46. Ein "normales" Treffen
Hey!
Ich erspare euch die Details. Es geht zumindest weiter. Leider hatte das Leben einige unschöne Events für mich in Planung, sodass ich komplett ausgefallen bin. Die Leser, die mir auf Instagram folgen (@su.yu.san), sind da mehr informiert. You can get more Infos there whenever something happens.
Also, I got a new cat. This is the most important point. She is just so damn adorable and cuddly. You can also go to Instagram if you want to see my chaos crew.
Das wars jetzt erstmal. Danke für die ganzen ultra lieben, verständnisvollen Nachrichten.
Viel Spaß beim Lesen!
~
Seufzend setzte ich mich auf den Boden und lehnte mich gegen einen Baum. Ich hatte mich so sehr auf die Sommerferien gefreut, doch natürlich mussten wir Schüler des Assassination Classrooms auch in diesen eigentlich freien Wochen trainieren, um unseren Oktopuslehrer zu töten, bevor er die Welt zerstörte.
Mein Leben war schon kompliziert genug, aber das Universum musste ja gleich eine Parodie daraus machen. Und am Ende sollte es zu einer Tragödie werden.
Solange wollte ich diese Parodie jedoch genießen. Deshalb war ich auch heute beim Training erschienen. Die neuen Verbindungen zu meinen Klassenkameraden wollte ich nicht unnötig riskieren. Ich schätzte die Zeit, die ich mit ihnen verbringen konnte mehr als sie glaubten. Und das durften sie auch nicht erfahren. So bewahrte ich wenigstens noch die Distanz zu ihnen.
Vor allem musste ich bei Nakamura aufpassen. Irgendwie vibte ich mit ihr viel zu gut, und in einem anderen Leben würde ich wahrscheinlich sehr viel Energie sowie Zeit darin investieren, mich wirklich mit ihr anzufreunden. Wir würden uns sehr gut verstehen, vermutlich zu gut, so gut, dass ich die Zeit mit ihr nicht nur genießen, sondern mich sogar aktiv danach sehnen würde. Aber die Realität war, dass ich sie nicht so nah an mich lassen durfte, wie ich es mir wünschte. Ich durfte mich nach nichts sehnen, denn dann könnte ich meine persönlichen Regeln leicht vernachlässigen. Doch zumindest musste ich nicht mehr ganz auf den Kontakt mit Nakamura verzichten.
So freute es mich, als sie sich ebenfalls neben mir niederließ. Sie wirkte genauso erschöpft wie ich, wenn nicht auch deutlich erschöpfter.
»Mann, Karasuma übertreibt mit dem Training total. Können wir nicht wenigstens in den Ferien etwas Ruhe von dem Oktopus haben?«, sagte sie.
Meine Lippen zuckten leicht nach oben, doch bevor ich antworten konnte, ertönte eine Stimme von oben.
»Beleidige doch nicht unseren Lehrer vor seinem Fangirl, ansonsten wird sie sauer.«
Wie hatte ich nicht bemerkt, dass Karma über mir im Baum saß oder überhaupt anwesend war? Ich sah nach oben. Der rothaarige Vollidiot saß lässig und tiefenentspannt auf einem Ast und lehnte sich gegen den dicken Baumstamm. Mittlerweile war ich mir sicher, dass der Typ ein Flughörnchen war. Wieso sonst sollte er immer in Bäumen sitzen? Er ähnelte einem jedenfalls und verhielt sich auch so.
»Wieso genau bist du eigentlich hier?«, nahm mir Nakamura die Frage mit einem Schweißtropfen auf der Wange ab.
Karma zuckte mit den Schultern, ohne nach unten zu schauen. Seine Augen waren geschlossen. »Na, wir haben Training.«
»Du hast nicht mitgemacht«, sagte ich überflüssigerweise. Er wusste dies selbst und natürlich wusste ich, dass er mein eigentliches Argument ignorieren würde. Was er auch machte.
