definitiv nicht mehr Alkohol vertrug. Ohne ein Wort zu wechseln, schenkte Lasse den Punsch ein, reichte eine Tasse Mina, und machte sich dann am Rest des Tascheninhaltes zu schaffen.
"Mal sehen... was haben wir denn da", nuschelte er vor sich hin, und hielt eine gelbe Tupperbox hoch.
"Da sind Waffeln drin. Ich habe aber auch noch eine Tupperbox mit Schupfnudeln und Sauerkraut da drin, ist zwar nicht mehr warm, aber ich dachte, du hast nach dem Spiel vielleicht noch Hunger auf etwas Rezentes. Oh, und eine Schokobanane hab ich auch noch eingepackt." Mit jedem Wort wurde Mina etwas leiser, und das obwohl sie recht euphorisch mit ihrer Erklärung begonnen hatte. Irgendwie schien ihr das dann alles aber doch zu durchgedreht, und die Panik, dass Lasse das eventuell irgendwie verrückt finden könnte, verunsicherte sie und ließ sie schließlich schweigend über die Reling blicken.
Mina zuckte zusammen, als sie die kalten Finger von Lasse spürte, die sich zart über ihre Hand gelegt hatten, und so glitt ihr Blick automatisch zurück zu dem Mann neben ihr. Das warme Lächeln, das seine Lippen umspielte, ließ ihr Herz für wenige Sekunden ruhig stehen und es fühlte sich an, als würde die Welt um sie herum nicht mehr existieren. Erst seine Worte holten die Erzieherin ins Hier und Jetzt zurück.
"Mina, du bist echt die beste."
Nur nicht umkippen, ganz ruhig bleiben!
Hätte Mina nicht noch eine funktionierende Gehirnzelle gehabt, hätte sie vermutlich grenzdebil gelacht, als sei sie Candace Flynn, die kurz davor war, ihre Brüder zu verpfeifen.
Doch das wohlige Gefühl, für das Lasse verantwortlich war, wich umgehend der aufkeimenden Übelkeit, die Mina nun nicht mehr verdrängen konnte.
Sofort traten Tränen in ihre Augen, während sie geistesgegenwärtig zur Reling sprintete. Gerade noch rechtzeitig hatte sie es geschafft, als sich auch schon der Alkohol seinen Weg nach oben bahnte, und im Wasser unter ihr landete.
Während sie dort über der Reling hing, merkte sie nicht, dass Lasse ihr sofort hinterher gesprungen war, und ihr die Brille von der Nase gezogen hatte, und ihre Haare nach hinten hielt, um Schlimmeres zu verhindern.
Immer wieder glitt er mit seiner großen Hand über ihren Rücken, um Mina zu beruhigen.
Gefühlt fünf Stunden später und drei Kilo Mageninhalt weniger, schaffte Mina es, sich tief einatmend hinzustellen, und nahm dabei sofort den erleichternden Schmerz, der durch das Wegfallen des Druckes durch das Geländer an ihrem Bauch entstanden war, wahr.
Die Augen fest geschlossen, hoffte sie, dass Lasse mittlerweile einfach verschwunden war.
Ihr seid auf dem Wasser, dachte sie sich, und schlug sich innerlich gegen die Stirn.
Naja, vielleicht war er so angeekelt von dir, dass er nen Köpfer in's Wasser gemacht hat.
"Mina, geht's dir gut?" Seine raue Stimme klang wirklich besorgt, und Mina war sich nicht sicher, ob sie froh darüber sein sollte, dass er tatsächlich noch da war.
"Mmh", summte sie nur, die Lippen fest aufeinander gepresst. Die Angst, dass noch einmal etwas hallo sagen könnte, war einfach zu groß.
Ohne ein Wort von sich zu geben, schnappte Lasse sich die alles andere als glücklich aussehende Frau an ihrem Arm, und zog sie in Richtung des Innenraums des Bootes.
"Was machst du denn, Lasse?", wollte Mina wissen, doch sträubte sie sich nicht, und ahnte bereits, dass er vermutlich die Toilette suchte.
Wenig später öffnete der Tischler die Tür zur Toilette, und schob seine Begleitung vorsichtig hinein. Der schmale Raum bot nicht wirklich Platz für zwei Personen, und während sich Lasse einfach hinter sie quetschte, wünschte sie sich, dass sie aus einem anderen Grund so eng beieinander hinter der verschlossenen Türe stehen würden.
"Tut mir Leid, dass du dieses Kotzspektakel mitbekommen musstest", entschuldigte sich Mina, ehe sie den Wasserhahn aufdrehte, und sich mit der Hand etwas Wasser in den Mund beförderte.
Ohne ihn darum gebeten zu haben, hielt er wieder ihre Haare zurück, ihre Brille hatte er Mina erst gar nicht wieder gegeben.
"Du musst dich doch nicht entschuldigen, Solskin. Ich sehe das als Ehre, du wirst bestimmt nicht jedem Mann deinen Mageninhalt zeigen."
Die Peinlichkeit kroch in ihr hoch, färbte ihr Gesicht und ihr Dekolleté krebsrot, und auch wenn das von Lasse lustig gemeint war, würde sie gerade am liebsten im Boden versinken.
"Weißt du, das ist nur deine Schuld. Ich war so aufgeregt, als ich deinen Zettel gefunden habe, dass mich Lotte über den ganzen Markt von Glühweinstand zu Glühweinstand gezogen hat. Mein Magen verträgt nur leider nicht so viel von dem Zeug. Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen." Während sie Lasse das erzählte, wischte sie sich mit einem Papiertuch die letzten Wasserreste von ihrem Gesicht, und starrte ihrer Begleitung im Spiegelbild unentwegt in die Augen. Das größer werdende Schmunzeln hatte ihr Herz schneller schlagen lassen, und das Funkeln in seinen Augen brachte es zum Schmelzen.
