9. Lügen und falsche Hoffnungen
Hey!
Ich melde mich kurz vor Weihnachten mit dem 9. Kapitel :3. Ich würde gerne nämlich auch noch Kapitel 10 hochladen, bevor das nächste Q&A auf Instagram los geht. Ab da wird die Story nämlich interessanter :D.
Jedenfalls wünsche ich allen schon einmal frohe Weihnachten! Trotz mangelnder Weihnachtsstimmung hoffe ich sehr, dass ihr die Feiertage irgendwie genießen könnt. Außerdem hoffe ich, dass ihr wenigstens schöne Geschenke bekommt :'D.
Das war's von mir.
Viel Spaß beim Lesen!
.
»Fünf Minuten Pause«, teilte ich den Schülern, die in ihren Kampfanzügen vor mir geordnet in einer Reihe standen und erschöpft laut atmeten, mit.
Drei von ihnen waren ziemlich durchgeknallte, hyperaktive Oberschüler, die jedoch überrascht diszipliniert waren und auf mich hörten, während die anderen zwei sehr ernste Mittelschüler waren, bei denen man sofort bemerkte, dass sie streng erzogen wurden. Erleichtert atmeten sie aus und liefen sofort zum Rand der Trainingshalle, um aus ihren Flaschen zu trinken, was ich ihnen gleich machte. Raiko saß dort auf einer Bank und machte den Eindruck, den sie immer machte; sie wollte irgendwo anders sein, nur nicht hier.
»Du bist dran«, sagte ich seufzend und setzte mich. Ich brauchte dringend ein Bad. Nach dem Training in der Schule, dem anschließenden Zusatztraining und jetzt dem Training hier, schmerzte mein Körper so sehr, dass ich jeden einzelnen meiner Muskeln mehr als präsent spüren konnte.
»Das weiß ich doch«, fuhr mich Raiko genervt an. »Gott, ist das ätzend. Erst die Schule, dann musste ich mit meiner Klasse für das Basketballtunier trainieren und jetzt das.«
Weniger als ich, Sweetheart, dachte ich. Doch ich antwortete ihr nicht, sondern nickte nur. Meine Kommentare sollte ich für mich behalten.
»Wenn Dad unbedingt diesen Job braucht, dann soll er doch selbst unterrichten, statt uns vorzuschicken«, regte sie sich auf.
Früher hatte ich tatsächlich gern ausgeholfen. Meine Fähigkeiten reichten nur für das Anfängertraining, aber es hatte Spaß gemacht. Doch wenn daraus eine Verpflichtung gemacht wurde, während man noch sein eigenes Leben hatte, das drunter und drüber ging, war es lästig.
Meine Hausaufgaben hatte ich immer noch nicht gemacht. Ich hatte leider kaum Zeit für mich selbst.
»Die gehen mir momentan sowieso absolut auf die Nerven.« Raiko seufzte. »Wie soll ich das noch die nächsten Jahre mit denen aushalten?«
Ich verzog das Gesicht minimal. Ich würde es können...
»Sie sind einfach nur gestresst«, sagte ich nun.
Sie verdrehte ihre Augen. »Das glaubst du doch wohl selber nicht, Prinzesschen.«
Ich würde sie gern beschwichtigen, aber leider konnte ich es nicht und es würde bei ihr sowieso nichts bringen. Sie würde sich nur noch mehr aufregen. Meist wurde sie auch auf die Person, die sie aufmunterte wütend. Das hatte ich bereits einige Male zu spüren bekommen.
»Ich geh dann. Viel Glück noch«, sagte ich und erntete dafür nur ein Schnauben.
Die älteren Oberschüler wiederum lächelten mich noch an und winkten mir zum Abschied, so wie sie es immer machten, während die Jüngeren sich bereits aufgestellt hatten und so aussahen, als wären sie bereit für ihre nächste Killermission. Koro-Sensei würde sie defintiv mögen...
Um ins Haus zu gelangen, musste ich nur aus dem Dojo heraus und durch den Garten laufen. Dort angekommen, ging ich erst einmal auf mein Zimmer und kramte mir einen Schlafanzug sowie saubere Unterwäsche heraus. Mein heißes Bad hatte ich mir verdient und es würde meinen schmerzenden Muskeln gut tun. Dann schnappte ich mir meinen Bademantel, mein Handy und das Buch, das wir lesen sollten, lief auf den Flur und wollte ins Bad tapsen, hielt jedoch inne. Wasser... Da kam Wasser unter der Tür hindurch, wenn auch nur sehr wenig. Das hieß nur eins.