»Du warst vielleicht bei der Hälfte der Trainingstermine und willst mich jetzt dafür kritisieren, dass ich gerade nur eine kleine Pause mache?«
Gerade als ich ihm antworten wollte, stoppte ich, da ich aus dem Augenwinkel etwas auf uns zufliegen sah. Oder eher auf Karma, der noch schneller reagierte, und sich mit einer geübten Bewegung zur Seite fallen ließ und so kopfüber vom Ast baumelte. Der Ball verfehlte ihn somit, sehr zur Unzufriedenheit des Werfers, der auf uns zu kam.
»Na, na, Terasaka. Du brauchst doch nicht direkt eifersüchtig werden, nur weil ich mit unserer Eiskönigin spreche«, sagte Karma spielerisch, sprang nun vollständig runter und landete vor uns. Seine Haltung war herausfordernd, wie man es von ihm kannte und langsam bereute ich es, mich nicht einfach auf einer Bank auf dem Sportfeld niedergelassen zu haben. Er zog mich nämlich wie immer in seinen kleinen Sticheleien mit hineinziehen.
Terasaka schien seine Aussage überraschenderweise zu ignorieren. »Wenn du schon hier bist, kannst du auch mitmachen«, sagte der Rüpel. »Es nervt, wenn ihr es alle nicht ernst nehmt.«
»Ich glaube, die meisten von uns sehnen sich einfach momentan nach einer Pause«, mischte sich Nagisa nun ein, der zusammen mit Kayano, Okuda, Kanzaki, Sugino und Isogai einige Meter von uns weg saß.
»Es bringt uns nichts, wenn wir dadurch den Oktopus nicht am Ende umbringen und er die Erde zerstört«, sagte Terasaka genervt.
Ich musste sagen, seitdem er von diesem Shiro hereingelegt wurde, wirkte er sehr viel ernster. Irgendwie fast schon reifer. Das hatte was. Er hatte definitiv daraus gelernt. Doch jemand, der sich selbst so einen reinen Namen gab, sollte man sowieso kritischer beäugen.
»Ich werde ihn so oder so töten«, meinte Karma. »Also brauchst du dir da keine Sorgen zu machen.«
»Wenn wir alle zusammen arbeiten, werden wir es am Ende hinbekommen«, sagte Isogai.
Das kannte man von ihm. Seine Art entlockte mir ein leichtes Kichern. »Du bist so süß, Isogai.«
Peinlich berührt rieb er sich den Hinterkopf. Gleich darauf bekam ich jedoch einen leichten Schlag auf den Kopf, sodass ich meine Aufmerksamkeit wieder dem rothaarigen Vollidioten zuwandte.
»Wenn du hier zum Flirten bist, hättest du auch gleich gar nicht kommen brauchen«, zog mich Karma auf.
»Sagt derjenige, der scheinbar nur hier ist, um sie zu stalken«, sagte Terasaka.
Es entlockte allen außer mir und Karma ein Lachen. Einfach, weil ich mir genau das wünschte und es frustrierend war, dass ich 100% wusste, dass es eben nicht so war.
Karma wiederum schien die Aussage eher zu nerven, jedoch gleichzeitig unbeeindruckt zu lassen. Hätte er mich wirklich beobachtet, wäre er jetzt eher angepisst. Allein deshalb wusste ich, dass es nicht stimmte.
»Wie bereits gesagt, brauchst du nicht eifersüchtig sein. Die Eiskönigin gehört ganz dir.«
»Red keinen Blödsinn, du Vollidiot«, sagte Terasaka, als wäre es eine persönliche Beleidigung gewesen.
Na, vielen Dank auch. Sie führten sich auf, als wäre ich eine ansteckende Krankheit.
»Langsam fange ich wirklich an Mädchen zu bevorzugen«, sagte ich kopfschüttelnd und stand auf, was mir einige verwunderte Blicke einbrachte. »Ihr Jungs seid mir zu anstrengend.«
»Ach, komm, damit verletzt du Terasakas Gefühle«, meinte Karma zufrieden.