"Das schaffst auch nur du, jemandem auf so charmante Weise die Schuld in die Schuhe zu schieben."
Sein Kommentar ließ Mina kurz auflachen.
"Aber klar, das gehört quasi zu meinem Beruf."
Die Scham über ihren Relingkotzer war wie weggeblasen, und gut gelaunt machten sich die Zwei wieder auf den Weg zu ihrer Bank, in der Hoffnung, das diese nun nicht schon belegt war.
Aber sie hatten Glück.
"Gut, dann versuchen wir es jetzt einfach noch einmal", prostete Lasse seiner Begleitung zu, und stieß mit seiner Metalltasse an die ihre.
Wie konnte es sein, das Mina in genau diesem Moment pures Glück spürte? Und das obwohl ihr zuvor ein solches Missgeschick geschehen war? Sie wollte sich gar keine Gedanken darüber machen, und viel lieber den Augenblick genießen, denn auch Lasse schien das zu tun.
"Erzähl mir Mal noch etwas über dich, das sonst niemand weiß, Mina."
Den intensiven Blick ihres Banknachbarns konnte sie auf ihrem Gesicht spüren, und Mina hoffte, dass sie nicht schon wieder rot wurde.
"Mmmh, okay, lass mich mal überlegen. Ich hab einen furchtbaren Tick. Manchmal muss ich die Buchstaben von Sätzen zählen, und flippe dann fast aus, wenn es nicht aufgeht und es keine gerade Anzahl an Buchstaben ist. Jetzt du."
Aus dem Augenwinkel heraus konnte sie sehen, dass er sich ein Lachen verkneifen musste, und war gespannt, was nun von ihm kam.
"Vor Jahren hat mir Lily einmal die Zehennägel vor einem Spiel lackiert. Die ganze Saison über hatten wir noch kein Spiel gewonnen, bis zu diesem Abend. Der Nagellack war schon fast von allen Nägeln abgeblättert, nur am großen Zeh war er noch komplett drauf. Das Spiel haben wir dann tatsächlich gewonnen. Nenn mich abergläubisch, aber das war unser Glücksbringer, und seitdem habe ich immer einen lackierten großen Zehennagel vor einem Spiel."
Mina konnte es einfach nicht unterdrücken zu lachen. Sie wollte es nicht, denn sie gestand jedem seine Ticks, Macken und Aberglauben zu, aber die Vorstellung, wie Lasse vor einem Spiel mit rosa Nagellack seinen großen Zehennagel lackierte, passte einfach nicht zu dem Bild des taffen Eishockeyspielers.
"Nicht fair, dass du jetzt lachst, junge Dame. Aber ich kann es nachvollziehen und eventuell verzeihe ich dir auch, wenn du mir ein noch peinlicheres Geheimnis über dich erzählst."
Lasse sprach mit einer solch kratzigen und tiefen Stimme, dass ihr sofort ein warmer Schauer über den Rücken gelaufen war, und so nickte sie nur, und überlegte, was es peinliches über sie zu wissen gab.
"Oh man, das ist wohl nur fair", antworte sie heißer, und atmete tief durch, bevor sie sich völlig zum Idioten machte.
"Tatsächlich gibt es bei mir nichts, das deine Nagelgeschichte toppen könnte. Obwohl... ich muss ehrlich sein, eine Sache, von der nur meine Schwester weiß, da wir es gemeinsam anschauen. Ich liebe Bauer sucht Frau."
Der rothaarige Riese neben ihr prustete auf einmal los, so dass sein Punsch, der sich gerade noch in seinem Mund befunden hatte, nun in Minas Gesicht, auf ihrer Jacke und vermutlich auch sonst überall hing.
"Also ich hatte wenigstens den Anstand, zur Reling zu sprinten...", kommentierte sie den ausgearteten Lachanfall ihrer Begleitung, und wischte sich den Punsch aus dem Gesicht.
"Aber ich finde es toll, dass du gleich noch eine peinliche Geschichte zu erzählen hast."
Es dauerte eine Weile, bis sich Lasse wieder beruhigt hatte, und Mina hatte diese Zeit genutzt, um den lachenden und hustenden Mann an ihrer Seite zu betrachten.
Seine Wangen waren rot, was ihm ein sehr jungenhaftes Aussehen verlieh, während es gleichzeitig seine markanten Wangenknochen betonte. Einige rote Locken lugten unter der Mütze hervor, umspielten sein Gesicht, und trieben Mina beinahe dazu, ihm diese wieder unter die Mütze zu streichen.
Es bedurfte einiges an Selbstbeherrschung um genau das nicht zu tun, doch Mina hatte sich an diesem Abend schon genug blamiert. Naja, blamiert konnte sie nicht wirklich behaupten. Bei jedem anderen Mann hätte sie sich definitiv in Grund und Boden geschämt, das stand fest. Doch nicht bei Lasse. Es lag an ihm und seiner Art, dass sie sich zu keinem Zeitpunkt dämlich, tollpatschig oder unbeholfen vorkam. Die Männer, die sie bis jetzt getroffen hatte, hatten sie vor allem eingeschüchtert, und ihr genau dieses schlechte Gefühl vermittelt, bei dem großen Eishockeyspieler war das anders. Und das gefiel ihr. Mina wusste nicht, woher das rührte, doch eins stand fest - in seiner Nähe fühlte sie sich wohl.

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