Kapitel 20
In ihrem Traum war seine Reaktion bei weitem schöner gewesen, doch war das nur ein Traum gewesen. Genau in diesem Moment jedoch stand der Mann ihrer Träume direkt vor ihr. Und irgendwie konnte sie es nicht wirklich glauben. Lasse stand hier, in ihrer Wohnung, und wollte mit Mina reden. Die Frage war nur: über was wollte er zu so später Stunde mit ihr reden?
Da sie das Gefühl hatte, dass das irgendwie etwas längeres werden würde, ging sie an ihm vorbei, jedoch nicht ohne seinen unverkennbaren Duft zu inhalieren, der von ihm ausging. Während er sich seiner Jacke entledigte, unter der er einen dunkelgrauen Strickpullover trug, huschte sie in die Küche um etwas zu trinken zu holen.
"Kannst dich auf das Sofa setzen. Willst du etwas trinken? Tee vielleicht?", fragte sie ihn aus der kleinen Küche, während sie seine Antwort erst gar nicht abwartete, und gleich Wasser aufsetzte. So unauffällig wie möglich linste Mina in das Wohnzimmer, und konnte selbst jetzt noch nicht glauben, dass Lasse auf ihrem Sofa saß. Mit etwas Abstand zu ihrem Teppich, den die Erzieherin zuvor lustlos neben sich geschmissen hatte, wirkte der große Rotschopf nicht wirklich Fehl am Platz. Ganz im Gegenteil. Ihn dort sitzen zu sehen, löste in der jungen Frau den Wunsch aus, ihn in Zukunft immer in ihrer Wohnung zu haben.
Mina, verstrick dich nicht in Wunschvorstellungen.
Noch bevor das Wasser zu Ende gekocht hatte, goss sie einen Ticken zu nervös das Wasser in die Kanne mit den losen Teeblättern, schnappte sich dann die Kanne, ging zu Lasse und holte noch schnell eine zweite Tasse für ihn.
Sie trennte kaum ein halber Meter, und die Hitze, die von ihm ausging, konnte sie deutlich spüren. Irgendwie wirkte er verkrampft, saß kerzengerade auf dem Sofa, seine Hände auf seinem Schoß abgelegt.
"Danke", war seine kurze Antwort, als sie sich gesetzt hatte. Er schien viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt zu sein.
Hätte eine dritte Person die beiden so sitzen sehen, hätte es gewirkt, als würden zwei fremde Personen auf einer Bank auf den Bus warten, niemals hätte man erahnt, was tatsächlich in Mina und Lasse vorging.
Da Lasse nach einigen Minuten immer noch nichts gesagt hatte, wurde nun auch Mina nervöser, und ihre Hände vor Aufregung verschwitzt. Gerade als sie nach der Teekanne greifen wollte, um etwas in die zwei Tassen zu füllen, hatte sich Lasses Hand um den Griff der Kanne gelegt, und ihre Finger hatten kurz seine warme Haut berührt. Ein Blitz hatte zuerst ihre Finger, dann ihren Arm und schließlich den Rest ihres Körpers durchfahren. Ihr Herz pumpte wie verrückt, und ihr Gesicht schien zu glühen. Ihre Augen waren starr auf die Teekanne gerichtet, wollte Mina doch nicht wissen, wie der Mann neben ihr sie gerade anschaute.
"Lass mich das machen, dein Arm…", räusperte sich Lasse, dem es offensichtlich nicht die Sprache verschlagen hatte.
Sie ließ ihn machen, und nahm schließlich dankend die Tasse, die er ihr reichte. Mit reichlich Abstand setzte sie sich ans andere Ende ihres Sofas, und pustete, den Blick auf Lasse gerichtet, vorsichtig in ihren Tee.
Auch der Hockeyspieler nippte an seinem Tee, ihm schien die Hitze nichts auszumachen. Eine Weile saßen die beiden einfach nur da, und vermieden es gekonnt auch nur ein Wort miteinander zu wechseln.