Unser Klassenrowdy schien noch viel genervter als vorher und sah jetzt wirklich eingeschnappt aus. »Ach, ja?!«
»Ich gebe Naoko recht«,sagte Nakamura. »Chillt mal. Sie gehört bereits mir, also habt ihr beide sowieso keine Chance.«
Nun musste ich wirklich lächeln. Nakamura war definitiv hübsch und wie bereits gesagt, in einem anderen Leben hätte ich vermutlich eine ganz andere Verbindung zu ihr. Solche Sprüche wären ein Teil davon. Sie entsprachen fast meinen Traumvorstellungen, wie ich mir eine aufrichtige Freundschaft ausmalte.
»Sowas können aber auch nur Mädchen sagen, ohne, dass es komisch kommt«, meinte Sugino, sich an der Wange kratzend.
»Wenn du auf Jungs stehst, dann kannst du es ruhig sagen. Wir würden dich ebenfalls niemals verurteilen«, erwiderte ausgerechnet Kanzaki.
Das brachte nun die anderen außer Kanzaki, Sugino und Terasaka zum Lachen. Der arme Sugino. Jeder wusste, dass er ziemlich in Kanzaki verknallt war. Das nun zu hören, musste entmutigend sein. Sie hatte ihn damit praktisch auf ihrer eigenen Art gegayzoned. Es überraschte mich daher auch nicht, dass die anderen anfingen ihn aufzuziehen, während Kanzaki schuldbewusst dreinblickte und versuchte es irgendwie wieder gut zu machen, während Sugino kaum zuhörte und stattdessen gehetzt versuchte zu erklären, dass er nur auf Mädchen stehen würde.
Mein Blick wanderte zu Terasaka, der aussah, als würde er seine ganzen Lebensentscheidungen anzweifeln. Angesichts der Tatsache, dass er auch wirklich Straftaten beging, war es vermutlich ganz gut. Wie gern würde ich wirklich wissen wollen, was in ihm gerade vorging. Vielleicht würde ich mehr Informationen bekommen, wenn ich länger bleiben könnte, aber leider ging dies nicht. Ich musste bereits los, auch wenn ich zu gern bleiben würde. Gerade fühlte es sich nämlich fast so an, als hätte ich ein ganz normales Leben. Es machte sogar Spaß mit meinen Klassenkameraden zu sitzen. Für einen Moment hatte ich meine Sorgen zumindest ein wenig vergessen können.
Kenta würde mich jedoch auch auf andere Gedanken bringen und wenigstens würde ich erst in ein paar Stunden zu Hause sein. Das Haus versuchte ich momentan eher zu meiden. Seit dem "Zwangsurlaub" meines Onkels, war seine Frau noch gestresster als sonst. Noch dazu schien es fast, als würde Ai es absolut nicht toll finden, dass die Aufmerksamkeit nicht auf sie lag, eben weil ihr Vater weg war und deshalb so viel Mist wie möglich anstellen. Naja, eine Pause würden wir hin und wieder bekommen, wenn sie zur Sommerschule geschleppt wurde. Heute war ihr erster Tag dort und ich hoffte, dass ihre Mutter die Ruhe sehr schätzen würde und sie dann jeden Tag dort abliefern würde.
Ich wollte meine Ferien selbst gern genießen.
»Hey, Naoko, wie wäre es, wenn wir noch irgendwo zusammen hingehen?«, schlug Nakamura plötzlich vor und sah mich erwartungsvoll an.
Ich war nicht nur überrascht, sondern regelrecht schockiert. Meinte sie damit wir zwei allein? Wie Freundinnen? Irgendwie wusste ich nicht mal, ob es eine gute oder schlechte Idee war. Dafür spürte ich in dem Moment ein zu großes, positives Gefühlschaos.
»Es wäre doch lustig, wenn wir alle zusammen noch etwas unternehmen«, sagte Kayano aufgeregt, sodass ich nicht einmal auf Nakamuras Frage antworten konnte.