Genervt stöhnte ich auf und öffnete die Tür. Sofort spritzte mir Ai Wasser entgegen, weshalb ich mich mächtig zusammenreißen musste, um ruhig zu bleiben. Ihre Mutter hatte ihr scheinbar schon wieder ein Bad eingelassen. Normalerweise wusste sie jedoch, dass Ai die Chance nutzte und das Wasser sofort aufdrehte sowie noch mehr Badeschaum benutzte, sobald sie allein war, um anschließend Wasserbändigerin zu spielen und damit das komplette Bad unter Wasser setzte.
»Ai, du weißt, dass du das nicht darfst«, sagte ich und schloss den Wasserhahn schnell, nachdem ich meine Sachen auf dem Flur in Sicherheit gebracht hatte.
Ai stand in der komplett befüllten Badewanne, die bereits übergelaufen war und lachte. »Aber ich bin eine Meerjungfrau!«
Scheinbar hatte sie ihre Wasserbändigerkarriere heute an den Nagel gehangen.
»Meerjungfrauen verschwenden aber kein Wasser«, sagte ich.
»Glaubst du, ich könnte den ganzen Raum mit Wasser füllen?«, fragte sie mich mit großen Augen.
»Nein, das wird nicht gehen und das darfst du auch nicht.« Ich seufzte und fuhr mir durch mein Haar, das durch den Schweiß der heutigen Aktivitäten leicht sowie unangenehm klebte. »Wenn du unbedingt sehr viel Wasser haben willst, dann kannst du in unserem Pool im Garten schwimmen. Aber das Badezimmer bleibt ein Badezimmer. Verstanden?«
»Mama sagt, ich darf das Wasser einlaufen lassen«, sagte Ai trotzig, ließ ihre Hände wieder unter Wasser verschwinden und spritzte mir die nächste Ladung entgegen, das sich erneut auf den Boden verteilte.
»Einlaufen lassen, Ai. Aber nicht überlaufen. Das Wasser muss in der Badewanne bleiben.«
»Nö, du Blödie!«
»Wenn du dich weiterhin so verhälst, dann ist dein Bad gleich beendet«, sagte ich drohend.
»Das hast nicht du zu entscheiden, Naomi«, sagte die Stimme meiner Tante hinter mir, die sich scheinbar daran erinnert hatte, dass ihre kleine Tochter allein ein Bad nahm.
Ich drehte mich zu ihr um und begegnete ihren strengen Blick, der ganz klar mir galt. Das meinte sie nicht wirklich ernst, oder?
»Sieh dir an, was sie schon wieder mit unserem Badezimmer gemacht hat«, sagte ich.
»Sie hat eben ein wenig Spaß. Was ist dabei? Sie ist noch ein Kind.«
Ich konnte es mir nicht verkneifen. Daran war ihr Blick schuld, er hatte mich zu sehr provoziert.
»Ein Kind ohne Manieren, oder nicht?«, sagte ich und trat wieder auf den Flur, da Ai lachend angefangen hatte das Wasser aus der Wanne heraus zu befördern, während sie mir zufrieden die Zunge rausstreckte.
Ich bemerkte, wie meine Tante erstarrte. Jetzt hatte ich vermutlich noch mehr Minuspunkte gesammelt, aber das war mir seltsamerweise dieses Mal egal. Ich hob einfach meine Sachen auf und ging in unser anderes Badezimmer. Meine Pflegeprodukte hatte ich eigentlich in dem direkt neben meinem Zimmer, aber vielleicht sollte ich sie in dieses befördern. Ai schien nämlich ziemlich gern in eben diesem zu baden und normalerweise verhinderte ihre Mutter dieses Chaos halbwegs oder machte sich zumindest sofort daran, es zu beseitigen. Ab jetzt schien es nicht mehr so zu sein. Ob sie sich nur so verhielt, weil sie sauer über den Vorfall war und weil mein Vater sie daran erinnert hatte, dass er ihr Leben bestimmte, wenn sie in diesem Luxus weiter leben wollten? Sie war eigentlich schon immer sehr sensibel gewesen, wenn es um Kritik ging. Einmal hatte sie sich zwei Stunden lang darüber aufgeregt, dass ihre Freundinnen gemeint hatten, ihr Zitronenkuchen würde nicht so gut schmecken. Sie war drauf und dran gewesen, sich nie wieder mit ihnen zu treffen. Dann hatte sich herausgestellt, dass Ai in einem unbeobachteten Moment mehr Zucker hineinkippen wollte und stattdessen das Salz erwischt hatte. Ihre Mutter war darüber jedoch nicht sauer gewesen, nein, sie hatte schon fast erleichtert reagiert, als sie anschließend alle drei nacheinander angerufen und ihnen erzählt hatte, was für ein Fehler unterlaufen und das es eben somit nicht ihrer gewesen wäre. Sie hatte darüber ziemlich gelacht. Die Tatsache, dass die Kritik nicht ihr galt, hatte sie viel zu sehr erleichtert.