Doch Mina wäre nicht Mina, wenn ihre Neugier sie nicht in die unangenehmsten Situationen bringen würde, und so konnte sie sich nun eine Frage nicht verkneifen.
"Lasse… über was möchtest du mit mir reden? Jetzt? Um diese Uhrzeit?"
Okay, Mina das war vielleicht etwas zu forsch.
In seinem Kopf ratterte es, das konnte sie an seinem Gesichtsausdruck sehen. Verbissen presste er seine Lippen aufeinander, während seine sonst so glatte Stirn nun tiefe Falten zierten.
Ach Mina, du weißt wieso er da ist. Er hat Panik, dass du etwas für ihn empfindest, und möchte klarstellen,dass da nicht mehr als Freundschaft ist.
Am liebsten hätte die junge Frau ihrer inneren Stimme den Hals umgedreht. Denn da sprach immer noch das unsichere 15-jährige Mädchen, dass nicht damit rechnete, dass auch nur ein Junge sie toll finden könnte.
Du denkst es dir nur schön. Wenn er dich so mögen würde, wie du ihn, dann hätte er nach dem Kuss etwas gesagt.
"Also, ich… du… wir, ach scheiße, was ich sagen will, ich finde…" stotterte der Mann vor sich hin, und Mina konnte nur ungläubig daneben sitzen. In diesen Sekunden war es ihr abwechselnd heiß und kalt den Rücken runtergelaufen, und die folgenden Worte verließen ihren Mund aus reiner Panik.
"... Ich mag es mit dir befreundet zu sein."
Heilige Scheiße, hast du sie noch alle?
Was soll das denn für ein Satz sein.
Innerlich erwürgte sie sich gerade selbst, doch Mina hatte Angst, dass er sich komplett von ihr abwenden könnte, und hoffte nun, dass er sie wenigstens als Freundin schätzte.
Ihren Blick hatte sie, feige wie sie war, auf ihre Hände gerichtete, und als nun nichts von Lasse kam, wagte sie, ihn doch anzuschauen. Doch wusste sie augenblicklich, dass ihm irgendetwas ganz und gar nicht passte. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst, und seine Augen wirkten mit einem Mal leer und matt.
"Lasse? Ich… alles gut?"
War er jetzt sauer auf sie? Wollte er nicht mit ihr befreundet sein?
Langsam begann er mit seinem Kopf zu nicken, und er atmete gepresst aus.
"Ich meine, ich verbringe gerne Zeit mit dir…", versuchte sie zu retten, was noch zu retten ging, jedoch schüttelte der Rotschopf seinen Kopf.
"Mina, sei einfach mal kurz still!" Seine Stimme klang mehr als bedrohlich und forsch, und augenblicklich schlich sich eine Gänsehaut über ihren ganzen Körper.
Wie unter Strom sprang er von ihrem Sofa auf und fuhr sich über sein Gesicht.
"Verdammt, denkst du, ich komme um diese Uhrzeit zu dir, um dir zu sagen, dass ich gerne mit dir befreundet bin? Ehrlich? Denkst du nicht, ich hätte dir etwas weit wichtigeres zu sagen als das?"
Etwas wichtigeres? Dann ging es gar nicht um sie zwei?
Mittlerweile wusste sie schon nicht mehr, wo oben geschweige denn unten war, seine momentane Stimmung sorgte für ein absolutes Durcheinander in ihrem Kopf, und die Verzweiflung machte sich in ihr breit.
Lasse war in der Zwischenzeit stehen geblieben, und hatte seinen Blick einzig und allein auf die rothaarige Frau vor sich gerichtet. Diese Situation lastete auf Mina, wie die Welt auf Atlas' Schultern, und für einen kurzen Augenblick, hätte sie sich am liebsten unsichtbar gemacht.
Aber weshalb überhaupt? Weshalb rastete Lasse so aus, und konnte nicht anständig mit ihr reden?
Neuer Mut strömte durch ihre Adern, ehe sich die junge Frau ebenfalls erhob, und mit breitem Kreuz auf den Hockeyspieler zu schritt.