Diese sah kurz etwas entmutigt aus, lächelte jedoch gleich darauf wieder breit. »Klar, wieso nicht?«
Weil ich in Krankenhaus musste... Doch irgendwie war ich in dem Moment ein wenig enttäuscht. Hieß es, sie hatte nicht wirklich uns zwei allein gemeint? Wie zwei Freundinnen? Innerlich verwarf ich den Gedanken sofort wieder. Was dachte ich da eigentlich? Ich konnte mit ihnen etwas übernehmen, aber durfte die Grenze nicht überschreiten. Ich durfte diese Verbindungen nicht vertiefen und ein Treffen allein würde dies tun. Auch wenn ich es gern wollte. Doch damit würde ich am Ende nur noch mehr schaden anrichten.
»Ich habe leider einen Termin und muss deshalb jetzt los. Aber ich wünsche euch allen viel Spaß.«
»Wen überrascht das schon?«
»Halt die Klappe, Paprikarma.«
Wenn er nur wüsste, dass es wirklich keine Ausrede war und wie gern ich doch mit ihnen noch etwas unternehmen würde... dann würde er mich vermutlich erst recht ärgern. Es war immerhin Karma.
.
»Scheiße...«, fluchte Kenta leise und umklammerte das Klemmbrett mit den Ergebnissen meiner Untersuchungen in seinen Händen fester, sodass seine Knöchel weiß wurden.
Besorgt musterte ich ihn. Obwohl ich mich mit keinem Schicksal abgefunden hatte, stressten mich schlechte Ergebnisse sehr. Ich kannte schließlich ihre Konsequenzen nicht und vor allem die Reaktion meines Vaters auf ihnen.
Ich atmete hörbar aus, um ruhig zu bleiben und mit fester Stimme zu antworten: »Was ist denn? Ist es sehr schlecht?«
»Ich glaube, mein Auto wird gerade abgeschleppt...«
»Was?« Da ich nicht aufstehen konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als ihn verständnislos anzuschauen. Tatsächlich. Sein Blick war nach draußen gerichtet und galt nicht meinen Ergebnissen. »Heißt das, meine Werte sind nicht scheiße?«
Ich wollte mich trotzdem erkundigen, nur um wirklich sicher zu sein.
Kenta schnaubte theatralisch. »Naoko, es geht hier nicht immer nur um dich, auch wenn es deine Termin im Krankenhaus ist. Deine Werte sind super. Aber die Werte auf meinem Bankkonto nicht, wenn ich die Strafe bezahlen muss.«
Meine Mundwinkel zuckten leicht nach oben. »Seit wann hast du überhaupt ein Auto?«
»Hab ich nicht. Das gehört einem Freund von mir. Ich helfe meiner Mom momentan beim Umzug... Naja, eigentlich wollte ich das...«
»Du kannst es immer noch. Wenn du willst, zahle ich es. Das macht mir wirklich nichts aus.«
Kenta lachte, schüttelte den Kopf und sah nun zu mir. »Ich liebe es, wenn du mir das Gefühl gibst arm zu sein.«
»Dafür bist du reich an Lebensfreude, von der ich nur träumen kann«, erwiderte ich.
»Ich würde trotzdem lieber weinend in einem Porsche sitzen, als in der Bahn, weil ich mir meine Monatskarte mal wieder nicht leisten kann..«
»Du hast auch sehr viel mehr Zeit als ich, das...«
»Verdammt, Naoko, sei doch nicht direkt so negativ. Ich habe dir gerade noch gesagt, dass deine Werte gut sind. Lass mich also jetzt kurz im Selbstmitleidspool schwimmen, bevor du wieder reinspringst« Kenta sah mich gespielt enttäuscht an, aber seine Reaktion amüsierte mich eher. Wahrscheinlich wusste er das. Irgendwie konnte er einen einfach perfekt auf andere Gedanken bringen und ablenken. Selbst wenn man diese sensiblen Themen besprach.
Ich hatte nicht einmal eine Ahnung, wie er es schaffte, doch sein Charme war vermutlich einer der Gründe.
»Deine Mission scheint es heute wieder zu sein alle zum Lächeln zu bringen«, sagte ich schmunzelnd.