Seufzend stieg ich in die gefüllte, dampfende Wanne und atmete erleichtert aus, als meine schmerzenden Muskeln sich entspannten. Das fühlte sich viel zu gut an. Ich schloss die Augen und lehnte meinen Kopf nach hinten, um diesen kurzen Moment der Ruhe zu genießen.
Vielleicht war meine Tante deshalb sauer... Vielleicht wollte sie nicht einsehen, dass es eigentlich ihr Fehler im Restaurant gewesen war.
.
»Ich hab schon viele verletzte Handgelenke gesehen, aber deins... das kam defintiv nicht von einem Sportunfall, es sei denn, du hast dich irgendwie mehrmals verrenkt und... Ich hab gerade Gedanken, die ich nicht haben sollte«, stoppte Kenta sich selbst, nachdem er mein Handgelenk wieder verbunden hatte.
Nach meinem Bad, hatte ich es selbst versucht, und war kläglich daran gescheitert. Und um jemanden in meiner Familie darum zu bitten, war ich viel zu stolz gewesen. Also hatte ich einfach bis zu meinem Termin gewartet, da ich sowieso ein paar Stunden dort herum sitzen musste, während die Maschine ihre Arbeit verrichtete.
»Kann ich damit Basketball spielen, ja oder nein?«, wiederholte ich meine Frage ungeduldig.
»Nein, defintiv nicht. Du musst es schonen«, sagte er und wurde auf einmal der strenge Krankenpfleger, der er eben wurde, wenn er die Vermutung hatte, dass jemand sich nicht an seine Anweisungen halten würde. »Wenn du es nicht tust, werden sich die Komplikationen defintiv verlängern und du wirst noch länger langsamer schreiben. Sind nicht bald eure Prüfungen?«
Ich zuckte zusammen. Das wirkte. Er kannte mich wahrscheinlich besser als irgendjemand anderes. Das war schon fast ernüchternd.
»Ich hatte Hoffnungen«, seufzte ich.
»Ich zerstöre gerne Hoffnungen«, meinte Kenta. »Jedenfalls meinte das eine Ex-Freundin von mir.«
»Welche genau?«
»Nummer acht.«
»Oh«, machte ich. »Die, die einen Heiratsantrag erwartet hat.«
»Ganz genau. Frauen, pff.«
»Es ist doch ziemlich romantisch, wenn sich zwei Herzen dazu entscheiden für immer und ewig zusammen zu sein, bis, dass der Tod sie scheidet.«
»Das klang sehr viel sarkastischer als notwendig.«
»Das kann man mir schlecht verübeln, oder?«, sagte ich und grinste leicht.
Kenta lächelte. Deutlich aufrichtiger als ich. »Ich schätze, der Typ macht dir immer noch Probleme, aber, du schaffst es, Naoko.« Er sah kurz auf sein Klemmbrett. »Und deine Werte sind übrigens ziemlich gut. Das könnte die Liebe sein.«
»Ich stehe seit über einem Jahr auf ihn. Diese Liebe bringt mir nichts.«
»Wow... du liebst ihn länger als irgendeine meiner Ex-Freundinnen mich geliebt hat. Das ist... irgendwie schon traurig... Jetzt sehne ich mich nach Liebe... Lust heute Abend etwas mit mir zu unternehmen?«
Ich kannte auch ihn lange genug, um zu wissen, wann er etwas sarkastisch meinte, doch diese Frage schien ein Mix aus spielerisch und ehrlich zu sein. Skeptisch runzelte ich meine Stirn, bevor ich den Kopf leicht schief legte.