"Was denkst du dir eigentlich? Was hab ich falsch gemacht, dass es dir erlauben würde, so mit mir zu reden?" Spie sie ihm ins Gesicht, und platzierte ihren Zeigefinger auf seiner Brust, um ihn nach hinten zu drücken.
"Das einzige, was ich dir indirekt gesagt habe, ist, dass ich dich mag, aber du schreist mich einfach an."
Mit jedem Wort hatte sie ihren Finger fester in Lasses Oberkörper gebohrt, und hatte ihn somit immer weiter nach hinten gedrängt, bis er schließlich gegen die Wand prallte und nicht mehr weiter konnte.
Dann war es einfach nur still, und bis auf das hektische Atmen der beiden war nichts mehr zu hören.
Die Wut, die zuvor noch in den Augen ihres Gegenübers gelodert hatte, war verschwunden, und an dessen Stelle war die Sanftheit zurückgekehrt, die Mina so sehr mochte. Alleine ein Blick in seine unendlich tiefen blauen Augen ließ sie wieder ruhig werden. Gerade als sie ihre Hand wieder sinken lassen wollte, legte sich eine große, raue Hand um die ihre, und als wüsste sie nicht, dass dies Lasses Finger auf ihrer Haut waren, schaute sie auf ihre Hand, die er mit der seinen verschlungen hatte.
"Mina, ich weiß nicht, ob ich dir jetzt mit den Worten vor den Kopf stoße, aber ich will nicht mit dir befreundet sein."
"Oh", war alles was sie daraufhin noch antworten konnte. Und ihr wurde kotzübel. Sie hatte es gewusst. Er mochte sie nicht. Bestimmt hatte er sich in diese Jen verknallt. Sie spürte bereits, wie ihr Hals anschwoll, als sie versuchte, die aufkommenden Schluchzer zu unterdrücken, und ihre Sicht trübte sich bereits durch die Tränen, die sich nun in ihren Augenwinkeln ansammelten.
Lasse stand nur wenige Zentimeter vor ihr, sie berührte ihn nicht, und dennoch war er so präsent, dass sie ihn mit jeder ihrer Fasern spüren konnte. Und das schmerzte. Mina hatte sofort das Bild von Lasse und einer anderen Frau vor Augen, wie sie zusammen Hand in Hand über den Weihnachtsmarkt schlenderten, wie er sie nach einem seiner Spiele an der Bande küsste, wie sie gemeinsam mit seinem Hund Gassi ging.
Aber ich will doch mit ihm Gassi gehen!
"Was, Mina?"
Erschrocken legte sie ihren Kopf in den Nacken, um Lasses Gesicht in Augenschein zu nehmen. Hatte sie ihre Gedanken gerade etwas laut ausgesprochen?
Bevor sie ihn jedoch darauf hätte ansprechen können, hatte er sich an ihr vorbei gezwängt, drehte sich an ihrer Haustür noch einmal um mit den Worten "nicht von der Stelle bewegen" , und als hätten seine Worte einen Bann über sie gelegt, war sie zur Statue geworden, und starrte auf den dunklen Flur.
Im Schnelldurchlauf ließ Mina die letzten Minuten in ihrem Kopf Revue passieren, um mögliche Hinweisen für den Grund von Lasses Besuch hier zu finden.
Erstens: Er war hier her gekommen um mit ihr über etwas wichtiges zu reden. Zweitens: Er war wütend, weil sie ihm gesagt hatte, dass sie gern mit ihm befreundet war. Und drittens: Er gestand ihr, dass er nicht mit ihr befreundet sein wollte.
Dann konnte sie sich jetzt doch getrost in einen Sarg legen, und sich eine weitere Abfuhr von ihm ersparen.
Keine Minute später hörte sie aus dem Treppenhaus ein aufgeregtes Schnauben, das nicht zu Lasse gehörte, und wenn sie raten müsste, würde sie sagen, es handle sich dabei um seinen Hund.
Das Kratzen von Krallen über den Holzboden bestätigte schließlich ihre Annahme, und als Lasse schließlich mit Rocco an der Leine vor ihr stand, war der süße Stafford schon fast am durchdrehen.