Er grinste. »Eigentlich will ich nur dein hübsches Lächeln sehen.«
»Was wohl die Oberkranken...«
»... um dir zu sagen, dass es nicht so hübsch ist, wie du glaubst!«, unterbrach er mich mit viel Nachdruck.
Es war ein Scherz und genau das war das schöne an Kenta. Er verwirrte mich mit seinem Verhalten nicht so sehr wie die anderen. Allein, dass er mich immer noch anlächelte, half mir seine Aussagen besser zu interpretieren. Ich hatte nie vorher bemerkt, dass die Isolation so einen starken Einfluss auf mein Sozialverhalten hatte. Erst seit ich mehr mit meinen Klassenkameraden interagierte, bemerkte ich, was für Schwierigkeiten ich mittlerweile entwickelt hatte.
»Wurde das Auto jetzt wirklich abgeschleppt?«, fragte ich mit einem demonstrativen Blick an ihm vorbei.
Sein Lächeln verschwand. »Ja. Das war kein Scherz. Ich bin so erledigt.«
Er tat mir leid. Aber selbst, wenn ich es wollte - und ich wollte es wirklich - ich wusste, dass er meine Hilfe niemals annehmen würde. Es war komisch. Geld war für mich nicht so wichtig, klar, weil ich immer so viel hatte. Aber ich würde am liebsten alles aufgeben, wenn es heißen würde, dass ich ein komplett normales Leben nach meinen Wünschen führen konnte. Dass meine Familie so viel besaß, brachte mir nicht viel. Also wollte ich, dass es anderen irgendwie nützlich war.
.
Ich war gerade auf dem Rückweg nach Hause, als ich meine Nachrichten checkte. Kenta und ich hatten so viel gesprochen, dass ich gegen Ende gar nicht wirklich dazu gekommen war. Er hatte mich auf einer guten Art und Weise abgelenkt, vor allem als er seine Pause bei mir verbracht hatte. Ich wollte wirklich ungern nach Hause, weshalb ich eigentlich nach einem guten Restaurant in der Nähe suchen wollte, um es so lange es ging hinauszuzögern. Ich würde da keine Ruhe haben und die brauchte ich gerade. In letzter Zeit spürte ich die innere Unruhe in mir sehr viel stärker und ich wollte auf jeden Fall verhindern, dass es gewisse Zustände auslöste.
[15:55] Nakamura: Ein paar von uns treffen sich um 17 Uhr im Café neben der Schule. Komm doch auch, wenn du Zeit hast :-)
Sie hatte mir extra geschrieben, obwohl es auch Thema im Gruppenchat unserer Klasse war. Ich bezweifelte, dass sie es bei allen gemacht hatte und es freute mich mehr als es sollte. Am liebsten wollte ich sofort zusagen, aber ich hielt inne und überlegte erst. Eigentlich hatte ich nach Plänen für den Abend gesucht, also kam das gelegen. Es war jedoch nicht ganz so richtig, wenn ich ehrlich war. Gleichzeitig stellte sich die Frage, was denn überhaupt noch richtig oder falsch war.
Verdammt, es war zum Haareausraufen. Konnte ich nicht einmal etwas machen, ohne alles bedenken zu müssen? Im Grunde hätte jede Entscheidung irgendwelche Nachteile. Also konnte ich einmal egoistisch sein und zumindest etwas machen, was mir Freude einbrachte.
So fasste ich meinen Entschluss und steuerte mein Haus an.
Ich musste mich dringend umziehen. Wenn ich mich schon mit meinen Klassenkameraden traf, wollte ich nicht die Trainingskleidung von heute morgen tragen. Außerdem würden sie dann wissen, wie lange ich bei meinem besagten Termin geblieben war.
Und so stand ich vierzig Minuten später vor dem Spiegel in unserem Badezimmer und trocknete mir nach einer schnellen Dusche die Haare. Okay, mein Outfit war vielleicht etwas zu gewagt, doch ich traf meine Klassenkameraden nicht jeden Tag. Vielleicht wollten sie danach noch irgendwohin gehen. Jedenfalls hoffte ich es. So oft wie Ai heute aufkreischte, wollte ich einfach nur für die nächsten Stunden... oder lieber Tage nicht hier sein.