»Darfst du mit deinen Patienten ausgehen?«, fragte ich.
Kenta presste die Lippen zusammen. »Vermutlich nicht.«
»Und du wirst bald einundzwanzig?«
»Jep.«
»Damit wäre unsere Beziehung illegal.«
»Nicht, wenn ich dich heirate, sobald du sechzehn bist.«
»Kenta...«
»Naoko, ein einfaches Kein-Interesse reicht. Du musst meine Einladung nicht mit Logik bekämpfen.« Er seufzte dramatisch frustriert. »Und ich hatte die Hoffnung, dass meine nächste Ex-Freundin wenigstens normal ist und einen guten Charakter hat.«
Ich schüttelte belustigt den Kopf. Wäre mein Leben nicht so kompliziert, dann... hätte ich vielleicht sogar ernsthaft darüber nachgedacht. Aber dann wären meine Umstände auch anders... Dennoch war er ein super Kerl... Mit sehr viel Unglück in der Liebe. Hey, wir hatten etwas gemeinsam. Nur mein Unglück trug leider den Namen Karma Akabane.
.
[21:03] Nakamura: Wie lief euer Koro-Training?
[21:09] Sugino: Kurotastisch.
[21:10] Muramatsu: Ihr werdet euch blamieren
[21:11] Karma: Feiglinge haben nichts zu melden
[21:11] Fuwa: Habt ihr irgendwelche guten Animeempfehlungen? Mir ist langweilig T_T.
[21:12] Isogai: Wir schaffen das, Leute. Seid optimistischer
[21:12] Kurahashi: Genau!
[21:15] Sugaya: Koro-Sensei ist mir viel zu optimistisch.
[21:16] Okajima: Wie war euer Basketballtraining?
[21:17] Nakamura: Sei nicht so creepy, Okajima.
[21:18] Isogai: Habt ihr heute trainiert?
[21:18] Kataoka: Ja.
[21:19] Kataoka: Es war ziemlich anstrengend, aber wir sind nicht schlecht. Wir könnten gute Chancen haben
[21:20] Okajima: WIESO ANTWORTET IHR ISOGAI
[21:22] Nakamura: Weil er im Gegensatz zu dir nicht creepy ist.
[21:23] Kayano: Naoko, warst du heute beim Arzt? Hat er dir gesagt, ob du mitspielen kannst?
Ich setzte mich mit einem Mal auf und starrte auf mein Handy. Das war die alle erste Nachricht von einem gleichaltrigen Menschen, die ich jemals bekommen hatte. Zwar war sie in einem Gruppenchat, aber es zählte trotzdem, oder? Was sollte ich antworten? Wie sollte ich schreiben? Sollte ich einen auf gelassen und cool machen? Viele Emojis benutzen? Überhaupt Emojis benutzen? Überhaupt antworten?
Verärgert warf ich mich wieder zurück in mein Kissen. Was genau machte ich da? Es sollte mir egal sein, was die anderen von mir dachten. Ich musste sie auf Armlängenabstand halten.
[21:27] Ich: Ich darf leider nicht mitspielen. Ich muss mein Handgelenk schonen... Es tut mir leid.
Ich schloss die Augen und ließ mein Handy auf meinen Bauch fallen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich sie im Stich ließ und im Grunde wollte ich sie im Stich lassen und im Stich gelassen werden, doch aus irgendeinem Grund nervte es mich gerade etwas. Es musste wohl an den bescheuerten Bemerkungen der Baseball AG und ihrem Auserwählten-Gerede liegen. Allein, wenn ich daran dachte, triggerte es mich. Die E-Klasse hatte so viel mehr drauf als alle anderen und das würde ich so gern beweisen. Ein trauriges Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Das waren wohl die Gene meines Vaters. Das Bedürfnis sich immer zu beweisen. Das Bedürfnis Überlegenheit zu demonstrieren. Ob das gut war?
Mein Handy vibrierte wieder. Jemand hatte wohl in der Klassengruppe geantwortet. Dann vibrierte es nochmal. Hoffentlich bohrten sie nicht weiter nach oder waren wieder so enttäuscht... Seufzend griff ich danach und entsperrte mein Bildschirm, nur um große Augen zu bekommen, als ich die Nachrichten las.