"Ja hallo Rocco", zwitschert Mina, und ein Lächeln machte sich dabei auf Lasses Gesicht breit.
"Ich hoffe, es ist in Ordnung wenn Rocco hier ist?"
Bei seinem Namen begann der Staffi wie wild mit dem Schwanz zu wackeln, und Mina konnte nicht anders, und kniete sich vor den schönen Hund, um ihn zu kraulen.
"Du bist ein süßer, ja! So ein feiner…natürlich ist das in Ordnung", brabbelte der Rotschopf vor sich hin, und wurde umgehend von Rocco abgeschlabbert - schön über ihr Gesicht. Doch das störte sie nicht. Sie liebte Tiere, und diese Freude, die Tiere so herzlich zeigten, zu sehen, ließ Minas Herz dahinschmelzen.
Nachdem Rocco die Erzieherin halb aufgeleckt hatte, musste sie sich erst einmal im Bad das Gesicht abwaschen, bevor Mina eine Schüssel voll Wasser in die Küche stellte, über die Rocco gleich her fiel.
Der Hund hatte die junge Frau mal wieder so entzückt, dass sie völlig seinen Besitzer vergessen hatte, der auf einmal hinter ihr in der Küche stand, und sie fröhlich anstrahlte.
Im Gegensatz zu der Stimmung, die noch wenige Minuten zuvor ihr Gemüt bedrückt hatte, spürte Mina gerade einfach nur Glück. Das lag nicht nur an Rocco, nein. Die Art, wie Lasse sie anschaute, brachte ihr Herz zum Stolpern.
"Ich mag dich nämlich etwas mehr, als man eine stinknormale Freundin mögen sollte."
Warte was?
Sofort war sie wieder ganz Ohr, und konnte die Worte, die sie gerade vernommen hatte, nicht wirklich glauben.
"Einfach um sicher zu gehen, dass ich mich gerade nicht verhört habe… was hast du gerade gesagt?"
Der Hockeyspieler schmunzelte, und schüttelte den Kopf.
"Das ist meine Antwort auf die Frage von Samstag Abend. Aber ich zeig dir lieber, was ich gerade damit gemeint habe."
Ohne auf ihre Reaktion abzuwarten, hatte er den Abstand zwischen Mina und sich verringert, und war so nah an sie herangetreten, dass kein Blatt mehr zwischen sie passte. Innerhalb von wenigen Sekunden, hatte er seine Hände von ihren Schultern hinter zu ihrer Taille gleiten lassen, und sie noch ein Stück näher gezogen. Diese wenigen Sekunden, kamen Mina jedoch vor wie eine Ewigkeit. Seine Hände, die ihren Körper berührten, schickten Stromstöße durch all ihre Gliedmaßen, und ließen ihr Herz so schnell schlagen, dass sie befürchtete, gleich in Ohnmacht zu fallen. Einen klaren Gedanken konnte sie nicht fassen, zu sehr hatten seine blauen Augen sie in einen Bann gezogen, und sie hypnotisiert, während sein holziger Geruch ihr den letzten Rest gab, und Mina in ein anderes Universum beförderte.
Von ihr kam kein Widerwort, sie wusste, was Lasse im Begriff war zu tun, und sie würde jeden töten, der ihn davon abhalten würde, seine Lippen endlich wieder mit den ihren zu vereinen.
"Lasse", hauchte Mina kaum hörbar, was dem Rothaarigen endlich den letzten Ruck gab.
Der Kuss war unbeschreiblich, nie hatte sie so etwas gespürt, in ihr tobten alle Gefühle auf einmal, und sie wusste nicht, welches obsiegen würde. Seine Lippen waren so weich, wie sie es in Erinnerung hatte, und er schmeckte nach Vanille und… einfach nach Lasse. Es war noch viel besser als in ihrem Traum. Und übertraf sogar noch ihren ersten Kuss mit ihm. Jegliche Schüchternheit erstickte Lasse mit seinen Lippen, die sich gierig auf ihren bewegten, seine großen Hände griffen fester in ihre Fleisch auf den Rippen, über das sie das erste Mal in ihrem Leben froh war. Ein Keuchen drang aus seinem Mund, und dürstend nach mehr wanderten seine Hände unter ihren viel zu weiten, schwarzen Pulli, und landeten an ihrer Hüfte, nur um sich dort in ihr Hüftgold zu graben.