»Wohin gehst du?«, fragte mich meine Tante, als ich die Treppe runter kam und mir meine Jacke griff.
»Ich treffe mich mit meinen Klassenkameraden«, sagte ich. Eigentlich war ich ihr keine Erklärung schuldig, doch ich hatte keine Lust auf eine Diskussion, weshalb ich direkt antwortete.
Ai, die neben ihrer Mutter stand und ungeduldig an dem Rock von dieser zog, sah gar nicht begeistert aus, dass sie bei ihrer Erzählung von den Ereignissen in der Ganztagsbetreuung unterbrochen wurde.
»Mamaaaaaa«, quengelte sie, wurde jedoch mit einer Handbewegung abgewimmelt.
»Weißt du, auf welche Party Raiko genau gegangen ist?«, wollte die Frau wissen. »Bist du etwa auch eingeladen?«
Das überraschte mich. Könnte ihre Frage Sorge sein? Zumindest erklärte es, warum sie mich überhaupt ansprach. Seitdem ihr Mann... nun... abgetaucht war, sprach sie kaum mehr mit mir. Sie war grundsätzlich ruhiger, jedenfalls explodierte sie nicht mehr dauernd, als ob er doch einen Stressfaktor dargestellt hatte, der auch für sie verschwunden war. Sie versuchte aber gleichzeitig alles penetrant zusammenzuhalten. Vielleicht wollte sie deshalb Raiko und Ai bei sich wissen? Um mich ging es hier definitiv nicht.
Daher schüttelte ich den Kopf. Sie sollte selbst schlussfolgern, was genau damit gemeint war. Ich wusste, auf welcher Party Raiko eingeladen war, aber ich war definitiv nicht eingeladen und war mir nicht einmal sicher, ob diese wirklich dort war. Wir sprachen ebenfalls kaum mehr miteinander. Okay, ich musste zugeben, dass ich sie mied. Jedes Mal, wenn ich das Gefühl hatte, dass sie gleich wieder mit mir reden wollte, ergriff ich die Flucht.
Es war einfach besser so. Ich wollte nicht mit ihr über das, was vorgefallen war, sprechen, keine Entschuldigungen hören oder gar über meine Gesundheit reden. Es war besser, wenn wir weiter Abstand voneinander hielten.
»MAMA!«, rief Ai nun beleidigt. Sie wurde jedoch wieder ignoriert.
»Für ein einfaches Treffen mit deinen Klassenkameraden, hast du dich aber wirklich schick gemacht«, merkte meine Tante an. Wieder bemerkte ich, dass ihr Ton nicht herablassend war. Doch da versteckte sich etwas anderes drin.
»Mag sein«, sagte ich und richtete mich wieder auf, nachdem ich mir meine Schuhe angezogen hatte.
»Wenn Rai...« Weiter kam meine Tante nicht, da Ai ihr tatsächlich in diesem Moment fest in die Hand biss, vermutlich, um endlich die Aufmerksamkeit zu bekommen, die sie versuchte einzufordern. Ihre Mutter schrie auf und versuchte ihre Hand wegzuziehen, doch es funktionierte nicht.
Wer Ais Bisse kannte, wusste, dass sie sich wie ein Chihuahua festbiss und nicht einfach so losließ. Naja, eigentlich. Wenn man versuchte sie los zu bekommen, ohne ihr weh zu tun. Aber das schien ihre Mutter relativ schnell aufzugeben, und so packte sie die Haare des kleinen Mädchens, und zog sie weg. Diese stieß ein lautes Kreischen aus.
»AUA, DAS TUT VOLL WEH!«
Zu meiner Überraschung schrie ihrer Mutter sie nicht zurück an, sondern kniete sich vor dieser hin, während Ai natürlich laut losheulte.