Kanzaki hatte in der Klassengruppe geantwortet. Und niemand anderes als Karma Akabane hatte mir eine Nachricht im Privatchat geschickt. Allein das ließ mein Herz rasen und sorgte dafür, dass meine Hände leicht vor Nervosität zitterten. Ich nahm es zurück. Kayano hatte mir das erste Mal in einem Gruppenchat geschrieben und Karma war der erste, der mich direkt angeschrieben hatte. Ich konnte nun in Ruhe sterben...
Ich hielt inne. Wie ironisch... Liebe war echt komisch.
Kanzaki jedenfalls schrieb, dass es okay wäre und ich mir keine Sorgen machen bräuchte. Ohne zu antworten, klickte ich dann auf Karmas Nachricht.
[21:31] Karma: Lügen ist eine Sünde, Naoko.
Natürlich wollte er mich nur ärgern. Aber warum genau freute mich das gerade so?! Ich bekam mein fettes Grinsen kaum mehr aus meinem Gesicht.
[21:33] Ich: Damit kennst du dich ja am besten aus.
[21:34] Karma: Ich bin immer brutal ehrlich
[21:34] Karma: Kannst du das auch von dir behaupten?
[21:35] Ich: Manchmal ist Schweigen besser als Gold.
[21:35] Ich: Wenn man nichts positives zu sagen hat, dann sollte man nichts sagen.
[21:36] Karma: Wo hast du denn diese Tumblr-Sprüche her?
[21:36] Ich: Von Tumblr?
[21:37] Karma: Diese Antwort hätte ich kommen sehen sollen.
[21:38] Ich: Jedenfalls hab ich nicht gelogen. Es ist die Wahrheit. Ich darf wegen meines Handgelenks nicht spielen
[21:38] Karma: Das glaub ich dir nicht
[21:39] Karma: Mach dich doch nicht unbeliebter als du es schon bist :P
[21:39] Ich: Ich bin nicht unbeliebt
[21:40] Ich: Ich bin gewollt unbeliebt*
[21:41] Karma: Hast du überhaupt Freunde?
[21:42] Ich: Soll dir Koro-Sensei einen Vortrag über Cybermobbing halten?
[21:42] Karma: Wenn du so weiter machst, dann stirbst du einsam und verbittert.
Genervt atmete ich aus. Mein Lächeln war bei dieser Nachricht leider verschwunden. Was genau war seine Mission? Wieso wollte er mich so nerv... Okay, es war Karma, er wollte jeden nerven. Nur wünschte ich, dass er das Bedürfnis bei mir wenigstens nicht so stark hatte... dass er mich wenigstens etwas mochte...
Für diese Bemerkung wollte ich ihm so gern eins auswischen. Also schrieb ich das erste, was mir einfiel. Etwas, was seinen Punkt eben wiederlegte.
[21:44] Ich: Negativ. Heute hat mich sogar ein Typ gefragt, ob ich mit ihm am Abend ausgehen will.
Karma schreibt...
Online
Karma schreibt...
Online
Karma schreibt...
Triumphierend grinste ich und hätte fast aufgelacht. Damit hatte ich gewonnen. Ich hatte ihm die Sprache verschlagen und er hatte Schwierigkeiten damit sofort ein Comeback zu finden.
[21:47] Karma: Lügen ist eine Sünde, Naoko.
Ich verdrehte die Augen. Das war sehr schwach, besonders für seine Verhältnisse.
[21:48] Ich: Genauso wie das Recyclen von Sprüchen
[21:48] Ich: Außerdem ist es keine Lüge.
[21:49] Karma: Und wer ist der Kerl, der so an Geschmacksverirrung leidet?
[21:50] Ich: Du kennst ihn nicht.
[21:50] Ich: Er ist groß. Blond. Sechs Jahre älter. Ziemlich witzig.
[21:50] Ich: Und er sieht nicht aus wie eine Paprikarma.
[21:52] Karma: Der Kerl klingt wie ein Perversling, der auf kleine Mädchen steht
[21:53] Karma: Soll dir Koro-Sensei einen Vortrag über illegale Beziehungen halten?
[21:54] Ich: Ich hab auch höflich abgelehnt.