Heilige Scheiße, fühlte sich das gut an!
Wie eine Ertrinkende klammerte sich Mina an ihn, so gut es mit ihrem Gips ging, sie hoffte nur, dass sie Lasse mit diesem Teil nicht aus Versehen verletzte.
Wenigstens hatte sie noch ihre rechte Hand, die sie in seinen Nacken legen konnte. Seine warme Haut unter ihren Fingern zu spüren, versetzte nicht nur ihr Stromstöße, denn Mina konnte fühlen, wie ihre kreisenden Bewegungen in seinem Nacken ihm genau dort eine Gänsehaut bescherten.
Dieser Mann bringt dich noch um.
Ein erschreckter Laut drang aus ihrer Kehle, als sie fühlte, wie Lasse mit seiner Zunge hauchzart über ihre Unterlippe fuhr. Ihr Objekt der Begierde hielt inne, und Mina hatte Angst, dass er sich nun von ihr lösen würde. Um ihm zu zeigen, dass er nicht zögern musste, drängte sie sich ihm noch mehr entgegen, zog ihn an seinem Hinterkopf noch näher zu sich, und drang mit ihrer Zunge in seinen Mund, was sie beide aufkeuchen ließ.
Sie beide atmeten synchron ungleichmäßig, und Mina hätte das Atmen auch komplett aufgegeben, nur um Lasse noch mehr wahrzunehmen. Ihre Sinne waren völlig überfordert, sie spürte diesen Mann überall und gleichzeitig hatte sie das Gefühl, dass es trotzdem nicht ausreichte.
Mina, zügel dich! Du bist zu gierig!
Auf die Stimme in ihrem Kopf hörte sie gar nicht, wollte sie doch nur eines: dass dieser Kuss nie aufhören würde.
Doch als würde ihr Unterbewusstsein nicht wollen, dass sie glücklich war, hatte sie auf einmal Cal im Kopf.
Weshalb um alles in der Welt musste sie jetzt an ihn denken?
Lasse übersäte mittlerweile ihren Hals mit zarten Küssen, und hinterließ überall auf ihrer Haut ein Kribbeln, das Mina bis in die hintersten Winkel spürte. Aber Cal wollte einfach nicht aus ihrem Kopf.
"Mina? Alles in Ordnung?" Lasses Stimme war rau vor Lust, und selbst diese vier Worte verwandelten ihre Beine in Wackelpuddingstelzen. Bei dem Klang ihres Namens aus seinem Mund zog sich in ihr vor lauter Glück alles zusammen.
Aber sie war ihm trotzdem eine Antwort schuldig.
"Ja, ich… nein. Oh man ich weiß es nicht!"
Ein eiskalter Schauer überfiel sie, als sie es wagte, ihm in die Augen zu schauen. Sein Blick nahm sie gefangen, und in Kombination mit seinen Fingern, die langsam über die nackte Haut an ihrer Hüfte strichen, war das der Tod all ihrer Gehirnzellen.
Würde sie jetzt auch nur ein Wort über Cal verlieren, war sie sich sicher, dass Lasse auf der Stelle aus ihrer Wohnung verschwinden würde. Und würde sie ihm nichts erzählen, könnte sie sich selbst nicht mehr im Spiegel ansehen.
"Ich muss dir was sagen."
Mit zusammengezogenen Augenbrauen, die Stirn in Falten gelegt, ließ er ihren Blick nicht los, und Mina hatte das Gefühl, dass er in ihren Augen nach einer Antwort suchte, auf eine Frage, die er noch gar nicht ausgesprochen hatte.
"Ich finde, du solltest wissen, dass es… also da ist noch ein anderer Mann. Du kennst ihn auch."