»Denkst du etwa, was du gemacht hast, hat nicht weh getan?«, wollte ihre Mutter mit wütender und doch überraschend gefasster Stimme wissen. »Sowas macht man ni...«
Sie hielt inne, als Ai ihr dieses Mal ins Gesicht spuckte. Ich hatte selbst einige Sekunden innegehalten, doch schaffte es mich von dem Anblick loszureißen, als ich Ais breites, selbstgefälliges Grinsen sah. Von dem vorherigen Geheule war nichts mehr zu sehen. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es aus der Tür und schloss sie hinter mir, als ich Ais laute Schreie hörte und ein Poltern auf der Treppe.
Ich wusste nicht, ob sie es verdient hatte. Ich wollte nämlich nicht einmal darüber nachdenken. In diesem Haushalt hatte jede Tat ihre Konsequenzen und das musste sie langsam begreifen. Ich hatte es auch früh akzeptieren müssen. Sie alle mussten dies noch begreifen. Das passierte, wenn man undankbaren Personen zu viel gab. Mein Vater hatte sie schon so oft gewarnt.
Mit der geschlossenen Tür verschwendete ich auch keinen weiteren Gedanken mehr daran. Diese Familie sollte einfach lernen, dass ihre Fehler Konsequenzen hatten und diese Konsequenzen hatten nichts mit mir zu tun. Also schaltete ich ab.
Und damit machte ich mich endlich auf dem Weg, um nicht zu spät zu kommen. Selbst das Wetter war gerade fast schon perfekt friedlich, sodass ich den Spaziergang ein wenig genoss.
Dennoch schien ich die letzte zu sein, wie ich bemerkte, als ich durch die Tür des Cafés trat und einige aus meiner Klasse an einem bereits fast vollen Tisch entdeckte. Neben Nakamura hatten sich auch Yada, Nagisa, Isogai, Maehara, Kataoka, Chiba, Hayami und zu meiner absoluten Freude auch Karma hier eingefunden. Ich fragte mich erst, was genau dieses Treffen eigentlich war, doch als ich mich ihnen näherte, konnte ich ganz klar hören, dass es wieder einmal um unseren Oktopuslehrer ging. Fast hätte ich die Augen verdreht. Meine Vorfreude schrumpfte stark, doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Wenn es wirklich so war und sie sich nur hier eingefunden hatte, um Pläne zu schmieden, wäre ich tatsächlich nicht gekommen. Jetzt dachte ich einmal, dass es ein normales Treffen unter Jugendlichen war, und schon ging es wieder um irgendwelche Tötungspläne. Ich ließ mir jedoch nichts anmerken, besonders als Nakamura aufsah, mich bemerkte und praktisch anfing zu strahlen. Allein, dass sie sich so über meine Anwesenheit zu freuen schien, ließ meinen anfänglichen Frust verschwinden.
»Naoko, da bist du ja!«, sagte sie erfreut.
Die anderen sahen auf und wirkten etwas verdutzt. Doch meine blonde Mitschülerin streckte ihre flache Hand aus und sah nun noch glücklicher aus.
»Also dann, her mit meinem Gewinn!«
Ein Schweißtropfen bildete sich auf meiner Wange.
»Sagt mir nicht, dass ihr ernsthaft schon wieder gewettet habt, ob ich komme oder nicht!«, sagte ich. Es war keine Frage, da ich die Antwort bereits bekam, als die anderen schuldbewusst einige Geldscheine herausholten und sie Nakamura in die ausgestreckte Hand drückten. Sie wollten mich doch verarschen...
Isogai schien dabei wieder nicht mitgemacht zu haben und schon fast den Kopf über das Verhalten unserer Mitschüler zu schütteln. Überraschend war jedoch, dass auch Karma dieses Mal scheinbar nicht dagegen gewettet hatte. Bevor ich es jedoch hinterfragen konnte, zog mich Nakamura grinsend auf die Bank neben sich.
»Dafür gebe ich dir etwas aus«, sagte sie. »Mein Glaube an dich macht mich definitiv reicher. Wobei...« Sie sah zu Karma, der die Decke anscheinend interessanter fand als uns. »... Karma hier schien sich auch sicher gewesen zu sein, dass du kommen wirst.«
»Das ist ja überraschend nett von dir, Akabane«, gab ich von mir. Ich wollte mit ihm irgendwie interagieren oder zumindest seine Aufmerksamkeit. Das gab mir die perfekte Möglichkeit. Er senkte seinen Blick jedoch nicht.