[21:55] Ich: Awwww, du musst dich nicht so um mich sorgen :P
[21:56] Karma: Das tu ich auch gar nicht. Mir ist es im Grunde egal, was mit dir passiert. Ich wollte dich lediglich darauf hinweisen.
Das tat weh...
Ich ließ mein Handy sinken und antwortete ihm auch nicht mehr. Dabei hatte es... so schön angefangen... Ich sollte defintiv meine Erwartungen im Punkt Karma zurückschrauben sowie meine Hoffnungen etwas kontrollieren und damit aufhören. Er hatte schon mehrmals bewiesen und gesagt, dass er mich nicht leiden konnte. Wieso verletzte ich mich also selbst und machte mir da Hoffnungen? Wieso genoss ich sogar diesen schmerzhaften Austausch? Im Grunde hätte ich wissen sollen, dass er sich nicht um mich sorgte. Schließlich war ich daran seit Jahren gewöhnt...
.
»IHR ERLAUBT MIR NIE IRGENDETWAS! WEGEN EUCH WERDE ICH NOCH ALLEIN UND VERBITTERT STERBEN!«
Am späten Samstagnachmittag schallte Raikos liebliche Stimme genauso laut wie ihre ohrenbetäubende Musik, die sie oft einfach anschmiss, durch das ganze Haus und sorgte wahrscheinlich dafür, dass sogar unsere Nachbarn erfuhren, dass sie sich mit einem Jungen aus der Oberstufe treffen und bei ihm übernachten wollte. Ihre schrecklichen Eltern erlaubten es jedoch nicht, weil sie eben so schrecklich waren und nicht, weil sie sich um sie sorgten.
Ob sie bei mir genauso reagiert hätten?
Wahrscheinlich nicht. Oft fragten sie nicht einmal, wohin ich ging und seit dem Vorfall im Restaurant, taten sie nicht einmal mehr so, als würden sie sich um mich sorgen. Jetzt, da der Schmerz darüber weg war, war es mir so ziemlich egal geworden.
Mein Blick fiel auf das Foto meiner Mutter. Eigentlich versuchte ich zu lernen, aber Raikos Lautstärke und ihre Androhungen, sich selbst zu Adoption freigeben zu wollen, förderten meine Konzentration nicht gerade. Ob es meine Mutter interessieren würde, wenn ich mich mit einem Jungen traf? Ich würde es leider nie herausfinden. Und jemanden deshalb zu fragen, konnte ich schlichtweg nicht. Ich bezweifelte auch, dass irgendjemand sie gut genug kannte, um sie in der Hinsicht einzuschätzen. Sie war immer für Überraschungen gut gewesen...
Ich gab das Lernen erst einmal auf, als Ai ebenfalls anfing zu schreien. Nicht, weil sie sauer war, nein, sie schrie irgendetwas Gebrabbeltes, das keinen Sinn ergab, einfach um ihrer Schwester nachzumachen, die ihr gerade die ganze Aufmerksamkeit wegnahm. Das führte nur dazu, dass diese noch wütender wurde.
Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn mein Dad sie rauswarf, dachte ich mit einem Schweißtropfen auf der Stirn. Ich hatte genug zu tun und musste mich nicht mit ihren Launen auch noch herumschlagen. Fast wie auf Knopfdruck, fing Ai lauter an zu schreien, wodurch Raiko ebenfalls nochmal lauter schrie.
Danke, dass ihr meinen Gedanken gerade bestätigt.
»HÖRT AUF DAMIT, ALLE BEIDE!«
Sogar ich zuckte zusammen, als ich den lauten Schrei meiner Tante hörte. Sie hatte zurückgeschrien. Sie hatte wirklich...
Es wunderte mich nicht, dass sogar sofort Stille eingekehrte und die beiden Mädchen tatsächlich verstummten. Sowas war sehr untypisch für sie...
»Auf eure Zimmer. Sofort. Ich will euch beide für den Rest des Tages nicht mehr sehen.«
Sie sprach immer noch laut, fast schon leicht brüllend, aber es war nicht so laut und zornig wie ihr erster Schrei. Kurz darauf vernahm ich, wie sich eine Tür schloss. Leise stand ich auf und lief zu meiner eigenen geschlossenen Zimmertür, die ich leicht öffnete. Meine Tante stand noch zitternd und den Kopf gen Boden gesenkt im Flur. Ihr Anblick sorgte dafür, dass sie mir wirklich... Leid tat und so lief ich vorsichtig auf sie zu. Behutsam platzierte ich eine Hand auf ihre Schulter und fast augenblicklich schoss ihr Kopf zu mir. Sie hatte vorher schon sehr müde ausgesehen, doch jetzt sah sie absolut erschöpft und am Ende aus. Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen, um sie irgendwie aufzumuntern und zu ermutigen, als jedoch Ai ihre Zimmertür wieder öffnete und ihren Kopf herausstreckte. Sie wirkte komplett normal, als wäre nichts passiert und lächelte ihre Mutter kurz an.