"Stevenson." Wie er den Namen aussprach, klang es nicht wie eine Frage, sondern eine Feststellung. Sie nickte.
Kaum merklich hatte sich sein Blick verdunkelt, und Mina konnte erkennen, dass seine Kiefermuskeln ziemlich angespannt waren. Auch wenn seine Augen noch immer auf ihr lagen, hatte sie das Gefühl, dass er geradezu durch sie hindurch schaute. Nur ganz langsam lösten sich seine Finger von ihrer Haut, und augenblicklich drang Kälte an die Stellen, die er zuvor noch berührt hatte.
"Bevor du jetzt irgendetwas falsches denkst, muss ich klarstellen, dass ich hier keinesfalls zweigleisig fahre. Und das hab ich auch nicht vor. Aber, ich weiß auch nicht… ich bin gerade einfach überfordert."
Völlig ausgelaugt ließ nun auch die junge Frau von ihren Gefühlen überwältigt ihren gesunden Arm sinken, und riss ihre Augen von Lasse's Gesicht los, das mittlerweile ihren eigenen Schmerz widerspiegelte.
Mina wollte Lasse nicht verletzen, sie mochte ihn schon viel zu sehr. Doch irgendwie war da auch etwas, dass sie an Cal faszinierte, und das verwirrte sie nur umso mehr.
Aber das konnte sie ihrem Gegenüber nicht sagen.
"Was hat dir dieser Kuss gerade bedeutet, Mina?"
Entgegen ihrer Erwartung klang Lasse kein bisschen verärgert, im Gegenteil. Irgendwie schien er fast verständnisvoll.
Na siehst du, er mag dich eben doch nicht. Der Kuss war eine reine Panikreaktion. Mehr nicht!
"Ganz ehrlich? Ich fühl' mich noch immer, als würde ich schweben."
Ihr Füße waren mit einem Mal so unglaublich spannend. Sie wollte Lasse nicht ansehen müssen, wenn er ihr sagte, dass der Kuss für ihn keine Bedeutung hatte.
"Gut, das reicht mir als Antwort."
Hä? Wie jetzt?
Seine Stimme war so warm und voller Zuneigung, dass die Rothaarige gar nicht wusste, was sie nun davon halten sollte. Das alles warf nur noch mehr Fragen in den Raum, auf die sie einfach keine Antworten hatte.
"Lasse, ich will nicht, dass du denkst, ich sei nur auf ein wenig Spaß aus, wirklich - das bin ich nicht. Ich bin nur verwirrt, und nicht so ganz im Klaren darüber, was das zwischen mir und ihm beziehungsweise zwischen uns beiden ist. Ich möchte nichts überstürzen, und um ehrlich zu sein, kenne ich noch keinen von euch so gut, dass ich mir jetzt schon über irgendetwas Gedanken machen könnte."
Sie hatte einfach darauf zu geplappert, und sich dabei vermutlich zum totalen Horst gemacht. Aber der Blick, den ihr Lasse schenkte, erstickte sofort alle Zweifel im Keim.
"Auch wenn ich das Gefühl habe, dich schon ewig zu kennen, Mina, will ich mich dir nicht aufdrängen. Wir lernen uns kennen, dafür sorge ich." Hoffnung sprach aus ihm, mit einem Mal, wurde Mina bewusst, dass sie die einzige war, die nicht wusste, was sie wollte.
"Ich denke, ich gehe jetzt, Mina. Rocco, komm."
Nur langsam kam Rocco zu Lasse gewakelt, der bereits mit seiner Jacke in der Hand an der Tür stand, und einen letzten Blick auf Mina warf.
"Gute Nacht, Lasse," kam kaum hörbar von der jungen Frau, die noch sehen konnte, wie sich ein Lächeln auf seine Lippen schlich.
"Godt nat, solskin."
Und dann waren der rothaarige Däne und sein Hund verschwunden.
Doch sein letztes Wort hatte sie dieses Mal klar und deutlich verstanden. Lasse nannte sie Sonnenschein.
Du bist ihm restlos ausgeliefert, meine Liebe.
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