»Ich hatte keine Lust, aufgrund deines widersprüchlichen Verhaltens Geld zu verlieren«, meinte er nur.
»Manchmal kann man sich dadurch aber auch ein gutes Taschengeld verdienen«, erwiderte Maehara.
»Du sagst es«, stimmte ihm Kataoka zu.
»Moment, wollt ihr mir damit sagen, dass ihr öfter solche Wetten abschließt?!«, fragte ich nun wirklich entsetzt.
Schuldbewusst bildeten sich Schweißtropfen auf den Gesichtern meiner betroffenen Mitschüler. Na, super auch. Ich war wohl öfter Thema, als es mir lieb war.
»Du bist eben unser Lieblingslästerthema Nummer 1«, meinte Karma.
Bevor jemand protestieren konnte, entschied ich mich selbst zu antworten.
»Du scheinst ja sowieso besessen von mir zu sein«, sagte ich.
Karma schnaubte. »Träum weiter.«
»Träumst du davon Dachdecker zu werden, oder warum findest du das Dach hier so interessant?«
»Der war schwach, selbst für dich.«
»Wie wäre es, wenn wir unsere Pläne weiter besprechen?«, fragte Nagisa, der das Thema wohl einfach nur ändern wollte.
»Es wäre zielführender, wenn dafür die anderen auch eintreffen würden«, erwiderte Hayami.
Also ging es doch um Koro-Sensei... Warum genau hatten sie dann gewollt, dass ich komme? Ich biss mir auf die Zunge, um bloß keinen schnippchen Kommentar darüber zu verlieren. Ich kannte ihre Meinung zu diesem Thema und konnte ihnen meine Haltung nicht aufzwingen. Besonders nicht, wenn sie meine Beweggründe nicht wissen durften. Es hinterließ trotzdem einen bitteren Nachgeschmack.
Vielleicht konnte ich ja nach einer Weile, wenn es mir zu viel werden sollte, auf die Toilette verschwinden oder früher gehen. Wenn ich es jetzt sofort machte, würde ich mich unbeliebt machen und gleichzeitig wollte ich jetzt auch noch nicht wieder nach Hause. Ich konnte mir vorstellen, dass sich dort diese Frau immer noch mit ihrem unerzogenen Kind stritt. Ich konnte vielleicht stattdessen zur Arcade-Halle gehen. Dies machte ich immer noch ab und zu, besonders, wenn Kurai arbeitete. Er nahm sich immer etwas Zeit, um sich nach mir zu erkundigen, und die Spiele dort waren insgesamt eine nette Ablenkung.
»Ich glaube, da ist Ärger im Anmarsch«, kommentierte Karma plötzlich und ließ mich genauso wie die anderen aufsehen.
Terasaka kam mit seiner Idiotentruppe gerade in das Café und die vier sahen insgesamt nicht glücklich, ja fast schon schuldbewusst aus, wobei ihr Anführer doch eher zielstrebig wirkte. Mir war sofort klar, dass sie die fehlenden Personen waren, auf die wir gewartet hatten. Ich war also doch nicht die letzte.
»Wir müssen etwas erledigen«, eröffnete Terasaka sofort als er bei unserem Tisch ankam. »Ich weiß nicht, wer dabei ist und wie es bei euch aussieht, aber ich habe kein Problem irgendwo einzubrechen.«
Verwirrt blickte ich in die Runde. Die anderen schienen auch nicht zu verstehen, worum es ging, also hatte ich nichts verpasst. Doch als ich sah, dass einige fast automatisch ernst wurden, wusste ich, dass sie bei einem möglichen Einbruch wahrscheinlich mitmachen würden.
Das war also doch kein normales Treffen unter Klassenkameraden. Aber das es gleich so eskalieren würde, hätte ich nicht erwartet. Karma jedenfalls schien sehr erfreut über diese neue Wendung.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top