»Mama, darf ich einen Keks haben?«, fragte sie und setzte ihren berühmten Schmollmund ein, mit dem sie ihre Eltern immer herum bekam.
War ihre Erinnerungsspanne wirklich so kurz oder dachte sie wirklich, dass sie damit, so wie immer, davon kommen würde, obwohl ihre Mutter so wütend und fertig aussah.
»Nein, Ai«, hauchte ihre Mutter schon fast unerwartet. »Geh zurück in dein Zimmer.«
Verärgert runzelte Ai ihre Stirn und wartete kurz. Als sich ihre Mutter jedoch nicht bewegte, öffnete sie ihre Tür nun ganz und trat in den Flur.
»Dann hol ich mir selbst einen«, verkündigte sie trotzig und stolzierte mit erhobenen Kopf los.
Ich hatte angenommen, dass sie damit durchkommen würde. So wie immer. Und sie wahrscheinlich auch, ungeachtet dessen wie ungezogen sie gerade war. Sie strotzte praktisch vor Selbstbewusstsein. Doch sie kam nur zwei Schritte weit, bevor sie von ihrer Mutter am Arm gepackt wurde, was sie mindestens genauso überraschte. Rücksichtslos beförderte diese sie mit einem Stoß zurück in ihr Zimmer, schloss die Tür und drehte den Schlüssel um.
Eine kurze Stille trat ein.
Dann hörte man eine kleine Faust, die gegen die Tür klopfte.
»Mama! Lass mich raus! Ich will einen Keks! MAMA!«, rief Ai verzweifelt, gefolgt von einem lauten Schluchzen. »LASS MICH RAUS! ICH HAB DOCH NICHTS GEMACHT, DU BLÖDIE, LASS MICH RAUS! ICH WILL JETZT SOFORT EINEN KEKS!«
Ich rührte mich nicht von der Stelle. Dieser Wutanfall löste in mir verschiedene Emotionen aus, die ich nicht genau benennen konnte. Ich rührte mich auch nicht, als meine Tante sich zu mir umdrehte und mich aus flehenden Augen ansah.
»Bitte. Erzähl es nicht deinem Vater, okay?«, sagte sie leise.
Hielt sie mich wirklich... für eine Petze? Eine Art Spionin meines Vaters, obwohl sie wusste, dass auch ich für ihn seiner Perfektion nicht gerecht wurde und deutlich schlimmer deshalb bestraft wurde? Gerade so schaffte ich es, mich zusammenzureißen. Ich nickte kurz angebunden, bekam einen dankbaren Blick und dann flüchtete sie schon fast die Treppe runter, Ais immer lauter werdenden, quengelnden Schreie ignorierend.
Erst dann schaffte ich es, mich loszureißen und ging zurück in mein Zimmer, wo ich mich umzog.
Es war fürs erste wahrscheinlich besser für Ai, wenn sie in ihrem Zimmer blieb. Dort hatte sie zumindest auch Spielsachen, mit denen sie sich immerhin beschäftigen konnte. Und vor allem, war es sehr viel sicherer.
Als ich mich umgezogen hatte, schnappte ich mir meine Tasche, lief ebenfalls die Treppe herunter und verließ das Haus. Ein festes Ziel hatte ich nicht. Ich wollte nur erst einmal weg und für ein paar Stunden Ruhe. Wie gesagt, ich hatte bereits ein kompliziertes Leben voller Druck und Erwartungen. Ich brauchte nicht noch mehr, vor allem, wenn ich alles für mich selbst schlimmer machte, sollte ich mich wirklich einmischen. Im Grunde waren sie bis jetzt einfach nur verwöhnt worden, sodass sie mit kleinen Problemen scheinbar nicht mehr klar kamen.
Ich musste mich raushalten.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top